Christiane Kaess: Was sind die Gemeinsamkeiten zwischen Wilders' und Le-Pen's -Anhängern?
Koen Damhuis: Die große Übereinstimmung zwischen dem Front National und der PVV ist, dass sowohl Le Pen als auch Wilders eine sehr gemischte Wählerschaft haben. Ich unterscheide in den Niederlanden drei Hauptwege zu Wilders: Einen nenne ich "Kontributionismus". Das heißt: Menschen wählen die PVV, weil sie glauben, dass Migranten eine Belastung darstellen. Und dass sie selbst in der Gesellschaft zu viel beitragen.
Sie glauben, wenn man zur niederländischen Gesellschaft gehören will, dann muss man einen Beitrag leisten. Es sind Leute, die oft ihre Ausbildung nicht beendet haben. Aber sie sind doch relativ weit gekommen und es geht ihnen wirtschaftlich gut. Sie glauben, ihren Erfolg haben sie nur sich selbst zu verdanken. Und dann kommt der Staat und pflückt die Früchte von ihrem Einsatz und verschenkt diese einfach: an Glückssucher, an Griechenland Entwicklungshilfe und so weiter.
In den Niederlanden haben diese Wähler früher oft für die rechtsliberale VVD des jetzigen Premierministers Rutte gestimmt und gehören eher dem Mittelstand an. Sie selbst haben ihren Erfolg oft außerhalb der Schulmauern geschafft, außerhalb des staatlichen Bildungssystems. Und jetzt stimmen sie auch für eine Anti-System-Partei. Ihre Motivation, Wilders zu wählen ist dieselbe, die ich in Frankreich bei Front-National-Wählern sehr oft sehe.
Sie glauben, wenn man zur niederländischen Gesellschaft gehören will, dann muss man einen Beitrag leisten. Es sind Leute, die oft ihre Ausbildung nicht beendet haben. Aber sie sind doch relativ weit gekommen und es geht ihnen wirtschaftlich gut. Sie glauben, ihren Erfolg haben sie nur sich selbst zu verdanken. Und dann kommt der Staat und pflückt die Früchte von ihrem Einsatz und verschenkt diese einfach: an Glückssucher, an Griechenland Entwicklungshilfe und so weiter.
In den Niederlanden haben diese Wähler früher oft für die rechtsliberale VVD des jetzigen Premierministers Rutte gestimmt und gehören eher dem Mittelstand an. Sie selbst haben ihren Erfolg oft außerhalb der Schulmauern geschafft, außerhalb des staatlichen Bildungssystems. Und jetzt stimmen sie auch für eine Anti-System-Partei. Ihre Motivation, Wilders zu wählen ist dieselbe, die ich in Frankreich bei Front-National-Wählern sehr oft sehe.
Kaess: Aber das sind nicht diejenigen, die sich benachteiligt fühlen?
Damhuis: Nein, die nenne ich die "Zurückversetzen". Das sind Menschen aus den unteren sozialen Schichten des Zusammenlebens. Für sie sind Migranten nicht so sehr eine Belastung, sondern eher ein Bedrohung. Diese Wilders-Wähler identifizieren sich als Niederländer, und sie setzen sich selbst ab von verschiedenen ausländischen Gruppen. Das können polnische Arbeitskräfte sein, die eine Bedrohung auf dem Arbeitsmarkt darstellen, oder Asylsucher, die Vorrang bekommen, wenn es um eine Wohnung geht.
"Es geht ihnen um eine Bedrohung der niederländischen Identität"
Aber die Struktur ist immer die gleiche und die besteht aus drei Schichten: In der Mitte sehen sie sich selbst. Sie haben das Gefühl, dass sie ungleich behandelt werden – durch Politiker da oben oder auch durch einen Chef, also durch die Elite, die wiederum Menschen unter ihnen bevorzugt. Menschen unter ihnen und mit einer ausländischen Herkunft. Sehr oft höre ich von ihnen: Ich habe nichts, ich habe Mühe, um am Monatsende alles bezahlen zu können, die Gesundheitskosten steigen. Und die Migranten kommen hierher und bekommen alles auf dem Präsentierteller! Statistisch kann ich das nicht belegen, aber ich habe den Eindruck, dass diese Gruppe sehr groß ist.
Kaess: Wer ist die dritte Gruppe?
Damhuis: Ich nenne sie die "radikal Konservativen". Das sind Menschen aus der höheren sozialen Schicht, sie sind besser ausgebildet. Sie haben ein viel ideologischeres Verhältnis zur Politik. Wenn es um politische Vorlieben geht, dann sprechen sie zum Beispiel über christlich humanistische Werte, die in Bedrängnis sind durch muslimische Migranten. Sie sprechen über die Souveränität der Niederlande gegenüber supranationaler Zusammenarbeit, über die europäische Integration.
Es geht ihnen also vor allem um eine Bedrohung der niederländischen Identität und Demokratie. Den politischen Status quo in der Politik wollen sie radikal verändern. Es geht darum, die nationale Identität und kulturelle Freiheiten zu bewahren, auch die eigene Religion. Ein Mann in einem Interview in meinem Buch macht sich vor allem Sorgen um kulturelle Freiheiten, die verschwinden könnten durch den zunehmenden Einfluss des Islam.
Es geht ihnen also vor allem um eine Bedrohung der niederländischen Identität und Demokratie. Den politischen Status quo in der Politik wollen sie radikal verändern. Es geht darum, die nationale Identität und kulturelle Freiheiten zu bewahren, auch die eigene Religion. Ein Mann in einem Interview in meinem Buch macht sich vor allem Sorgen um kulturelle Freiheiten, die verschwinden könnten durch den zunehmenden Einfluss des Islam.
"Das Ziel Wilders' ist die De-Islamisierung der Niederlande"
Kaess: Der Mann, von dem Sie sprechen, ist homosexuell. Er macht den Eindruck, dass ausgerechnet Wilders für ihn liberale Werte von Freiheit verkörpert. Wie kann das sein?
Damhuis: Wilders hat hier eine Art Vorteil, weil seine eigene Freiheit beschränkt wird. Er wird ständig bewacht. Das gibt ihm ein eine Art Aura als großer Vorkämpfer der Freiheit und seiner Partei für die Freiheit. Aber in der Tat, werden auch progressive Werte eingesetzt, um das Ziel von Wilders zu erreichen. Das ist die De-Islamisierung der Niederlande. Darum geht es ihm und das sagt er auch wortwörtlich in seinen Interviews und im Parteiprogramm. Das ist der Kernpunkt.
Kaess: Bei dieser radikal konservativen Gruppe, von der Sie sagen, es seien vor allem eher gebildete Leute, sehen diese Menschen nicht, dass in den Niederlanden etwa nur fünf Prozent Muslime wohnen, und dass es nicht um einen "Tsunami" geht, wie Wilders das ausdrückt?
Damhuis: Es ist eher eine Tendenz, vor der sie Angst haben und die Idee, dass es jetzt vielleicht noch geht, aber wenn sich nicht radikal etwas verändert, es in der Zukunft sehr schlimm wird.
Kaess: Und was für ein Problem haben Wilders-Wähler mit der EU?
Damhuis: Das ist interessant und das hatte ich so nicht erwartet: Für viele Menschen spielt Europa nicht direkt eine Rolle. Bei denen, die ich als radikal konservativ bezeichne, kommt das Thema Europa am stärksten vor. Aber dass wir in den Niederlanden nicht mehr unser eigener Herr sind, das höre ich öfter. Und das greift Wilders auf. Er sagt: Grenzen zu. Wenn Ihr für mich stimmt, dann werden wir wieder Chef im eigenen Land und können über uns selbst bestimmen.
Ich habe in meinen Gesprächen mit PVV-Wählern oft gefragt: Wenn Wilders an die Macht kommt, was sollte er als erstes verändern? Und die häufigste Antwort war: Grenzen zu. Europa wird gesehen als Teil des Problems und nicht als Lösung: Europa ist schuld, dass die Grenzen offen sind und Menschen ins Land kommen, die in den Augen von Wilders-Wählern unerwünscht sind.
Ich habe in meinen Gesprächen mit PVV-Wählern oft gefragt: Wenn Wilders an die Macht kommt, was sollte er als erstes verändern? Und die häufigste Antwort war: Grenzen zu. Europa wird gesehen als Teil des Problems und nicht als Lösung: Europa ist schuld, dass die Grenzen offen sind und Menschen ins Land kommen, die in den Augen von Wilders-Wählern unerwünscht sind.
"Mit seinen linken Themen käme Wilders sehr schnell unter Druck"
Wilders verspricht radikale Veränderungen in diesen Bereichen. Aber angenommen, er käme jemals an die Macht, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass er seine Versprechen nicht wahr machen könnte. Er hat sowohl linke als auch rechte Themen. Er müsste aber wahrscheinlich mit rechten Parteien regieren. Mit seinen linken Themen käme er dann sehr schnell unter Druck und könnte sie nicht umsetzen. Obwohl es eine große Wählergruppe gibt, die genau das erwartet.
Kaess: Warum wollen seine Wähler Wilders dann ihre Stimme geben, wenn er Dinge verspricht, die er doch nicht einhalten kann?
Damhuis: Na gut, auf der anderen Seite fragen die Leute dann: Und Premierminister Rutte? Der hat gesagt: Wir geben kein Geld mehr an Griechenland, oder wir werden beim Referendum zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine auf das Volk hören und er tut es doch nicht. Ich sehe da eine politische Vertrauenskrise.
Kaess: Wie sollten die anderen Parteien mit Wilders umgehen?
Damhuis: Wilders macht Folgendes: Die alten Gegensätze von früher, wie: links, rechts, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Arme und Reiche, die ersetzt er durch den Gegensatz: national und ausländisch. Und unter diesen großen Schirm kann er alle Themen stellen. Er kann sich sowohl einsetzen für Sozialhilfe für arme Niederländer oder das Gesundheitswesen, also typisch linke Themen, als auch für Steuersenkungen oder bessere Kriminalitätsbekämpfung, also typisch rechte Themen.
"Die Niederlande brauchen das Ausland"
Und das immer in diesem Rahmen: die Niederlande gegen das Ausland. Diesen Rahmen nehmen jetzt auch immer mehr die traditionell rechten Parteien an. Manchmal sogar die linken Parteien. Aber schon Jean-Marie le Pen hat gesagt: Die Menschen haben lieber das Original als die Kopie. Sie sehen tatsächlich, dass Wilders hier derjenige ist, der am radikalsten und am mutigsten dafür steht.
Wenn ich anderen Parteien einen Rat geben sollte, dann würde ich sagen: Sie sollten besser darstellen, dass internationale Interessen nicht automatisch gegen nationale Interessen verstoßen. Dass die Niederlande das Ausland brauchen, in allen möglichen Bereichen, wie Klimawandel, Kampf gegen den Terrorismus, Steuerhinterziehung. Es gibt alle möglichen Themen im Moment, die grenzüberschreitend sind. Und da – habe ich zumindest den Eindruck – dass Politiker besser deutlich machen könne, dass die für die Niederlande von Interesse sind.
"Wilders ist radikaler als Marine Le Pen"
Kaess: Viele PVV-Wähler stimmen den ganz radikalen Forderungen von Wilders nicht zu, zum Beispiel: alle Moscheen zu schließen oder keine Muslime mehr ins Land zu lassen. Ist Wilders für viele schon zu radikal geworden?
Damhuis: Ja, sicher. Es ist ein Spannungsfeld. Auf der einen Seite die Radikalität. Auf der Seite muss Wilders zeigen, dass er zum Regierungschef fähig ist. Aber er muss sich radikal unterscheiden von anderen Parteien. Das sieht man auch bei Marine Le Pen. Die stellt sich jetzt immer präsidentieller dar, um den Wählern zu sagen: Stimmt für mich, denn ich werde Euch zeigen, dass ich das Land führen kann. Wenn man das mit Wilders vergleicht, ist er radikaler als Marine Le Pen. Und so stellt er sich auch dar. Von Marine Le Pen habe ich den Eindruck, dass sie mehr den Willen hat, auch tatsächlich Präsidentin zu werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.