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Vor der Parlamentswahl in Bulgarien
Regierung dringend gesucht

Am 11. Juli wählt Bulgarien zum wiederholten Mal ein neues Parlament. Neu gegründete Anti-Korruptions-Parteien wollen die Regierungspartei ablösen - der Zeitpunkt scheint gut, denn im Land herrscht Wechselstimmung. Der lachende Dritte aber könnte ein Newcomer aus dem Showbusiness sein.

Von Andrea Rehmsmeier |
2. September 2020: Ein Bild des bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow auf einem Verkehrsschild, aufgenommen während einer Demonstration in Sofia
Verkehrstechnische Aufforderung zum Rücktritt: Das Bild zeigt den bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow auf einem Verkehrsschild, aufgenommen am 2. September 2020 während einer Demonstration in Sofia (IMAGO / ZUMA Wire)
Ziemlich genau ein Jahr ist es her, da erschütterte eine kleine Begebenheit am Strand des Schwarzen Meeres Bulgarien. Seitdem hat sich die Republik verändert.
Am 7. Juli 2020, nahe dem Hafen Rosenets in Burgas, landet am Schwarzmeerstrand eine Jolle an. Ein bärtiger Mann steigt aus, und watet durch die Wellen an Land. In der Hand hält er die rot-grün-weiße Flagge Bulgariens, um sie in den Sand zu rammen. Zwar steht hier die Villa eines bekannten bulgarischen Oligarchen, der Strand selbst aber ist öffentlich – das zumindest sollte er sein.
Doch der Mann kommt nicht weit. Eine Gruppe Männer stürmt auf ihn zu und stößt ihn zurück. Das entstehende Gerangel wird von Aktivisten gefilmt. Kurz darauf ist die Szene online und läuft als Videostream in den sozialen Netzen. Auch das bulgarische Nationalradio berichtet. Wie viele seiner Landsleute ist der Journalist Teodor Ivanov empört über die Szene.
"Die Männer haben sich nicht ausgewiesen! In wessen Auftrag sie bulgarische Bürger davon abhalten, den Strand zu betreten, haben sie nicht gesagt. Der Strand ist doch kein Privateigentum!"

Es liegt ein Umbruch in der Luft

Bulgarien, die Sieben-Millionen-Einwohner-Republik am Schwarzen Meer: Die Armut ist hoch, die Korruption weit verbreitet, die Pressefreiheit bedroht. Die Bulgarinnen und Bulgaren scheinen sich daran gewöhnt zu haben. Doch jetzt werden die politischen Karten neu gemischt. Die Wechselstimmung im Land zeigte sich im April 2021: da war das Wahlvolk zum ersten Mal in diesem Jahr zur Parlamentswahl aufgerufen.
Demonstrierende in Sofia mit einem Plakat auf dem "Rücktritt" steht
Demonstrierende in Sofia mit einem Plakat auf dem "Rücktritt" steht (Valentina Petrova/AP/dpa)
Die regierende GERB-Partei – bei ihren Kritikern ein Sinnbild für Korruption und Seilschaften mit Oligarchen – blieb zwar mit knapp 26 Prozent stärkste Kraft. Doch der Verlust an Wählerstimmen war groß und die übrigen Parteien wollten mit GERB keine Koalition eingehen. Der umstrittene Premierminister Boyko Borissow, der der GERB-Partei vorsitzt, trat nach elf Jahren Regierungszeit im Mai von seinem Amt zurück. Eine Regierungsbildung erwies sich als unmöglich. Darum werden die Wahlen am kommenden Sonntag (11.7.2021) wiederholt. Derzeit werden die Staatsgeschäfte in Bulgarien von einer Übergangsregierung verwaltet.
Radiojournalist Teodor Ivanov glaubt: Der Auslöser des Umbruchs war die Aktion im Rosenets-Hafen.
"Viele Menschen waren ehrlich geschockt. Vielleicht liegt das an der Medienberichterstattung, aber die Leute hier wissen nur sehr allgemein über das Bescheid, was im Land vor sich geht. Dieses Mal aber konnten sie zuschauen: Das ist der Ort, das sind die Personen und das ist ihr Vergehen!"

Ein Ex-Minister als politischer Aktivist

Der bärtige Mann, der am 7. Juli 2020 mit Bulgarienflagge in der Hand den Strand am Hafen Rosenets zu stürmen versuchte, ist in der politischen Szene Bulgariens ein bekanntes Gesicht: Es ist der ehemalige Minister Hristo Ivanov, der bereits im Jahr 2015 die Regierung verlassen hat, um gegen das autoritäre Gebaren von Premierminister Boyko Borissov zu protestieren. Heute ist Ivanov Vorsitzender der Protestpartei "Ja, Bulgarien!" und eine Leitfigur des Oppositionsbündnisses "Demokratisches Bulgarien". Das Bündnis setzt sich für einen engagierten Reformkurs ein. Bei den Parlamentswahlen im April 2021 erzielte es mit über 9 Prozent immerhin einen Achtungserfolg.
Wer aber waren die Männer, die Ivanov am Tag der "Rosenets-Aktion" vom Betreten des öffentlichen Strandes abhalten wollten? Am 7. Juli 2020 richten die Aktivisten diese Anfrage an den Präsidenten Bulgariens, Rumen Radev. Dieser ist ein Gesinnungsgenosse der Aktivisten: Auch er hat sich immer wieder gegen die "Oligarchenherrschaft" in Bulgarien ausgesprochen. Seine Antwort kommt wenige Stunden später und sie ist skandalträchtig:
Die Männer gehören dem Nationalen Sicherheitsdienstes NSS an. Dieser ist für den Personenschutz von Staatsoberhäuptern zuständig, nicht aber, um eine öffentlichen Strand zu bewachen, den ein Oligarch offensichtlich als sein persönliches Eigentum betrachtet. Oppositionspolitiker Ivanov erstattet Anzeige. Die Staatsanwaltschaft jedoch, anstatt eine Untersuchung gegen den Oligarchen einzuleiten, steht mit einem Durchsuchungsbefehl vor dem Präsidentensitz. Dort verhaftet sie zwei Beamte der Präsidialverwaltung.

Ein Volk begehrt auf

Dieser Tag, der 9. Juli 2020, ist der Auftakt für wütende Massendemonstrationen, die bis zum Herbst andauern werden. Spontan versammeln sich Demonstranten vor dem Präsidentensitz, um Rechtsstaatlichkeit zu fordern. In ihren Augen ist die staatsanwaltlich verfügte Untersuchung ein Ergebnis von lange gewachsenen Seilschaften: Generalstaatsanwalt Ivan Géschev, glauben sie, ist mit Premierminister Borissov im Bunde. Die Demonstranten fordern den Rücktritt von beiden: von Generalstaatsanwalt Ivan Geschev und von Premierminister Boyko Borissov, der gleichzeitig der Vorsitzende der GERB-Partei ist. Journalist Teodor Ivanov kann die Motivation der Protestler gut verstehen.
Zu sehen sind viele Demonstrierende, die Parolen rufen und ihre Hände hochrecken.
Der Tag - Die Wut der Menschen in Bulgarien
Im Herbst 2020 kam es in Bulgarien zu monatelangen Demonstrationen - was fordern die Demonstrierenden? Und welche Perspektiven haben die Proteste?
"Die GERB-Partei steht für gar nichts. Sie ist nicht rechts, sie ist nicht links. Sie ist populistisch. Die Europäer denken, GERB sei pro-europäisch. Ich selbst glaube: Sie war nie für Europa, sondern immer nur für das europäische Geld."
"GERB", auf deutsch: "Wappen". Gleichzeitig ist der Parteiname ein Kürzel: G-E-R-B steht für "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens".

Gerüchte über russische Inverventionen

Die Realpolitik der Regierungspartei aber hat im Westen immer wieder Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Regierungspartei GERB geweckt. Der Sicherheitsexperte Jordan Bojilov:
"GERB, die Regierungspartei, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie strategisch wichtige Infrastrukturprojekte zum Vorteil von Russland vorantreibt. Zum Beispiel hat Bulgarien gerade mit seinem eigenen Geld eine Pipeline für russisches Gas gebaut, die die 'Turkish Stream'-Pipeline mit dem Gassystem von Serbien verbindet. Borissovs Partei steht also in Verdacht, für die Interessen von Russland zu arbeiten."
Der Bau der Pipeline "Balkan Stream" war nicht die einzige Irritation. Auch eine Serie von Explosionen in Munitions-Depots der Armee, die seit dem Jahr der Krim-Annektion 2014 gehäuft auftraten, ist seit einigen Monaten wieder verstärkt in der öffentlichen Diskussion. Vernichtet der russische Geheimdienst auf bulgarischem Boden Munition, die für die militärische Unterstützung der Ukraine gedacht ist? War Russland im Jahr 2015 womöglich auch in die Vergiftung eines bulgarischen Waffenhändlers verwickelt?
Nicht wenige politische Beobachter halten das für wahrscheinlich. Abschließend beantwortet sind diese Fragen allerdings nicht, denn die bulgarische Staatsanwaltschaft hat in diesen Fällen über die Jahre hinweg so gut wie nicht ermittelt.

Zweifel an Integrität der Behörden

"Erst als die Tschechische Republik bekannt gab, ihr lägen Erkenntnisse vor, dass ähnliche Explosionen auf tschechischem Boden auf den russischen Geheimdienst zurückgehen, haben die bulgarischen Ermittler ihre Arbeit aufgenommen. Aber echte Informationen haben wir bis heute nicht. Dazu kommt: Aus dem Innenministerium sind Dokumente verschwunden, die möglicherweise einen Hinweis auf eine Spur nach Russland gegeben hätten. Das hat die Gerüchte weiter angeheizt. Aber wenigstens haben jetzt die Ermittlungen begonnen."
Ein Mann geht in Sofia an den Flaggen Bulgariens und der EU vorbei
"Ich lebe hier gefährlicher als ein Soldat in Afghanistan"
In Bulgarien sollen sich Politiker und Medienmogule wiederholt an EU-Geldern bereichert haben. Berichtet wird darüber allerdings kaum – auch weil das lebensgefährliche Konsequenzen haben kann.
Kurz vor den ersten Parlamentswahlen dieses Jahres im April hat die Regierung zwei russische Diplomaten aus Bulgarien ausgewiesen. Wollte die Regierung endlich ein machtvolles Zeichen gegen russische Einmischung auf bulgarischem Boden setzen? Ist die Ausweisung womöglich sogar ein Zeichen der Abkehr von Russland, im Interesse von Europas Sicherheit? Bojilov glaubt das nicht. Er vermutet: Die Regierungspartei GERB geriet zunehmend unter Rechtfertigungsdruck.
"Ich glaube, sie wollten einfach die Spekulationen nicht weiter anheizen. Und der europäischen und transatlantischen Welt zeigen, dass Bulgarien nur für seine eigenen Interessen arbeitet, und nicht für die von Russland."

Mangelnde Rechtsstaatlichkeit

Lange haben Bulgariens westliche Verbündete über die innenpolitischen Skandale der Regierungspartei hinweggesehen. Jetzt, so scheint es, hat sie das Wohlwollen verspielt. Und das nicht nur bei den USA, die Sanktionen über Dutzende korruptionsverdächtige Unternehmen und Bürger verhängt hat. Die EU-Kommission kritisiert die mangelhafte Korruptionsbekämpfung, das Europaparlament mahnt zu Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Pressefreiheit und Gewaltenteilung.
Genau das forderten im Protestsommer 2020 auch die Demonstranten. Den ganzen Sommer über, auf den Straßen und Plätzen von Sofia, traten sie dafür gegen eine martialisch auftretende Polizei an. Der Journalist Teodor Ivanov war als Radioreporter dabei.
"Sie haben einzelne Menschen aus der Masse herausgezerrt, um sie hinter den Säulen der Regierungsgebäude zu verprügeln. Das war für viele ein Schock. Und es hat die Proteste gegen Premierminister Borissov weiter angefacht."
Der neue Abschnitt der Struma-Autobahn bei Blagoevgrad in Bulgarien
Korruption in Bulgarien - Verdächtiger Autobahnbau
Bauarbeiten noch vor Abschluss der Ausschreibung und eine Trassenführung durchs Naturschutzgebiet: Der Bau der Struma-Autobahn ist ins Visier investigativer Journalisten geraten, die Korruptionsfälle aufdecken.
Wem die mangelnde Rechtsstaatlichkeit bis dahin noch nicht aufgefallen war, der bekam während der Massenproteste genügend Anschauungsmaterial, sagt Ivanov.
"Einmal wurden etwa 20 verhaftete Demonstranten in ein Polizeirevier gebracht. Dort wurden sie illegal festgehalten. Als ihre Rechtsanwälte kamen und forderten, mit ihren Klienten zu sprechen, da sagte man ihnen: 'Hier sind keine Verhafteten!'. Und das, obwohl auf mehreren Videos und Fotos eindeutig zu sehen war, dass die Menschen in genau diesem Revier festgehalten wurden. Von solchen spannungsgeladenen Protestabenden gab es eine ganze Reihe."

Missbrauch von EU-Geldern

Die Republik Bulgarien ist im Jahr 2007 der Europäischen Union beigetreten. Seitdem hat sie - wie alle Beitrittsstaaten - viele EU-Hilfen erhalten, um einen funktionsfähigen und demokratischen Staat aufzubauen. Was ist mit diesem Geld geschehen, in den elf Jahren unter der Regierung Borissov? Diese Frage kann die Rechtsexpertin Lora Georgieva beantworten. Sie arbeitet für den Anti Corruption Fund ACF, eine Nichtregierungsorganisation, in der vor allem Juristen und Journalisten arbeiten. Und die in den vergangenen Jahren mehrere große Korruptionsfälle aufgedeckt hat.
27.05.2019, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Daniel Freund, neu gewähltes Mitglied im Europaparlament für Bündnis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen, steht am Rheinufer an einem Baum. Hier äußern sie sich zu den Ergebnissen der Europawahl. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa | Verwendung weltweit
Korruption in Bulgarien - „Hart zu sehen, wie viel Geld vor Ort verschwindet“
Der Europaparlamentarier Daniel Freund von den Grünen war in Bulgarien, um sich vor Ort über die Korruption zu informieren. EU-Gelder würden dort mehr Schaden anrichten als helfen, sagte Freund im Dlf.
"Vor ein paar Monaten gab es einen Fall nahe der Küstenstadt Varna. Dort sollte mit EU-Hilfen ein Fischereihafen gebaut werden. Eigentlich war das Geld für die Modernisierung alter Häfen vorgesehen, nicht für den Neubau. Gebaut wurde dennoch ein neuer Hafen - und zwar einer, der für Fischereizwecke völlig ungeeignet ist: Er ist zu klein für große Schiffe und der Standort ist so abgelegen, dass niemand zum Fisch kaufen dorthin fahren würde.
Aber jetzt steht er da, der neue Hafen - brandneu und sehr schick, aber völlig leer: keine Boote, keine Menschen, nichts. Interessanterweise entsteht in unmittelbarer Nähe gerade ein Neubaugebiet mit extravaganten Häusern. Also liegt die Vermutung nahe: Er soll als Yachthafen für die Hausbesitzer dienen. Dieses Beispiel für den Missbrauch von EU-Geld ist typisch."

"Versagen des Systems"

Längst nicht alle EU-Hilfen sind in dunklen Kanälen versickert, beruhigt Rechtsexpertin Georgieva. Aber immer wieder sei es vorgekommen, dass Geld über undurchsichtige Vergabeverfahren an Unternehmen mit guten Privatkontakten zur Regierung geflossen ist. Denn Seilschaften und Korruption, berichtet sie, gebe es in Bulgarien im Alltagsleben wie auch in höchsten Regierungskreisen.
Das Problem: Der nicht funktionierende Justizapparat, der Ermittlungen verschleppt und keine abschreckenden Strafen verhängt. 40 große Korruptionsfälle aus den vergangenen fünf Jahren hat der Anti Corruption Fund untersucht. Nur in drei Fällen davon kam es zu einer strafrechtlichen Verurteilung der Verdächtigen. Georgieva glaubt: das ist kein Zufall, sondern Versagen des Systems.
"Der Generalstaatsanwalt zum Beispiel unterliegt keinerlei Kontrolle - und so etwas kann nicht im Sinne der Gewaltenteilung sein. Er muss seine Entscheidungen vor niemandem verantworten. Natürlich sollte der derzeitige Amtsinhaber, Ivan Geschev, seinen Hut nehmen. Aber wenn wir anschließend nicht einen nächsten Geschev bekommen wollen, müssen wir das System ändern. Das hätte schon vor vielen Jahren geschehen müssen. Die Europäischen Institutionen haben so viele Berichte über dieses Problem verfasst. Es gab Empfehlungen von der Venedig-Kommission des Europarats, es gab zu dieser Frage sogar Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Das geht jetzt seit zehn Jahren, aber es hat nichts geändert. Ja, wir brauchen definitiv eine Justizreform!"

Ein Entertainer mit politischen Ambitionen

Mit der Parlamentswahl am Sonntag könnte die neue Ära in Bulgarien beginnen – und in der könnte es musikalisch zugehen. "Chalga" heißt die partyfähige Mischung aus Balkan-Folklore und Easy-Listening-Pop, "Slavi und die Ku-Ku-Band", nennen sich die Interpreten dieses Stückes. Ihr Sänger, ein charismatischer Glatzenträger, ist ein Urgestein des bulgarischen Showbiz: Stánislav Trífonov ist nicht nur Musiker, sondern auch Bulgariens beliebtester Talkmaster. Prominente von Shimon Peres bis Charlie Sheen waren schon Gäste seiner Late Night Show.
Dass Trífonov auch politische Ambitionen hat, das wissen die Bulgaren seit 2015. Damals nutzte er seine Prominenz, um das politisches System per Referendum zu ändern. Die Volksbefragung scheiterte um Haaresbreite an zu wenig Beteiligung. Bei den Parlamentswahlen im April 2021 holte zwar die GERB-Partei die meisten Stimmen, dennoch galt Trífonov als Überraschungssieger. Als Gründer der Protestpartei "Es gibt so ein Volk" kam er aus dem Stand auf mehr als 17 Prozent. Denn "Slavi", den Sänger und Talkmaster, kennt in Bulgarien jedes Kind. Wofür aber steht seine Partei politisch? Das wissen nicht einmal langjährige Kenner der Polit-Szene, wie der Politologe Yavor Siderov.
"Ich bin nicht sicher, wofür sie steht. Ich glaube, das Schweigen hat taktische Gründe. Die Parteivertreter sagen nichts, um ihre potenziellen Wähler nicht zu verschrecken. Bislang war das ein politisches Abenteuer. Aber bald werden sie offen sprechen müssen - und zwar schon in sehr naher Zukunft."
Yavor Siderov, Journalist, Regierungsberater, Hochschuldozent und einer von Bulgariens gefragtesten Medienkommentatoren. Wie also stehen die Chancen, dass nach den Wahlen eine neue Regierungspartei mit frischem Elan die dringend notwendigen Reformen durchsetzt? "Ich denke, wir stecken da in einer schwierigen Situation. Schlimmstenfalls könnten wir überhaupt keine Regierung haben, und das für lange Zeit."

Kommt eine Regierung aus unabhängigen Experten?

Eine abgewirtschaftete Regierungspartei mit zweifelhaften Unterstützerstrukturen. Eine sozialistische Partei mit alternder Stammwählerschaft. Ein ambitioniertes Oppositionsbündnis, das es aber selbst mit vereinten Kräften auf kaum mehr als zwölf Prozent bringen wird. Für einen entschlossenen Reformkurs braucht es stabile Mehrheiten, die aber sind nicht in Sicht. Auf lange Sicht ist Siderov dennoch optimistisch.
"Was man sicher sagen kann: Die nächste Regierung - wie und wann auch immer sie zustande kommt - wird eine Regierung aus erfahrenen und unabhängigen Experten sein. Experten, wie sie etwa in der Partei 'Es gibt so ein Volk' oder in dem Oppositionsbündnis 'Demokratisches Bulgarien' zu finden sind."
Bei der kommenden Parlamentswahl gibt es eine große Unbekannte: Slavi Trífonov und seine Partei "Es gibt so ein Volk", die ihre Agenda noch nicht verraten hat.
"Der neue Regierungschef wird sicher nicht 'Slavi' heißen. Trífonov hat bereits bekannt gegeben, dass er weder Parlamentsabgeordneter noch Premierminister werden will. Und das ist ein kluger Schachzug. Slavi Trífonov ist Showman, kein Politiker. Ich kann mir vorstellen: Er nutzt seine Popularität als Brücke, um den Experten an die Macht zu verhelfen. Damit diese das Regierungsgeschäft übernehmen."