Archiv

Vor der Syrien-Konferenz
"An russischem Plan ist manches Gute"

Die Syrien-Konferenz am Samstag in Wien macht nach Ansicht des Sicherheitsexperten Wolfgang Ischinger Hoffnung auf eine politische Lösung. Die Vorschläge aus Russland hätten gute Ansätze. Inzwischen seien alle Seiten zur Einsicht gelangt, dass man nicht gleichzeitig den IS bekämpfen und den syrischen Präsidenten Assad absetzen könne, sagte Ischinger im DLF.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Peter Kapern | 13.11.2015
    Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz.
    Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz. (picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    Es werde keine schnellen Lösungen geben, doch werde mit der Konferenz in Wien am Samstag ein neuer Prozess für eine politische Lösung in Syrien angestoßen. "Mit dem russischen Papier kann man arbeiten." Manche der Positionen seien im Kern dieselben, die auch von Deutschland vertreten würden. Es sei bedauerlich, dass Pläne von einigen im Westen disqualifiziert würden, nur weil sie aus Moskau kämen, sagte der Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz im Deutschlandfunk.
    So wolle Moskau etwa den UNO-Sondergesandten in den Prozess mit einbinden und über eine Verfassungsreform und Wahlen sprechen. Ischinger lobte die USA und Russland für die Initiative zu den neuen Gesprächen. Er bedauerte aber zugleich, dass die Europäische Union zu wenig aktiv gewesen sei. Sie müsse - auch aufgrund der Flüchtlingsbewegung nach Europa - eine tragende Rolle in den Verhandlungen übernehmen.
    Kampf gegen den IS hat Priorität
    Einer der Streitpunkte wird nach Einschätzung Ischingers sein, wer aus den Oppositionsgruppen an dem politischen Prozess beteiligt werde. Er erwarte hier "ein Hauen und Stechen", weil es darum gehe, die eigenen Verbündeten einzubinden. Es komme jetzt außerdem darauf an, dass die diversen Gruppen, die sich in Syrien bekämpften, nicht das Gefühl hätten, dass sie ihre Ziele auch ohne den politischen Prozess erreichten. Sonst seien sie nicht dazu bereit, sich mit ihren Gegnern an einen Tisch zu setzen.
    Ischinger betonte, alle Seiten hätten inzwischen eingesehen, dass man nicht gleichzeitig die Terrormiliz IS bekämpfen und den syrischen Präsidenten Assad "von der Bildfläche verschwinden lassen" könne. Das allerwichtigste sei eine gemeinsame Front gegen den IS.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: In Wien beraten am Samstag 17 Staaten sowie die Europäische Union und die Vereinten Nationen über ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien. Die Außenminister waren zuletzt am 30. Oktober in dieser Sache zusammengekommen. Einstimmigkeit herrscht darüber, dass die Syrer selbst über ihre Zukunft entscheiden, dass Regierungsvertreter und Oppositionelle sich an einen Tisch setzen sollen. Wer aber als verhandlungsfähig gilt und wer als Terrorist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Russland kann in Wien aus einer Position der Stärke heraus auftreten. Wladimir Putin hat mit seiner Luftwaffe Fakten geschaffen und demonstriert weiterhin den Schulterschluss mit Syriens Diktator Baschar al-Assad.
    Bei uns am Telefon ist Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Guten Morgen, Herr Ischinger.
    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!
    Kapern: Herr Ischinger, wie taxieren sie die Chancen, dass man beim Treffen in Wien und tags darauf beim G20-Treffen in der Türkei einem Ende des syrischen Bürgerkriegs zumindest ein gutes Stück näherkommt?
    Einen russischen Plan nicht bereits im Vorfeld automatisch disqualifizieren
    Ischinger: Wir hatten vor Jahren das, was man in unserer Fachsprache Genf I nennt, also einen ersten Versuch, einen diplomatischen Friedensprozess - das war zumindest die Absicht - in Gang zu setzen. Das ist damals nicht gelungen. Es gab kein follow up, keine konsequente Weiterverfolgung dieses Ziels. Jetzt ist durch die neue Initiative - dies ist ja eigentlich präzise gerechnet schon das dritte Treffen; es gab ein kleineres Treffen, dann gab es das größere Treffen vor etlichen Tagen, an dem die Bundesregierung teilnahm, und dies ist jetzt das dritte Treffen. Damit ist endlich nach Jahren des Nichtstuns diplomatische Bewegung in die Syrien-Krise gekommen. Wir sollten nicht die Hoffnung haben, dass hier auf Knopfdruck innerhalb von wenigen Tagen oder gar Wochen ein Friedensplan nicht nur entworfen, sondern auch umgesetzt werden kann. Aber zumindest ist jetzt ein Prozess angeleiert worden, der, wenn er fortgesetzt werden wird - und ich hoffe, dass die europäischen Teilnehmer alles daran setzen, dass dies ein sich verstetigender Prozess wird -, dann haben wir zumindest Aussicht darauf, dass eine gemeinsame Grundposition erarbeitet werden kann zwischen Russland auf der einen Seite, dem Westen auf der anderen Seite und auch den Anrainern Syriens. Das gibt also eine gewisse vorsichtige Hoffnung.
    Kapern: Welche Rolle auf dem Weg zu dieser Grundübereinstimmung, von der Sie da gesprochen haben, spielt denn der russische Acht-Punkte-Plan, diese Skizze, die unter dem Bedauern Moskaus jetzt vor den Gesprächen von Wien publik geworden ist?
    Ischinger: Ich persönlich kann an diesem russischen Plan manches Gute finden. Ich finde es bedauerlich, dass manche Kommentatoren im Westen einen russischen Plan, bloß weil er ein Plan aus Moskau ist, bereits im Vorfeld automatisch disqualifizieren. Ich finde es richtig und gut und lobenswert, dass dieser Plan ausdrücklich Bezug nimmt auf die erhoffte Rolle des UN-Sondergesandten Staffan de Mistura. Das ist jedenfalls im Kern dieselbe Position, die zum Beispiel die Bundesregierung und andere europäische Staaten haben. Auch wir haben die Hoffnung, dass dieser Auftrag, dieser Verhandlungsauftrag, den der UNO-Sondergesandte hat, dass der mit Inhalt erfüllt werden kann. Dazu braucht er Unterstützung. Es ist also gut, dass Russland ihn einbaut in diesen Plan. Es ist auch gut und richtig, dass Russland über Verfassungsreformen spricht. Es ist gut und richtig, dass der Plan über Wahlen spricht. Ich vermute, dass einer der Dollpunkte, um diesen Begriff zu verwenden, dass einer der Dollpunkte die Frage sein wird: Wer soll denn aus den syrischen Oppositionsgruppen an einem politischen Prozess teilnehmen dürfen.
    Die Europäer hätten mehr tun müssen
    Kapern: Wie kann man da eine Brücke bilden, Herr Ischinger? Wie kann man ein Verständnis darüber finden, ob nun die einen tatsächlich Terroristen sind, oder ob sie nur eine legitime Opposition gegen Baschar al-Assad darstellen?
    Ischinger: Diese Entscheidung wird genau nach denselben Grundsätzen ablaufen wie jeder andere diplomatische Prozess. Da gibt es ein give and take. Da werden die einen dieses fordern und die anderen jenes und dann wird man sich versuchen, ohne Gesichtsverlust auf beiden Seiten irgendwo halbwegs in der Mitte zu treffen. Ich halte das jedenfalls nicht für unmöglich. Da wird es Hauen und Stechen geben, weil es da natürlich, um es salopp auszudrücken, auch um die Wurst geht, ob man die eigenen Verbündeten on the ground tatsächlich in einer günstigen Ausgangsposition in einen solchen politischen Zukunftsprozess einbinden kann. Aber noch einmal: Das sind Einzelfragen, diplomatische Verhandlungen. Es ist ja auch erfreulich aus meiner Sicht, dass diese morgige Sitzung nun vorbereitet werden soll durch Arbeitsgruppen, selbst wenn aus Moskau formaler Protest oder prozessualer Protest über die Art des Vorgehens geäußert wird. Das halte ich ein bisschen für Theaterdonner. Im Prinzip haben wir jetzt zum ersten Mal einen ernsthaften Versuch, das Problem anzupacken. Und wenn Sie mir noch eine Bemerkung erlauben - noch schöner wäre es gewesen, sage ich als überzeugter Europäer, wenn dieser Syrien-Friedensprozess-Versuch nicht, wie so immer in der Vergangenheit, von den USA hätte in die Hand genommen werden müssen, sondern wenn die EU imstande gewesen wäre, als Hauptleidtragender der Flüchtlingsströme dieses Werk von sich aus initiativ zu betreiben. Es ist aber richtig und wir sollten die USA und auch Moskau dafür loben, dass die beiden Großmächte sich aufgerafft haben und diesen Prozess initiiert haben. Die EU muss jetzt aber eine tragende Rolle bei diesem Prozess und in seiner Umsetzung spielen.
    Kapern: Herr Ischinger, lassen Sie mich noch mal ganz kurz zu diesem russischen Acht-Punkte-Papier zurückkommen. Da gibt es einen Punkt, der findet sich darin nicht, nämlich der Punkt, in dem bestimmt wird, dass Baschar al-Assad von der Macht in Syrien lässt. Wer soll die Opposition dazu bringen, sich unter diesen Bedingungen an einen Tisch mit dem Regime in Damaskus zu setzen?
    Ischinger: Na ja. Wissen Sie, denken Sie mal 20 Jahre zurück an die Balkan-Kriege. Ich fühle mich deswegen daran immer wieder erinnert, weil auch damals Hunderttausende von Menschen erst einmal sterben mussten, bevor man ernst machte mit einem diplomatischen Prozess. Das ist ein dramatisches Versagen der internationalen Diplomatie, das wir leider die letzten vier Jahre auch erleben mussten. Es wird darauf ankommen, ob die diversen Gruppen auf allen Seiten das Gefühl haben, dass sie ihre Ziele auch ohne einen solchen politischen Prozess erreichen können. Wer glaubt, dass er entweder mit Waffengewalt oder auf andere Weise in Syrien die Macht erringen und behalten kann, der wird sich nicht mit seinen eigenen Gegnern an einen Tisch setzen.
    Der politische Prozess wird selbst von den Russen angesprochen
    Kapern: Das erste Ziel dieser Oppositionellen ist doch, dass Baschar al-Assad weg soll.
    Ischinger: Ich glaube, wir sind inzwischen einen Schritt weiter, Herr Kapern. Ich glaube, alle, manche knurrend, manche mit großen moralischen und verständlichen großen moralischen Problemen, alle sehen jetzt ein, dass man in der Lage, die sich nun ergeben hat, nicht beides gleichzeitig erreichen kann. Man kann nicht effektiv den Islamischen Staat bekämpfen und gleichzeitig Assad von der Bildfläche verschwinden lassen. Wer soll denn in der Interimszeit das Land führen, wenn es darüber keine Einigung gibt? Ich glaube, dass sich allmählich herausmäntelt die Einsicht auf allen Seiten - wie gesagt, das hat viel zu lange gedauert -, dass man hier first things first sagen muss, also zunächst mal das Allerwichtigste, eine gemeinsame Front gegen den islamic state und dann in einem zweiten Schritt den politischen Prozess. Es wird ja erfreulicherweise auch in diesem russischen Papier nicht etwa gesagt, jetzt geht es nur um die Bekämpfung des Islamischen Staats, sondern der politische Prozess wird selbst von den Russen angesprochen. Das halte ich für erfreulich. Ich glaube also, man kann auf dieser Basis oder jedenfalls auch mit dieser Basis - es muss ja nicht so sein, dass das russische Papier das einzige Papier dieser Konferenz bleibt -, man kann damit arbeiten. Das ist jedenfalls mein Eindruck.
    Kapern: ... sagt Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Herr Ischinger, danke, dass Sie heute Früh Zeit für uns hatten.
    Ischinger: Vielen Dank! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.