Archiv

Vor dem Urteil im NSU-Prozess
Fünf Jahre und viele offene Fragen

Über fünf Jahre dauerte der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Nach 437 Verhandlungstagen wird nun das Urteil des Münchner Oberlandesgerichts erwartet. Die Familien der Opfer sind enttäuscht vom Verfahren.

Von Ina Krauß |
    Die Angeklagte Beate Zschäpe sitzt am 25.07.2017 im Verhandlungssaal im Oberlandesgericht in München zwischen ihre Anwälten Hermann Borchert (l) und Mathias Grasel. An diesem Tag begannen die Schlussplädoyers im NSZ-Prozess.
    Vor Beginn der Schlussplädoyers: Die Angeklagte Beate Zschäpe zwischen ihre Anwälten Hermann Borchert (l) und Mathias Grasel am 25.07.2017 im Verhandlungssaal im Oberlandesgericht in München (dpa / Peter Kneffel)
    Es ist ein beklemmendes Gefühl, in einem kleinen Café unweit des Münchner Strafjustizzentrums einem Angeklagten des NSU-Prozesses zu begegnen. Holger G., mutmaßlicher Terror-Unterstützer, sitzt im karierten Hemd und Jeans an einem Tisch, trinkt Kaffee und liest in einem E-Book, als wäre er irgendwer in München. Er ist auf freiem Fuß, nachdem er ausgesagt hat.
    Bis September letzten Jahres war auch André E. regelmäßig in den umliegenden Bäckereien anzutreffen, auch er mutmaßlicher Terror-Unterstützer und bekennender Nationalsozialist. Inzwischen sitzt er in Untersuchungshaft und wird in einem schwer gesicherten Fahrzeugkonvoi zum Prozess gebracht.
    So auch am 437. Verhandlungstag im NSU-Prozess, dem letzten vor dem lange erwarteten Urteil. In einem der abgedunkelten Transporter sitzt auch die Hauptperson des NSU-Prozesses: Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und einzige Überlebende des Terror-Trios NSU. In einem anderen Wagen sitzt der Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben, angeklagt wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen.
    Der fünfte Angeklagte wird auf geheimen Wegen zum Prozess gebracht. Denn Carsten S. befindet sich im Zeugenschutzprogramm. Er hat gestanden, die Mordwaffe Ceska 83 an den NSU geliefert zu haben, und andere schwer belastet. Die Szene sieht deshalb in Carsten S. einen Verräter. Er betritt den Gerichtssaal stets mit einem Personenschützer.
    Die Angeklagte Beate Zschäpe (vorne, 2.v.r) sitzt am 19.07.2017 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München (Bayern) zwischen ihren Anwälten Hermann Borchert (2.v.l) und Mathias Grasel (r). Zweite Reihe 3.v.l. der Angeklagte Ralf Wohlleben, in der hinteren Reihe die Angeklagten Holger G. (rotes Shirt) und Carsten S. (grauer Kapuzenpulli). Holger G. wurde auf Anweisung des Gerichts gepixelt.
    Die Angeklagte Beate Zschäpe (vorne, 2.v.r), der Angeklagte Ralf Wohlleben (Zweite Reihe 3.v.l.) und Carsten S. (im grauen Kapuzenpulli) (dpa-Bildfunk / Andreas Gebert)
    Carsten S. wird an diesem 437. Verhandlungstag als letzter von insgesamt fünf Angeklagten von der Gelegenheit Gebrauch machen, ein Schlusswort zu sprechen. "Hoher Senat, verehrte Damen und Herren", beginnt er und sagt, er habe sich auf der Suche nach sich selbst sich in jungen Jahren in etwas hineinziehen lassen. Er werde mit dem Fehler leben müssen. Die Schuld ließe sich nicht abtragen. Seine Stimme stockt.
    Eines der längsten Strafverfahren der Bundesrepublik
    "In einer kurzen Erklärung hat Carsten S. noch einmal auch sehr emotional zum Ausdruck gebracht, dass er unter den Taten, die er letztlich nach seinem eigenen Bekunden in gewisser Form auch mitverschuldet hat, sehr leidet."
    Gerichtssprecher Florian Gliwitzky gibt die letzten Worte im NSU-Prozess noch einmal vor der Presse wieder. Damit geht dieses historische Verfahren endgültig seinem Ende entgegen. Ein Verfahren, das in seiner Bedeutung den Auschwitz- und den RAF-Prozessen gleichkommt.
    Der NSU-Prozess ist mit einer Dauer von über fünf Jahren und mehr als 400 Verhandlungstagen eines der längsten Strafverfahren und das bisher größte Rechtsterrorismus-Verfahren in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Akten umfassen zigtausend Seiten. Die Anklageschrift, die Bundesanwalt Herbert Diemer ganz am Anfang in Auszügen vorträgt, ist knapp 500 Seiten lang.
    "Wir haben in der Anklageschrift auch detailliert dargelegt, dass Böhnhardt, Mundlos und die Angeklagte Zschäpe kurz nach ihrem Abtauchen im Jahr 1998 sich dazu entschlossen, ihre rassistische Vorstellung vom, ich zitiere, "Erhalt der deutschen Nation" nach der Maxime, ich zitiere wieder, "Taten statt Worte" durch Mordanschläge auf willkürlich ausgewählte Opfer zu verwirklichen."
    Nach Ansicht von Bundesanwalt Diemer war Beate Zschäpe gleichberechtigtes Mitglied eines "aufeinander eingeschworenen Tötungskommandos". Es habe eine Art Arbeitsteilung gegeben. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt reisten quer durch die Republik, töteten und zündeten Bomben, während Zschäpe daheim in Sachsen den Rückzugsraum und die Tarnung des NSU absicherte. Sie ist als Mittäterin angeklagt. Wird sie schuldig gesprochen, ist es so, als hätte sie selbst den Abzug der Mordwaffe gedrückt, Bomben gezündet und Raubüberfälle begangen. Die Verteidiger der mutmaßlichen Rechtsterroristin finden das weit hergeholt.
    Zschäpes Fassade begann nach einem Jahr zu bröckeln
    Beate Zschäpe hat sich mit Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm drei Anwälte ausgesucht, die aufs Ganze gehen. Ihrer Mandantin empfahlen sie zu schweigen. Und am Ende, so war sich Wolfgang Heer sicher, würde der Vorwurf der Mittäterschaft keinen Bestand mehr haben.
    Beate Zschäpe zwischen ihren Anwälten Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer.
    Beate Zschäpe zwischen ihren Anwälten Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer (picture alliance/dpa/Andreas Gebert)
    "Die Bundesanwaltschaft stützt sich weitgehend auf Spekulationen und Mutmaßungen in ihrer Anklageschrift. Sie hat keine wirklichen Beweise in der Hand, sodass wir insoweit von einem Freispruch ausgehen."
    Das sagte Wolfgang Heer Anfang 2013 kurz vor Beginn des "Verfahrens gegen Beate Z. und andere" - wie es so unspektakulär vor dem Saal A101 des Münchner Oberlandesgerichtes angeschrieben steht. Damals rechnete er damit, dass Beate Zschäpe die empfohlene Schweigestrategie bis zum Schluss durchhalten wird.
    Zschäpe machte auf der Anklagebank viele Monate lang einen kalten und ungerührten Eindruck, so als würde das alles sie gar nicht viel angehen. Doch die Fassade begann nach einem Jahr zu bröckeln. Zschäpe wirkte angegriffen, meldete sich krank. Die Bundesanwaltschaft hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Indiz für Indiz zusammengetragen, um Zschäpes gleichberechtigte und damit tragende Rolle im NSU-Trio nachzuweisen. Es wurde eng für Zschäpe.
    Weggefährten aus Jugendtagen hatten sie als selbstbewusst und bauernschlau beschrieben, als eine, die die Männer im Griff hatte, die nicht der Typ "dumme Hausfrau" gewesen sei. Urlaubsbekanntschaften, die die erwachsene, bereits untergetauchte Beate Zschäpe, unter dem Namen "Liese" auf der Ostseeinsel Fehmarn kennengelernt hatten, schilderten sie ebenfalls als gleichberechtigt gegenüber den beiden Männern und auch als Herrin über die gemeinsame Kasse. Schließlich war der Punkt erreicht, an dem sich die Hauptangeklagte erstmals an einen Justizwachtmeister wandte und mitteilen ließ, sie hätte kein Vertrauen mehr in ihre Anwälte.
    Anwälte zu Statisten degradiert
    Zschäpe warf ihnen vor, Fehler zu machen. Im Hintergrund begann ein zähes Ringen zwischen Zschäpe und ihren drei Pflichtverteidigern. Zwei Jahre nach Prozessbeginn schließlich folgte der endgültige Bruch: Zschäpe verfasste handschriftliche Strafanzeigen gegen ihre Anwälte und wollte sie von ihrem Pflichtmandat entbinden lassen. Auch Heer, Stahl und Sturm wollten nicht mehr. Doch das Gericht lehnt die Anträge ab. Wolfgang Heer wirkte gedemütigt.
    "Wir hatten mehrfach in der Hauptverhandlung und außerhalb dargelegt, dass wir uns nicht mehr in der Lage sehen, die Mandantin vernünftig und effektiv zu verteidigen."
    Seitdem sind Wolfgang Heer und seine Kollegen zu Statisten degradiert. Sie müssen auf der Anklagebank von ihrer Mandantin abrücken. Neben ihr sitzen jetzt zwei Neue. Der eine ist der junge Mathias Grasel, und im Hintergrund zieht sein damaliger Kanzleikollege Hermann Borchert als Wahlverteidiger die Strippen. Sie helfen der prominenten Mandantin, eine rund 50-seitige Aussage zu verfassen. Doch Zschäpe gibt darin nur zu, was ohnehin längst bewiesen ist. Ja, sie hat die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße in Brand gesteckt und die Bekenner-DVD verschickt. Nein, die Morde und Bombenattentate hat sie nicht gewollt und immer erst im Nachhinein davon erfahren. Die Aussage wird von ihren Anwälten verlesen.
    Prozess belastet die Opferfamilien
    Zschäpes Erklärung wollte sich Kerim Simsek nicht entgehen lassen. Er erhoffte sich Aufklärung, warum sein Vater, der Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg, ermordet wurde. Als er direkt nach der Aussage aus dem Gerichtssaal kommt, sieht er sich einer Wand aus Kameras und Mikrofonen gegenüber.
    Die Nebenkläger Abdulkerim Simsek (l), Sohn des am 09.09.2000 in Nürnberg erschossenen Enver Simsek und die Schwiegermutter Adile Simsek (r) des Verstorbenen sitzen am 09.01.2018 im Oberlandesgericht in München (Bayern) im Gerichtssaal neben ihrer Anwältin Seda Basay-Yildiz (M). 
    Kerim Simsek (l.), der Sohn des am 09.09.2000 in Nürnberg erschossenen Enver Simsek, im Münchener Gerichtssaal (picture alliance/ dpa - Peter Kneffel/dpa)
    "Ich bin emotional aufgewühlt, auch die Art und Weise, wie diese Erklärung kam, angeblich als sie erfahren hat, dass mein Vater ermordet wurde, haben sie kein Weihnachten mehr gefeiert, sie hat keine Weihnachtsgeschenke bekommen. Ja, solche Sätze sind da aufgetreten, und als sie dann erfahren hat, dass weitere Leute gestorben sind, hat sie sich betrunken und ihre Katzen vernachlässigt - also das ist in meinen Augen einfach katastrophal, unterstes Niveau."
    Für die Opferfamilien ist der Prozess eine schwere Belastung, nicht nur, weil es ständig um Beate Zschäpe geht. Deren Namen dürfte inzwischen die halbe Republik kennen. Adile Simseks Namen aber nicht.
    Opfer-Anwältin Seda Basay muss ihn Journalisten in den Block buchstabieren. Sie tut es an einem Tag, der nur einer von vielen ist in dieser sich über Jahre hinziehenden Beweisaufnahme. Es geht um den Tod von Adile Simseks Mann. Die stets dunkel gekleidete Frau verlässt den Gerichtssaal, als Bilder an die Wand projiziert werden von dem blutverschmierten Blumentransporter, in dem ihr Mann Enver von neun Kugeln getroffen wurde.
    "Also sie hat teilweise geweint, sie hat eine Beruhigungstablette genommen, es war sehr anstrengend für sie, sie hat auch gehört, dass ihr Mann einen Zahn verloren hat bei dem Schuss, das hatte sie heute zum ersten Mal gehört, das war schon alles sehr belastend."
    Zehn Jahre Ermittlungen in die falsche Richtung
    Adile Simsek ist Nebenklägerin im NSU-Prozess - eine von insgesamt 93. Noch nie waren so viele Nebenkläger in einem Verfahren zugelassen. Der NSU hat eine Blutspur quer durch die Republik gezogen. Er hat damit Deutschland schwer getroffen. Und viele Witwen und Waisen, Schwerverletzte und Traumatisierte in schwere Not gebracht. Die meisten Opferfamilien haben eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Adile Simseks Mann Enver war das erste Mordopfer des NSU. Er wurde im Jahr 2000 an seinem Blumenstand in Nürnberg ermordet, also fast 13 Jahre vor Prozessbeginn.
    Zehn von diesen 13 Jahren hatte die Polizei in die falsche Richtung ermittelt, vermutete eine Türken-Mafia hinter der rätselhaften Ceska-Mordserie an acht Türken und einem Griechen. Auch die Angehörigen gerieten unter Verdacht. Eine rechtsextreme Tat schlossen die Ermittler dagegen aus. Die Familien dagegen ahnten immer, dass Neonazis hinter den Taten steckten.
    "Wir können doch nicht so tun, als gäbe es in Deutschland keinen institutionellen Rassismus. Als gäbe es keine Rassismus innerhalb der Sicherheitskräfte. Ich glaube in der Tat, dass es die Denke gibt, wenn es ein türkisches Opfer gibt, dann müssen wir erstmal nach Drogen schauen, dann müssen wir erstmal schauen, ob er selber kriminell war; da müssen wir die Frau oder den Bruder verdächtigen, das ist doch ständig passiert in diesem Fall. Jetzt kann man das ignorant oder rassistisch nennen, man kann es nennen wie man will, aber man kann es nicht wegdiskutieren."
    Das zu thematisieren war ein wichtiges Anliegen der Nebenkläger, die von 59 Anwälten vertreten werden. Mehmet Daimagüler ist einer von ihnen. Die Opferfamilien haben viele Fragen. Etwa warum ein hessischer Verfassungsschützer zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat am Tatort war, aber verschwand, bevor die Polizei eintraf und sich auch später nicht einmal als Zeuge meldete.
    Abgeschottetes Trio oder größeres Netzwerk?
    Der vorsitzende Richter Manfred Götzl unterstützt zunächst das Anliegen der Nebenkläger. Er lädt den Verfassungsschützer Andreas Temme sechs Mal hintereinander, stellt ihm bohrende Fragen. Für alle im Saal ist klar: Götzl hält Temmes Aussage, er habe in dem Internetcafé nur heimlich in einem Flirtportal chatten wollen und von dem Mord nichts mitbekommen, für unglaubwürdig. Doch nach über zwei Jahren Beweisaufnahme will Götzl offenbar zum Schluss kommen. Plötzlich und unerwartet erteilt der Senat dem Verfassungsschützer Temme einen Persilschein und erklärt ihn für glaubwürdig - zum Entsetzen vieler Nebenkläger.
    Der Zeuge Andreas Temme sitzt am 11.05.2015 bei einem Untersuchungsausschuss in den Landtag in Wiesbaden (Hessen) vor einem Mikrofon.
    Der Zeuge Andreas Temme bei einem Untersuchungsausschuss in den Landtag in Wiesbaden (dpa / Fredrik von Erichsen)
    Beweisanträge der Nebenklage werden zunehmend abgelehnt. Für die Angehörigen der Opfer ist das ein schwerer Schlag. Sie sind sich auch sicher, hinter dem NSU verbirgt sich ein größeres Netzwerk. Kerim Simsek hält nichts von der These der Bundesanwaltschaft, der NSU sei ein weitgehend abgeschottetes Trio gewesen.
    "Also ich bin der Meinung, dass da noch freie Stühle auf der Anklagebank sind. Ja, da müssen noch ein paar Leute hin. Es gibt viele offene Fragen. Ich wollte hundertprozentige Aufklärung, und alle, die ihre Finger in dem Spiel hatten, dass die alle bestraft werden, das ist eigentlich Hauptpriorität von mir, aber das geschieht ja nicht. Ich hätte eigentlich gewünscht, dass alles transparent, alles offen steht, so wurde es uns ja auch am Anfang versprochen, Angela Merkel hat uns das versprochen, dass alles Mögliche gemacht werde, um alles aufzudecken, und was weiß ich, aber leider waren es alles nur leere Worte."
    Normalerweise ziehen Nebenkläger und Staatsanwaltschaft an einem Strang. Im NSU-Prozess dagegen gibt es viele Differenzen. Die Bundesanwaltschaft nennt in ihrem Plädoyer die Zweifel der Nebenkläger abschätzig "Fliegengesumme", so als wären die Fragen der Opfer eine lästige Angelegenheit. Die Bundesanwaltschaft will sich ganz auf die Handvoll Leute beschränken, die auf der Anklagebank sitzen, und nicht in Spekulationen über ein mögliches Terrornetzwerk verlieren.
    Bundesanwaltschaft fordert lebenslange Haftstrafe für Zschäpe
    Die Bundesanwälte beginnen ihren Schlussvortrag im Sommer 2017, nach vier Jahren Prozess und einer Beweisaufnahme, in der rund 800 Aussagen von Zeugen und Sachverständigen gehört worden sind. Für Bundesanwalt Herbert Diemer ist die Schuld von Beate Zschäpe bewiesen.
    "Ich meine, dass klargeworden ist, dass es sich bei der Angeklagten tatsächlich um einen eiskalt kalkulierenden Menschen handelt, dem Menschleben zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen und ideologischen Ziele keine Rolle spielen, und dass sie eine bedeutende und wichtige Rolle in der terroristischen Vereinigung NSU gespielt hat, die ja durch ihre Tatbeiträge, die wir im Einzelnen dargelegt haben auch dazu geführt hat, dass sie als Mittäterin verurteilt werden müsste."
    Beate Zschäpe habe die Taten gewollt, sie mitgeplant und ermöglicht, so die Bundesanwaltschaft, sie sei die "Tarnkappe" des NSU gewesen. Diemer fordert eine lebenslange Haftstrafe für Zschäpe, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld sowie die Anordnung der anschließenden Sicherungsverwahrung. Für die 43-Jährige würde das bedeuten, sie käme möglicherweise nie mehr auf freien Fuß.
    "Ich halte die Beweiswürdigung und auch die rechtliche Beurteilung durch die Bundesanwaltschaft für unzutreffend. Eine Mittäterschaft kann hier nicht entsprechend der gesetzlichen Anforderungen begründet werden."
    Das sagt Zschäpes Anwalt Mathias Grasel nach dem Plädoyer, das er und sein Kollege Hermann Borchert im Frühjahr 2018 gehalten haben. Zschäpes Anwälte fordern in ihrem Schlussvortrag eine Freiheitsstrafe von maximal zehn Jahren für die schwere Brandstiftung in der Zwickauer Frühlingsstraße und die Beihilfe zu 15 Raubüberfällen. Noch weiter gehen ihre sogenannten Altverteidiger. Sie fordern die sofortige Freilassung ihrer Mandantin.
    Die Angeklagte Beate Zschäpe sitzt am 12.09.2017 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München (Bayern) neben ihrem Anwalt Mathias Grasel.
    Die Angeklagte Beate Zschäpe und ihr Anwalt Mathias Grasel. (dpa-Bildfunk / Pool / Matthias Schrader)
    Zschäpe sitzt genau wie der angeklagte NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben bereits über sechs Jahre in Untersuchungshaft.
    Yvonne Boulgarides, die Witwe des ermordeten Theodorus Boulgarides, sagt nach dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft: "Was ich ganz persönlich jetzt extrem schlimm fand jetzt die ganzen letzten Jahre, war diese Ignoranz der Angeklagten uns Hinterbliebenen gegenüber oder eben auch den Opfer der Bombenattentate. Es hat mich erschreckt, dass wenn man so lange in einem Prozess sitzt, dass da kein Umdenken anfängt, und wenn das geforderte Strafmaß eingehalten wird, dann haben sie alle genügend Zeit, darüber nachzudenken."
    Offen zur Schau gestellte rechtsextreme Gesinnung
    Geht es nach der Bundesanwaltschaft hätten neben Zschäpe auch andere genügend Zeit zum Nachdenken. Ralf Wohlleben soll geholfen haben, die Mordwaffe Ceska 83 zu besorgen, somit wäre er der Beihilfe zum Mord in neun Fällen schuldig. 12 Jahre Haft werden gefordert. Der Ex-NPD-Funktionär gibt sich als Typ brauner Biedermann, sagt, er lehne Gewalt gegen Menschen ab, und bestreitet die Lieferung der Mordwaffe. Seine Verteidiger stehen teilweise selbst der rechtsextremen Szene nahe und setzten in ihrem Plädoyer auf Freispruch - und auf Provokation.
    Sie betonten die angebliche Friedfertigkeit des Kriegsverbrechers Adolf Hitler genauso wie die ihres Mandanten. Perfide findet das Opfer-Anwältin Antonia von der Behrens: "Wie absurd das ist sieht man vielleicht dass er am Tag seiner Festnahme in einem T-Shirt wahrscheinlich geschlafen hat, auf dem das Tor von Ausschwitz zu sehen ist, mit Eisenbahngleisen - und da drunter steht Eisenbahnromantik."
    Bei André E. musste die Polizei nicht lange im Wäschekorb suchen, um seine rechtsextreme Gesinnung festzustellen. Er zeigt sie in seinen Tattoos, und Opfer-Anwalt Mehmet Daimagüler wundert sich, warum E. erst im September letzten Jahres in Untersuchungshaft genommen wurde: "André E. ist Rassist, ist Nationalsozialist, er hat auf seiner Brust tätowiert 'Stirb Jude Stirb'."
    André E.s Verteidiger sagen in ihrem Plädoyer, ihr Mandant sei überzeugter Nationalsozialist, der mit Haut und Haaren für seine politische Überzeugung stehe, doch er habe nichts von den Taten des NSU gewusst. Bei einer Hausdurchsuchung hatte die Polizei eine Zeichnung an der Wand gefunden, die die verstorbenen Mundlos und Böhnhardt zeigte, versehen mit einem Runen-Schriftzug: Unvergessen. Deutlicher können Helden nicht verehrt werden.
    So bleibt nach diesen 437 Verhandlungstagen nur noch das Urteil, die offenen Fragen der Opferfamilien, und Sätze, die sie in ihren Schlussworten sprachen.
    "Wie krank ist es, einen Menschen nur aufgrund seiner Herkunft und seiner Hautfarbe mit acht Schüssen zu töten?", fragte etwa Kerim Simsek, und Elif Kubasik, die Witwe des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, sagte: "Die, die diese Taten begangen haben, sollen nicht denken, dass wir das Land verlassen werden. Ich lebe in diesem Land, und ich gehöre hier her."