Archiv

Vor dem TV-Duell
"Dass die SPD vor der CDU liegt, ist ausgeschlossen"

Am Sonntag treffen Angela Merkel und ihr Herausforderer Martin Schulz im einzigen direkten TV-Duell aufeinander. Martin Schulz könne dabei noch einige Punkte für die SPD holen, glaubt Manfred Güllner. Einen Wahlsieg der SPD halte er jedoch für ausgeschlossen, sagte der Chef des Meinungsforschungs-Instituts Forsa im Dlf.

Manfred Güllner im Gespräch mit Silvia Engels |
    Fallback Image
    Silvia Engels: Im Vorfeld wurde noch über die Abläufe gerungen, doch am Sonntag ist es nun soweit. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Herausforderer Martin Schulz treten im Fernsehen zum Rededuell gegeneinander an. Es ist der einzige direkte verbale Schlagabtausch zwischen den beiden vor der Bundestagswahl. SPD-Chef Schulz will punkten, um den deutlichen Rückstand von bis zu 14 Prozentpunkten, den er derzeit gegenüber der Kanzlerin in den Umfragen hat, wenn man die Parteienzustimmung vergleicht, zu verkürzen.
    Am Telefon ist Manfred Güllner. Er ist Geschäftsführer des Umfrageinstituts Forsa. Guten Morgen, Herr Güllner.
    Manfred Güllner: Schönen guten Morgen!
    Engels: Hat Martin Schulz noch eine Chance?
    Güllner: Na ja. Er hat zumindest eine Chance, die Werte für die SPD ein bisschen nach oben zu treiben, vor allen Dingen, wenn wir uns auch die vergangenen TV-Duelle zwischen den Kanzlerkandidaten anschauen. Die haben ja große Aufmerksamkeit. Einmal gucken viele zu, zum anderen wird dann die Berichterstattung darüber wahrgenommen. Und wenn Sie an 2002 denken, da konnte Schröder zumindest im zweiten Duell gegen Stoiber punkten und hat dann noch dafür gesorgt, dass die SPD 6.000 Stimmen Vorsprung hatte. 2005 konnte auch Schröder gegen die Kandidatin Merkel, gegen die es damals viele Vorbehalte gab, punkten und fast drei Millionen SPD-Anhänger aus der Unentschlossenheit wieder zurückholen. Und auch 2013 gelang es Steinbrück durch seine Eloquenz, dass noch mal drei Punkte die SPD zugelegt hat.
    Und auch jetzt hat Schulz die Chance, aus dem Lager der Unentschlossenen, wo ein Teil früherer SPD-Wähler verharrt, die eigentlich die real existierende SPD nicht aus Überzeugung wählen können, Stimmen zu holen. Aber wenn er an deren Loyalität appellieren kann und die wecken kann, dann sind noch mal, ich denke, auch drei Punkte für die SPD drin.
    "Es geht letztendlich darum, welchen Eindruck die beiden machen"
    Engels: Sie haben frühere Rededuelle aufgelistet. Sind denn bei solchen Aufeinandertreffen die Inhalte, die da erörtert werden, für die Wähler entscheidend, oder geht es um die Präsentation der Kandidaten?
    Güllner: Es geht eigentlich um beides. Aber es geht letztendlich darum, welchen Eindruck die beiden machen, welche Kompetenz sie vermitteln, sodass man am Ende sagt, dem traue ich das ein bisschen eher zu, das Land auch zu führen, als dem oder der anderen. Es geht nicht um ganz konkrete Spiegelstrich-Inhalte, sondern doch um den Gesamteindruck und das Vertrauen, was man durch Beobachtung der beiden Kandidaten gewinnt oder verliert.
    Engels: SPD-Chef Schulz hat ja in den letzten Wochen viele Themen angesprochen. Das sind ja Themen, die die Wähler eigentlich bewegen sollten: Bildung, Steuerpolitik, soziale Ungerechtigkeit. Warum treibt das der SPD nicht mehr Unterstützer zu?
    Güllner: Das sind durchaus Themen, wo viele Menschen sagen, das sind ja wichtige Themen, das ist auch richtig, dass sie angesprochen werden. Aber das Problem der SPD, aber auch ihres Kanzlerkandidaten ist, dass nur wenige Bürger der Partei und auch Martin Schulz zutrauen, die von Ihnen angesprochenen Probleme auch anpacken, geschweige denn lösen zu können.
    "Da müsste schon ein kleines Wunder passieren"
    Engels: Nun ist Martin Schulz Martin Schulz und Angela Merkel ist Angela Merkel. Da müsste doch Sensationelles passieren bei diesem Kanzlerduell, damit dieser Vorsprung noch so kippt, den Merkel derzeit hat, dass Schulz tatsächlich eine Chance aufs Kanzleramt hat, oder?
    Güllner: Das ist eigentlich äußerst unwahrscheinlich und das wird auch durch das TV-Duell nicht passieren. Da müsste schon ein kleines Wunder passieren. Schulz hat lediglich die Chance, aus dem Lager der Unentschlossenen noch ein paar frühere SPD-Wähler doch dazu zu bewegen, zur Wahl zu gehen. Aber dass er die SPD so weit nach vorne bringt, dass sie vor der Union liegt, das ist eigentlich völlig ausgeschlossen.
    Migration für Bürger "nach wie vor ein wichtiges Thema"
    Engels: Es gab ja schon eine kleinere Diskussionsrunde unter den kleineren Parteien am Mittwoch im Fernsehsender Sat1. Dort debattierten FDP, Grüne, Linke und AfD. Besonders kontrovers ging es da aber einmal mehr um die Frage der Flüchtlingspolitik. Trotz zurückgegangener Flüchtlingszahlen, ist dieses Thema nach wie vor das Wichtigste für den Wähler?
    Güllner: Das Flüchtlingsthema insgesamt – das ist ja ein komplexes Thema; es geht einmal um die Frage, gibt es jetzt schon zu viele Ausländer, wird die Ausländerzahl dann noch für die Menschen fast bedrohlicher, wenn mehr Flüchtlinge kommen; es geht um die Frage, brauchen wir Einwanderung, und die Menschen sind ja selbst gespalten. Mit dem Kopf sagen sie, wir brauchen Zuwanderer, um auch in Mangelberufen hier Stellen besetzen zu können, aber mit dem Bauch sagen sie, wir wollen keine Ausländer. Es ist nach wie vor ein für die Bürger wichtiges Thema.
    Engels: Bundeskanzlerin Merkel und auch SPD-Chef Schulz hatten das Thema Migration und Flüchtlinge in den vergangenen Wochen auf ihren Wahlkampfpräsentationen nicht mehr gar so stark hervorgehoben. Stattdessen ging es viel um soziale Gerechtigkeit und Bildung. Unterschätzen am Ende beide vielleicht die nach wie vor vorhandene Sprengkraft dieses Themas?
    Güllner: Na ja, es ist eigentlich keine so große Sprengkraft, weil die Menschen ja wie gesagt selbst gespalten sind, keine Lösung sehen zwischen einerseits der Einsicht in die Notwendigkeit, dass wir Zuwanderer brauchen, aber andererseits der doch Vorbehalte gegen zu viele Ausländer. Insofern kann eigentlich keiner, weder Merkel, noch Schulz, mit dem Thema wirklich richtig punkten.
    Und die anderen Probleme, die Sie auch angesprochen haben, ob das die Bildungspolitik ist, ob das immer noch trotz zurückgehender Arbeitslosigkeit in einigen Regionen die Lage am Arbeitsmarkt ist, andererseits die Lage am Wohnungsmarkt in den großen Städten, die sozialen Sicherungssysteme, die Sorge vor Altersarmut, alles das sind ja Probleme, die auch von denen für wichtig gehalten werden und genannt werden, die auch die Flüchtlingsfrage für wichtig einstufen.
    Engels: Für den Wähler wird ja auch nach dem Rededuell am Sonntag nicht klar sein, welche Regierung am Ende steht. Neben einer Großen Koalition spekulieren ja nun aufgrund jüngster Umfrageergebnisse auch einige wieder auf Schwarz-Gelb, unter anderem offenbar der bayerische Ministerpräsident Seehofer, der ja nun überraschend deutlich Koalitionsspekulationen mit den Grünen eine Absage erteilt. Ist das voreilig?
    Güllner: Das ist ja die offene Frage. Dass die Union vor der SPD liegen wird, das ist eigentlich so gut wie sicher. Aber welche Koalitionsbildung möglich ist, das ist ja in der Tat offen, ob es tatsächlich auch für Schwarz-Gelb reichen würde, oder ob eine Dreierkoalition zwischen Union, FDP und Grünen, oder wieder eine Große Koalition gebildet werden müsste. Ich denke, das ist möglicherweise auch um 18 Uhr noch nicht klar, sondern da geht es dann darum, wie viele Überhang- und Ausgleichsmandate gibt es, und das kann der Wahlleiter, weil das ein kompliziertes System ist, um das auszurechnen, erst am Montagmorgen um vier oder fünf Uhr morgens mitteilen.
    "Die Diskussion ist wichtig"
    Engels: Das Kanzlerduell ist ja sehr auf diesen Zweikampf ausgerichtet: hier Kanzlerin, dort der Herausforderer. Nun ist es ja auf der anderen Seite so, dass im direkten Vergleich zwar immer wieder die Kanzlerin, wenn direkt gewählt werden würde, vorne liegen würde vor Herrn Schulz. Das ergeben die Umfragen. Auf der anderen Seite wächst auch die Zahl derjenigen in Umfragen, die sich für keinen von beiden entscheiden würden. Ist dieses Format dann in dieser Form überhaupt angemessen, oder sollte man nicht doch alle Parteienvertreter laden?
    Güllner: Man könnte vielleicht beides machen. Ich habe das bei den letzten Wahlen in Dänemark beobachtet, wo wir ja eine hohe Wahlbeteiligung von über 85 Prozent haben, wo einerseits auch zweimal eine Diskussion zwischen den Spitzenkandidaten der beiden Blöcke stattfand, aber auch eine Diskussion zwischen allen antretenden Parteien, die überhaupt eine Chance haben. Da ist durchaus ja denkbar, dass man beides macht. Aber die Diskussion zwischen den Kanzlerkandidaten ist natürlich schon wichtig, weil ja die anderen Parteien keine Chance haben, den Kanzler zu stellen.
    Engels: Und es werden die kleinen Parteien auch noch untereinander im öffentlich-rechtlichen diskutieren. Das sollte man hier nicht unterschlagen.
    Vielen Dank an Manfred Güllner. Er ist der Geschäftsführer des Wahlforschungsinstituts Forsa.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.