Auf einem der zentralen Plätze der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott herrscht geschäftiges Treiben. Straßenhändler verkaufen Hosen, Schuhe und Sonnenbrillen. Unter einem blauen Sonnenschirm mit Zigarettenwerbung sitzt ein Mann und verkauft frische Bananen, Orangen und Mangos. Frauen mit Babys auf dem Rücken bieten kleine frittierte Teigbällchen und klebrig-süßen Hibiskussaft an. Nichts weist darauf hin, dass das Land vor einer der wichtigsten Wahlen seiner jüngsten Geschichte steht.
Wer verstehen will, warum die Wahl an diesem Samstag so viel für das westafrikanische Land mit seinen rund vier Millionen Einwohnern bedeutet, muss weit raus fahren. Raus, in eines der Armenviertel wie Tarhil im Südosten der Hauptstadt.
Als Stadt wurde Nouakchott überhaupt erst 1960 mit der Unabhängigkeit Mauretaniens von der französischen Kolonialmacht gegründet. Seither wächst das frühere Wüstennest an der Atlantikküste unaufhaltsam, wie ein frischer Tintenklecks auf Papier. Haus um Haus frisst sich die Stadt tiefer in die Sahara hinein. Einfache Hütten aus Holzbrettern, Tüchern und verrostetem Autoblech; unverputzte Häuser, kaum mehr als Rohbauten. Dazwischen nichts als Sand.
Tarhil ist eines der größten Elendsquartiere des Landes. Aischa, Hausfrau und Mutter von sechs Kindern, sitzt in einem offenen Zelt zwischen ihrer Baracke und einem Bretterverschlag, der als Toilette dient: "Wir sind hier sehr weit vom Stadtzentrum entfernt. Die Infrastruktur ist schwach."
Ihre Nachbarin Mariam, die einige Häuser weiter mit einem Baby auf dem Schoß im Schatten ihrer Hütte zwischen mehreren Ziegen auf dem Boden sitzt, sagt: "Es gibt keine Ärzte, keine Einkaufsläden, kein Wasser und keinen Strom. Hier gibt es nichts. Noch nicht einmal Straßen." Ihr Ehemann fügt hinzu: "Wenn man sich in Tarhil umschaut, muss man nicht fragen, woran es fehlt. Hier fehlt es einfach an allem."
Ihre Nachbarin Mariam, die einige Häuser weiter mit einem Baby auf dem Schoß im Schatten ihrer Hütte zwischen mehreren Ziegen auf dem Boden sitzt, sagt: "Es gibt keine Ärzte, keine Einkaufsläden, kein Wasser und keinen Strom. Hier gibt es nichts. Noch nicht einmal Straßen." Ihr Ehemann fügt hinzu: "Wenn man sich in Tarhil umschaut, muss man nicht fragen, woran es fehlt. Hier fehlt es einfach an allem."
Der Name Tarhil bedeutet so viel wie "Umsiedlung". In diesem Viertel leben Menschen, die von der Regierung aus informellen Siedlungen am Stadtrand vertrieben und hier angesiedelt wurden. Wie viele Städte Afrikas ist auch Nouakchott in den letzten Jahrzehnten extrem gewachsen.
Eine kleine Revolution
Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebte die überwältigende Mehrheit der Mauretanier als Nomaden. Doch eine langanhaltende Dürreperiode in den Siebziger- bis Neunzigerjahren zwang immer mehr Menschen dazu, ihre Lebensweise aufzugeben. Heute hat Nouakchott über eine Million Einwohner. Aber Tarhil ist nicht einfach nur ein Armenviertel, wo die Stadt auf die Sahara trifft - Tarhil ist der Druckkessel der mauretanischen Gesellschaft. Fern ab vom Treiben des Stadtzentrums gärt es. Lange genug hat die Regierung versucht, das Problem zu ignorieren.
"Ich habe eine Botschaft an unseren Präsidenten Muhammad Oud Abdel Aziz: Warum wollen Sie nicht akzeptieren, dass es Sklaverei in Mauretanien gibt? Wir sind hier! Warum erkennen Sie unser Leid nicht an?" Habi Mint Rabah hat die längste Zeit ihres Lebens als Sklavin eines Mannes verbracht, der sie täglich missbraucht und gequält hat. Erst 2008 wurde sie befreit. Heute, zehn Jahre später, kandidiert sie als erste ehemalige Sklavin für das mauretanische Parlament. In dem westafrikanischen Land kommt das einer kleinen Revolution gleich.
Die Sklaverei in Mauretanien ist kein Erbe des europäischen Kolonialismus, sondern der arabischen Eroberungszüge im achten Jahrhundert. Damals unterwarfen die hellhäutigeren Araber die einheimische schwarze Bevölkerung. Bis tief ins 20. Jahrhundert hinein war Sklaverei in Mauretanien gängige Praxis. Offiziell gibt es sie jedoch längst nicht mehr. Putsch nach Putsch haben wechselnde Regierungen die Leibeigenschaft in unterschiedlichem Wortlaut für abgeschafft erklärt. Unter Strafe gestellt wurde die Sklaverei allerdings erst 2007.
"Als ich versklavt wurde, war ich noch ein Kind. Seitdem habe ich mit meinem Herren gelebt. Ich durfte nicht beten und keine Schule besuchen. Ich war vollkommen hörig. Hätte mein Herr gesagt, ich soll meine Hand ins Feuer halten - ich hätte es getan", erzählt Habi Mint Rabah, während der Wüstenwind die Blechteile, aus der ihre Hütte zusammengeflickt sind, leise scheppern lässt. "Er hat uns Sklaven missbraucht und gequält. Ich habe zwei Söhne von ihm. Einer ist hier bei mir, der andere ist gestorben."
"Es gibt noch immer Sklaverei in Mauretanien"
Die Mitte-Vierzigjährige ist selbst Tochter einer Sklavin und ihres Vergewaltigers. "Mein Sohn erinnert mich immer an meine Vergangenheit als Sklavin. Er ist noch klein und weiß noch nicht, wie er gezeugt wurde. Aber eines Tages werde ich es ihm erzählen. Ich werde meine Zeit als Sklavin nie vergessen können. Niemals. Heute bin ich frei, aber ich denke jeden Tag daran, was mir angetan wurde - all das Leid, all die Qualen."
Es ist ein langer Weg aus der Sklaverei ins Parlament - wenn Habi Mint Rabah es denn bei der Wahl schafft. Geholfen hat ihr die Menschenrechtsorganisation IRA, die auch maßgeblich an ihrer Befreiung beteiligt war. Deren Anführer, Biram Dah Abeid, ist der prominenteste Kämpfer für die Rechte der Sklaven und ihrer Nachfahren. Seit Wochen sitzt er wegen einer Bagatelle im Gefängnis. Regierungskritiker sind überzeugt, dass das Regime damit seine Wahlkampagne blockieren will. Seinen größten Coup aber konnte das nicht verhindern: Habi Mint Rabah zur Kandidatin zu machen.
"Ich bin bereit diesen Kampf zu kämpfen, die Vertreterin der Sklaven im Parlament zu sein. Denn ich bin der Beweis: Es gibt noch immer Sklaverei in Mauretanien. Sklaven haben keine Rechte in diesem Land. Mit Gottes Hilfe werde ich ihre Stimme und ihr Gesicht sein", sagt Habi Mint Rabah. Tatsächlich sind Fälle wie der von Habi Mint Rabah inzwischen eher zur Seltenheit geworden. In abgelegenen Gebieten in der Wüste gibt es zwar noch immer Menschen, die unter sklavereiähnlichen Bedingungen leben. Aber als Massenphänomen hat sich das Thema Leibeigenschaft erledigt.
Denn die Dürreperiode in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zerstörte nicht nur die Lebensgrundlage vieler Nomaden. Sie hat auch dazu geführt, dass die meisten ehemals reichen Familien sich ihre Sklaven nicht mehr leisten, sie nicht mehr ernähren konnten - und sie deshalb in die Freiheit entlassen haben. Zu Hunderttausenden zogen die ehemaligen Leibeigenen damals in die Elendsquartiere der Städte.
Entstanden ist eine Gesellschaft, die zutiefst gespalten ist: Auf der einen Seite steht die Minderheit der sogenannten weißen Mauren arabisch-berberischen Ursprungs, die bis heute alle wichtigen Posten in Politik und Wirtschaft besetzen. Auf der anderen Seite stehen die ehemaligen Sklaven und ihre Nachfahren, die Haratin. Ohne jemals eine Schule besucht zu haben, bedeutete die Freilassung für viele den Absturz in die totale Armut. Nicht wenige verdingten sich bald wieder bei ihren alten Herren. Heute arbeiten die meisten als Tagelöhner am Hafen oder auf dem Bau, oder sie riskieren ihr Leben in den Gold- und Eisenminen in der Wüste.
Viele Haratin sehen darin eine Fortsetzung der Sklaverei hinter moderner Fassade. "Wie früher verrichten wir schwere Arbeit, während die Mauren das Geld verdienen", sagen sie. Doch inzwischen beginnen die Haratin zu verstehen, dass sie eine wichtige politische Kraft im Land sein könnten, dass in ihrer Anzahl große Macht steckt. Laut Schätzungen stellen sie 40 bis 60 Prozent der Bevölkerung.
Die ehemalige Sklaven emanzipieren sich
Der Soziologe Sheikh Hassan al-Bambari sagt: "Die letzten fünf bis sieben Jahre waren die wichtigsten in der Geschichte der Haratin. Die Leute haben angefangen, die Wahrheit offen auszusprechen: Dass wir in einer rassistischen Gesellschaft leben, in der es noch immer Sklaverei gibt. Und sie haben offen gesagt: Wir wollen das nicht länger hinnehmen. Wir wollen ein gleichberechtigter Teil dieses Landes sein. Die Haratin kämpfen derzeit um ihre Rechte in der mauretanischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Dadurch verändert sich ihre Rolle. Sie wollen auf einmal auch Minister oder Professoren an der Uni werden. Früher haben sie vor allem in der Landwirtschaft oder in gesellschaftlichen Randbereichen gearbeitet. Aber jetzt haben sie angefangen, gesellschaftliche Teilhabe einzufordern."
Sheikh Hassan al-Bambari stammt selbst aus der Volksgruppe der Haratin. "Diese Entwicklung bedeutet einen gewaltigen Umbruch für die mauretanische Gesellschaft und hängt mit einem grundlegenden Wandel im Denken der Haratin zusammen. Inzwischen sagen Haratin ganz offen: Wir sind die Nachfahren von Sklaven, und wir fordern unsere Rechte ein. Heute sage ich mit Stolz: Ja, ich bin Haratin. Aber noch vor drei Jahren hätte ich mich gewehrt, wenn jemand behauptet hätte, ich sei Hartani. Das ist eine enorm wichtige Veränderung. Es gibt eine Sensibilisierung, und es hat sich so etwas wie eine eigene kulturelle Identität der Haratin entwickelt."
Bei der Wahl am Samstag geht es nicht nur um die Nationalversammlung. Parallel finden auch Regional-, Lokal- und Bürgermeisterwahlen statt. Und auf allen Ebenen kandidieren zum ersten Mal auch zahlreiche Haratin. Sadvi Ould Bilal will in Nouadhibou, der wichtigsten Wirtschaftsmetropole im Norden des Landes, Bürgermeister werden: "Die Schulen in den Vierteln der Haratin sind sehr schlecht ausgestattet. Es fehlt an allem, es gibt Klassen mit 80 oder 100 Schülern. Die Regierung macht das, damit die Haratin auf ewig ungebildet und abhängig bleiben. Wenn wir unsere Unabhängigkeit wollen, müssen wir lernen und auf Bildung setzen."
Auch sein Freund Elmaaloum Oubeck, der für die Stadtverwaltung in Nouadhibou kandidiert, ist überzeugt: "Der Fortschritt der Haratin wird gezielt sabotiert. Insbesondere durch das Bildungssystem. Es gibt anarchische öffentliche Schulen für die Armen, und dann gibt es die guten Privatschulen für die Kinder der Reichen. Dadurch bleiben jene unten, die schon immer unten waren, und die Eliten bleiben an der Macht."
Auch sein Freund Elmaaloum Oubeck, der für die Stadtverwaltung in Nouadhibou kandidiert, ist überzeugt: "Der Fortschritt der Haratin wird gezielt sabotiert. Insbesondere durch das Bildungssystem. Es gibt anarchische öffentliche Schulen für die Armen, und dann gibt es die guten Privatschulen für die Kinder der Reichen. Dadurch bleiben jene unten, die schon immer unten waren, und die Eliten bleiben an der Macht."
Beide Politiker haben selbst Erfahrungen mit Ausgrenzung und Rassismus gemacht: "Ich kann nicht erklären, was es heißt, der Nachfahre von Sklaven zu sein. Das kann niemand verstehen. Ich habe keine Wörter, um zu schildern, wie sich das anfühlt. Aber man hat das immer im Kopf. Man fragt sich, wie man in einer Gesellschaft leben kann, die Sklaverei toleriert. Ich bin frei geboren. Auch mein Vater war frei. Aber meine Mutter war eine Sklavin."
"Ich habe erst relativ spät entdeckt, dass meine Eltern in Sklaverei gelebt haben. Ich habe irgendwann einen Zettel gefunden, auf dem die Freilassung meiner Eltern bestätigt wurde. Es ist ein schweres Erbe. Haratin zu sein, heißt, immer einzustecken, nie für sich einzustehen. Es ist Ausgrenzung, die im eigenen Kopf anfängt. Früher habe ich viel mit meinen Eltern über dieses Thema diskutiert. Ich habe sie gefragt: Warum sind wir so arm?"
"Ich habe erst relativ spät entdeckt, dass meine Eltern in Sklaverei gelebt haben. Ich habe irgendwann einen Zettel gefunden, auf dem die Freilassung meiner Eltern bestätigt wurde. Es ist ein schweres Erbe. Haratin zu sein, heißt, immer einzustecken, nie für sich einzustehen. Es ist Ausgrenzung, die im eigenen Kopf anfängt. Früher habe ich viel mit meinen Eltern über dieses Thema diskutiert. Ich habe sie gefragt: Warum sind wir so arm?"
Keine Unterstützung aus Europa: Brüssel schaut weg
Elmaaloum Oubeck macht für die fortwährende Ausgrenzung der Haratin nicht nur die eigene Regierung verantwortlich. Er sieht auch Europa und den Westen in der Schuld: "Die Welt übt nicht genügend Druck auf die mauretanische Regierung aus. Auch der Westen könnte etwas an unserer Situation ändern. Aber ohne Druck gibt es für die Regierung keinen Anreiz, die Lebensbedingungen für Haratin zu verbessern."
Doch bislang warten die Nachfahren der Sklaven vergeblich auf Unterstützung aus Europa. Die EU braucht das Land am westlichen Rand der Sahelzone als Partner im Kampf gegen illegale Migration und islamistischen Terrorismus. Deshalb drückt Brüssel beim Thema Menschenrechte gegenüber dem Regime unter Präsident Muhammad Ould Abdel Aziz, der sich vor fast genau zehn Jahren an die Macht geputscht hat, beide Augen zu.
Doch bislang warten die Nachfahren der Sklaven vergeblich auf Unterstützung aus Europa. Die EU braucht das Land am westlichen Rand der Sahelzone als Partner im Kampf gegen illegale Migration und islamistischen Terrorismus. Deshalb drückt Brüssel beim Thema Menschenrechte gegenüber dem Regime unter Präsident Muhammad Ould Abdel Aziz, der sich vor fast genau zehn Jahren an die Macht geputscht hat, beide Augen zu.
Politiker und Aktivisten wie Habi Mint Rabah, Sadvi Ould Bilal und Elmaaloum Oubeck sind auf sich allein gestellt. Werden sie bei den Wahlen die nötige Unterstützung von den Nachfahren der Sklaven erhalten? Der Soziologe Sheikh Hassan al-Bambari erklärt:
"Die Rolle der Haratin bei der Wahl hat zwei Gesichter: Es gibt eine ganze Reihe Haratin, die gebildet und politisch sensibilisiert sind und die wissen, was sie wollen. Aber die Mehrheit der Haratin ist arm. Und für sie sind die Wahlen vor allem eine Möglichkeit, einfach Geld zu verdienen. Der eine verkauft vielleicht seine Stimme, der andere nimmt für zehn Euro an politischen Kundgebungen teil. Wer arm ist, der braucht jetzt Geld. Heute. Wer arm ist, kann nicht über politische Projekte nachdenken, die erst in einigen Jahren Resultate zeigen. Deshalb verkaufen die Leute hier ihre Wahlkarten für zehn, zwölf Euro. Teilweise sogar schon für einen Euro fünfzig."
Mangelndes Bewusstsein für die Bedeutung der Wahlen
Unter den Aktivisten und Politikern herrscht große Hoffnung, dass die Wahlen den großen Wandel bringen werden. Einige gehen gar davon aus, dass im nächsten Parlament fünfzig Prozent Haratin vertreten sein werden, die das Regime zwingen würden, für eine gerechtere Verteilung der Ressourcen zu sorgen. Mauretanien hat die fischreichsten Gewässer der Erde und riesige Eisenvorkommen. Vor einigen Jahren sind zudem Öl, Gas und Gold gefunden worden.
Doch bislang fließt das Geld vor allem in die Taschen der Mächtigen, während der Rest des Landes weiterhin in bitterer Armut lebt. So ist Präsident Aziz innerhalb von zehn Jahren von einem einfachen Militär zum reichsten Mann des Landes geworden. Für ihn sind die Wahlen auch ein Testlauf: Wie groß ist die Unterstützung für ihn und seine Partei? Kann er bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr vielleicht sogar ein drittes Mal antreten, obwohl die Verfassung das verbietet?
"Die Wahlen am Samstag sind sehr wichtig. Aber leider sind die Haratin nicht besonders sensibilisiert. Höchstens fünf Prozent verstehen, welche Bedeutung, welches Potential diese Wahlen haben. Sie fragen sich: Warum sollte ich einen Hartani wählen, wenn ein Weißer mir Geld dafür anbietet, dass ich ihm meine Stimme gebe?"
Fragt man die Menschen in Tarhil, bestätigt sich diese zurückhaltende Einschätzung des Soziologen Sheikh Hassan al-Bambari: "Ich weiß nicht, ob es Haratin-Kandidaten gibt, die sich zur Wahl stellen. Keiner ist hier bei uns vorbeigekommen." - "Im Wahlkampf ist kein einziger Kandidat aus der Haratin-Community zu uns gekommen. Es gab mal einen Kandidaten, der hier war, der uns Projekte versprochen hat, um unsere Situation zu verbessern. Aber er ist nie wieder gekommen."
Fragt man die Menschen in Tarhil, bestätigt sich diese zurückhaltende Einschätzung des Soziologen Sheikh Hassan al-Bambari: "Ich weiß nicht, ob es Haratin-Kandidaten gibt, die sich zur Wahl stellen. Keiner ist hier bei uns vorbeigekommen." - "Im Wahlkampf ist kein einziger Kandidat aus der Haratin-Community zu uns gekommen. Es gab mal einen Kandidaten, der hier war, der uns Projekte versprochen hat, um unsere Situation zu verbessern. Aber er ist nie wieder gekommen."
Andere Anwohner berichten zudem von eher fragwürdigen Methoden der Wählermobilisierung: "Die Kandidaten haben uns hier noch nicht einmal Versprechungen gemacht. Sie sind nur gekommen, um unsere Wahlkarten abzuholen." - "Bei uns ist jemand vorbeigekommen und hat die Wahlkarten im ganzen Viertel eingesammelt. Keine Ahnung, für wen unsere Stimmen am Ende verwendet werden." - "Ich habe mich für die Wahl registrieren lassen. Irgendwann ist dann jemand vorbeigekommen und hat alle Wahlkarten mitgenommen. Der Mann hat gesagt, er werde am Wahltag vorbeikommen und uns zum nächsten Wahllokal fahren. Keine Ahnung, von welcher Partei der war."
Andere, wie der Kioskbesitzer Yussuf, haben sich gar nicht erst für die Wahl registrieren lassen: "In meinen Augen sind die Wahlen nicht wichtig. Die Ergebnisse stehen ohnehin schon vorher fest: Die Regierung wird gewinnen."
Warnung vor einer sozialen Revolution
Und es gibt es noch ein weiteres wichtiges Problem für die Haratin-Bewegung: Ihre Organisationen, NGOs und Parteien sind untereinander zerstritten. "Durch derartige Spaltungen verlieren wir viele Wähler. Außerdem gehen so auch Mandate verloren, über die die Haratin im Parlament vertreten werden könnten", sagt der Soziologe Sheikh Hassan al-Bambari.
In seinen Augen ändern diese Schwächen allerdings nichts am generellen Trend: "In der gegenwärtigen Situation verändert sich die mauretanische Gesellschaft. Die anderen Ethnien werden akzeptieren müssen, dass die Haratin zu einem wichtigen gesellschaftlichen Faktor werden. Das was die Haratin jetzt brauchen, ist gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Teilhabe. Wenn ihnen das nicht gewährt wird, steuert das Land auf eine Revolution zu."
Sollte es zu einem gewaltsamen Aufstand kommen, es erste Tote geben, wäre ein Flächenbrand kaum noch zu verhindern. Zu viele Menschen würden die Gelegenheit wahrscheinlich nutzen, um sich an den alten Herren zu rächen: "Unter Soziologen sagt man: Ein Mensch kann vieles hinnehmen. Außer der Armut im Angesicht des Reichtums. Niemand kann mit ansehen, wie seine Kinder nichts zu essen haben, wie die eigene Frau nichts zum Anziehen hat, während die Nachbarn im Luxus leben. In einem ethnisch gespaltenen Land wie Mauretanien ist nichts so gefährlich wie eine soziale Revolution. Die Regierung weiß das. Deshalb glaube ich: Wenn man etwas in diesem Land verändern will: Jetzt ist der Moment."