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Vor der DFB-Sitzung
Zwischen Personalfragen und struktureller Krise

Das DFB-Präsidium wird auf seiner Sitzung am 4. Dezember auch besprechen, ob Joachim Löw Bundestrainer bleibt. Dabei ist das aus Sicht der Sportgespräch-Teilnehmenden gar nicht die entscheidende Frage: Vielmehr gehe es um strukturelle Probleme, die dem Erfolg der DFB-Elf derzeit im Weg stehen.

Mathias von Lieben |
Trainer Joachim Löw mit Spielern der deutschen Nationalmannschaft im Hamburger Volksparkstadion.
Bleibt Joachim Löw DFB-Bundestrainer? Auch darum wird es gehen auf der Sitzung des DFB-Präsidiums. (dpa/Christian Charisius)
Bleibt er? Geht er? Oder wird er sogar gegangen? Roland Eitel, der frühere Berater von Joachim Löw, glaubt zwar, dass der Bundestrainer das Schiff selbst wieder auf Kurs bringen will. Auf die Frage, ob sich Löw auch die Frage stelle, ob er zurücktreten muss, sagt er im Deutschlandfunk-Sportgespräch aber auch: "Die Frage wird er sich sicherlich auch stellen. Er lebt ja nicht auf Wolke sieben. Er kriegt ja auch die Stimmung mit im ganzen Land. Und die Stimmung würde ich als alarmierend bezeichnen."
Diese alarmierende Stimmung kann der Fußballhistoriker Dietrich Schulze-Marmeling nicht nachvollziehen. Es gebe viele Gründe dafür, warum die Nationalmannschaft derzeit nicht reüssieren könne. Joachim Löw sei keiner davon – sondern eher der DFB: "2018 war es Blödsinn die Parole auszugeben, wir wollen den Titel verteidigen, was meines Erachtens nicht in die Verantwortung von Jogi Löw fiel. 2014 nach der WM gab es ja sogar schon erste Töne von Löw und Flick: Leute, wir brauchen möglicherweise eine zweite Reform im Fußball, in der Ausbildung etc. - und das wird nicht so weiterlaufen."
Zeit, um neue Spieler zu entwickeln, habe Joachim Löw aber nicht bekommen, sagt die Journalistin und Podcasterin Mara Pfeiffer. Das verdeutliche die Situation nach der WM 2018 in Russland, als er sich von Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller getrennt hatte, um neue Hierarchien zu schaffen: "Da hätte man weiter gehen müssen, sich von noch mehr Spielern trennen, noch mehr Mut haben, eine junge Mannschaft zu entwickeln. Aber unter den Reaktionen der Öffentlichkeit ist das nicht möglich, weil da eine dermaßene Kritik aufkommt, die schwierig ist. Da wird dann Spielern gegenüber ein Respekt gefordert von Vereinsverantwortlichen, der umgekehrt der Arbeit des Bundestrainers überhaupt nicht entgegengebracht wird."
Bundesliga-Vereine setzen zu wenig auf deutschen Nachwuchs
Und wenn es dann doch mal zu einem Debüt wie z.B. dem des bei Mainz 05 ausgebildeten und heutigen Wolfsburger Bundesliga-Profis Ridle Baku komme, sagt Pfeiffer, dann wären die Reaktionen gleich verheerend – obwohl sein Auftritt ordentlich war: "Und vielleicht müsste man den Mut haben, den Blick von den großen Vereinsnamen wegzunehmen und sich bei den jungen Nachwuchsspielern bei Vereinen umzuschauen, wo vielleicht nicht jeder Fan gleich mit der Zunge schnalzt. Sondern wo ein Fan vielleicht auch von der Nationalmannschaft mal einen neuen Namen lernen muss."
Alle drei Diskutanten nehmen dabei die Bundesliga-Vereine in die Pflicht, die – so die Meinung von Löw-Freund und Ex-Berater Roland Eitel - zu selten auf deutsche Nachwuchsspieler setzen würden: "Ich kann jetzt hier mal über den VfB Stuttgart reden, konkretes Beispiel: Lilian Egloff. Jeder, der hier mal Fußball gespielt hat in Stuttgart oder Trainer war, der sagt: Das ist das größte Talent seit zehn Jahren. Aber die sportliche Leitung ist beseelt einen neuen Aubameyang oder Dembelé zu finden. Aber Lilian Egloff, das größte Talent, spielt in der zweiten Mannschaft gegen Koblenz."
Auch Bayern München, Borussia Dortmund oder RB Leipzig würden in den wichtigen Spielen nur selten deutsche Nachwuchsspieler einsetzen. Und trotzdem seien sie und die Deutsche Fußball Liga mittlerweile so mächtig, sagt Schulze-Marmeling, dass es für den DFB wiederum schwierig sei, sich ihren Positionen zu widersetzen: "Ich glaube auch das Hauptproblem ist, dass der DFB sich abstrampelt gegen seine wachsende Bedeutungslosigkeit für den deutschen Fußball. Und da sitzt er an allen Stühlen: Er will einerseits bei den großen Jungs mitspielen - auch was das Geld anbelangt. Auf der anderen Seite soll er sich um die Amateure kümmern. Im Amateurbereich höre ich aber auch nur große Unzufriedenheit, der DFB kümmere sich nur um die da oben."
Konfrontiert mit strukturellen Problemen
Löw – so der Tenor im Sportgespräch – sei mit strukturellen Problemen konfrontiert, gegen die er wenig anrichten könne. Genau so wenig wie gegen das derzeit sinkende Interesse an der Nationalmannschaft. Kein gutes Haar lässt Roland Eitel in diesem Zusammenhang am Sportdirektor der Nationalmannschaft, Oliver Bierhoff, der sich zuletzt noch über "dunkle Wolken" über dem DFB-Team beklagt hatte:
"Ich messe ihn an einer Unternehmenskultur beim DFB im Bezug auf die Nationalmannschaft, die geprägt ist von Unternehmensberatern: KPMG, Storymachine, lauter Leute, die vom Fußball keine Ahnung haben. Die Kultur ist doch eine Katastrophe. Diese Unnahbarkeit dieser Mannschaft, diese nicht öffentlichen Trainings, dieses Auftreten. Das muss doch einer entscheiden, und das ist sicher nicht der Präsident."
Was am kommenden Freitag am Ende der internen DFB-Analyse stehen wird – eine Trennung oder ein Festhalten an Joachim Löw? Darüber sind sich Roland Eitel, Dietrich Schulze-Marmeling und Mara Pfeiffer nicht einig:
"Ohne Unterstützung kann natürlich auch der Jogi Löw nicht weitermachen", meint Eitel, während Schulze-Marmeling hinzufügt: "Ich würde an Löws Stelle eine scharfe Analyse der Situation vorlegen und anschließend sagen: Ich übergebe. Weil er muss sich das nicht antun, was da seit Monaten passiert."
"Er könnte jetzt sagen: Ich ziehe meinen Hut - aber ich glaube nicht, dass ihm das entspricht", analysiert Mara Pfeiffer. "Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob unter einem gefühlten Druck der DFB nicht selbst eine Trennung vollzieht, um sich in eine bessere Position zu bringen."