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Vor der Europawahl
Was Europas Populisten erfolgreich macht

Populismus ist, wenn Politiker behaupten, nur sie verträten das "wahre Volk". Nach dem Aufstieg dieses Politik-Stils könnten solche Politiker bald in ganz neuer Stärke im Europäischen Parlament sitzen. Politikwissenschaftler finden ökonomische, aber auch subjektive Gründe für ihren Erfolg.

Von Ulrike Winkelmann |
Schulterschluss der europäischen Rechten: (v.l.) Geert Wilders, Matteo Salvini, Jörg Meuthen und Marine Le Pen im Mai 2019 in Mailand.
"Italien zuerst" - Innenminister Salvini sucht vor der Europawahl den Schulterschluss mit den europäischen Rechten: (v.l.) Geert Wilders, Matteo Salvini, Jörg Meuthen und Marine Le Pen. (imago/Daniele Buffa)
"Diese Europawahl ist eine Schicksalswahl für unseren Kontinent!"
"Wenn das Wahlergebnis bei der Europawahl wäre, dass wir ein Europäisches Parlament mit einer starken Minderheit oder gar einer Mehrheit von euroskeptischen Abgeordneten hätten, dann wäre das für die Europäische Union schon etwas sehr Schicksalhaftes."
Daniel Röder, Mitgründer von "Pulse of Europe", und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble nutzten den Begriff schon vor Monaten – und viele haben das Wort von der "Schicksalswahl" seither aufgegriffen. Die Europawahl, wollen sie damit sagen, könnte den Charakter der Europäischen Union verändern – falls die EU-kritischen, populistischen Parteien sehr stark werden.
"Machen wir Schluss mit den Populisten. Die Populisten sind die Feinde des Volks. Sie sind genauso gegen das Volk, wie die Souveränisten gegen ihr Vaterland sind."
Als einer der Ersten hat der französische Philosoph und Publizist Bernard-Henri Lévy das Motiv gesetzt: Bei dieser Europawahl gelte es, den europäischen Begriff von liberaler Demokratie gegen die neuen Populisten zu verteidigen, denn diese wollten alle demokratischen Errungenschaften Europas seit dem Zweiten Weltkrieg zunichtemachen.
"Ich will der schweigenden Mehrheit der Europäer klar machen, dass es Zeit ist, die Stimme zu erheben und den Zerstörern Europas ein Nein entgegenzusetzen. Europa hat zwei Feinde: innen die Rechts- und Linkspopulisten – und Trump und Putin von außen."
Das Volk, le peuple, gegen les populistes, die Populisten, also. Eine echte demokratische Mehrheit gegen eine bloß behauptete Mehrheit – so die Idee von Lévy.
Kampf gegen "Eliten" und "Establishment"
Der kampagnen-erfahrene Philosoph verwendet hier einen Begriff von Populismus, der sich in jüngerer Zeit sozialwissenschaftlich verfestigt hat: Populismus ist demnach, wenn eine politische Gruppe behauptet, sie allein spreche für "das Volk" – das dazu in Stellung gebracht wird gegen eine stets als "korrupt" bezeichnete "Elite".
Wobei Variationen zu beobachten sind. Der AfD-Spitzenkandidat zur Europawahl Jörg Meuthen zum Beispiel verwendet den Begriff "Eliten" gern so:
"Es sind die heutigen Eliten in Brüssel – und Eliten stelle ich immer in gedankliche Anführungsstriche –, die uns weitgehend unbemerkt und gegen unseren Willen auf eine Reise schicken. Wenn man sich mit diesem schrecklichen Establishment nur vermeintlich guter Europäer permanent gemein macht, wie das ein Manfred Weber von der CSU aus reinen Karriereabsichten tut, dann macht man sich mitschuldig an dem fatalen Geschehen. Wir gehen nicht dahin, um uns ans Establishment anzukuscheln. Wir gehen allein nach Brüssel, um dort als gewählte Mandatare die Interessen unseres Volkes zu vertreten."
Die vier Politiker legen die Hände ineinander und lächeln in die Kamera
AfD-Spitzenkandidat Meuthen und der italienische Innenminister Salvini posieren mit dem Finnen Olli Kotro und dem Dänen Anders Vistisen (AFP/Miguel Medina)
Wer da alles mit "Eliten" gemeint sein könnte, führt Italiens Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini, Chef der "Lega"-Partei, aus, als er im April mit Meuthen und anderen europäischen Rechtspopulisten in Mailand Pläne für eine neue Fraktion im EU-Parlament vorstellt:
"Wer den europäischen Traum begräbt, das sind die Bürokraten, die Gutmenschen und die Bankiers, die Europa jetzt regieren. Wir wollen, dass die Völker wieder die Regierung stellen."
Doch auch links erhebt jemand den Anspruch, für die Völker Europas zu sprechen. Jean-Luc Mélenchon, französischer Linkssozialist, hat ebenfalls ein europäisches Bündnis geschmiedet: "Maintenant le peuple", "Jetzt das Volk", will die Europäischen Verträge auflösen und umformulieren. Auch Mélenchon bedient das populistische Schema – wie in diesem Wahl-Spot von 2017:
"Wir müssen Schluss machen mit dieser präsidentiellen Monarchie und der Herrschaft dieser vergoldeten Kaste, die sie umgibt. Wir brauchen eine Republik, die wirklich unter der Kontrolle des Volkes steht."
Populismus, sagt Cas Mudde, ein niederländischer Politikwissenschaftler, der gegenwärtig an der University of Georgia in den USA lehrt, ist keine geschlossene Ideologie. Populismus sei eher eine Weltsicht, die sich mit Ideengebäuden – also etwa rechtem oder linkem Denken – verbindet.
Maßgeblich auf Mudde geht die aktuell populärste Populismus-Definition zurück: Politiker, die sagen, "wir allein sprechen für das reine Volk, und wir bekämpfen damit die korrupten Eliten". Er habe diese Definition abgeleitet aus der Beobachtung, dass im Zuge der Banken- und Finanzkrise ab 2008 neue linke Parteien in Europa entstanden seien, die gewisse Ähnlichkeiten mit rechtsnationalen Parteien aufwiesen, berichtet Mudde: "Ich wollte herausfinden, was Syriza und Podemos mit dem Front National und der FPÖ gemeinsam hatten."
Populismus könne eine Facette sowohl rechter wie linker Parteien sein: "It is not really the most defining aspect of them" - er sei aber nicht der wichtigste Aspekt von Parteien, sagt Mudde.
Re-Nationalisierung von innen
Populismus, sagt Mudde, grenze sich nicht nur von Eliten ab – sondern gleichzeitig auch vom Pluralismus. Deshalb sei nicht jede Partei populistisch, die gegen korrupte Eliten wettere. Das hätten etwa die Grünen früher auch gemacht – aber:
"Die Grünen waren immer pluralistisch. Sie glaubten immer, dass die Gesellschaft aus verschiedenen Gruppen mit verschiedenen Interessen und Werten besteht – und dass diese Unterschiede legitim sind. Populisten glauben das nicht. Sie glauben, dass das Volk im Großen und Ganzen homogen ist", …
…was in Europa im rechten Spektrum wesentlich verbreiteter ist als im linken Spektrum: Einheitlichkeit von Rasse, Ethnie und Nation stehen im Zentrum rechten populistischen Denkens.
Die Einheitlichkeit von Interessen der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung – Stichwort "die 99 Prozent" – gegenüber einer winzigen besitzenden Minderheit, das ist dagegen Leitmotiv der meisten Linkspopulisten, die sich – wie etwa die spanische Partei "Podemos" – teilweise auch gern selbst so bezeichnen. Die Idee: Unser "guter" Populismus gegen den "bösen" Populismus der anderen.
Marine Le Pen von Frankreichs rechtspopulistischer Partei Rassemblement National
Marine Le Pen von Frankreichs rechtspopulistischer Partei Rassemblement National (Christophe Verhaegen/AFP)
Im Zentrum des Forschungsinteresses stehen allerdings eher die Rechtspopulisten – schon wegen ihres großen Erfolgs. Die Avantgarde des Rechtspopulismus sei der französische Front National gewesen, erklärt Mudde: "Der Front National, das waren die ersten, die mit dem Slogan kamen, ‚Wir sagen, was ihr denkt‘."
Zur Europawahl ringt der Rassemblement National, wie der Front National in Frankreich inzwischen heißt, in den Umfragen mit der Partei von Präsident Emmanuel Macron um den ersten Platz.
Und wie die deutsche AfD, wie Matteo Salvinis Lega, hat auch Marine Le Pens Partei zu dieser Wahl ihre Haltung zur EU verändert. Der Austritt aus der EU ist nun kein Ziel mehr, sondern Re-Nationalisierung von innen: Mit den Mitteln des Apparats soll der Apparat bekämpft, geschrumpft, bis auf einen Stumpf abgeholzt werden.
Attacke auf "Grundsätze der Demokratie"
"Eh voilà….le manifeste pour une Europe des nations."
Man habe Änderungen vorgenommen, erklärt Marine Le Pen in Straßburg, als sie im April das veränderte Europakonzept ihrer Partei vorstellt: Der Rassemblement National werde nun für ein Europa der Nationen kämpfen – zusammen mit den neuen Verbündeten im Parlament. "Wir haben die Absicht, weiter zu gehen: Wir wollen die möglichst größte, stärkste und mächtigste Fraktion werden."
Was Le Pen meint: Vom Rassemblement National über die deutsche AfD, die österreichische FPÖ, bis zu Matteo Salvinis Lega, auch Viktor Orbáns Fidesz darf nun dazu gezählt werden – die Rechtspopulisten Europas könnten, sollten sie nach der Wahl besser zusammenarbeiten als bisher, einen der mächtigsten Blöcke im Europäischen Parlament bilden.
Die von der britischen Zeitung "The Guardian" zusammen mit mehreren europäischen Politologie-Instituten erstellte Plattform "The New Populism" hat versucht, den Aufstieg des Populismus seit Ende der 1990er Jahre in Zahlen zu fassen.
Demnach ist der Anteil der Populismus-geneigten Wähler in Europa von etwa sieben Prozent im Jahr 1998 auf gut über 25 Prozent Ende 2018 angestiegen. Die Zahl der Europäer, die von Populisten regiert werden, hat sich in diesen 20 Jahren auf etwa 170 Millionen verdreizehnfacht. Während die Finanzkrise 2008 den Linkspopulisten Vorschub geleistet hat, hat die Migrationskrise 2015 den Rechtspopulisten Auftrieb gegeben.
Die Politologin Sarah Engler von der Universität Zürich hat an der Erhebung mitgearbeitet, ihr Spezialgebiet ist Osteuropa.
"Was man auch vom Blick nach Osteuropa lernen kann, ist, was passiert, wenn Populisten an der Macht sind. Dieser Blick in den Osten ist sehr besorgniserregend. Denn diese Parteien haben angefangen, Grundsätze der Demokratie anzugreifen. In Ungarn wie auch in Polen sehen wir einen Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz; wir sehen, dass die Medien immer mehr unter Druck geraten, die Unabhängigkeit der Institutionen wird angegriffen."
Denn was populistischen Parteien fehle, sei die Akzeptanz von Minderheitenrechten, ein demokratisch reifer Begriff von Opposition, sagt Engler. Die konkreten Gefahren für die liberale Demokratie gingen demnach vor allem von regierenden Rechtspopulisten aus. Doch gebe es in Osteuropa auch das Phänomen der eher mittig zu verortenden Populisten wie die ANO-Partei in Tschechien.
"Eigentlich ist Populismus Protest gegen Globalisierung"
"Man kann sie nicht fassen als Rechtspopulisten oder Linkspopulisten, dennoch kommt man häufig zum Schluss, dass es Populisten sind. Was man da von Osteuropa lernen kann, ist ein bisschen ein besserer Umgang mit dem Begriff Populismus."
Beppe Grillo, der Anführer der "5-Sterne"-Bewegung, wirbt am 2. Dezember 2016 in Turin für ein "Nein" beim Referendum über eine Verfassungsreform in Italien.
Beppe Grillo, der Anführer der "5-Sterne"-Bewegung (dpa / picture alliance / ANSA / Alessandro Di Marco)
Vermutlich werde sich das populistische Spektrum auch in Westeuropa noch ausdifferenzieren, erklärt Engler. Die "Fünf Sterne" in Italien könnten hier als Vorbote zählen: Bei den "Cinque Stelle" gehören Attacken auf "böse Eliten" im Namen des "guten Volks" zum Standardrepertoire – aber keine echte Verortung im Links-Rechts-Spektrum. Beppe Grillo, Komiker und Gründer der "Fünf Sterne", nimmt vor allem die systemsprengende Kraft für sich in Anspruch:
"Alle Parteien haben sich in Bewegungen verwandelt, und die einzige wahre Partei, die es heute noch gibt, das sind wir!"
"Was mich daran gestört hat, ist eigentlich, dass da meistens das Fragen aufhört, nämlich die Frage, warum denn der Populismus sich manchmal mit links und manchmal mit rechts verbindet."
Philip Manow ist Politologe an der Universität Bremen. Er beklagt, dass die Betonung des populistischen Elements im "populist zeitgeist" dazu führt, dass die ökonomischen Gründe für diesen Zeitgeist unsichtbar würden. Manow hat deshalb ein Buch mit dem Titel "Die Politische Ökonomie des Populismus" verfasst.
"Eigentlich ist Populismus Protest gegen Globalisierung. Die hat zwei Erscheinungsformen: Bewegung von Geld und Gütern, oder Bewegung von Personen – sprich Migration. Wenn Migration als problematisch wahrgenommen wird, wird’s rechtspopulistisch – und wenn die Güter- und Geld-Globalisierung als problematisch wahrgenommen wird, wird’s linkspopulistisch."
In Ländern, die ökonomisch von der Globalisierung der Güter, sprich vom Export, stark profitierten, sei der Widerstand gegen Migration – also die "Globalisierung der Personen" - vorherrschend. Beispiele seien hier Skandinavien und Deutschland.
Ökonomische Verwerfungen als Ursache des neuen Populismus?
Im Süden Europas sei dies umgekehrt: Die linkspopulistische Syriza verdanke ihren Aufstieg in Griechenland dem Protest der Wähler gegen die Globalisierung von Geld und Gütern, gegen "die Märkte", von denen die Griechen eben gerade nicht profiziert hätten.
Das Bild zeigt den griechischen Ministerpräsidenten und Chef der regierenden Syriza-Partei, Alexis Tsipras, während einer Rede auf dem Parteitag in Athen. Zu sehen ist er von der Seite, im Hintergrund sind verschwommen zahlreiche Delegierte im Saal zu sehen.
Griechenlands Ministerpräsident und Chef der regierenden Syriza-Partei, Alexis Tsipras, während einer Parteitags-Rede (picture alliance / Angelos Tzortzinis)
"Wenn wir den Blick zurückschweifen lassen, an die Frühphase der populistischen Bewegungen, Agrar-Populismus in den USA, Poujadismus in Frankreich, dann waren das immer Marker für wirtschaftliche Transformationsphasen, wo sich der Kapitalismus geändert hat und wo sich vernachlässigte Gesellschaftsschichten, Wirtschaftsgruppen artikuliert haben – und eben sehr schrill artikuliert haben."
Die Populismus-Welle in Europa richte sich aus guten Gründen häufig genug auch gegen die EU. Der Protest gelte den Folgen der Globalisierung…
"… aber in unserem Kontext meint es ja im engeren Sinne Europäisierung. Das heißt: Freie Bewegung von Kapital, Gütern, Personen, Dienstleistungen. Diese Bewegung hat mit der Einführung des Euros, mit Schengen, mit Dublin, mit dem Maastricht-Vertrag ab 1992 eine extreme Intensivierung erlebt."
Doch denken viele Forscher in Europa, dass ökonomische Verwerfungen den neuen Populismus nicht ausreichend erklären. In Frankreich haben Sozialwissenschaftler Daten über die Präsidentschaftswahlen 2017 ausgewertet, als sich Emmanuel Macron mit seiner Bewegung "En Marche" gegen Marine Le Pens Front National durchsetzte – die traditionellen Parteien jedoch kaum noch eine Rolle gespielt haben.
"…On average people who voted for Marine Le Pen had low life satisfaction and low trust."
Elizabeth Beasley, eine US-Amerikanerin, die an der "Sciences Po"-Hochschule in Paris arbeitet, erklärt: Nicht Status, Umverteilung, Gerechtigkeitsempfinden seien wahlentscheidend gewesen, sondern subjektive Faktoren - vor allem Vertrauen, Vertrauen in die Welt, in die Nachbarn, auch in die eigene Familie. Davon hätten die Macron-Wähler viel, und die Le Pen-Wähler besonders wenig gehabt.
Dennoch schränkt Beasley ein:
"Es würde zu weit gehen zu sagen, dass die Rechts-Links-Achse verschwunden ist – die Orientierung an der Umverteilungsfrage spielt für die Wähler der traditionellen Parteien noch eine Rolle. Aber viele Wähler lassen sich an einer neuen Achse entlang gruppieren, die im französischen Fall durch Macron und Le Pen dargestellt ist. Und was diesen Wechsel erklärt, sind Faktoren wie: Ob man mit seinem Leben zufrieden ist, und ob man findet, dass man anderen Leuten vertrauen kann. Es gibt Klassenzugehörigkeit noch – aber viele Menschen wählen nicht mehr entsprechend, sondern danach, wie sie sich im Alltag individuell fühlen."
Es sei unklar, ob es den Vertrauensverlust in andere Menschen, den vor allem Le Pen-Wähler verspürten, nicht schon lange gebe. Aber neu sei - besonders seit der Finanzkrise - ein messbar geringeres Vertrauen auch in Institutionen: die Regierung, die Konzerne, die Schulen, zählt Beasley auf.
"Ich denke schon, dass es eine Verbindung gibt zwischen dem Vertrauen in Institutionen und der neuen Spaltung der Wählerschaft."
Reformangebote für ein gerechteres Europa
Insgesamt halten sich die Politik- und Sozialforscher wenig mit Faktoren auf, die vielfach zur Erklärung des neuen Populismus ins Feld geführt werden: Facebook und die sozialen Medien, sagt etwa Populismus-Experte Cas Mudde, seien bestenfalls Verstärker, nicht die Ursachen. Auch der Streit über die Political Correctness spielt in diesen Analysen kaum eine Rolle. Befragt, ob er den neuen Populismus in Europa eher auf ökonomische oder auf kulturelle Faktoren zurückführt, sagt Cas Mudde, das sei schlicht nicht zu trennen.
"Der Aufstieg der populistischen Rechten handelt davon, dass sie sozio-kulturelle Übersetzungen anbieten für sozio-ökonomische Sorgen. Von ökonomischer Ungleichheit wird abgelenkt, indem man auf Muslime und Immigranten zeigt. Hätten wir weniger Ungleichheit, hätten wir weniger Rechtsradikale. Hätten wir bei bestehender ökonomischer Ungleichheit keine Immigration, wären es noch weniger Rechtsradikale."
Auch Muddes Thema ist das Vertrauen in Institutionen, das wieder hergestellt werden müsse: Durch echte Politisierung all dessen, was in den europäischen Demokratien zu lange nicht offen debattiert worden sei, von Armutsmigration über Kriminalität bis zur Notwendigkeit der Europäischen Einigung.
"The populist parties often have asked the right questions – and have provided the wrong answers."
Die Populisten stellten die richtigen Fragen, doch sie gäben die falschen Antworten.
Natürlich sei die europäische Einigung, wie viele Populisten oft behaupten, ein Elitenprojekt gewesen, sagt Mudde. Der Bremer Politik-Professor Philip Manow stimmt zu.
"Wenn wir sehen, mit welcher Elitenarroganz das Projekt der ‚ever closer union‘ in den 1990er-Jahren extremst intensiviert wurde, dann würde ich sagen, das war das nicht nur ein Kommunikationsproblem, sondern es war ein Handlungsproblem."
Alle befragten Forscherinnen und Forscher sind sich einig, dass die etablierten Parteien Reformangebote für ein gerechteres Europa machen müssten, statt sich hinter einem simplen "Für Europa" zu verbarrikadieren. Denn den Bürgerinnen und Bürgern stellten sich auch zu dieser Wahl wieder viele Fragen – die Demokratie, die Gerechtigkeit, die Transparenz der EU betreffend.
Aber, so die Wissenschaftler, man dürfe den Populisten eben nicht die Antworten darauf überlassen.