"Fort damit, weil er jeden von uns belastet und was damit ausgeglichen werden sollte, ist ja längst ausgeglichen. Man braucht ihn noch länger, wie es beschlossen ist bis 2019. Und bis dahin sollte man es schon durchhalten."
Geografisch gesehen ist das Saarland weit weg von den neuen Bundesländern. Somit läge die Vermutung nahe, die Saarländerinnen und Saarländer täten sich schwer mit der Solidarität. Doch das Meinungsspektrum zum Solidaritätszuschlag - abgefragt in einer nicht repräsentativen Umfrage - zwei Tage vor dem Treffen der Regierungskoalition in Berlin ist ähnlich vielstimmig wie der Chor der deutschen Politiker. Es reicht von Abschaffen des Soli über verändern bis beibehalten.
"Ich finde es falsch, den Soli abzusenken. Ich zahle auch nur in geringem Maße Solidaritätszuschlag bei normalem Einkommen. Jede Abgabe, die man weniger hätte, wäre gut. Ich glaube, man sollte langsam einen Ausstieg suchen aus dem Zuschlag. Der neue Vorschlag mit der Absenkung der kalten Progression wäre mir lieber."
Bislang aber konnte sich die Berliner Koalition aus CDU, CSU und FDP nicht auf einen Vorschlag verständigen, wie die kleinen und mittleren Einkommen entlastet werden. Wobei es allenthalben als ungerecht angesehen wird, dass die sogenannte kalte Steuerprogression Einkommenszuwächse auffrisst. Denn Tariferhöhungen zum Beispiel zahlen sich in den unteren Lohngruppen häufig nicht aus, weil die höheren Einkommen auch höher besteuert werden und netto eben nicht mehr im Portemonnaie verbleibt. Diese Problematik ist auch den Bundesländern bewusst, und sie sind auch bereit diese zu lösen. Voraussetzung dafür, dass die Länder mitmachen, ist aber, dass es sie nichts kostet, sagt die saarländische Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer von der CDU.
"Für uns ist ganz klar als Landesregierung, wir können keine Lösung mitmachen, die die Länderfinanzen über Gebühr belastet."
Das Saarland sei schließlich ein Bundesland, dessen Haushalt aufgrund finanzieller Altlasten unter extremen Zinslasten ächzt. Über dies sei die saarländische Koalitionsregierung aus Christdemokraten, Liberalen und Grünen gewillt, die Auflagen der Schuldenbremse einzuhalten. Das bedeute, dass bis zum Jahr 2020 jährlich etwa 80 Millionen Euro eingespart werden müssen - auf Steuereinnahmen könne das Saarland daher nicht verzichten. Vor diesem Hintergrund – meint die Regierungschefin - habe der Vorschlag, den Solidaritätszuschlag anders zu berechnen, einen gewissen Charme.
"Man muss sagen, dass der Vorschlag zum Solidaritätszuschlag sicher mit Blick auf die Länderfinanzen verträglicher ist, als wenn wir am Einkommensteuertarif etwas ändern."
Vom saarländischen SPD-Oppositionsführer Heiko Maas kommt derweil ein ganz anderer Vorschlag. Er möchte mit den bislang allein dem Bund zufließenden Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag künftig einen Strukturfonds speisen. Aus diesem Fonds sollten dann Projekte dort gefördert werden, wo es notwendig sei.
"Wenn man sich in Deutschland umschaut, dann wird man im Norden, im Westen im Osten Regionen finden, denen es gleich schlecht geht und deshalb finde ich auch, dass nach der deutschen Einheit, die ja schon einige Jahre zurückliegt, dass man Strukturhilfen nicht nach Himmelsrichtungen verteilen kann, sondern sie müssen verteilt werden nach Bedürftigkeit."
Dieser Idee können seine saarländischen Landsleute zumindest zum Teil etwas abgewinnen.
"Da bin ich dafür. Find ich gerechter, als wenn alles in den Osten geht. Also, wenn, dann sollte er bleiben für die Ostländer, wie ursprünglich beabsichtigt."
Die saarländische Ministerpräsidentin hingegen hält nichts von dieser Idee.
"Wer jetzt fordert, dass der Solidaritätszuschlag vom Grunde her verändert wird, der fordert nichts anderes, als dass der Länderfinanzausgleich vorzeitig aufgelöst wird. Wir haben immer gesagt, wir stehen für eine solche Diskussion zur Verfügung aber nur für die Regelungen nach 2019; deshalb halte ich eine solche Forderung zum jetzigen Zeitpunkt für fahrlässig."
Den Solidaritätszuschlag zahlen Ost- wie West-Deutsche inzwischen seit 20 Jahren. Einst eingeführt um die besonderen Kosten der Deutschen Einheit zu decken, erfuhr die Abgabe nie große Akzeptanz in der Bevölkerung. Kein Wunder, hat doch der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) noch 1990 im Wahlkampf versprochen, es würde nach der Wiedervereinigung keine Steuererhöhung geben. Ein Jahr später – ab 1. Juli 1991 - war der Soli da.
Zunächst betrug er 3,75 Prozent der Einkommen- beziuehungsweise Körperschaftsteuer, zwischenzeitlich 7,5 Prozent und seit 1998 liegt der Solidaritätszuschlag bei 5,5 Prozent der Einkommensteuer. Er wird auf die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer erhoben - unter Berücksichtigung eventuell anfallender Freibeträge. Ein lediger Arbeitnehmer in der Steuerklasse 1 zum Beispiel muss erst ab einem monatlichen Bruttogehalt von 1.400 € einen Solidaritätszuschlag zahlen.
Nach aktueller Gesetzeslage soll der Soli im Jahr 2019 offiziell auslaufen. Ginge es nach der FDP, wäre der Zuschlag sicher schon früher Geschichte. Er passt nicht zum Wahlversprechen der Liberalen.
"Wir wollen, dass insgesamt unser Steuersystem niedriger, einfacher und gerechter wird","
kündigte der einstige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle vollmundig an. Seit gut zwei Jahren ist seine Partei an der Bundesregierung beteiligt. Doch von ihrer Ankündigung aus dem Wahlkampf konnte sie bisher kaum etwas umgesetzen. Kein Wunder also, dass die Wähler der FDP in Umfragen den Rücken kehren.
Doch der heutige FDP-Chef, Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, hat Morgenluft gewittert – denn dank einer verbesserten Wirtschaftslage in Deutschland fallen die Steuereinnahmen höher aus als erhofft. Am Nachmittag legte der Arbeitskreis Steuerschätzung seine Prognose für die nächsten Jahre vor. Trotz der zuletzt wieder etwas schwächeren Konjunktur werden für das laufende und die kommenden Jahre deutliche Steuermehreinnahmen erwartet. Bis 2015 können Bund, Länder und Gemeinden mit zusätzlichen Einnahmen von 39,5 Milliarden Euro rechnen.
Die Entscheidung zur künftigen Steuerpolitik soll auf einem Koalitionsgipfel am Sonntag fallen. Die Spitzen von CDU, CSU und FDP wollen sich über mögliche Erleichterungen für die Bürger einigen. Ob der Solidaritätszuschlag das Mittel der Wahl sein wird, ist aber noch unklar, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert.
""Das Ziel dieser Koalition ist das, dass sie sich auch im Sommer gesetzt hat: Die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen und die Bekämpfung der kalten Progression. Und dann hat man gesagt, im Herbst, im Lichte der wirtschaftlichen Entwicklung, auch der Steuerschätzung, werden wir beraten wie viel wir davon, in welcher Form umsetzen können."
Zur Diskussion stehen am Sonntag zwei Varianten. Die FDP und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer plädieren mit unterschiedlichen Konzepten für eine Absenkung des Solidaritätszuschlages. Zuvor waren die Liberalen in Person ihres jungen Vorsitzenden jedoch in eine andere Richtung marschiert: Zusammen mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, CDU, hat Philipp Rösler einen Vorschlag zur Änderung des Einkommensteuertarifs präsentiert.
"Das ist der Ausstieg aus der kalten Progression. Und damit der Einstieg an ein mehr an Steuergerechtigkeit und zwar auch dauerhaft, weil wir eben alle zwei Jahre jeweils die Zahlen auch überprüfen werden."
"Es ist die klare und auf Dauer verlässliche Aussage, dass wir aus dem Mechanismus heimlicher Steuererhöhungen, die vom Gesetzgeber nicht gewollte sind, dauerhaft aussteigen wollen."
Das war vor zwei Wochen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Ihrem Konzept zufolge könnten die Bürger ab dem Jahr 2013 entlastet werden – im Umfang von sechs bis sieben Milliarden Euro. Dafür soll die kalte Progression abgemildert werden – die ist für den Bundesfinanzminister ein ungerechter steuerlicher Effekt, der beseitigt werden muss. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass auch weiterhin eisern gespart werden muss, fügt Wolfgang Schäuble stets hinzu. Für weitergehende Steuersenkung sei kein Spielraum da.
Um aber der kalten Progression Herr zu werden ist geplant, zunächst den steuerlichen Grundfreibetrag zu steigern. Momentan wird jeder Euro über einem Jahreseinkommen von 8004 Euro besteuert. Dieser Freibetrag könnte sich nach dem Schäuble/Rösler-Konzept erhöhen. Davon würden besonders Geringverdiener profitieren. Aber auch die Besserverdienenden werden nicht vergessen: Denn die einzelnen Steuerstufen sollen leicht sinken. Dadurch würde beispielsweise ein Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen von 20.000 Euro real nicht mehr 14 Prozent Einkommenssteuer zahlen, sondern 13 Prozent.
Im Endeffekt bleibt dem Bürger – ob Gering- oder Besserverdiener - dadurch also etwas mehr von seinem Gehalt. Eine Senkung des Einkommenssteuer-Tarifs – wie jetzt geplant - steht schon lange auf der Agenda der FDP. Doch dafür bräuchten die Liberalen die Zustimmung des Bundesrates. Deshalb forderte der FDP-Bundestagsfraktionschef Rainer Brüderle schon im Sommer Unterstützung - vor allem von den Ministerpräsidenten der SPD.
"Ich geh davon aus, dass die Ministerpräsidenten, wenn sie da auch Gelegenheit haben Gespräche mit den Bürgern zu führen, mit Facharbeitern, für die das ein ernstes Thema ist, dass die kalte Progression eben überproportional viel von den Lohnzuwächsen wegnimmt, eine andere Einstellung haben."
Aber in der SPD sieht man bis heute keinen Spielraum für Steuersenkungen. Auch nicht zur Milderung der kalten Progression. Die Schuldenlast von Deutschland sei zu groß, meint der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD—Bundestagsfraktion Hubertus Heil:
"Das passt nicht in die Zeit. Es ist vollkommen der falsche Weg, jetzt großartig Steuersenkungen zu versprechen."
Um trotzdem Steuern senken zu können, schlägt die FDP nun einen anderen Weg ein. Kurz vor dem Spitzentreffen am Sonntag zitiert die Nachrichtenagentur dapd aus einem internen Papier der FDP-Bundestagsfraktion.
"Die FDP sollte sich auf eine Absenkung des Solidaritätszuschlags konzentrieren. Ein Gesetzentwurf zur Abmilderung der kalten Progression kostet zu viel Zeit und scheitert ohnehin am Ende an Rot-Grün im Bundesrat."
In dem Papier schlagen die Liberalen vor, zusätzlich zur Absenkung des Solis auch den Grundfreibetrag zu erhöhen. Was den Geringverdienenden zugutekäme. Während sich eine allgemeine Senkung des Solis letztlich vor allem für höhere Einkommen auszahlen würde.
Ob Kalkül oder nicht - die Idee eignet sich, um einen starken Verbündeten auf die liberale Seite zu ziehen. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Er war seinen Berliner Koalitionspartnern CDU und FDP vor zwei Wochen in die Parade gefahren. Kaum hatten Schäuble und Rösler ihre Pläne zur Einkommenssteueränderung in Berlin vorgestellt, polterte der CSU-Chef in München los.
"So geht’s nicht, dass man Fakten in der Öffentlichkeit schafft, die wir dann abnicken sollen. Es gibt keine Einigung mit der CSU zu einer Steuerreform, weder zum Volumen noch zum Zeitpunkt."
Er werde keiner Reform zustimmen, bei der nicht klar sei, ob sie eine Bundesratsmehrheit bekomme, sagte der bayerische Regierungschef, der seit Anfang des Monats auch Bundesratspräsident ist.
Da die Einnahmen aus der Einkommensteuer auch an die Länder fließen, muss die Länderkammer einer Abflachung der kalten Progression zustimmen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass die eh schon knappen Etats der Bundesländer weitere Steuereinbußen verkraften können. Dessen ist sich die Bundesregierung bewusst. Und doch wies Regierungssprecher Steffen Seibert darauf hin.
"Dieser Vorschlag basiert auf der Vereinbarung der Koalitionsspitzen, die im Sommer, ich glaube Anfang Juli, getroffen wurde."
Also von CDU, FDP und auch der CSU. Seitdem hat sich die Situation im Bundesrat nicht verändert. Und so war es wohl weniger das inhaltlich korrekte Argument, das den CSU-Chef lautstark über die kalte Progression poltern ließ. Es war vielmehr politischer Natur: Seine Koalitionspartner hatten entweder schlicht vergessen, sich mit der CSU abzustimmen. Oder, so die Münchner Deutung, sie einfach übergangen:
"Das war in der Tat ein unfreundlicher Akt, vor allem auch unserer Schwesterpartei CDU gegen die CSU","
erklärte der ehemalige CSU-Parteichef Erwin Huber. Und das gehe besonders auf eine Person zurück:
""Wolfgang Schäuble ist ja bekannt dafür, dass er für alle taktischen Finessen auch zu haben ist. Man wollte hier die Steuerpolitik vorweg rausnehmen, um aus einem Gesamttableau, das hier zu verhandeln war, die CSU zu schwächen."
"Überrollen" lasse sich die CSU aber nicht, schließlich sei sie kein CDU-Landesverband, sondern ein eigenständiger Koalitionspartner. Und so legte CSU-Chef Seehofer in der letzten Woche kurzerhand sein eigenes Steuerentlastungsmodell vor. Der Inhalt: der Solidaritätszuschlag. Sein Konzept könne den Bürgern Einsparungen von rund vier Milliarden Euro bringen, versprach er. Familien sollen durch einen 200-Euro-Freibetrag und eine sogenannte Kinderkomponente von 100 Euro beim Soli pauschal entlastet werden.
"In dieser Bundesregierung ist reinlegen kein Teil des gegenseitigen Miteinanderumgehens","
bemühte sich Regierungssprecher Steffen Seibert den großen Scherbenhaufen wieder zu kitten, den dieses in der Gesamtschau relativ kleine Projekt der geplanten "Steuersenkung" hinterlassen hat. Und auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe ist um konstruktive Kritik bemüht.
""Was die Kommunikation in der letzten Woche angeht, kann da sicherlich manches besser laufen, ist da sicherlich manches verbesserungswürdig, keine Frage."
Horst Seehofer hat die kalte Progression nun also gegen den Soli eingetauscht, ebenso die FDP. Und auch die Kanzlerin ist in ihrer Position eindeutig wechselhaft.
Bisher unterstützt Angela Merkel offiziell das Steuerkonzept zur Abflachung der kalten Progression. Sie ließ ihren Regierungssprecher Steffen Seibert einen Tag nach der Pressekonferenz von Schäuble und Rösler Folgendes ausrichten:
"Ein Vorschlag der beiden Minister, der wird nun besprochen und dann wird daraus Regierungspolitik, sofern alle drei, die Koalition tragenden Säulen zugestimmt haben. Die Bundeskanzlerin steht hinter diesem Vorschlag, so wie er gestern gemacht wurde."
In dieser Woche klang das schon etwas anders. Wie die "Bild"-Zeitung aus dem Kanzleramt erfahren haben will, favorisiere Angela Merkel nun eine Änderung des Solidaritätszuschlags - statt des Einkommens-Steuertarifs. Damit wolle Merkel einer Blockade durch den Bundesrat vorbeugen.
Für beide Modelle zeigte sich auch Wirtschaftsminister Philipp Rösler, FDP, von Anfang an offen. Bleibt nur noch Wolfgang Schäuble. Der Finanzminister von der CDU hält an der Abmilderung der kalten Progression fest und setzt immer noch auf die Zustimmung der Länder. Inzwischen haben sich aber auch einige CDU-Landesfürsten kritisch zu Schäubles Vorschlag geäußert. Damit scheint der Koalitionsgipfel am Sonntag klar in eine Richtung zu laufen:
Trotz einer eingeplanten Neuverschuldung des Bundeshaushalts im kommenden Jahr von 27 Milliarden Euro könnte die Regierung den Solidaritätszuschlag senken. Eine Zustimmung der Länderkammer ist nicht nötig. Denn der Soli steht allein dem Bund zu. Über 11,7 Milliarden Euro waren es im vergangenen Jahr.
An dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die ostdeutschen Bundesländer. Nein, die Ankündigung aus Berlin habe ihn nicht überrascht. Jens Bullerjahn, Finanzminister von Sachsen-Anhalt, schüttelt den Kopf: Solch einen Heckmeck, schimpft der SPD-Politiker, sei man ja inzwischen von der schwarz-gelben Koalition gewohnt. Dabei sei die Diskussion um die Soli-Abschmelzung eine ernste Angelegenheit, findet Bullerjahn. Ernst für die ostdeutschen Länder. Und noch viel ernster für den Bund.
"Die Wahrheit liegt ja tiefer. Sie bereitet ja vor allem auch ihrem Finanzminister ein Problem. Bei uns haben wir uns schon seit Jahren dran gewöhnt, dass Sachsen-Anhalt 120 Millionen Euro pro Jahr weniger bekommt. Und das schon seit etlichen Jahren. Da wird auch keiner mehr dran rütteln."
Der Abschmelzungsprozess hat also längst begonnen. Was vermutlich die wenigsten in Westdeutschland wüssten, sagt Bullerjahn. Bekam Sachsen-Anhalt anfangs noch 1,6 Milliarden Euro aus Berlin überwiesen, sind es mittlerweile nur noch 1,1 Milliarden Euro. Das restliche Geld behält der Bund ein. Das dürfe er auch, erklärt Bullerjahn, denn die Einnahmen aus dem Soli seien schließlich nicht zweckgebunden. Der ostdeutsche Finanzpolitiker wirkt trotz der Debatte recht entspannt. Sollte die Bundesregierung eine Abschmelzung wirklich beschließen, dann gehe das nicht auf unsere Kosten, glaubt er.
"Ich hoffe, dass die Ostdeutschen auch selber sagen, das steht uns zu. Guckt euch doch mal an, was wir damit leisten. Ich halte viel davon, wenn Finanzpolitik sich mal vorher Gedanken macht, wie man Schuldenbremse, Bildungsausgaben, Eurorettung, Soli abschmelzen, Steuervereinfachung, Steuerstruktur mit bestimmten politischen Konzepten in Einklang bringt und dann in die Öffentlichkeit geht - und nicht jedes Wochenende."
Jens Bullerjahn ist sich sicher. Auch Plan B der Kanzlerin für eine Steuerentlastung werde nicht funktionieren. Zumal die ostdeutschen CDU-Politiker über den Vorschlag von Angela Merkel alles andere als erfreut waren. Auch André Schröder hält die Diskussion im Moment nicht für sinnvoll. Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt betont: Die Debatte um die Soli-Senkung müsse im Zusammenhang mit dem Auslaufen des Solidarpaktes im Jahr 2019 diskutiert werden. Alles andere sei kontraproduktiv.
"Der Soli muss im Zusammenhang mit der Solidarität innerhalb Deutschlands gesehen werden und deswegen kann man jetzt ein Signal der Entsolidarisierung nicht setzen. Unabhängig mal von der Einnahmesituation der Länder. Wir diskutieren in Sachsen-Anhalt gerade den Doppelhaushalt 2012/2013. Wir wollen keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Und da sind Mindereinnahmen schädlich."
André Schröder hat den Eindruck, dass die Bundeskanzlerin nur auf Druck des Koalitionspartners FDP bereit sei beim Soli einzulenken. Dabei sei die Idee dessen Senkung noch gar nicht ausgereift. Die ostdeutschen Christdemokraten würden eine Entsolidarisierung beim Aufbau Ost nicht mittragen, warnt der sächsische CDU-Politiker Arnold Vaatz in einem Brief an den Unionsfraktionschef im Bundestag, Volker Kauder. Parteifreund Schröder sieht das ähnlich. Der Tag aber, an dem grundsätzlich über den Zuschlag diskutiert werden muss, wird kommen.
"Aber zukünftig wird es weniger um Ost und West gehen, sondern wer hat Bedarf, wer kann bei knapper werden öffentlichen Finanzen diesen Bedarf auch mehrheitsfähig gestalten. Und da bedarf es Bündnisse und die sind nicht immer nur zwischen Ost und West."
Geografisch gesehen ist das Saarland weit weg von den neuen Bundesländern. Somit läge die Vermutung nahe, die Saarländerinnen und Saarländer täten sich schwer mit der Solidarität. Doch das Meinungsspektrum zum Solidaritätszuschlag - abgefragt in einer nicht repräsentativen Umfrage - zwei Tage vor dem Treffen der Regierungskoalition in Berlin ist ähnlich vielstimmig wie der Chor der deutschen Politiker. Es reicht von Abschaffen des Soli über verändern bis beibehalten.
"Ich finde es falsch, den Soli abzusenken. Ich zahle auch nur in geringem Maße Solidaritätszuschlag bei normalem Einkommen. Jede Abgabe, die man weniger hätte, wäre gut. Ich glaube, man sollte langsam einen Ausstieg suchen aus dem Zuschlag. Der neue Vorschlag mit der Absenkung der kalten Progression wäre mir lieber."
Bislang aber konnte sich die Berliner Koalition aus CDU, CSU und FDP nicht auf einen Vorschlag verständigen, wie die kleinen und mittleren Einkommen entlastet werden. Wobei es allenthalben als ungerecht angesehen wird, dass die sogenannte kalte Steuerprogression Einkommenszuwächse auffrisst. Denn Tariferhöhungen zum Beispiel zahlen sich in den unteren Lohngruppen häufig nicht aus, weil die höheren Einkommen auch höher besteuert werden und netto eben nicht mehr im Portemonnaie verbleibt. Diese Problematik ist auch den Bundesländern bewusst, und sie sind auch bereit diese zu lösen. Voraussetzung dafür, dass die Länder mitmachen, ist aber, dass es sie nichts kostet, sagt die saarländische Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer von der CDU.
"Für uns ist ganz klar als Landesregierung, wir können keine Lösung mitmachen, die die Länderfinanzen über Gebühr belastet."
Das Saarland sei schließlich ein Bundesland, dessen Haushalt aufgrund finanzieller Altlasten unter extremen Zinslasten ächzt. Über dies sei die saarländische Koalitionsregierung aus Christdemokraten, Liberalen und Grünen gewillt, die Auflagen der Schuldenbremse einzuhalten. Das bedeute, dass bis zum Jahr 2020 jährlich etwa 80 Millionen Euro eingespart werden müssen - auf Steuereinnahmen könne das Saarland daher nicht verzichten. Vor diesem Hintergrund – meint die Regierungschefin - habe der Vorschlag, den Solidaritätszuschlag anders zu berechnen, einen gewissen Charme.
"Man muss sagen, dass der Vorschlag zum Solidaritätszuschlag sicher mit Blick auf die Länderfinanzen verträglicher ist, als wenn wir am Einkommensteuertarif etwas ändern."
Vom saarländischen SPD-Oppositionsführer Heiko Maas kommt derweil ein ganz anderer Vorschlag. Er möchte mit den bislang allein dem Bund zufließenden Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag künftig einen Strukturfonds speisen. Aus diesem Fonds sollten dann Projekte dort gefördert werden, wo es notwendig sei.
"Wenn man sich in Deutschland umschaut, dann wird man im Norden, im Westen im Osten Regionen finden, denen es gleich schlecht geht und deshalb finde ich auch, dass nach der deutschen Einheit, die ja schon einige Jahre zurückliegt, dass man Strukturhilfen nicht nach Himmelsrichtungen verteilen kann, sondern sie müssen verteilt werden nach Bedürftigkeit."
Dieser Idee können seine saarländischen Landsleute zumindest zum Teil etwas abgewinnen.
"Da bin ich dafür. Find ich gerechter, als wenn alles in den Osten geht. Also, wenn, dann sollte er bleiben für die Ostländer, wie ursprünglich beabsichtigt."
Die saarländische Ministerpräsidentin hingegen hält nichts von dieser Idee.
"Wer jetzt fordert, dass der Solidaritätszuschlag vom Grunde her verändert wird, der fordert nichts anderes, als dass der Länderfinanzausgleich vorzeitig aufgelöst wird. Wir haben immer gesagt, wir stehen für eine solche Diskussion zur Verfügung aber nur für die Regelungen nach 2019; deshalb halte ich eine solche Forderung zum jetzigen Zeitpunkt für fahrlässig."
Den Solidaritätszuschlag zahlen Ost- wie West-Deutsche inzwischen seit 20 Jahren. Einst eingeführt um die besonderen Kosten der Deutschen Einheit zu decken, erfuhr die Abgabe nie große Akzeptanz in der Bevölkerung. Kein Wunder, hat doch der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) noch 1990 im Wahlkampf versprochen, es würde nach der Wiedervereinigung keine Steuererhöhung geben. Ein Jahr später – ab 1. Juli 1991 - war der Soli da.
Zunächst betrug er 3,75 Prozent der Einkommen- beziuehungsweise Körperschaftsteuer, zwischenzeitlich 7,5 Prozent und seit 1998 liegt der Solidaritätszuschlag bei 5,5 Prozent der Einkommensteuer. Er wird auf die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer erhoben - unter Berücksichtigung eventuell anfallender Freibeträge. Ein lediger Arbeitnehmer in der Steuerklasse 1 zum Beispiel muss erst ab einem monatlichen Bruttogehalt von 1.400 € einen Solidaritätszuschlag zahlen.
Nach aktueller Gesetzeslage soll der Soli im Jahr 2019 offiziell auslaufen. Ginge es nach der FDP, wäre der Zuschlag sicher schon früher Geschichte. Er passt nicht zum Wahlversprechen der Liberalen.
"Wir wollen, dass insgesamt unser Steuersystem niedriger, einfacher und gerechter wird","
kündigte der einstige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle vollmundig an. Seit gut zwei Jahren ist seine Partei an der Bundesregierung beteiligt. Doch von ihrer Ankündigung aus dem Wahlkampf konnte sie bisher kaum etwas umgesetzen. Kein Wunder also, dass die Wähler der FDP in Umfragen den Rücken kehren.
Doch der heutige FDP-Chef, Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, hat Morgenluft gewittert – denn dank einer verbesserten Wirtschaftslage in Deutschland fallen die Steuereinnahmen höher aus als erhofft. Am Nachmittag legte der Arbeitskreis Steuerschätzung seine Prognose für die nächsten Jahre vor. Trotz der zuletzt wieder etwas schwächeren Konjunktur werden für das laufende und die kommenden Jahre deutliche Steuermehreinnahmen erwartet. Bis 2015 können Bund, Länder und Gemeinden mit zusätzlichen Einnahmen von 39,5 Milliarden Euro rechnen.
Die Entscheidung zur künftigen Steuerpolitik soll auf einem Koalitionsgipfel am Sonntag fallen. Die Spitzen von CDU, CSU und FDP wollen sich über mögliche Erleichterungen für die Bürger einigen. Ob der Solidaritätszuschlag das Mittel der Wahl sein wird, ist aber noch unklar, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert.
""Das Ziel dieser Koalition ist das, dass sie sich auch im Sommer gesetzt hat: Die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen und die Bekämpfung der kalten Progression. Und dann hat man gesagt, im Herbst, im Lichte der wirtschaftlichen Entwicklung, auch der Steuerschätzung, werden wir beraten wie viel wir davon, in welcher Form umsetzen können."
Zur Diskussion stehen am Sonntag zwei Varianten. Die FDP und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer plädieren mit unterschiedlichen Konzepten für eine Absenkung des Solidaritätszuschlages. Zuvor waren die Liberalen in Person ihres jungen Vorsitzenden jedoch in eine andere Richtung marschiert: Zusammen mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, CDU, hat Philipp Rösler einen Vorschlag zur Änderung des Einkommensteuertarifs präsentiert.
"Das ist der Ausstieg aus der kalten Progression. Und damit der Einstieg an ein mehr an Steuergerechtigkeit und zwar auch dauerhaft, weil wir eben alle zwei Jahre jeweils die Zahlen auch überprüfen werden."
"Es ist die klare und auf Dauer verlässliche Aussage, dass wir aus dem Mechanismus heimlicher Steuererhöhungen, die vom Gesetzgeber nicht gewollte sind, dauerhaft aussteigen wollen."
Das war vor zwei Wochen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Ihrem Konzept zufolge könnten die Bürger ab dem Jahr 2013 entlastet werden – im Umfang von sechs bis sieben Milliarden Euro. Dafür soll die kalte Progression abgemildert werden – die ist für den Bundesfinanzminister ein ungerechter steuerlicher Effekt, der beseitigt werden muss. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass auch weiterhin eisern gespart werden muss, fügt Wolfgang Schäuble stets hinzu. Für weitergehende Steuersenkung sei kein Spielraum da.
Um aber der kalten Progression Herr zu werden ist geplant, zunächst den steuerlichen Grundfreibetrag zu steigern. Momentan wird jeder Euro über einem Jahreseinkommen von 8004 Euro besteuert. Dieser Freibetrag könnte sich nach dem Schäuble/Rösler-Konzept erhöhen. Davon würden besonders Geringverdiener profitieren. Aber auch die Besserverdienenden werden nicht vergessen: Denn die einzelnen Steuerstufen sollen leicht sinken. Dadurch würde beispielsweise ein Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen von 20.000 Euro real nicht mehr 14 Prozent Einkommenssteuer zahlen, sondern 13 Prozent.
Im Endeffekt bleibt dem Bürger – ob Gering- oder Besserverdiener - dadurch also etwas mehr von seinem Gehalt. Eine Senkung des Einkommenssteuer-Tarifs – wie jetzt geplant - steht schon lange auf der Agenda der FDP. Doch dafür bräuchten die Liberalen die Zustimmung des Bundesrates. Deshalb forderte der FDP-Bundestagsfraktionschef Rainer Brüderle schon im Sommer Unterstützung - vor allem von den Ministerpräsidenten der SPD.
"Ich geh davon aus, dass die Ministerpräsidenten, wenn sie da auch Gelegenheit haben Gespräche mit den Bürgern zu führen, mit Facharbeitern, für die das ein ernstes Thema ist, dass die kalte Progression eben überproportional viel von den Lohnzuwächsen wegnimmt, eine andere Einstellung haben."
Aber in der SPD sieht man bis heute keinen Spielraum für Steuersenkungen. Auch nicht zur Milderung der kalten Progression. Die Schuldenlast von Deutschland sei zu groß, meint der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD—Bundestagsfraktion Hubertus Heil:
"Das passt nicht in die Zeit. Es ist vollkommen der falsche Weg, jetzt großartig Steuersenkungen zu versprechen."
Um trotzdem Steuern senken zu können, schlägt die FDP nun einen anderen Weg ein. Kurz vor dem Spitzentreffen am Sonntag zitiert die Nachrichtenagentur dapd aus einem internen Papier der FDP-Bundestagsfraktion.
"Die FDP sollte sich auf eine Absenkung des Solidaritätszuschlags konzentrieren. Ein Gesetzentwurf zur Abmilderung der kalten Progression kostet zu viel Zeit und scheitert ohnehin am Ende an Rot-Grün im Bundesrat."
In dem Papier schlagen die Liberalen vor, zusätzlich zur Absenkung des Solis auch den Grundfreibetrag zu erhöhen. Was den Geringverdienenden zugutekäme. Während sich eine allgemeine Senkung des Solis letztlich vor allem für höhere Einkommen auszahlen würde.
Ob Kalkül oder nicht - die Idee eignet sich, um einen starken Verbündeten auf die liberale Seite zu ziehen. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Er war seinen Berliner Koalitionspartnern CDU und FDP vor zwei Wochen in die Parade gefahren. Kaum hatten Schäuble und Rösler ihre Pläne zur Einkommenssteueränderung in Berlin vorgestellt, polterte der CSU-Chef in München los.
"So geht’s nicht, dass man Fakten in der Öffentlichkeit schafft, die wir dann abnicken sollen. Es gibt keine Einigung mit der CSU zu einer Steuerreform, weder zum Volumen noch zum Zeitpunkt."
Er werde keiner Reform zustimmen, bei der nicht klar sei, ob sie eine Bundesratsmehrheit bekomme, sagte der bayerische Regierungschef, der seit Anfang des Monats auch Bundesratspräsident ist.
Da die Einnahmen aus der Einkommensteuer auch an die Länder fließen, muss die Länderkammer einer Abflachung der kalten Progression zustimmen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass die eh schon knappen Etats der Bundesländer weitere Steuereinbußen verkraften können. Dessen ist sich die Bundesregierung bewusst. Und doch wies Regierungssprecher Steffen Seibert darauf hin.
"Dieser Vorschlag basiert auf der Vereinbarung der Koalitionsspitzen, die im Sommer, ich glaube Anfang Juli, getroffen wurde."
Also von CDU, FDP und auch der CSU. Seitdem hat sich die Situation im Bundesrat nicht verändert. Und so war es wohl weniger das inhaltlich korrekte Argument, das den CSU-Chef lautstark über die kalte Progression poltern ließ. Es war vielmehr politischer Natur: Seine Koalitionspartner hatten entweder schlicht vergessen, sich mit der CSU abzustimmen. Oder, so die Münchner Deutung, sie einfach übergangen:
"Das war in der Tat ein unfreundlicher Akt, vor allem auch unserer Schwesterpartei CDU gegen die CSU","
erklärte der ehemalige CSU-Parteichef Erwin Huber. Und das gehe besonders auf eine Person zurück:
""Wolfgang Schäuble ist ja bekannt dafür, dass er für alle taktischen Finessen auch zu haben ist. Man wollte hier die Steuerpolitik vorweg rausnehmen, um aus einem Gesamttableau, das hier zu verhandeln war, die CSU zu schwächen."
"Überrollen" lasse sich die CSU aber nicht, schließlich sei sie kein CDU-Landesverband, sondern ein eigenständiger Koalitionspartner. Und so legte CSU-Chef Seehofer in der letzten Woche kurzerhand sein eigenes Steuerentlastungsmodell vor. Der Inhalt: der Solidaritätszuschlag. Sein Konzept könne den Bürgern Einsparungen von rund vier Milliarden Euro bringen, versprach er. Familien sollen durch einen 200-Euro-Freibetrag und eine sogenannte Kinderkomponente von 100 Euro beim Soli pauschal entlastet werden.
"In dieser Bundesregierung ist reinlegen kein Teil des gegenseitigen Miteinanderumgehens","
bemühte sich Regierungssprecher Steffen Seibert den großen Scherbenhaufen wieder zu kitten, den dieses in der Gesamtschau relativ kleine Projekt der geplanten "Steuersenkung" hinterlassen hat. Und auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe ist um konstruktive Kritik bemüht.
""Was die Kommunikation in der letzten Woche angeht, kann da sicherlich manches besser laufen, ist da sicherlich manches verbesserungswürdig, keine Frage."
Horst Seehofer hat die kalte Progression nun also gegen den Soli eingetauscht, ebenso die FDP. Und auch die Kanzlerin ist in ihrer Position eindeutig wechselhaft.
Bisher unterstützt Angela Merkel offiziell das Steuerkonzept zur Abflachung der kalten Progression. Sie ließ ihren Regierungssprecher Steffen Seibert einen Tag nach der Pressekonferenz von Schäuble und Rösler Folgendes ausrichten:
"Ein Vorschlag der beiden Minister, der wird nun besprochen und dann wird daraus Regierungspolitik, sofern alle drei, die Koalition tragenden Säulen zugestimmt haben. Die Bundeskanzlerin steht hinter diesem Vorschlag, so wie er gestern gemacht wurde."
In dieser Woche klang das schon etwas anders. Wie die "Bild"-Zeitung aus dem Kanzleramt erfahren haben will, favorisiere Angela Merkel nun eine Änderung des Solidaritätszuschlags - statt des Einkommens-Steuertarifs. Damit wolle Merkel einer Blockade durch den Bundesrat vorbeugen.
Für beide Modelle zeigte sich auch Wirtschaftsminister Philipp Rösler, FDP, von Anfang an offen. Bleibt nur noch Wolfgang Schäuble. Der Finanzminister von der CDU hält an der Abmilderung der kalten Progression fest und setzt immer noch auf die Zustimmung der Länder. Inzwischen haben sich aber auch einige CDU-Landesfürsten kritisch zu Schäubles Vorschlag geäußert. Damit scheint der Koalitionsgipfel am Sonntag klar in eine Richtung zu laufen:
Trotz einer eingeplanten Neuverschuldung des Bundeshaushalts im kommenden Jahr von 27 Milliarden Euro könnte die Regierung den Solidaritätszuschlag senken. Eine Zustimmung der Länderkammer ist nicht nötig. Denn der Soli steht allein dem Bund zu. Über 11,7 Milliarden Euro waren es im vergangenen Jahr.
An dieser Stelle lohnt sich ein Blick in die ostdeutschen Bundesländer. Nein, die Ankündigung aus Berlin habe ihn nicht überrascht. Jens Bullerjahn, Finanzminister von Sachsen-Anhalt, schüttelt den Kopf: Solch einen Heckmeck, schimpft der SPD-Politiker, sei man ja inzwischen von der schwarz-gelben Koalition gewohnt. Dabei sei die Diskussion um die Soli-Abschmelzung eine ernste Angelegenheit, findet Bullerjahn. Ernst für die ostdeutschen Länder. Und noch viel ernster für den Bund.
"Die Wahrheit liegt ja tiefer. Sie bereitet ja vor allem auch ihrem Finanzminister ein Problem. Bei uns haben wir uns schon seit Jahren dran gewöhnt, dass Sachsen-Anhalt 120 Millionen Euro pro Jahr weniger bekommt. Und das schon seit etlichen Jahren. Da wird auch keiner mehr dran rütteln."
Der Abschmelzungsprozess hat also längst begonnen. Was vermutlich die wenigsten in Westdeutschland wüssten, sagt Bullerjahn. Bekam Sachsen-Anhalt anfangs noch 1,6 Milliarden Euro aus Berlin überwiesen, sind es mittlerweile nur noch 1,1 Milliarden Euro. Das restliche Geld behält der Bund ein. Das dürfe er auch, erklärt Bullerjahn, denn die Einnahmen aus dem Soli seien schließlich nicht zweckgebunden. Der ostdeutsche Finanzpolitiker wirkt trotz der Debatte recht entspannt. Sollte die Bundesregierung eine Abschmelzung wirklich beschließen, dann gehe das nicht auf unsere Kosten, glaubt er.
"Ich hoffe, dass die Ostdeutschen auch selber sagen, das steht uns zu. Guckt euch doch mal an, was wir damit leisten. Ich halte viel davon, wenn Finanzpolitik sich mal vorher Gedanken macht, wie man Schuldenbremse, Bildungsausgaben, Eurorettung, Soli abschmelzen, Steuervereinfachung, Steuerstruktur mit bestimmten politischen Konzepten in Einklang bringt und dann in die Öffentlichkeit geht - und nicht jedes Wochenende."
Jens Bullerjahn ist sich sicher. Auch Plan B der Kanzlerin für eine Steuerentlastung werde nicht funktionieren. Zumal die ostdeutschen CDU-Politiker über den Vorschlag von Angela Merkel alles andere als erfreut waren. Auch André Schröder hält die Diskussion im Moment nicht für sinnvoll. Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt betont: Die Debatte um die Soli-Senkung müsse im Zusammenhang mit dem Auslaufen des Solidarpaktes im Jahr 2019 diskutiert werden. Alles andere sei kontraproduktiv.
"Der Soli muss im Zusammenhang mit der Solidarität innerhalb Deutschlands gesehen werden und deswegen kann man jetzt ein Signal der Entsolidarisierung nicht setzen. Unabhängig mal von der Einnahmesituation der Länder. Wir diskutieren in Sachsen-Anhalt gerade den Doppelhaushalt 2012/2013. Wir wollen keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Und da sind Mindereinnahmen schädlich."
André Schröder hat den Eindruck, dass die Bundeskanzlerin nur auf Druck des Koalitionspartners FDP bereit sei beim Soli einzulenken. Dabei sei die Idee dessen Senkung noch gar nicht ausgereift. Die ostdeutschen Christdemokraten würden eine Entsolidarisierung beim Aufbau Ost nicht mittragen, warnt der sächsische CDU-Politiker Arnold Vaatz in einem Brief an den Unionsfraktionschef im Bundestag, Volker Kauder. Parteifreund Schröder sieht das ähnlich. Der Tag aber, an dem grundsätzlich über den Zuschlag diskutiert werden muss, wird kommen.
"Aber zukünftig wird es weniger um Ost und West gehen, sondern wer hat Bedarf, wer kann bei knapper werden öffentlichen Finanzen diesen Bedarf auch mehrheitsfähig gestalten. Und da bedarf es Bündnisse und die sind nicht immer nur zwischen Ost und West."