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Vor der Münchner Sicherheitskonferenz
Weniger Westen war nie

Hochrangige Politiker werden am Wochenende bei der Münchner Sicherheitskonferenz erwartet. Die Zunahme der Krisenherde und der wachsende Abstand zwischen den USA und Europa sind zwei der Leitmotive für das Jahrestreffen der geopolitischen Szene. Insgesamt steht die Konferenz unter dem Motto "Westlessness".

Von Klaus Remme |
Bundeskanzlerin Merkel bei ihrer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Rede auf der letztjährigen Sicherheitskonferenz (dpa/Tobias Hase)
Das zentrale Motto der Konferenz gibt Rätsel auf. "Westlessness" - das Wort habe man sich schlicht ausgedacht, so die Veranstalter. Es ist auch nicht wirklich zu übersetzen, "West-losigkeit" eigentlich; "weniger Westen" jedenfalls, das steckt im Wort, wohlgemerkt nicht als Forderung sondern als Befund. Der Westen wird weniger westlich und die Welt insgesamt auch: ein doppelter Verlust, so versucht Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, das zu erklären:
"Wir hatten eine Grundüberzeugung vom Wert des Rechtsstaats, vom Wert der Demokratie, vom Wert der Wahrheit, von einer unabhängigen Justiz. Was ist los in Ungarn, was ist los in Polen, warum verlassen die Briten unsere Europäische Union. Vor sechs oder acht Jahren sagte der außerordentlich kluge damalige Weltbank-Präsident Bob Zoellick, China sollte ein Stakeholder, also ein Aktionär der liberalen internationalen Ordnung werden. Das ist unsere Zielvorstellung. Was wir jetzt feststellen, ist, dass China überhaupt nicht Teil von uns wird. Eins ist klar, China wird erkennbar nicht Teil des Westens sein."
Putin weist Macron mit einer Geste vor dem Konstantinpalast auf etwas hin.
Verhältnis des Westens zu Moskau - Russland und die "Reset-Politik"
Frankreichs Präsident fordert, dass Europa sein Verhältnis zu Russland neu gestaltet. Sonst werde der Kontinent nie stabil sein. In der Ukraine hat Emmanuel Macron damit Entsetzen ausgelöst. Kompromisse mit Putin könnten in der derzeitigen Lage nur zu Lasten Kiews gehen, so die Angst.
40 Staats- und Regierungschefs, 60 Außenminister und mehrere Dutzend Verteidigungsminister: Das ist nur ein Bruchteil all derer, die für das kommende Wochenende den gleichen Eintrag in ihrem Terminkalender sehen: München, Hotel Bayerischer Hof, Sicherheitskonferenz. Zweieinhalb Tage stehen zur Verfügung. "Eigentlich brauchen wir eine ganze Woche", seufzt Wolfgang Ischinger.
Ukraine, Afghanistan, Jemen, Libyen und Iran, das sind nur fünf von zehn Konflikten, die die Brüsseler NGO ‚International Crisis Group‘ 2020 für besonders wichtig hält. Und Syrien ist in den Top-Ten noch nicht einmal dabei. Angesichts der Kriege und Krisen geht Ischingers Grundstimmung wenige Tage vor der Konferenz über Besorgnis weit hinaus.
Was aus dem Münchner Konsens wurde
"Wenn ich an das aktuelle Versagen, aus meiner Sicht unverzeihliche Versagen der internationalen Staatengemeinschaft in Sachen Syrien denke, Stichwort Idlib, wenn ich an die nicht umgesetzten Beschlüsse der Berliner Libyen-Konferenz denke, da wird mir schlecht. Wer versagt denn hier eigentlich, und wessen Verantwortung ist das? Ich bin, nachdem ich jetzt über 40 Jahre in diesem Geschäft der Außenpolitik bin, ich bin zutiefst aufgewühlt über das Versagen, soweit das Auge reicht."
Wenn es nach ihm geht, dann wird Klartext geredet, in München. Einen besonders kritischen Blick wirft Ischinger auf die Europäische Union:
"Die Europäische Union vertritt 500 Millionen Menschen und ist der größte Wirtschaftsblock der Welt. Wieso sind wir eigentlich so unfähig, so total unfähig, irgendeinen einzigen Beitrag zum Frieden in Syrien zu leisten, seit inzwischen neun Jahren? Ich halte das für vollkommen inakzeptabel."
Ein Vorwurf, der sich auch an Deutschland richtet. Zum ersten Mal seit 2014 wird gleich nach Konferenzeröffnung am frühen Freitagnachmittag der Bundespräsident sprechen. Die letzte Rede ist in guter Erinnerung. Vor sechs Jahren war es Joachim Gauck, der folgende Fragen ins Zentrum der Debatte stellte:
"Hat Deutschland die neuen Gefahren und die Veränderung im Gefüge der internationalen Ordnung schon angemessen wahrgenommen? Reagiert es seinem Gewicht entsprechend?"
Bundespräsident Joachim Gauck spricht bei der 50. Münchener Sicherheitskonferenz 
Bundespräsident Joachim Gauck bei der 50. Münchener Sicherheitskonferenz 2014 (dpa / Tobias Hase)
Neben Gauck sprachen Ursula von der Leyen und Frank-Walter Steinmeier, die Legislaturperiode nach der Wahl 2013 hatte gerade erst begonnen. Steinmeiers Antwort lautete damals: "Deutschland ist eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren."
In enger Abstimmung, wortgleich, formulierten Gauck und Steinmeier damals den "Münchner Konsens". Deutschland müsse sich früher, entschiedener und substantieller einbringen. Die Übereinstimmung war so groß, dass man die entscheidende Passage der Reden übereinanderlegen kann: "… früher, entschiedener und substantieller einbringen."
Die Meinungen darüber, wie folgenreich dieser Konsens war, gehen auseinander. Der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Norbert Röttgen (CDU) meint heute:
"Das war ein Ruck, der auf der Konferenz zu spüren war, der Gleichklang der drei, und er hat auch nachgewirkt in die Gesellschaft. Aber er ist dann im Laufe der Zeit verpufft, weil man sich diesen Appell der drei nicht zum ernsthaften Maßstab des Handelns gemacht hat."
Thomas Kleine-Brockhoff sitzt in einem Eckzimmer im fünften Stock eines Bürohauses am Potsdamer Platz in Berlin. Der Blick geht Richtung Tiergarten und Reichstagsgebäude. Er leitet das deutsche Büro des German Marshall Fund, einer transatlantischen Denkfabrik. Davor war Kleine-Brockhoff Planungschef von Bundespräsident Gauck. Ja, damals habe man etwas erreicht, bilanziert er, man habe sich auf ein "mission statement" geeinigt, wie er sagt, ein Ziel deutscher Außenpolitik. Dennoch sieht er im Münchner Konsens Defizite:
"Erst mal war es nur ein Elitenkonsens, und ich würde mich fragen, ob es eigentlich ein Konsens war. Die SPD ist diesem Konsens nur im Erschrecken über die Intervention Russlands auf der Krim und später in der Ost-Ukraine im Jahre 2014 kurz nach der Münchner Sicherheitskonferenz beigetreten und hat sich davon bald wieder verabschiedet. Ich würde auch argumentieren, dass die Bundeskanzlerin, die wichtigste Person, dem Münchner Konsens nie offensiv beigetreten ist und nie politisches Kapital da rein investiert hat."
Für Christian Mölling ist der Münchner Konsens seit dem letzten Bundestagswahlkampf passé. Der Forschungsdirektor der Gesellschaft für Auswärtige Politik, DGAP, glaubt, der Konsens sei in der Berliner Blase steckengeblieben.
"Ich bin sehr gespannt, ob es Frank-Walter Steinmeier gelingen wird - wenn er es überhaupt intendiert hat - das noch mal hochzuholen. Der Erfolg kann aber dann nur sein, aus der Vergangenheit zu lernen und zu gucken, wie man den Appell, sich stärker zu engagieren, viel stärker und viel schneller in die Gesellschaft trägt. Denn zurzeit sehen wir, dass jeder das in seiner kleinen Gemeinde diskutiert, wo sich alle einig sind. Das hilft aber nicht, gesellschaftlichen Konsens herzustellen, gerade in der heutigen Zeit nicht."
Schweigen für Trump, Applaus für Merkel
Und es darf nicht nur um klassische Sicherheitspolitik gehen, mahnt die Abgeordnete Franziska Brantner von den Grünen, auch sie fährt nach München:
"Was bedeutet es für unsere Digitalisierungsstrategie, für Huawei in Deutschland, was bedeutet es für unsere Energiepolitik, die wir absprechen müssen mit den anderen Europäern, was bedeutet es für die Stärkung des Euros, wo wir als Deutsche mal endlich über unseren Schatten springen müssen: Diese zentralen Fragen für mehr strategische europäische Souveränität, die müssen jetzt auf den Tisch, und ich hoffe, dass Herr Steinmeier sie anspricht."
Als Präsident wird Frank-Walter Steinmeier neue Worte finden müssen. Die heutige Zeit, das ist nicht mehr die Gauck'sche Welt von 2014. In der Ukraine wird seit Jahren gekämpft, der neue Präsident Selenskyj wird übrigens das erste Mal nach München kommen. Das Abkommen über atomare Mittelstreckenraketen ist inzwischen Geschichte, Iran vielleicht auf dem Weg zur Atombombe. Großbritannien ist nicht länger Mitglied der Europäischen Union. Und ein Mann wie Donald Trump im Weißen Haus, das war vor sechs Jahren unvorstellbar.
US-Vizepräsident Mike Pence bei der Münchner Sicherheitskonferenz
US-Vizepräsident Mike Pence bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2019 (dpa-Bildfunk / Tobias Hase)
"Keine Frage, auch das geht vorüber, wir kommen zurück", versicherte Joe Biden im vergangenen Jahr in München, einst war er Obamas Vize-Präsident, jetzt bewirbt er sich um die Präsidentschaftskandidatur der US-Demokraten. Sein Auftritt im vergangenen Jahr hatte Folgen, so Wolfgang Ischinger vor wenigen Tagen:
"Ich habe mich nach der Konferenz im letzten Jahr persönlich beleidigt gefühlt, als mir von bestimmter Seite vorgeworfen wurde, ich würde hier einseitig vorgehen. Da wurde gesagt, 'Wie kann es sein, dass Sie Joe Biden einen Rede-Slot geben, der ist doch gegen uns, die Trump-Administration'. Ich wehre mich vehement gegen Unterstellungen oder Vorwürfe, wir würden hier die Einen gegen die Anderen bevorzugen. Das ist und war nicht der Fall und wird auch künftig, solange ich jedenfalls diesen Apparat zu leiten habe, nicht der Fall sein."
Neben US-Außenminister Mike Pompeo und Verteidigungsminister Marc Esper wird auch Energieminister Dan Brouillette am Wochenende in München erwartet - aus dem Kongress unter anderen die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und der republikanische Senator Mitt Romney. Höhepunkt der amerikanisch-europäischen Entfremdung war im letzten Jahr die Rede von US Vize-Präsident Mike Pence. Inhaltlich ein Diktat aus dem Weißen Haus, im Ton eiskalt, so beschrieben es damals viele im Saal. Das Schweigen, nachdem Pence die Grüße von Donald Trump ausgerichtet hatte, war ohrenbetäubend.
Us-Präsident Trump in London.
Konfliktforscher: "Die NATO gibt aktuell ein sehr gespaltenes Bild ab"
Beim Thema Nordsyrien könne man wie Frankreichs Präsident Macron in der Tat das Gefühl haben, die NATO sei "hirntot", sagte der Konfliktforscher Matthias Dembinski im Dlf. Aber wenn es um kollektive Verteidigung gehe, sei das westliche Bündnis "sehr agil und erfindet sich neu".
Unmittelbar nach Pence sprach die Bundeskanzlerin und erntete stehende Ovationen. Ein Jahr später erinnert sich Wolfgang Ischinger an diesen Schlüsselmoment, wie er sagt: "Das war ein, wie man auf Amerikanisch sagt, ein 'watershed-moment'. Hier tat sich was auf: Da reden wir völlig aneinander vorbei, die USA einerseits und wir Europäer andererseits. Das ist besorgniserregend, und diese Kluft müssen wir wieder verringern."
Ein Europa, stärker, selbständiger, unabhängiger, souveräner: Diese notwendige Konsequenz der aktuellen Lage wird häufig beschworen. Von strategischer Autonomie sei man weiter entfernt denn je, hatte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen im vergangenen Jahr argumentiert. Auf die Frage, ob sich inzwischen daran etwas geändert habe, zögert er einen Moment, sagt aber dann:
"Ich fürchte, dass ich feststellen muss, dass sich daran mindestens nichts geändert hat, wenn wir die weiteren Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten etwa anschauen, dann ist sichtbar geworden, wie sehr wir am Rand sind und wie sehr wir gleichzeitig betroffen sind. Ob wir jemals überhaupt autonom sein können, ist eine nochmal weitergehende Frage. Aber es fehlt schon am Strategischen. Das, fürchte ich, muss man feststellen, ja."
Gerade weil es aktuell auch um eine stärkere sicherheitspolitische Zusammenarbeit in Europa geht, richten sich große Erwartungen an den französischen Präsidenten. Emmanuel Macron wird am Samstag in München sprechen, schon im vergangenen Jahr war ein Besuch geplant. Macron sagte dann mit Verweis auf die Gelbwesten-Proteste in Frankreich ab.
Deutsch-französische Differenzen
Seit fast drei Jahren ist Macron nun im Amt, an politischen Avancen des französischen Präsidenten hat es nicht gemangelt, doch noch stottert der vielbeschworene deutsch-französische Motor. Fragt man außenpolitische Beobachter, dann tickt die Uhr - Macron muss schon jetzt auf seine Wiederwahl schauen, sagt Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er erklärt Beziehungsprobleme zwischen Paris und Berlin so:
"Deutschland hat in der Tat aus innenpolitischen Blockaden, die wir haben, nicht liefern können, nicht liefern wollen. Es gibt ein Tabu im Verteidigungsbereich, wo wir sagen, hier wollen wir nicht liefern, da sperrt sich die SPD auf der einen Seite dagegen. Und eine Veränderung im Bereich Finanz- und Wirtschaftspolitik, wo die SPD sagt, lass uns doch einfach investieren, auch in die Partnerschaft, ist für die CDU zur Zeit nicht machbar. Das heißt, Macron ist im Grunde genommen ein Opfer innenpolitischer Blockaden."
Thomas Kleine-Brockhoff formuliert es noch deutlicher: "Emmanuel Macron hat zwei Jahre lang auf eine deutsche Antwort auf seine Initiative gewartet und hat sie nicht erhalten. Dieser Mann wartet nicht länger, er handelt. Wir haben das in seiner Äußerung zum Hirntod gesehen, die über die NATO hinausweist. Er ist jemand, der eine stärkere europäische Eigenständigkeit unter französischer Führung will, der die Bundesrepublik als eine Art Schlafwandler empfindet. Das ist Teil der deutschen Passivität, wir verwechseln Stabilität mit Stagnation."
"Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete…" Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in der vergangenen Woche vor der deutsch-französischen Parlamentarierversammlung in Straßburg. Die gemeinsame Sicherheitspolitik stand im Mittelpunkt.
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger im November 2019 in Berlin
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger im November 2019 in Berlin (picture alliance / AA / Abdulhamid Hosbas)
Hier drei Beispiele für deutsch-französische Differenzen in diesem Politikfeld. Beispiel Auslandseinsätze: Mehrere Tausend französische Soldaten sind seit Jahren in der Sahel-Zone in einem Anti-Terror-Kampfeinsatz. Kramp-Karrenbauer in Straßburg letzte Woche:
"Was wir als Deutsche von Frankreich lernen können, ist die feste Überzeugung, dass wir im Kampf gegen den Terror nicht abwarten dürfen, bis die Terroristen in unserem eigenen Land und vor unseren eigenen Haustüren sind. Wir müssen uns auch woanders engagieren, damit wir Terror in Deutschland, in Europa und in Frankreich bekämpfen können."
Die Bundeswehr konzentriert sich in Mali aber auf andere Aufgaben, auf Ausbildung, auf Aufklärung, auf Objektschutz, nicht auf Kampfeinsätze. Eine Arbeitsteilung, die bei französischen Abgeordneten in Straßburg auf Skepsis stößt. Hier Christophe Arend, er sitzt für Macrons Bewegung "En Marche" in der Nationalversammlung. In Straßburg sagte Arend auf die Frage, ob die Franzosen deutsche Hilfe in der Sahel-Zone erwarten:
"Meine Antwort wäre da eher eine Frage an Sie als Deutsche. Wie denken sie, die deutschen Soldaten, die dort sind, nur um andere zu schulen oder mit administrativen Sachen kooperieren? Wie ist deren Einstellung, wenn sie die französischen Soldaten in den Kampf gehen sehen? Ich kann mir gut vorstellen, dass die deutschen Soldaten bestimmt gerne mit ihren französischen Freunden mitmachen möchten."
Beispiel Rüstungsproduktion. Ein gemeinsamer Panzer, ein gemeinsames Flugzeug: Was zunächst nach zwei klaren Projekten klingt, sorgt inzwischen für Misstöne. Vor allem bei F-CAS, dem "Future Combat Air System", geht es den Franzosen zu langsam.
Christian Mölling: "Das hat was damit zu tun, dass hier die Systeme in Deutschland und Frankreich total unterschiedlich funktionieren. Für die Franzosen ist klar, ok, wir haben das jetzt entschieden und damit marschieren die los. Das ist eine sehr technokratische Art und Weise, mit Politik umzugehen. Bei den Deutschen ist das eine ganz andere Herangehensweise, da haben wir einen langen politischen Prozess, wo viel diskutiert werden muss, auch um das Risiko solcher großen Projekte abfedern zu können, damit die nicht irgendwann mittendrin sterben."
Klimaschutz kann inzwischen jede Konferenzagenda dominieren
Beispiel Nuklearwaffen. Nach dem Austritt der Briten aus der Europäischen Union ist Frankreich die einzige Atommacht in der EU. Die Unterschiede zu Deutschland könnten größer nicht sein. Frankreich ist nicht Teil der nuklearen Planungsgruppe innerhalb der NATO, Deutschland hat Trägersysteme für US-Atomwaffen und ist dadurch Partner der sogenannten nuklearen Teilhabe. Die Bundesregierung wird in Kürze über den Nachfolger für die Bundeswehr-Tornados entscheiden müssen, die diese Rolle ausfüllen.
Innenpolitisch wird nach dem Ende des Kalten Kriegs über atomare Abschreckung kaum gesprochen. Die Positionen sind höchst unterschiedlich. Linkspartei, Grüne, AfD und Teile der SPD fordern seit Jahren einen Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland. In München wird das Thema atomare Abschreckung sicherlich zur Sprache kommen. Emmanuel Macron in der vergangenen Woche in seiner Rede vor der Militärakademie: "… un dialogue strategique…"
Die Einladung an europäische Partner zu einem strategischen Dialog über die Rolle, die die Abschreckung durch französische Nuklearwaffen für die gemeinsame Sicherheit spielen kann. Es ist ein erster Schritt Macrons, nicht mehr, nicht weniger.
Wolfgang Ischinger meint: "Sollten wir dieses Angebot annehmen? Dringlich ja! Weil wir nicht darauf vertrauen können, dass wir auf ewig unter der wunderbaren amerikanischen Käseglocke uns nur mit uns selber beschäftigen können, das ist aus meiner Sicht Traumtänzerei."
Unter den Konferenzteilnehmern sind seit vielen Jahren auch Vertreter einer Partei, die die Agenda in München in weiten Teilen grundsätzlich ablehnt. Die EU muss sich verändern, sie muss ein ziviles Projekt sein, so Alexander Neu, sicherheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Macron traut er keine wesentliche Initiative zu. Militärbündnisse lehnt seine Partei ab, Auslandseinsätze der Bundeswehr ebenso. Dennoch kommt der Abgeordnete Neu jedes Jahr wieder nach München. Drinnen im Bayerischen Hof als Konferenzteilnehmer, draußen vor dem Sicherheitsbereich als Demonstrant.
"Für uns, für die Linke ist es sehr wichtig, dass wir nach außen gegenüber der Friedensbewegung demonstrieren, wir sind auch bei euch, wir vertreten eure Interessen, wir sind drin, um an Informationen zu kommen, aber wir lassen euch nicht im Stich", sagt Neu.
Unter den Demonstranten werden sicherlich auch Aktivisten von "Fridays for Future" sein. Das Forum in Davos hat gezeigt, dass der Klimaschutz inzwischen jede Konferenzagenda dominieren kann. In München ist das nicht zu erwarten, bestätigt Wolfgang Ischinger:
"Ich glaube, es wäre ein Granatenfehler, wenn ich jetzt so tun würde, als wäre das das einzige sicherheitspolitisch zentral wichtige Thema. Nein, es ist ein sehr wichtiges Thema, deshalb haben wir mehrere Veranstaltungen, auch im Hauptprogramm der Konferenz, weil das Thema so viel öffentliche Aufmerksamkeit bekommen hat."
Wer durch das Programm der Sicherheitskonferenz blättert, findet das breite Themenspektrum aktueller internationaler Politik. Neben den bewaffneten Konflikten energiepolitische Aspekte, Handelsfragen, Abrüstung, Nahrungsmittelsicherheit, Künstliche Intelligenz. So wird sich auch Facebook-Chef Marc Zuckerberg auf der Bühne Fragen stellen. Es gibt Beratungen am Rande der Konferenz, etwa am Sonntagvormittag zum Libyen-Konflikt, und, wie jedes Jahr, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, zahllose bilaterale Gespräche in den oberen Stockwerken des Bayerischen Hofs.