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Vor den Koalitionsverhandlungen
"Es wird noch Bewegung in den Details geben"

Um der SPD den Einstieg in eine Koalition zu erleichtern, müssten die Unionsparteien weitere Zugeständnisse machen, sagte der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann im Dlf. Daher seien die Koalitionsverhandlungen die eigentlichen Hauptverhandlungen. Dabei sei die CSU "der schwierigste Brocken".

Ulrich von Alemann im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    Der CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer (l), der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz (r) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellen sich am 12.01.2018 im Willy-Brandt-Haus in Berlin nach einer Pressekonferenz zu einem Foto auf. Die Spitzen von CDU, CSU und SPD streben eine Neuauflage der großen Koalition an.
    Neuauflage der Großen Koaltion: Partei-Vorsitzende von CSU, CDU und SPD - Horst Seehofer (l), Angela Merkel und Martin Schulz (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Zugehört hat der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Herr von Alemann, ich grüße Sie!
    Ulrich von Alemann: Ich grüße Sie, Herr Münchenberg.
    "Das ist erlebte Demokratie"
    Münchenberg: Herr von Alemann, zunächst einmal eine eher nicht so professionelle Frage. Wie ermüdend finden Sie denn mittlerweile den Prozess zur Regierungsbildung? Oder würden Sie sagen, wir Deutschen sind in dieser Frage einfach zu sehr verwöhnt?
    von Alemann: Ja, ermüdend ist es schon. Es ist wie ein ewiger Triathlon. Die erste Disziplin war die Jamaika-Sondierung; die nächste Disziplin war die Große Koalitions-Sondierung. Jetzt kommt die dritte Disziplin, noch mal ein Marathon, nämlich die Koalitionsverhandlungen für eine Große Koalition. Ja, man ist es manchmal etwas über. Aber andererseits wiederum der Sonntag: Ich musste aus professionellen Gründen die gesamte Übertragung des Parteitages erleben, und das fand ich schon wiederum spannend. Viele die reingeschaut haben, haben gesagt: Ja, das ist erlebte Demokratie. Da ging es wirklich um etwas. Da wurde hart gerungen. Man merkte, beide Seiten hatten wichtige Argumente, und insofern gibt es dann auch wiederum zwischendurch ein Highlight, indem man mal richtig erlebt, wie Entscheidungen zustande kommen.
    "Schulz ist angeschlagen"
    Münchenberg: Lassen Sie uns noch mal auf diesen Sonderparteitag der SPD genauer hinschauen. Da war es ja wohl vor allem Fraktionschefin Andrea Nahles, die die Delegierten mit ins Boot geholt hat, die auch für diese Zustimmung letztlich gesorgt hat. Anders gefragt: Wie angeschlagen ist Ihrer Einschätzung nach inzwischen SPD-Chef Martin Schulz?
    von Alemann: Ja, Schulz ist angeschlagen. Das war nur zu deutlich auch gestern zu sehen. Er hatte seine große Eröffnungsrede bewusst breit auf die übrigen Personen, die bei den Sondierungsverhandlungen dabei waren, abgestellt. Er erwähnte immer wieder bei einzelnen Themenbereichen diejenigen, die dafür bei der Verhandlung verantwortlich waren. Er wollte ganz offensichtlich seine ganze Partei, seine ganze Delegation mitnehmen und mit in die Pflicht nehmen und nicht nur alleine als der Vorsitzende die Verantwortung tragen.
    Es ist richtig, dass die Fraktionsvorsitzende Nahles die größte Emotion, die größte Empathie hineingebracht hat in die Debatte. Aber auch die Eröffnungsrede von Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz war stärker an der Sache orientiert und auch sehr, sehr deutlich. Und auch der andere Ministerpräsident der SPD, nämlich Herr Weil aus Niedersachsen, und Herr Scholz aus Hamburg, also alle drei Ministerpräsidenten der SPD aus diesen drei westlichen Ländern, haben sehr überzeugend, sachlich für ihre Sache gekämpft. Insofern war diese Gruppe zusammen mit Frau Nahles deutlich besser präpariert und präsenter als der Parteivorsitzende selber.
    "Ein Eingeständnis, dass man sich irgendwie geirrt hat"
    Münchenberg: Sie sagen, er ist angeschlagen. Wäre es denn vorstellbar, dass Schulz demnächst auch abtreten muss als Parteivorsitzender der Sozialdemokraten?
    von Alemann: Das ist eine schwierige Frage, weil das nicht die Person Schulz alleine betrifft, sondern praktisch die ganze Partei betrifft – die ganze Partei, die genau noch weiß, dass sie ihn vor einem guten Jahr mit hundert Prozent in dieses Amt gewählt hat. Und es ist ein Eingeständnis, dass man sich irgendwie geirrt hat. Deswegen, glaube ich, wird Schulz noch eher weiter amtieren, aber er wird sich in ein Team einfügen müssen. Es wird noch unklar werden, ob er in die Regierung wirklich mit eintritt. Den Fraktionsvorsitz kann er Frau Nahles aber auch nicht streitig machen, die dafür unabdingbar ist und für ihre Partei dort Flagge zeigen muss. Also es wird schwierig, wie er sich in einer Großen Koalition in der SPD, in der Großen Koalition wirklich positionieren wird.
    "Der SPD den Sprung in die Große Koalition erleichtern"
    Münchenberg: Nun stellt ja die SPD Nachforderungen, etwa in der Gesundheits- oder auch in der Migrationspolitik. Hat das die Union, Ihrer Einschätzung nach, schon bei den Sondierungsgesprächen, die ja abgeschlossen sind, längst eingepreist? Oder anders gefragt: Geht da noch was aus SPD-Sicht, weil die Union sowieso damit gerechnet hat, dass hier noch Nachforderungen kommen werden?
    von Alemann: Die Union kennt auch den Zeitplan, den Zeitplan, den sich die SPD selber gesetzt hat, dass sie alles noch durch einen Mitgliederentscheid bekräftigen lassen muss am Ende. Ob das wirklich eingepreist ist, kann ich nicht sagen. Aber ich meine, die Union, darüber reden wir jetzt häufig, aber die Zerrissenheit der SPD, die vorhin schon angesprochen wurde, entspricht natürlich der Zerrissenheit der Union selber zwischen CDU und CSU und die beiden ziehen an verschiedenen Enden eines Stranges zurzeit immer noch und sind sich sicherlich in der Strategie und Taktik nicht völlig einig. Deswegen kann man zu diesen Koalitionsverhandlungen sagen, das sind keine Nachverhandlungen; das sind die eigentlichen Hauptverhandlungen.
    Da wird es noch Bewegung in den Details geben. In den Formulierungen wird es Bewegung geben. Und wenn Frau Merkel als die amtierende Kanzlerin wirklich mit allem, was sie im Augenblick politisch erreichen will, diese Große Koalition ins Amt bringen will, verwirklichen will, dann wird sie wissen, dass sie durchaus noch gewisse Zugeständnisse machen muss, um der SPD den Sprung in die Große Koalition zu erleichtern.
    "CSU auf Landtagswahl im kommenden Herbst fixiert"
    Münchenberg: Herr von Alemann, ketzerische gefragt: Wäre es denn vorstellbar, dass die GroKo scheitert, weil sich CDU und CSU nicht einigen können?
    von Alemann: Es ist vorstellbar. Was so durchgesickert ist von der Vertrauensbasis der Gespräche, der Sondierungsgespräche, das lässt nichts Gutes erahnen. Es ist denkbar, weil die CSU fixiert ist auf ihre Landtagswahl im kommenden Herbst und auf ihre eher konservativen Wähler in Bayern. Deswegen wird sie versuchen, zu mauern in diesen jetzigen Koalitionsverhandlungen. Ob es wirklich zum großen Riss kommen wird in der Union, das ist eher unwahrscheinlich. Das hat schon oft vor der Tür gestanden und ist dann doch nicht gekommen. Aber in der Tat: Die CSU ist der schwierigste Brocken in diesen Verhandlungen, die da vor uns liegen.
    "Mitgliederentscheidung ist die leichtere Hürde"
    Münchenberg: Was ist denn Ihrer Einschätzung nach die größere Hürde für eine GroKo? Der SPD-Parteitag gestern, wo man beschlossen hat, die Koalitionsgespräche zu eröffnen? Oder noch die Basisbefragung dann am Ende der Koalitionsgespräche?
    von Alemann: Auch wenn die Stimmung an der Basis nicht gut ist und die Basis nicht euphorisch für eine Große Koalition ist, glaube ich doch, dass der Parteitag die größere Hürde gewesen ist, die jetzt so gerade übersprungen wurde. In der breiten Mitgliedschaft, fast 450.000 Mitglieder, dominieren eher die älteren Mitglieder. Die SPD ist in ihrer Mitgliedschaft eher überaltert, wie auch die Union. Da, glaube ich, sind die klaren auch ideologischen Positionen, die bei den mittleren Parteieliten, wie wir sie nennen, also den Delegationen zu Bundesparteitagen, diese Festlegungen sind dort weniger ausgeprägt. Deswegen glaube ich eigentlich auch nach den Erfahrungen von 2013, wo wir bereits einen Mitgliederentscheid hatten, dass die Mitgliederentscheidung die leichtere Hürde ist.
    "Jusos müssten schon 100.000 neue Mitglieder aktivieren"
    Münchenberg: Nun trommeln die Jusos jetzt und sagen, neue Mitglieder sollen eintreten, damit man eine GroKo doch noch verhindern kann. Auf der anderen Seite sind damals ja sehr viele Menschen in die SPD eingetreten, als Martin Schulz Parteivorsitzender geworden ist mit der Ankündigung, letztlich doch nicht wieder eine GroKo machen zu wollen. Könnte das nicht doch noch mal für Unruhe sorgen an der Parteibasis?
    von Alemann: Dann müssten die Jusos schon 100.000 neue Mitglieder aktivieren, was ja für die Belebung unserer Parteienlandschaft sehr positiv wäre. Aber ich glaube nicht, dass ihnen das gelingen wird. Wenn eine Verjüngung einer der großen Parteien erreicht wird, ist das ja sehr positiv, aber dass es über diese Juso-Strategie gelingen wird, das Mitgliedervotum entscheidend zu verändern, das kann ich mir nicht vorstellen.
    "GroKo auf keinen Fall am Niedergang der SPD schuld"
    Münchenberg: Eine letzte Frage noch. Das Hauptargument der GroKo-Gegner heißt ja auch immer, dass die Sozialdemokraten sich nur in der Opposition erneuern könnten. Halten Sie dieses Argument eigentlich für stichhaltig?
    von Alemann: Nein, das halte ich für einen absoluten Mythos, denn man hatte ja die Chance während der Regierung Merkel-Westerwelle von 2009 bis 2013. Da war man in der Opposition vier Jahre. Man hätte sich verjüngen können. Aber auch die nächste, die dann folgende Wahl ging nicht gut aus für die SPD. Und es gibt viele Beispiele auch in den Ländern, dass dies nicht gelungen ist. Außerdem hat die SPD auch andere Wahlen verloren, in denen sie nicht in einer Großen Koalition stand, zum Beispiel im großen Bundesland Nordrhein-Westfalen jetzt gerade kürzlich. Die Große Koalition ist auf gar keinen Fall alleine am Niedergang der SPD schuld.
    Münchenberg: … sagt der emeritierte Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann von der Universität Düsseldorf. Herr von Alemann, vielen Dank für das Gespräch.
    von Alemann: Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.