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Vor den Syriengesprächen in München
Keine Kompromissbereitschaft der Russen oder des syrischen Regimes

Russland hat sich bereit erklärt, über eine Waffenruhe für Syrien zu reden. Daniel Gerlach, Chefredakteur der Zeitschrift "Zenith" ist skeptisch. Moskau und seine syrischen Verbündeten würden erst dann einen Waffenstillstand eingehen, wenn es ihnen gelungen ist, die Opposition soweit niederzukämpfen, dass sich Waffenstillstandsverhandlungen "de facto erübrigen", sagte er im DLF.

Daniel Gerlach im Gespräch mit Peter Kapern |
    Daniel Gerlach, Chefredakteur der Zeitschrift "Zenith"
    Daniel Gerlach, Chefredakteur der Zeitschrift "Zenith" (Zenith)
    Peter Kapern: Eilmeldung aus Moskau heute Früh: "Wir sind bereit, in München über einen Waffenstillstand für Syrien zu sprechen." So zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den stellvertretenden russischen Außenminister Gennadi Gatilow. Dieser Waffenstillstand wäre ja schon ein gutes Stück näher gerückt, wenn die russische Luftwaffe ihre Angriffe auf Aleppo einstellen würde. 50.000 Menschen sind bislang aus der Stadt geflohen, sagen die Vereinten Nationen. 300.000 sind noch dort und denen gehen jetzt auch noch die Wasservorräte aus. Keine Frage: Es steht viel auf dem Spiel heute Nachmittag in München. In unserem Hauptstadtstudio in Berlin ist Daniel Gerlach, Chefredakteur von "Zenith", der Zeitschrift für den Orient. Guten Tag, Herr Gerlach.
    Daniel Gerlach: Guten Tag.
    Kapern: Herr Gerlach, wenn Moskau nun signalisiert, über einen Waffenstillstand sprechen zu wollen, wie ist das zu bewerten?
    Gerlach: Na so, wie es vorher zu bewerten war. Die russische Regierung und ihre syrischen Verbündeten in Syrien werden meiner Meinung nach dann einen Waffenstillstand eingehen, wenn es ihnen gelungen ist, die Opposition soweit niederzukämpfen, dass de facto sich Waffenstillstandsverhandlungen eigentlich erübrigen. Man kann jetzt nicht davon ausgehen, dass die Russen oder das syrische Regime in irgendeiner Form kompromissbereit wären, und wir haben es hier ja auch mit einem sehr asymmetrischen Verhältnis zu tun. Wir müssen ja gucken, wer verhandelt hier eigentlich in München mit wem. Die eine Macht, nämlich Russland, ist militärisch offensiv aktiv. Das heißt nicht, dass Amerikaner und Europäer nicht aktiv wären in Syrien, aber sie greifen nicht auf diese Art und Weise in den Konflikt ein. Und das Szenario ist ganz klar: Russland wird versuchen, der syrischen Armee dazu zu verhelfen, an die türkische Grenze vorzudringen und die Nester der bewaffneten Opposition von ihrer Nachschublinie abzuschneiden und ein Korridor zu errichten, der von der Mittelmeerküste entlang der Grenze bis in die kurdischen Gebiete gehen soll. Das ist das Szenario, was Russland im Schilde führt, und da kann man jetzt viel verhandeln, aber bis das nicht durchgesetzt ist, wird man auch nicht mit einem Waffenstillstand rechnen können.
    "Was sind die Voraussetzungen dafür, das Blutvergießen zu verändern?"
    Kapern: Wie weit ist denn dieser Punkt noch entfernt, von dem Sie sagen, das sei der Punkt, an dem die Opposition im Prinzip niedergekämpft sei?
    Gerlach: Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es hängt auch davon ab, ob die Regime-Truppen und ihre Verbündeten es tatsächlich jetzt wagen werden, nicht nur Aleppo einzuschließen - Aleppo, die ehemals Millionenstadt, in der immer noch einige hunderttausend Menschen leben -, im Norden, eigentlich die zweitwichtigste Stadt Syriens, ob sie wirklich eindringen wollen in die Stadt und die Stadt versuchen werden zu kontrollieren, oder ob sie sie nur einschließen wollen, um dann im Grunde die Verbindungen in die Türkei zu kappen. Ich denke mal, das steht jetzt als erstes auf der Agenda, weil das mit weit weniger Aufwand und Risiken verbunden ist, denn eine Stadt wie Aleppo zu kontrollieren, das ist gefährlich und auch verlustreich. Ich denke, das hängt von verschiedenen Faktoren ab, aber theoretisch ist das Regime und sind seine Verbündeten von diesem Szenario nicht mehr sehr weit, und wir sehen ja auch, dass die sogenannten kurdischen Selbstverteidigungskräfte auch von dieser Situation profitieren und versuchen, diesen Korridor auch ein Stück weit zu schließen. Das ist im Grunde ein Szenario, was schon seit letztem Sommer diskutiert wird, und seit dem Eingreifen Russlands im Herbst, das dann ja auch ohne Gegenwehr stattgefunden hat, konnte man eigentlich sehen, dass dieses Szenario sich immer weiter verdichtet.
    Kapern: Könnte man denn verhindern, dass das russische Kalkül aufgeht? Oder anders gefragt: Sollte man, darf man überhaupt versuchen, das zu verhindern, oder würde das alles dann noch schlimmer machen?
    Gerlach: Die Frage, ob man das sollte oder ob man das darf, möchte ich Ihnen hier nicht beantworten. Ich kann Ihnen aber sagen, ob man es verhindern könnte, und ich denke, ja. Nur wir müssen uns über eines im Klaren sein: Was sind die Voraussetzungen dafür, nicht für eine politische Veränderung im Land oder für den Sturz des Regimes, sondern dafür, das Blutvergießen zu verändern? Die eine Möglichkeit ist, dass sich die verschiedenen Konfliktparteien auf einen Waffenstillstand einigen. Die andere ist, dass eine der Konfliktparteien mit Waffengewalt den anderen für sich in eine Position bringt, den anderen ihren Willen mit militärischen Mitteln aufzuzwingen und sie quasi gewaltsam zu entwaffnen. Die Russen sind der Ansicht, dass sie im Interesse einer Konfliktlösung handeln, wenn sie einer Seite, nämlich dem syrischen Regime, zu einem militärischen Sieg verhelfen, und ich habe schon den Verdacht, auch wenn es sehr heftig kritisiert wird, dass sich im Westen, auch in der westlichen Diplomatie, aber auch in einigen Regionalmächten vor Ort im Nahen Osten die Überzeugung durchgesetzt hat, wenn man nicht selber militärisch aktiv werden möchte, dann lässt man sich wohl oder übel auf dieses Szenario ein. Man kritisiert es zwar und wirft Russland vor, hier für die Flüchtlingsströme verantwortlich zu sein; letztendlich ist es aber vielleicht auch ganz opportun zu sagen, dann wird dieser Konflikt mit Gewalt beendet, in der Hinsicht, dass das Assad-Regime wieder errichtet wird und ihr Herrschaftsmonopol etabliert. Was dann mit dem sogenannten Islamischen Staat passiert, ist eine andere Geschichte. Ich weiß nicht, ob wir das noch Zeit haben, jetzt zu diskutieren.
    "Der sogenannte Islamische Staat legitimiert das Assad-Regime"
    Kapern: Das machen wir garantiert gleich noch anschließend. Aber zunächst muss ich Sie noch fragen, Herr Gerlach: Wer sind diese Regionalmächte, auf die Sie gerade angespielt haben, die sozusagen stillschweigend den militärischen Sieg der Seite Baschar al-Assads und Moskaus hinnehmen?
    Gerlach: Ich denke, dass zum Beispiel Ägypten eine solche Macht ist, eine arabische Führungsmacht, auch andere arabische Staaten, die ihre Haltung in dieser Angelegenheit geändert haben. Ich denke auch, dass selbst bei den Golf-Staaten man beobachten konnte, dass die uneingeschränkte militärische und finanzielle Unterstützung der bewaffneten Oppositionsgruppen in den letzten Wochen ziemlich abgenommen hat. Da geht es natürlich jetzt um die Glaubwürdigkeit. Saudi-Arabien möchte sich damit nicht abfinden, die Türkei eigentlich auch nicht. Aber mangels Alternativen muss man sich natürlich fragen: Entweder geht man jetzt ganz rein, oder gar nicht. Es gibt natürlich die Möglichkeit, seitens Saudi-Arabiens oder der Türkei die wenigen bewaffneten Rebellen, die es noch gibt, mit Luftabwehrgerät auszurüsten. Die Möglichkeit gibt es. Das haben aber meiner Beurteilung nach die Amerikaner und andere westliche Mächte, die mit diesen Mächten ja irgendwie im Bündnis stehen, insbesondere mit der Türkei, nicht zulassen wollen. Die Frage ist, ob das jetzt militärisch tatsächlich den Kriegsverlauf völlig verändert hätte. Dies steht jetzt noch außen vor. Aber es hätte durchaus die Möglichkeit gegeben, natürlich diese bewaffnete Opposition stärker aufzurüsten. Dafür hätte man ihr aber tatsächlich vertrauen müssen und das sehe ich trotz aller Loyalitäts- und Sympathiebekundungen derzeit eigentlich nicht gegeben.
    Kapern: Ja, Herr Gerlach, und jetzt haben wir noch knappe zwei Minuten, um zu erörtern: Was passiert mit dem IS, wenn tatsächlich das russische Kalkül eines Sieges über die Rebellen aufgeht?
    Gerlach: Ja. Der sogenannte Islamische Staat legitimiert das Assad-Regime und legitimiert auch andere politische Projekte in der Region. Das heißt, der Islamische Staat ist derzeit weder das, was dem Assad-Regime das größte Kopfzerbrechen macht, geschweige denn den Russen, sondern es ist im Grunde ein willkommener Feind, mit dem man sich später beschäftigen kann, denn wenn die Alternative da ist, entweder Daesch, dieser sogenannte Islamische Staat, dieses Terrorkalifat, oder das Assad-Regime, dann ist wohl völlig klar, für wen sich die internationale Diplomatie entscheiden wird, und dieses Szenario herzustellen, ist eines der Sekundärziele dieser derzeitigen Kampagne.
    Kapern: Das heißt, der IS verhilft Baschar al-Assad nun erst mal zum Überleben, und wie man dann mit dem Problem anschließend umgeht, das ist völlig unkalkulierbar bislang?
    Gerlach: Unkalkulierbar ist das nicht. Ich gehöre zu denjenigen, die auch schon seit 2014 behaupten, dass dieser sogenannte Islamische Staat militärisch schlagbar ist, dass nur die entsprechenden Weichen gestellt werden müssten und vor allem man zeigen müsste, dass man auch diesen Islamischen Staat schlagen will. Diesen Eindruck habe ich nicht, dass das tatsächlich in letzter Konsequenz geschehen ist in der vergangenen Zeit, und es ist auch keine Verschwörungstheorie zu sagen, dass dieser sogenannte Islamische Staat vielen Mächten in der Region, insbesondere aber dem Assad-Regime Legitimität verliehen hat und letztendlich dafür verantwortlich ist, dass sie überhaupt noch existieren.
    Kapern: … sagt Daniel Gerlach, der Chefredakteur der Zeitschrift "Zenith". Herr Gerlach, danke, dass Sie heute Mittag Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
    Gerlach: Ich danke Ihnen auch gleichfalls.
    Kapern: Tschüss nach Berlin!
    Gerlach: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.