Tobias Armbrüster: Wie steht Griechenland aktuell wirtschaftlich da?
Klemens Kindermann: Auf jeden Fall besser als auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise vor vier Jahren. Das waren im Juli 2015 dramatische Tage, als es fast so aussah, als würde Griechenland aus dem Euro herausbrechen, als die EZB Notkredite für eine Woche bewilligte, damit überhaupt noch Geld aus den Automaten in Griechenland kam.
Diese Zeiten sind vorbei, die Wirtschaft wächst, wenn auch nur wenig: 0,2 Prozent im ersten Quartal. Immerhin wird für das Gesamtjahr mit einem Wachstum von etwas mehr als zwei Prozent gerechnet. Die Arbeitslosenzahl liegt nicht mehr bei 27 Prozent, sondern bei 18 Prozent. Aber Sie sehen, Herr Armbrüster, wir reden hier insgesamt von einer sehr relativen Besserung.
Immer noch die höchste Schuldenquote
Armbrüster: Ein großes Problem waren die Finanzen des Landes, wie ist es um sie jetzt bestellt?
Kindermann: Das ist nach wie vor schwierig. Griechenland hat in Europa immer noch die höchste Schuldenquote, das ist das Verhältnis der Gesamtverschuldung zur Wirtschaftskraft. Zuletzt waren das 180 Prozent – zum Vergleich: das Eurosystem lässt eigentlich nur maximal 60 Prozent zu.
Die Banken haben in ihren Büchern immer noch jede Menge fauler Kredite: Der Anteil der gefährdeten Kredite liegt für Griechenland bei sagenhaften 43 Prozent. Selbst für Italien sind das nur knapp 10 Prozent.
Aber das wichtigste für die Griechen und wirklich die entscheidende Sauerstoffzufuhr: Im letzten Sommer wurden sie nach acht Jahren aus dem Rettungsprogramm der europäischen Partner und des Internationalen Währungsfonds entlassen und haben damit endlich wieder Zugang zu den Kapitalmärkten.
Umfragen deuten auf das Ende von Tsipras hin
Armbrüster: Ist damit zu rechnen, dass die Wähler am Sonntag diese bescheidenen wirtschaftlichen Fortschritte honorieren?
Kindermann: Eher nicht. Die Umfragen deuten darauf hin, dass der amtierende Regierungschef Alexis Tsipras das Nachsehen haben könnte, weil er das europäische Spar-Programm für sein Land strikter umgesetzt hat als gedacht. Der neue Mann könnte der konservative Kyriakos Mitsotakis sein, der den Wählern folgendes verspricht:
"Das Land braucht eine große Investitionsexplosion. Wir müssen den Kuchen vergrößern. Alle Griechen müssen dann vom wachsenden Wohlstand Gewinne haben. Das werden wir erreichen, indem wir die Steuern senken für alle Griechinnen und Griechen, für alle Unternehmer – egal, ob groß oder klein. Ein Unternehmen ist dann gut, wenn es gute Löhne zahlt."
Steuersenkungen für alle – das kommt bei den Wählern ziemlich gut an.
Armbrüster: Kurz zum Schluss: Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, könnte neue Präsidentin der EZB werden. Ist das für Griechenland relevant?
Kindermann: Oh ja, sehr. Denn in der Griechenlandkrise gehörte die IWF-Chefin Lagarde zu denen, die sehr strikte Auflagen für die milliardenschweren Hilfskredite durchsetzte. Sollte Athen nochmals in die Krise geraten, hätte Griechenland mit Lagarde eine wahrscheinlich ziemlich unerbittliche Verhandlungspartnerin – dann bei der noch wichtigeren Europäischen Zentralbank.