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Vor den Wahlen in Litauen
Resignation und Enttäuschung

Niedrige Löhne, kaum Rente, fehlende Perspektiven: Wer es sich leisten kann, verlässt Litauen. Vor allem junge Menschen kehren ihrem Heimatland den Rücken. Die Politiker versprechen vor der Parlamentswahl am Sonntag mehr Investitionen in Bildung und Wirtschaft. Die Bevölkerung bleibt skeptisch.

Andreas Sperling |
    Litauen vor der Wahl: Plakate in der Kreisstadt Utena
    Die Politiker versprechen der litauischen Bevölkerung ein besseres Ausbildungssystem und mehr Jobs. (Deutschlandradio / Michael Frantzen)
    Wer die Menschen in Litauen jetzt - wenige Tage vor der Wahl - nach der Stimmung im Land fragt, erntet vor allem eines: Resignation und Enttäuschung. Auch nach dem Linksruck 2012 habe sich an der Politik und den Lebensbedingungen im Land wenig geändert, sagt zum Beispiel dieser Mann. Vaidas. Er ist 37, arbeitet auf einer Baustelle.
    "Die sind alle gleich, wie auch früher. Alle kommen mit dem einen Ziel: sich zu bereichern. Schlechte Gesetze, niedrige Löhne, geringe Renten. Die Menschen wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Ich bin sehr unsicher wegen meiner Zukunft. Vielleicht sollte ich auswandern, so wie viele andere das auch tun."
    Junge Menschen wandern aus
    Die Abwanderung ist das große Problem. Vor allem junge Menschen verlassen scharenweise das Land. Matas zum Beispiel. Er ist 25. Vor sieben Jahren hat er seiner Heimat den Rücken gekehrt.
    "Ich bin zum Studium nach England gezogen. Und ich bin da geblieben. In Litauen ist es schwierig, Geld zu verdienen, und etwas zurückzulegen. Man muss auf Vieles verzichten, um genug für einen Urlaub oder für eine Wohnung zu haben. Ich will aber auf jeden Fall zurückkommen und helfen, ein besseres Litauen aufzubauen."
    Auf Menschen wie Matas setzt auch der Ministerpräsident. Algirdas Butkevicius von den Sozialdemokraten. Er sieht es durchaus selbstkritisch, dass es nicht gelingt, die jungen Leute im Land zu halten, ihnen eine gute Ausbildung und einen zukunftssicheren Job zu geben.
    "Die Abwanderung ist ein ganz großes Problem. Die Löhne sind noch zu niedrig, außerdem hatten wir eine Phase, wo es schwer war einen Job zu finden. 2009 z. B. haben 38.000 Menschen Litauen verlassen. 2010 waren es schon 83.000. Um dieses Problem müssen wir uns schnell kümmern - damit die Zahl der Auswanderer kleiner und die Zahl der Heimkehrer größer wird."
    Angst vor Russland
    Der Herausforderer bei der Wahl fordert mehr Investitionen, ein modernes Ausbildungssystem. Und Andrius Kubilius von der konservativen Vaterlandspartei hält höhere Verteidigungsausgaben für unausweichlich. Denn Litauen fürchtet den Nachbarn Russland, hat die Wehrpflicht wieder eingeführt, und die NATO hat ihre Präsenz im Land erhöht.
    "Nach der Aggression in der Ukraine sind wir in großer Sorge um die Sicherheit in unserem Land sowie in ganz Europa. Wir sind Deutschland sehr dankbar, dass es die Führung des NATO-Bataillons in Litauen übernommen hat. Wir kommen nicht umhin, auch weiter die Kosten für die Landesverteidigung zu erhöhen. Für das Jahr 2018 rechnen wir mit zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts."
    Bevölkerung bleibt skeptisch
    Mehr Geld für die Verteidigung. Mehr Investitionen in die Wirtschaft. Ein besseres Ausbildungssystem. Mehr Jobs. All das versprechen die Politiker. Aber die Menschen in Litauen bleiben skeptisch. Der Journalist Tomas Cyvas sieht das auch an sich selbst.
    "Nach den letzten Wahlen bin ich leider Pessimist geworden. Es bleibt uns wohl nur, weitere vier Jahre zu warten und zu sehen, ob der politische Prozess dann transparenter wird und ob sich eine kritische Masse findet, die nicht auswandern will, die auf ihr Lebensumfeld nicht verzichten will und versucht, die derzeitige Lage zu ändern. Also bis jetzt ist in Litauen noch kein Potenzial für große Veränderungen zu erkennen."
    Am Sonntag und in einer Stichwahl zwei Wochen später haben die Menschen in Litauen die Möglichkeit zu wählen und für Veränderung zu stimmen. Sie können ihre Stimme sogar im Internet abgeben. Die Regierung hat das durchgesetzt, um gegen die geringe Wahlbeteiligung vorzugehen. Beim letzten Mal lag die nur bei etwas mehr als 50 Prozent. Auch das wohl ein Zeichen des Protests.