Sie schwenken EU-Fahnen und singen die Europa-Hymne. Gegenüber im Parlament debattieren die Abgeordneten den Vertrag zum Ausstieg Großbritanniens aus der EU. Eine im Chor ist eine Deutsche, Lara Schmidt, sie lebt schon seit Jahren in London.
"Wir singen ‚Freude schöner Götterfunken‘, ‚An die Freude‘. Auf Deutsch und auf Englisch, eine gemischte Gruppe von Musikern aus ganz Europa. Wir machen das einmal im Monat, seit zwei Jahren, glaube ich."
Stuart Holmes betrachtet ungläubig die Szene. Er demonstriert mit einem Transparent gegen die EU und hat sich hier unter die Remainer geschmuggelt. "Das mit der Musik ist wie auf der Titanic. Ich habe den Film gestern gesehen. Da haben sie auch mit Geigen gespielt, während das Schiff unterging. Alle schrien und starben, aber sie spielten weiter Musik."
Brexit-Befürworter bezeichnen die EU oft als ein sinkendes Schiff - und Großbritannien tue gut daran, sich rechtzeitig von Bord zu machen. Der Untergang der Titanic war ein Jahrhundert-Ereignis. Der Brexit ist es für Stuart Holmes auch.
"Es ist wichtig. Es ist die wichtigste Sache dieses Jahrhunderts. Deswegen muss ich hier sein."
Rechtsradikale in gelben Westen
Allzu viele Demonstranten pro und contra sind an diesem Debattentag nicht vor das Parlament in Westminster gekommen. Eine von ihnen, Saskia Andrews, glaubt, dass es einen Stimmungsumschwung zugunsten der EU gibt.
"Die öffentliche Meinung dreht sich. Viele können es zwar nicht mehr hören und wollen endlich, dass das ein Ende findet. Aber manche realisieren jetzt doch, dass es besser wäre, in der EU zu bleiben."
Ein Polizeiwagen steht bereit und trennt die Demonstranten voneinander. Die Stimmung ist umgeschlagen, seitdem vor Wochen einige Rechtsradikale in gelben Warnwesten auftauchten. Steve Bray, ein Pro-EU-Demonstrant, bekam sie hautnah zu spüren.
"Das war ein Faschist. Einer von den Gelbwesten, nur dass er die Weste nicht trug. Er kam auf mich zu, unsere Nasen berührten sich. Er schrie mich an und beschimpfte mich ordinär."
Da drüben um die Ecke seien wieder einige von diesen jungen Leuten da, sagt Steve Bray. Aber sie gäben sich nicht zu erkennen. Seit eineinhalb Jahren demonstriert Bray tagein, tagaus gegen den Brexit. Er ist durch die Medien schon fast berühmt geworden und findet jetzt, dass sich die Stimmung im Land verhärtet hat.
"Die Unsicherheit und Spaltung, die der Brexit verursacht hat, sind dabei, unser Land zu zerstören."
"No Deal – No Problem"
Etwa 50 Meter weiter stehen die Brexit-Anhänger und halten ihre Transparente hoch. "No Deal – No Problem", steht darauf. "Kein Problem, wenn Großbritannien ohne Vertrag die EU verlässt." Zwei junge Frauen verteilen Becher mit Kaffee und Tee. Es ist friedlich und Bruce Goodwin, Mitte 50, erklärt, warum er gegen den Vertrag Theresa Mays ist.
"Ich denke, der Vertrag ist so beschaffen, dass wir mehr in die EU eingebunden bleiben als früher. Da konnten wir wenigstens die EU nach Artikel 50 verlassen."
"Theresa May ist mir ein völliges Rätsel. Die Warnungen davor, ohne Vertrag zu gehen, sind hysterisch. So wird es nicht kommen."
Ein Mann in schwarzer Lederjacke, Ende 60, redet von den Gelbjacken. Die seien doch problemlos und friedlich, behauptet er. Nigel Farage sei auch schon öfters angegriffen worden, darüber habe kaum jemand berichtet. Jetzt zeigt er mir Fotos auf seinem Handy von der letzten Demo der Gelbjacken.
"Hier haben wir die London Bridge dichtgemacht. Wir haben uns gegenseitig eingehakt. Das Mädchen hier ist 13, die Polizei hat sie verhaftet, für nichts. Sie schüchtern uns ein."
Die Briten ringen mit dem Brexit
Dann wischt er auf dem Display weiter, noch ein Demonstrant mit gelber Jacke. Das nächste Bild auf seinem Handy zeigt jetzt allen Ernstes das Konterfei von Adolf Hitler, klar und deutlich. Schnell wischt der Mann die Bilderfolge wieder zurück.
Die Autofahrer hupen, ob für oder gegen den Brexit kann man schwer sagen. Ein Polizeibeamter sitzt auf seinem Motorrad und beobachtet die Szene. Die Briten ringen auch zweieinhalb Jahre nach dem Referendum intensiv um den Brexit. Ein Aktivist, der ein "No Deal"-Schild hochhält, sagt jetzt, vielleicht sei Theresa Mays Deal doch gar nicht so schlecht. Irgendeinen Kompromiss müsse es ja geben.
"Wenn wir das Problem mit dem irischen Backstop lösen würden, dann würde ich wahrscheinlich doch für Mays Vertrag stimmen. Auch wenn er nicht perfekt ist."