Die König-Pilsener Arena in Oberhausen am vorvergangenen Samstag. An die 10.000 euphorische Türken aus Deutschland, Frankreich und den Beneluxländern waren gekommen, um den türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim zu hören. Die Menge bejubelte den Politiker, der sich geradezu enthusiastisch für eine Verfassungsänderung in der Türkei aussprach.
Dabei geht es um ein Referendum, mit dem der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ein nach seinen Ideen maßgeschneidertes Präsidialsystem in der Türkei einführen will. Manche Kritiker sehen darin eine Präsidial-Diktatur, andere nennen es gar eine Art "Sultanat". Vielen Besuchern in der Oberhausener Arena dagegen scheint Erdogan geradezu eine religiöse Rettergestalt zu sein.
"Wir haben Allah, wir haben unseren Propheten Mohammed Mustafa und jetzt haben wir auch Recep Tayyip Erdogan."
So eine türkische Frau in einem Bericht der ARD. Auch wenn dieser fast religiöse Eifer wohl eher die Ausnahme ist: Fest steht, dass bei der Wahl im Juni 2015, bei einer Wahlbeteiligung von 40 Prozent, mindestens zwei Drittel der in Deutschland lebenden Türken ihre Stimme Recep Tayyip Erdogan gegeben haben.
Es gibt auch eine erhebliche Zahl von Türken, die Erdogan ablehnen
Der türkischstämmige Haluk Yildiz ist Gründer und Parteivorsitzender der Kleinpartei BIG, Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit. Seine Partei wirbt besonders im deutsch-türkischen Milieu, das auch für die AKP besonders wichtig ist. Er wirft den deutschen Behörden im Umgang mit dem türkischen Staatspräsidenten Einseitigkeit vor.
"Wenn man auf die Türkei zeigt, wenn man mit einem Finger auf einen zeigt, drei Finger zeigen zu einem selbst. Und das ist genau das, was Deutschland macht. Das heißt, da wird mit dem Zeigefinger auf die Türkei gezeigt: 'So guck Mal, der böse Diktator Erdogan' und merkt nicht, was man hier für Populismen betreibt und Polarisierungen hier in dieser Gesellschaft und eigentlich den jungen Deutsch-Türken dazu verhilft, noch mehr türkisch zu sein."
Das führe dazu, dass deutlich mehr Türken in Deutschland sich mit Erdogan solidarisierten. So wie der junge Mann, den Yildiz bei einer Podiumsdiskussion in Solingen traf.
"Er sagte 'Ich mag Erdogan gar nicht, eigentlich habe ich den nie gemocht. Aber seitdem Erdogan die Tagespolitik in Deutschland beschäftigt und er gebasht wird, bin ich Erdogan-Anhänger geworden.' Das ist eigentlich der beste Satz, der die Gefühlslage beschreibt. Dann wird einer angegriffen, so einseitig, undifferenziert. Dann sagen die Jugendlichen "Moment mal, das geht aber zu weit!"
Ein Türkeibesuch, so Haluk Yildiz, festige den Eindruck, Erdogan würde zu Unrecht angegriffen werden.
"Und diese Jugendlichen, wenn sie dann in der Heimat sind und Urlaub machen und feststellen: Moment mal, es ist doch alles besser geworden. Das Land hat wieder Ansehen bekommen, die Türken können wieder aufrecht gehen, der Erdogan hat ihnen Selbstbewusstsein zurückgegeben."
Doch es gibt auch eine erhebliche Zahl von Türken, die Erdogan ablehnen. Zum Beispiel der Mann, der in einem türkischen Lokal in Köln-Mülheim seinen Tee trinkt. Seinen richtigen Namen will er nicht preisgeben, nennen wir ihn Cafer Sadik. Er ist ein Mitglied der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP und hat im Stadtrat einer Kommune im Südosten der Türkei gearbeitet. Bis ihm vorgeworfen wurde, ein Terrorist zu sein.
Der 46-Jährige erzählt, dass er sich große Sorgen um seine Familie mache, die in der Türkei bleiben musste. Er selbst hat jetzt Asyl in Deutschland beantragt. Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei im vergangenen Sommer ist die Zahl der Türken, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, regelrecht explodiert.
Die Zahl der Asylanträge aus der Türkei ist dreimal so hoch wie im Vorjahr
Während im Jahr 2015 insgesamt 1.800 türkische Staatsbürger in Deutschland Asyl beantragten, waren es laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im vergangenen Jahr bereits mehr als 5.700 Anträge aus der Türkei. Mehr als dreimal so viel wie im Vorjahr. Rund 80 Prozent von ihnen sind Kurden mit türkischem Pass.
Sie alle sollen ausgeliefert und zurückgeschickt werden, so die Forderung türkischer Spitzenpolitiker. Schließlich handele es sich um Terroristen. Deutschland jedoch liefert derzeit niemanden aus. Das Auswärtige Amt hat im November 2016 sogar ausdrücklich erklärt, allen "kritischen Geistern in der Türkei" solidarisch beizustehen. Erdogans Partei AKP wirft daher den deutschen Behörden auf ganzer Linie fehlende Kooperationsbereitschaft vor. Auch Erdogan selbst betont immer wieder, wie enttäuscht er in dieser Frage vom Verhalten der deutschen Politik sei.
So etwa im vergangenen Jahr in der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu.
"Deutschland, ihr unterstützt im Augenblick den Terror … und es ist nur eine Frage der Zeit, dass dieser Terror wie ein Bumerang demnächst auch Deutschland treffen wird.
Wir sind besorgt darüber, dass Deutschland seit Jahrzehnten Terrororganisationen wie die PKK und DHKPC schützt und mittlerweile auch zu einem Hinterhof der Terrororganisationen FETÖ geworden ist."
Weniger Besorgnis als ein scharfer Vorwurf klang aus dieser Rede. Auf die meisten Bundesbürger wirkt dies befremdlich. Auch der Politiker Serdar Yüksel, kurdisch-stämmiger Alevit und SPD-Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen, ist empört.
"Es ist natürlich dummes Zeug, der deutschen Regierung zu unterstellen, man würde den Terrorismus unterstützen. Das ist sehr, sehr falsch und auch schon niederträchtig, solch eine Kritik an einen jahrzehntelangen Partner in Europa zu richten. Die PKK ist in Deutschland als terroristische Organisation eingestuft."
So sieht das auch das Bundesinnenministerium. Auf eine Anfrage des Deutschlandfunks teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums schriftlich mit, dass die PKK aus Sicht der Bundesregierung bereits seit 1993 eindeutig eine terroristische Organisation sei und diese Organisation dementsprechend auch einem Betätigungsverbot unterliege. Ihre Mitglieder werden strafrechtlich verfolgt.
Warum weite Teile der Türken in Deutschland dennoch Erdogan glauben, wenn dieser Deutschland die Unterstützung von Terror vorwirft, macht Haluk Yildiz von der BIG-Partei mit einer Ausführung deutlich.
"Wir wissen, dass Deutschland Waffen liefert an die Peschmerga. Das wissen wir, das machen die ja offiziell. Deutschland weiß ganz genau, dass Peschmerga Waffenhandel betreibt. Deutschland weiß ganz genau, dass ein Teil dieser Waffen an die YPG geht. So, YPG bringt türkische Soldaten um, mit sozusagen deutschen Waffen. Das nimmt Deutschland in Kauf."
Grenzen, die ihm die Verfassung setzt, umgeht Erdogan einfach
So die Argumentation vieler Deutsch-Türken. Der türkische Staatspräsident aber wirft der deutschen Politik nicht nur vor, die Streitkräfte der terroristischen PKK mit Waffen zu beliefern. Auch die internationale religiöse Bewegung von Fethullah Gülen werde von Deutschland unterstützt, so Erdogan. Der islamische Gelehrte, der seit 1999 im US-amerikanischen Exil lebt, soll für den Putschversuch verantwortlich sein, wie Staatspräsident Erdogan noch während der Putschnacht im letzten Jahr erklärte. Ein unhaltbarer Vorwurf, sagt Serdar Yüksel:
"Dass die FETÖ, so wird sie in der Türkei genannt, die Hizmet-Bewegung von Fethullah Gülen, die ist natürlich in Deutschland und Europa nicht als terroristische Organisation eingestuft und es gibt auch keinerlei Belege, die die Türkei vorgelegt hätte, das diese Einschätzung rechtfertigen würde."
Diese Bewertung des SPD-Politikers deckt sich mit der Einschätzung des Bundesinnenministeriums. In der schriftlichen Antwort des Ministeriums heißt es:
"Für die angeblich terroristischen Bestrebungen von anderen Organisationen, wie zum Beispiel der Gülen-Bewegung, fehlt bis heute jeder Beleg der türkischen Seite, sodass dementsprechend auch keine Verfolgung durch deutsche Stellen erfolgt. Die Bundesregierung hat die türkische Regierung bereits per Verbalnote aufgefordert, die Vorwürfe entweder zu belegen oder in Zukunft zu unterlassen."
Außerdem haben sich Bund und Länder in Deutschland darauf geeinigt, dass die Türkei künftig in solchen Fällen keine Rechtshilfe mehr von Deutschland erhält. Eine Reaktion auf das Rechtshilfeersuchen Erdogans, mit dem er gegen unter anderem gegen ihn gerichtete Beleidigungen in Deutschland vorgehen wollte.
In der Türkei hingegen stehen Erdogan alle Mittel frei zur Verfügung. Und Grenzen, die ihm die Verfassung setzt, umgeht der türkische Staatspräsident einfach. Der Terrorvorwurf ist dabei eins seiner stärksten Argumente, um unliebsame Gegner zu diskreditieren. Auch der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP wirft er immer wieder eine Nähe zur Terrororganisation PKK vor. Für den SPD-Landtagsabgeordneten Yüksel ist das ein Beispiel für Erdogans Verdrehung der Fakten in seinem Interesse.
"Also wenn jemand eine Nähe zur PKK hatte, dann war das Erdogan und seine Administration. Seit den Osloer Gesprächen von 2007. Es ist ja kein Geheimnis, dass die türkische Regierung mit dem damaligen Ministerpräsidenten Erdogan und seinem Geheimdienstchef Hakan Fidan auf höchster Ebene, über viele Jahre diesen Friedensprozess in Oslo initiiert haben und sich mit hochrangigen PKK-Vertretern auch getroffen haben. Also wenn jetzt die Kritik geäußert wird, die HDP habe Kontakt zur PKK und müsse deshalb inhaftiert und verboten werden, gilt das im gleichen Maße auch für Erdogan und die AKP, die intensive Beziehungen zur PKK unterhalten hat, aus meiner Sicht sogar richtigerweise, um natürlich diesen militärischen Konflikt, der seit vielen Jahrzehnten in der Türkei herrscht, endlich zu befrieden."
Die längst abgebrochenen Friedensverhandlungen mit der PKK nicht mehr zu erwähnen und die kurdische Partei stattdessen komplett unter Terrorverdacht zu stellen, dient dem türkischen Staatspräsidenten dazu, seine Machtposition zu manifestieren. Dass so etwas überhaupt möglich ist, liegt unter anderem an der weit gefassten Terrorismusdefinition in der Türkei, sagt der Sozialwissenschaftler Jörg Becker, emeritierter Professor an der Universität Gießen.
"Sie unterscheidet sich insofern, als die gängige Definition in Deutschland eine sehr eng gefasste Definition ist. Es geht um ein paar hundert Leute, die der Verfassungsschutz hier bei uns als Terrorist definiert, während in der Türkei das eine ganz andere Dimension hat. 500 Leute bei uns und in der Türkei 10.000 oder 80.000, was im Übrigen den Vorwurf des Terrorismus unglaubwürdig macht, wenn du eine derart große Anzahl von Menschen als Terrorist bezeichnest, dann stimmt in deiner Definition etwas nicht."
"Also, wenn man die eigene Bevölkerung polarisieren und auf Linie bringen will, dann konstruiert man einen überbordenden Feind, der fast gar nicht greifbar ist. Das heißt, der 'Feind' wird so konstruiert, dass es ganz viele sein können. Angst ist natürlich eine gute Methode, um die Leute still zu halten."
"Ein autoritärer Staat produziert autoritäre Individuen"
Für Professor Andreas Zick von der Universität Bielefeld, Experte für internationale Konfliktforschung, geht es der türkischen Regierung nur darum, sämtliche Regierungskritiker unter Generalverdacht zu stellen und dadurch die Bevölkerung zu spalten.
"Ein autoritärer Staat produziert autoritäre Individuen. Man ist autoritär gegenüber dem Staat, weil man die Hoffnung hat, dass man zu den Gewinnern am Ende gehört. Dann ist nicht der pure Autoritarismus der Effekt, sondern eigentlich Macht und Kontrolle, denn man sieht ja, dass der türkische Staat nur deswegen noch einigermaßen für Ruhe sorgen kann, weil er mit Macht Autorität durchsetzt."
Auch in Deutschland ist dieser Druck zu spüren, ausgehend vor allem von AKP-Lobbyorganisationen wie der Union Europäisch Türkischer Demokraten, kurz UETD. Die UETD soll jahrelang Moscheen und allen voran DITIB-Gemeinden gezielt unterwandert haben.
So wurden beispielsweise kostenlose Bus-Transfers organisiert, um Gläubige direkt von der Moschee abzuholen und zu Großveranstaltungen zu bringen, etwa zu der Kölner Demonstration gegen den Putschversuch in der Türkei im vergangenen Jahr oder zu den zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen türkischer Ministerpräsidenten. Dass die Haltestellen direkt vor dem Eingang der Moschee eingerichtet wurden, war ein geschickter Schachzug, Religion und Politik zu verknüpfen.
Oder sie organisierten in den Räumen von Moscheegemeinden Veranstaltungen mit AKP-Politikern wie etwa Metin Külünk. Der Erdogan-treue Külünk suchte stets die Nähe zur hiesigen Jugend. Deshalb wird Külünk seitens junger Deutsch-Türken als der "große Bruder Europas" gefeiert. Auch bei der Demonstration in Köln gegen den Putsch im vergangenen Juli war Metin Külünk dabei.
"Dann gucken wir auf die Demo in Köln und stellen fest, da ist massiv sozialer Druck ausgeübt worden. Das hat mit freiwilliger, eigenständiger, reflektierter nationaler Identität nichts zu tun. Das ist Kalkül, Druck in Gruppen, Organisation, Kontrolle. Das widerspricht dem, was Menschen eigentlich wollen, sich frei bewegen. Also sind es andere Dinge. Das ist 'TÜRKIYE First!' Was wir bei Erdogan sehen, sehen wir in Amerika eben auch. Das ist dieser unglaubliche Mythos, dass nun endlich mal ich dran bin. Endlich bin ich mal dran! Das holt hier unglaublich viele Menschen ab."
Die Anziehungskraft populistischer Politik funktioniert aber nicht nur über Inhalte. Wenn sich Erdogan oder andere AKP-Politiker auf ihren Veranstaltungen fotografieren ließen, zusammen mit Tausenden Deutsch-Türken, dann erfüllen sie damit auch ein Bedürfnis nach Nähe und emotionaler Zuwendung. Dass solche Mechanismen funktionieren, liegt auch bei einem Großteil der Deutsch-Türken, so der Sozialwissenschaftler Jörg Becker, an mangelnder Reflexion.
"Wir haben verschiedenartige Gruppierungen unter den türkischen Migranten in Deutschland. Du hast da in einem Drittel türkische Migranten, die nichts Anderes machen, als türkische Medien zu konsumieren. Du hast ein Drittel, was schwankt und du hast ein weiteres Drittel, was völlig übergezogen ist zu nur deutschen Medien. Wenn ich in eine Ditib-Moschee gehe, läuft dort nur und ausschließlich der Regierungsfernsehkanal der AKP."
Die Medienlandschaft in der Türkei gilt seit mehr als drei Jahren als gleichgeschaltet. Das ist die eine Sache. Etwas anderes ist die grundsätzlich fehlende Medienkompetenz, so Professor Andreas Zick.
"Diese Idee von politischer Kompetenz, die mit Medienkompetenz einhergeht, das ist in der Türkei weitgehend nicht vorhanden. Und da haben wir leider auch Autoritarismus. Das ist eine autoritäre Idee. Die Wahrheit hat erstmal die Person, die oben ist. Wir würden sagen: Nein. Die Wahrheit kann auch jemand haben, der ganz unten ist."
"Ein Defizit unserer Integrationsprozesse"
Doch es ist nicht nur eine fast schon unterwürfige Staatstreue seitens der Deutsch-Türken, die dem Staatspräsidenten Erdogan hierzulande eine große Gefolgschaft beschert. Der Sozialpsychologe Andreas Zick sieht den Ursprung für den Erfolg des türkischen Präsidenten unter anderem auch bei Fehlern in der deutschen Integrationspolitik.
"Dass Erdogan so etwas überhaupt sagen kann, dass er so viel Applaus findet, ist eigentlich ein Defizit unserer Integrationsprozesse. Wir haben keine Heimat angeboten. Das macht es Nationalisten ganz einfach. Wir machen ja immer den einen Fehler, dass wir nach den Fähigkeiten der Person gucken. Wir gucken dann, welche Ausstrahlungskraft, welchen Charakter, welche Überzeugungskraft hat eine Person. Diese Personalisierung der ganzen Diskussion führt aber vollkommen in die Irre. Weil, er hat, was die nationale Identität angeht, ein ziemlich leichtes Spiel."
In der Vergangenheit sei es nicht gelungen, die in Deutschland lebende, zum Teil hier geborene türkischstämmige Bevölkerung gleichwertig zu behandeln, so Andreas Zick.
"Was interessant ist, ist dass sich die öffentliche Wahrnehmung der Nicht-Türkinnen und -Türken immer wieder orientiert an uralten Bildern und Stereotypen über Gastarbeiterwanderung und dabei überhaupt nicht zum Vorschein kommt und zum Tragen kommt, dass wir heute in einer gebildeten dritten Generation sind, die nicht mal assimiliert ist, die nicht mal integriert ist, die ein Bestandteil der deutschen Bevölkerung ist."
Bei türkischen Migranten in anderen Ländern sehe es ganz anders aus, so Haluk Yildiz von der BIG-Partei.
"Wie kommt das, dass die Türken in Amerika nicht so drauf sind? Die fühlen sich eher amerikanisch. Man muss Amerika zusammen nach vorne bringen. Wenn man so türkische Jugendliche fragt, die sagen nicht, wir müssen Deutschland zusammen nach vorne bringen und das finde ich sehr schade. Oder deine Großeltern haben doch hart dafür gearbeitet, dass Deutschland nach vorne geht. Aber die sagen 'Naja, die Deutschen, Deutschland waren aber undankbar, guck mal, wie sie mit unseren Eltern umgehen. Die kriegen noch nicht einmal die doppelte Staatsbürgerschaft. Denen hätte man das zumindest als Anerkennung schenken müssen!'"
Die Türkei befindet sich im Augenblick in einer historischen Phase. Am 16. April gibt es das entscheidende Referendum. Dann beschließt die Türkei, ob es zur Abschaffung der parlamentarischen Demokratie kommt oder nicht. Und die 1,4 Millionen in Deutschland lebenden Türken werden über die Zukunft der Türkei mitbestimmen. Der Sozialdemokrat Serdar Yüksel warnt vor einem bevorstehenden Systemwechsel.
"Also es handelt sich nicht um die Einführung eines Präsidialsystems, es handelt sich um die Einführung einer Diktatur. Das muss man auch benennen. Erdogan bestimmt die Gesetze am Parlament und am Ausschuss vorbei und das ist für mich keine Präsidialdemokratie oder ein Präsidialsystem, das ist eine Diktatur."
Währenddessen steigt die Zahl der Asylanträge aus der Türkei noch weiter an. Allein im Januar 2017 seien weitere 570 Asylanträge in Deutschland von Türken eingegangen, so die Antwort der Bundesregierung auf die jüngste Anfrage der Fraktion der Linken im Bundestag. Einer dieser Antragsteller auf Asyl ist auch Cafer Sadik. Sollte der Ausnahmezustand nicht aufgehoben und das Präsidialsystem tatsächlich eingeführt werden, wird er niemals in die Türkei zurückkehren können. Droht doch zudem der türkische Staat derzeit allen Asyl-Antragstellern in Deutschland, ihnen nach einer gewissen Frist die türkische Staatsbürgerschaft abzuerkennen.
"Hauptsache, dass ich meine Familie nachholen kann!" sagt er und geht zurück in Richtung Flüchtlingsheim.