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Vor dem SPD-Parteitag
"Andrea Nahles ist dafür die Richtige"

Auf dem SPD-Sonderparteitag erwartet Generalsekretär Lars Klingbeil "ein klares Votum" für Andrea Nahles als Vorsitzende. Damit werde erstmals eine Frau der SPD vorstehen. Das sei ein deutliches Signal für den Erneuerungsprozess der Partei. Mit Nahles könne die SPD eigenständig sichtbar bleiben, sagte Klingbeil im Dlf.

Lars Klingbeil im Gespräch mit Philipp May |
    SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil
    SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (imago stock&people)
    Philipp May: Eins können die Sozialdemokraten: Parteitage. Am Sonntag treffen sich die Delegierten zum fünften Mal in 13 Monaten. Eine neue Vorsitzende wird gewählt nach dem Rücktritt von Martin Schulz. Andrea Nahles, Fraktionschefin im Bundestag, soll es nach dem Willen der Parteiführung werden. Aber sie hat eine Gegenkandidatin: Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange, die sich als Kandidatin der Basis inszeniert.
    Am Telefon ist jetzt der Generalsekretär der Sozialdemokraten, Lars Klingbeil. Guten Morgen, Herr Klingbeil.
    Lars Klingbeil: Schönen guten Morgen!
    "Es wird ein klares Votum für Andrea Nahles geben"
    May: Ist die Kandidatur von Simone Lange für Sie auch ein Denkzettel von der Basis für die Parteiführung?
    Klingbeil: Nein, das ist kein Denkzettel. Ich finde, das ist etwas, mit dem die SPD ganz selbstverständlich umgehen sollte, was vielleicht eine Partei, die ja auch im Erneuerungsprozess ist, lernen sollte, dass es unterschiedliche Kandidaturen für ein und denselben Posten gibt. Ich freue mich darüber, dass wir am Sonntag jetzt endlich eine Frau als Vorsitzende bekommen. Das ist zugegebenermaßen 155 Jahre zu spät, aber trotzdem ein gutes Signal. Und ich rate, dass wir wirklich auch gelassen mit dieser Situation umgehen. Ich freue mich, dass ich von beiden die Vorstellung hören werde am Sonntag. Dann wird es eine Entscheidung durch die Delegierten geben. Und ich bin mir sicher, es wird am Ende auch ein klares Votum für die neue Vorsitzende Andrea Nahles geben.
    May: Sie sagten, Sie sind noch im Lernprozess. Das gilt dann auch für die Parteiführung? Wir haben es gerade gehört. Nicht nur ich, auch der Kollege Frank Capellan in Berlin hatte den Eindruck, die Parteiführung hätte das am liebsten totgeschwiegen, dass es eine Gegenkandidatin gibt.
    Klingbeil: Nein, das stimmt nicht. Wir haben bewusst ja auch gesagt, wir wollen beiden Platz geben auf dem Parteitag, dass sie sich vorstellen. Wir haben Simone Lange eingeladen …
    May: Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit?
    Klingbeil: Das ist erst mal kein geregeltes Verfahren, weil es solche Situationen ja auch nicht gibt. Wir haben Simone Lange eingeladen noch in den Parteivorstand am Samstag, um sich dort vorzustellen. Beide waren ja in der Partei unterwegs, haben geworben. Aber in der Tat ist es ja nicht so, dass es normal ist, dass es mehrere Kandidaturen gibt. Das gilt übrigens auch für andere Parteien. Ich finde es richtig, dass wir solche Entscheidungen auch auf Parteitagen treffen. Viel zu häufig habe ich erlebt, dass über die Frage, wer Vorsitzender der Partei wird, zwei oder drei Personen irgendwo im Hinterzimmer entschieden haben. Jetzt werden wir die Entscheidung auf offener Bühne haben. Es gibt einen Parteitag, die Delegierten entscheiden, und ich finde, das ist ein guter Weg und die SPD sollte damit gelassen umgehen.
    May: Aber wenn Sie ganz ehrlich sind: Genauso wollten Sie es ja diesmal auch wieder treffen. Dann hat Martin Schulz Andrea Nahles aufs Schild gehoben und die Parteiführung hat sich einmütig für sie ausgesprochen. Und jetzt die Gegenkandidatin, das kam ja nicht aus der Parteiführung, sondern das kam wirklich aus der Basis.
    Klingbeil: Ja, wir müssen aber Dinge trennen. Erst mal hat die SPD sich natürlich in einer Situation befunden zu dem Zeitpunkt, als Martin Schulz angekündigt hat, dass er den Vorsitz niederlegen wird. Das war eine sehr unruhige Zeit. Wir haben damals auch gerungen, ob wir in die Koalition gehen. Wir hatten schwierige Verhandlungen mit der Union. Martin Schulz hat dann während der Koalitionsverhandlungen angekündigt, dass er den Parteivorsitz niederlegt, und wir haben in den Gremien beraten, was der richtige Weg ist. Dafür sind Gremien auch gewählt und legitimiert. Noch mal: Es ist ein Unterschied, ob zwei oder drei Personen irgendwo im Hinterzimmer entscheiden, oder ob in den gewählten Gremien der Partei auch ein Weg festgelegt wird. Und es war am Ende Andrea Nahles selbst, die gesagt hat, Olaf Scholz soll kommissarischer Vorsitzender werden, sie wird sich auf dem Parteitag zur Wahl stellen. Das ist ein demokratisch legitimierter Weg, der völlig in Ordnung ist.
    May: Aber das hat sie ja erst gesagt, nachdem klar war, dass der Gegenwind für ihren ursprünglichen Plan, den sie hatte, so groß war. Denn eigentlich wollte sie ja direkt Interimsparteichefin werden und sich jetzt auf dem Parteitag nur noch bestätigen lassen. Erst als klar war, dass der Druck von der Basis so groß ist, hat sie zurückgezogen. Das war ja bisher immer die Lesart, die wir so kannten.
    Klingbeil: Wir haben das in den Gremien gemeinsam beraten. Am Ende war das auch ein Weg, den Andrea Nahles, den Olaf Scholz vorgeschlagen haben. Den sind wir gegangen und jetzt gucken wir alle auf den Sonntag. Das ist der Parteitag, der ein neues Kapitel aufschlagen wird, auch in der Geschichte der SPD werden wir erstmals eine Vorsitzende bekommen, und der auch ein deutliches Signal noch mal für den Erneuerungsprozess setzen wird, wenn wir den Leitantrag auf den Weg bringen, und endlich das, was wir im letzten halben Jahr unter dem Stichwort Erneuerung diskutiert haben, in sehr konkrete Maßnahmen einfließen lassen und endlich loslegen.
    "Wir wollen mehr Entscheidungen durch die Basis"
    May: Apropos Erneuerungsprozess. Wird das die letzte Parteitagswahl eines neuen Vorsitzenden gewesen sein? Beim nächsten Mal dann möglicherweise eine Urwahl? Das wollen ja eh viele an der Basis lieber und dann muss man auch nicht so viele Parteitage ausrichten wie Sie.
    Klingbeil: Genau. Wir haben ja beschlossen, dass wir satzungsrechtlich prüfen wollen – das ist übrigens auch parteirechtlich eine sehr schwierige Frage -, ob man eine einzelne Person aus einem Vorstand über eine Urwahl wählen lassen kann. Wir haben auf dem Dezember-Parteitag beschlossen, dass wir diesen Weg prüfen werden, dass wir ihn diskutieren werden. Ich sage Ihnen: Ich bin skeptisch, wenn man einzelne Personen aus Vorständen durch eine Urwahl legitimieren lässt, den Rest dann von Parteitagen. Da muss man genau gucken, wie man das macht. Insgesamt haben wir aber gesagt, in diesem Erneuerungsprozess wollen wir mehr Entscheidungen durch die Basis, und die SPD hat in den letzten Monaten ja auch gezeigt, dass wir leidenschaftlich diskutieren, mit viel Energie diskutieren und am Ende auch die Mitglieder etwa über den Koalitionsvertrag haben entscheiden lassen.
    May: Herr Klingbeil, es gibt ja auch Vorbehalte in der Partei, ganz offenkundig, dass Andrea Nahles wirklich die Richtige ist für die Erneuerung der SPD. Es gab ja schon mal einen großen Erneuerungsprozess 2009. Da war Andrea Nahles schon Generalsekretärin. Das war offensichtlich erfolglos. Was macht Sie so sicher, dass Andrea Nahles diesmal die Richtige ist für diese Erneuerung?
    Klingbeil: Die SPD befindet sich ja eigentlich seit 155 Jahren in einem permanenten Erneuerungsprozess. Wenn man anguckt: Wir haben in den letzten Jahren auch viele Schritte gemacht.
    "Andrea Nahles wird die Eigenständigkeit der SPD zeigen"
    May: Und seit 20 Jahren in einem permanenten Halbierungsprozess.
    Klingbeil: Aber wir wissen jetzt natürlich, dass mit einem Wahlergebnis von 20,5 Prozent wir auch wirklich tiefgreifende Reformmaßnahmen brauchen, und da haben wir, Olaf Scholz, Andrea Nahles, ich, in den letzten Monaten intensiv dran gearbeitet. Das was Andrea Nahles garantieren wird – und das merke ich auch an vielen Gesprächen an der Parteibasis, dass das so gesehen wird -, sie wird die Eigenständigkeit der SPD zeigen, trotz Regierungsverantwortung. Jeder weiß, dass Andrea Nahles durchsetzungsstark ist, dass sie eine eigene Position auch bezieht, und das ist wichtig in Zeiten, in denen wir auf der einen Seite in die Koalition gegangen sind, um gut zu regieren, auf der anderen Seite aber auch wollen, dass die SPD eigenständig sichtbar bleibt, mit einem eigenen Profil sichtbar bleibt, und das kann Andrea Nahles garantieren.
    May: Und wie erklären Sie sich die Skepsis?
    Klingbeil: Wir haben unruhige Zeiten insgesamt als SPD hinter uns, wenn man das letzte halbe Jahr anschaut, wenn man den Weg anschaut in die Regierung, die Frage, ob wir in die Regierung gehen, die Koalitionsverhandlungen, das Mitgliedervotum. Da ist unfassbar viel auch mit Leidenschaft diskutiert worden. Da ist auch in den letzten Jahren Vertrauen verloren gegangen. Sonntag wird ein Startpunkt auch dafür, Vertrauen zurückzugewinnen. Und noch mal: Andrea Nahles ist dafür die Richtige.
    "Wir werden neue Ideen in der SPD aufbauen"
    May: Jetzt wird Andrea Nahles ja Fraktionschefin in den nächsten drei Jahren sein. Da wird sie alle Kompromisse mit der Union verkaufen müssen, also eine Politik, die ja viele in der SPD gar nicht wollen. Wäre da nicht eine Arbeitsteilung durchaus sinnvoll gewesen? Die einen regieren solide in Berlin und die anderen kümmern sich um die Neuausrichtung der Partei für die Zeit nach Merkel?
    Klingbeil: Die SPD hat mit großer Mehrheit entschieden, dass wir in eine Regierung gehen, dass wir den Koalitionsvertrag umsetzen wollen. Es war eine richtige Entscheidung von Andrea Nahles, dass sie nicht in die Regierung geht, dass sie nicht Ministerin wird, sondern als Fraktionsvorsitzende auch immer wieder darauf drängen wird, dass wir Gesetze, die aus der Regierung kommen, im sozialdemokratischen Sinne dann im Parlament verbessern werden, auch so die Eigenständigkeit der SPD sichtbar machen. Und wir werden uns parallel aber auch darum kümmern, neue Ideen zu entwickeln. Wir werden uns etwa der Frage widmen, wie muss der Sozialstaat der Zukunft aussehen, wie verändert sich die Arbeitswelt. Und ich bin mir sehr sicher, dass beides gelingen kann: Auf der einen Seite Gesetze im Parlament aus sozialdemokratischer Sicht noch mal verbessern und verändern. Dafür wird Andrea Nahles die Garantin sein. Auf der anderen Seite werden wir neue Ideen in der SPD aufbauen und uns für die Zukunft dann auch aufstellen.
    May: Wird es in der SPD jetzt in den kommenden Monaten auch eine Debatte über Hartz IV geben?
    Klingbeil: Da sind wir mitten drin in der Frage, wie eigentlich die sozialen Sicherungssysteme sich in Zeiten auch der Digitalisierung ändern müssen. Was vor 15 Jahren vielleicht richtig war und was vor 15 Jahren eine Auswirkung hatte, das muss jetzt im Jahr 2018 und schon gar nicht im Jahr 2025 funktionieren. Deswegen diskutieren wir das ja, wie kann eine soziale Absicherung auch der Zukunft aussehen. Wir haben das im Wahlkampf schon angefangen; da ging es etwa um das Arbeitslosengeld Q, da ging es auch um die Frage des Chancenkontos. Und genau um solche Ideen wird es auch im Erneuerungsprozess der SPD gehen.
    May: Der Generalsekretär der Sozialdemokratischen Partei, Lars Klingbeil, hier bei uns im Deutschlandfunk. Herr Klingbeil, vielen Dank für das Gespräch!
    Klingbeil: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.