Archiv

Vor der Europawahl
Griechenlands verlorene Generation

Griechenland, Sommer 2015: Ein hartes Ringen um Sparmaßnahmen, um ein weiteres "Rettungspaket", um den Verbleib des Landes in der Eurozone. Vor vier Jahren traf unser Korrespondent eine junge Studentin. Damals sagte sie: "Griechenland zerschneidet dir deine Träume." Was ist aus ihr geworden?

Von Panajotis Gavrilis |
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Junge Griechinnen wie Panagiota Papadimitriou müssen in permanenter Existenzangst leben (Antonis Christou)
Vier Jahre sind vergangen, seit ich Panagiota Papadimitriou das letzte Mal getroffen habe. Schon damals arbeitete sie in einem Café, für vier Euro die Stunde. Panagiota hat Logopädie studiert, danach eine Schauspielschule besucht, hält sich mit Kellnern über Wasser.
Sie könnte - damals wie heute - stellvertretend für eine ganze Generation in Griechenland stehen: Gut ausgebildet, aber ohne Perspektive.
"Ob die Situation sich verschlimmert hat – schwierig zu sagen. Aber verbessert hat sich die Lage jedenfalls nicht."
Dossier: Europawahlen
Mehr Beiträge zum Thema finden Sie auf unserem Europawahlen-Portal (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
"Verlorene Generation" - so werden junge Griechinnen und Griechen wie Panagiota oft bezeichnet. Sie wachsen mit der permanenten Existenzangst auf. Es sind Tausende, die wegen der ökonomischen Krise entweder das Land verlassen haben oder geblieben sind.
Nach wie vor trauriger Spitzenreiter bei Jugendarbeitslosigkeit
Die Zahlen geben aktuell wenig Hoffnung: Mit einer Jugendarbeitslosenquote bei den 15- bis 24-Jährigen von fast 40 Prozent ist Griechenland europaweit nach wie vor trauriger Spitzenreiter.
In Deutschland sind es laut Eurostat nicht einmal sechs Prozent.
Aus Panagiota spricht die Sehnsucht nach dem Selbstverständlichen: Unabhängig sein - finanziell. Aber nicht nur:
"Ich wohne noch bei meinen Eltern zuhause. Es ist einer dieser Wünsche für ein würdevolles Leben, die ich aufgegeben habe, um auf der Theaterbühne zu stehen. Und: Wenn ich mich privat mit jemandem treffen möchte, geht das nur mit Glück, also wenn er eine eigene Wohnung hat. Ich bin jetzt auch nicht so locker damit, jemanden mit nach Hause zu nehmen. Deswegen hoffe ich, dass der Partner eine Wohnung hat. Ansonsten ist es sehr schwierig."
Panagiota ist nicht verzweifelt, sie ist enttäuscht. Von der aktuellen Syriza-Regierung in Griechenland, die angetreten war, um die Sparprogramme zu beenden. Sie ist enttäuscht von der EU wegen der harten Auflagen, von den Menschen hier, vom System, wie sie sagt.
"Ich hätte gerne eine eigene Wohnung"
"Das Alles sorgt für ein Leben ohne Würde. Es ist kein produktives Leben und du verlierst dich selbst darin. Ich hätte gerne eine eigene Wohnung und Zeit für mich. Ohne ständig zu hinterfragen: Sollte ich das jetzt tun oder habe ich danach kein Geld mehr, um die Miete zu bezahlen? Ich möchte nur meine Grundbedürfnisse stillen, die gedeckt werden vom Job, den ich liebe."
Das aber bleibt für sie und viele andere die Ausnahme.
Immerhin - Panagiota Papadimitriou hat derzeit einen Job als Regieassistentin beim Nationaltheater - allerdings befristet, für gerade einmal zwei Monate, bis zur Premiere des Theaterstücks. Danach ist Schluss. Für sie und viele der jungen Menschen in Griechenland ist es eher normal, in einer Bar oder einem Mobilfunkshop zu arbeiten. Teilweise sogar ohne Sozial- und Krankenversicherung, für 400 bis 500 Euro im Monat. Realität einer ganzen Generation mitten in Europa.
"Ich bin manchmal sehr wütend, dass ich in einer Zeit und in einem Land geboren bin, indem du nicht überleben kannst, wenn du keine reichen Eltern hast. Das empfinde ich als ungerecht. Selbst wenn ich sage: Ist mir egal! Ich arbeite mehr, 20 Stunden am Stück, mache alles alleine - ich werde nicht sehr viel mehr verdienen. Und das ist ungerecht. Dass alles von den vorherigen Generationen abhängt, leider."
Trotz allem: Reisefreiheit als großes Privileg
Was verbindet Panagiota angesichts dieser Situation mit Europa?
"Europa ist gefühlt so, als würde Griechenland nicht dazugehören. Es ist so, als wäre Europa etwas ganz anderes als wir hier."
Die junge Panagiota versucht das Gute zu sehen: Auch wenn sie aktuell wenig Geld und keine Zeit hat, hält sie die Reisefreiheit innerhalb Europas für ein großes Privileg. Und trotz Sparmaßnahmen: Griechenland habe sich durch die EU-Mitgliedschaft auch weiterentwickelt. Wo aber sieht sie sich in vier Jahren?
"Ich weiß nicht, wenn du mich in vier Jahren fragen würdest, ob ich dann genauso optimistisch klingen würde. Aber meine Eltern haben mir beigebracht: Wenn du im Kleinen beginnst, kann daraus etwas Großes werden. Es braucht diesen Zweckoptimismus, sonst geht es einfach nicht. Wenn es keine Weiterentwicklung gibt, keine Veränderung, egal wie hart ich für meine Ziele arbeite, dann höre ich auf. Dann bleibe ich einfach zuhause, starre an die Decke und gebe das Geld meiner Eltern aus. Das geht aber nicht. Wenn es keinen Optimismus gibt, wird es auch keine Lösung geben."