Es wäre aus Sicht der Sozialdemokraten ein historisches Ereignis: Sollte Andrea Nahles am Sonntag zur neuen Parteivorsitzenden gewählt werden – wovon alle ausgehen – wäre sie die erste Frau an der Spitze der Sozialdemokratie in ihrer 155-jährigen Parteigeschichte:
"Ich spekuliere jetzt nicht über Zahlen. Aber ich bin mir sicher, es wird ein gutes Ergebnis werden. Nahles wird dann auch mit Rückenwind vom Parteitag ausgestattet werden", sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.
Die zurückhaltende Formulierung kommt nicht von ungefähr. Hinter der SPD liegen turbulente Zeiten: das schlechte Wahlergebnis bei den Bundestagswahlen; die Querelen um Martin Schulz und dann sein unrühmlicher Abtritt, das lange Hin und Her, ob sich die SPD an einer Großen Koalition beteiligen würde oder nicht.
Manche in der SPD sehen deshalb die designierte Parteivorsitzende auch als Trümmerfrau, die nun retten muss, was noch zu retten ist. Nahles selbst äußert sich vor dem wichtigen Wahl-Sonntag mit ungewohnt leisen Tönen. Ja, es klingt fast ein wenig demütig:
"Also, es ist schon so, dass man Anspannung spürt. Und dass man dann die richtigen Worte findet. Dann auch ein Stück weit Zuversicht verbreitet. Wenn es gelingt und ich auch Parteivorsitzende werde, dann möchte ich auch, dass die Delegierten nach Hause fahren und das Gefühl haben – ja jetzt packen wir es an. Ich glaube, ich habe mir noch nie so viele Gedanken gemacht, wie jetzt".
Hohe Verantwortung für die neue Parteivorsitzende
Denn in den Umfragen liegt die SPD noch immer am Boden. Unter Martin Schulz reichte es bei den letzten Bundestagswahlen gerade einmal für 20,5 Prozent. Nahles muss also beides schaffen: der SPD neues Selbstbewusstsein geben, aber sie auch inhaltlich neu und eigenständig ausrichten – obwohl die gleichzeitig Regierungspartei ist. Die neue Vorsitzende, das weiß sie, wird dabei natürlich die entscheidende Rolle spielen:
"Wenn das jetzt so nah ist, dann macht man sich auch klar, dass man da eine große Verantwortung übernimmt. Denn dann ist da nicht mehr so viel Luft. Da sind dann keinen anderen mehr, die Schuld waren. Ich freue mich aber auch darauf."
Herausforderin Lange positioniert sich als Frau der Basis
Zumal Herausforderin Simone Lange Nahles nicht wirklich gefährlich werden dürfte. Die Flensburger Oberbürgermeisterin will die SPD mehr nach links ausrichten; für die Hartz-Reformen sollte sich die Partei sogar entschuldigen. Gleichzeitig hat sich Lange als Frau der Basis positioniert – gerade gegenüber Nahles, die gefühlt schon seit Ewigkeiten in der Berliner Politik mitmischt. Von der SPD-Spitze sieht sich die Lokalpolitikerin ohnehin schlecht behandelt:
"Es wäre schön gewesen, wenn der Bundesvorstand festgelegt hätte, Mensch, lass uns ein Verfahren machen, wo beide Kandidaten sich auf einer Plattform gemeinsam vorstellen können. Ich hätte das nicht gescheut. Ich habe Andreas Nahles ja dann auch noch mal eigeninitiativ eingeladen. Ob wir nicht beide mal gemeinsam ein offenes Gespräch machen."
Doch daraus ist nichts geworden. Und so werden sie sich erst morgen direkt begegnen. Gut 30 Minuten hat jede Kandidatin Zeit, um sich vorzustellen. Danach eine Fragerunde. Dann werden die rund 600 Delegierten und 45 Mitglieder des Parteivorstandes abstimmen.
Über 70 Prozent plus X für Nahles sollten es schon sein, heißt es in der SPD. Andernfalls wäre wohl von einem Fehlstart der SPD die Rede, die sich am Sonntag eigentlich endgültig aufmachen will auf ihren Weg der Erneuerung.