Morgennebel liegt über dem See, sämtliche Segelboote sind winterfest vertäut. Nur ein paar Möwen streiten sich um einen Kanten Brot. Die Gemeinde Küsnacht liegt am Zürichsee – an der Goldküste, wie man hier das Nordostufer nennt, weil es besonders privilegiert ist: mit reichlich Sonne, hohen Immobilienpreisen und tiefen Steuern.
Die Pauschalsteuer, die reiche Ausländer nur geringfügig besteuert, wurde hier – wie im gesamten Kanton Zürich – nach einer Volksabstimmung im Jahr 2009 abgeschafft. Daraufhin zogen dreizehn der 19 pauschalbesteuerten Anwohner aus Küsnacht weg, zwei Drittel von ihnen in andere Kantone. Dem Gemeindepräsidenten Markus Ernst, FDP, hat das jedoch keine schlaflosen Nächte bereitet, wie er sagt.
"Nein, es hat mich wirklich nicht geärgert: Wenn jemand nur bei uns ist der tiefen Steuern wegen, dann weine ich dem wirklich keine Träne nach. Ich bin nicht Gemeindepräsident für Leute, die Geld sparen wollen. Ich bin Gemeindepräsident für Leute, die in Küsnacht sind, weil sie sich hier wohlfühlen – und nicht aus steuerlichen Gründen."
Nun fällt auch die Steuerbilanz für Küsnacht positiv aus: Allein die sechs verbliebenen Ausländer zahlen heute zwanzig Prozent mehr Steuern als die vorher 19 Pauschalbesteuerten. Und die stattlichen Anwesen am Zürichsee waren schnell wieder an zahlungskräftige Schweizer verkauft. Allein:
"Küsnacht ist nicht repräsentativ für den Rest der Schweiz,"
meint Thomas Hess, Geschäftsführer vom Kantonalen Gewerbeverband Zürich.
"In einer Gemeinde im Kanton Wallis oder Graubünden ist es relevant, ob ein, zwei Pauschalbesteuerte wegziehen oder nicht. Und wenn man es noch weiter runterbricht in die einzelnen Gemeinden, dann ist es noch viel klarer: Also es gibt wirklich Gemeinden, die dann die Steuern erhöhen müssten."
Insgesamt 700 Millionen Franken Einnahmen
Rund 5.600 ausländische Multimillionäre werden derzeit "nach dem Aufwand" besteuert, wie es offiziell heißt – vorausgesetzt, sie gehen in der Schweiz keiner Erwerbstätigkeit nach. Statt ihres Einkommens oder Vermögens müssen sie also nur einen von der Gemeinde festgelegten Pauschalbetrag versteuern – in der Regel bisher den fünffachen Mietwert ihrer Wohnkosten. Macht insgesamt 700 Millionen Franken Einnahmen, die nach der Abschaffung fehlen würden – und von regulären Steuerzahlern ausgeglichen werden müssten, rechnet Thomas Hess vom Gewerbeverband vor:
"Ich bin da sehr pragmatisch: Ich finde es gerechtfertigt, vielleicht nicht gerecht – aber es ist gerechtfertigt, dass ein Kanton sagt: Ja, wir wollen die Pauschalbesteuerung, weil wir brauchen diese Einnahmen. Ansonsten müssen wir mit den Steuern hoch."
Deshalb sprach sich der Gewerbeverband, wie auch Bundesrat und Parlament, gegen eine Abschaffung aus. Betroffen davon wären vor allem die Kantone Waadt, Wallis, Tessin, Genf, Graubünden und Bern, wo heute die meisten Pauschalbesteuerten leben – und die Gemeindefinanzen entscheidend aufpäppeln. Der Küsnachter Gemeindepräsident Ernst bleibt skeptisch:
"Da ist guter Rat teuer tatsächlich. Ich finde es grundsätzlich fraglich, wenn man über Steuerwettbewerb spricht, wenn dann finanzschwache Gemeinden durch Dumping-Angebote gutes Steuersubstrat fast verschenken, ist das eine grundsätzlich falsche Politik."
In der Gemeinde St. Moritz macht die Pauschalsteuer sogar ein Drittel der gesamten Steuereinnahmen aus, sechs Millionen Franken. Deshalb spendete der Gemeindevorstand des Nobelskiortes 50.000 Franken an die Kampagnen-Gegner. Markus Ernst, Gemeindepräsident von Küsnacht, sieht das kritisch.
"Einerseits finde ich es problematisch, wenn sich die öffentliche Hand aktiv in den Wahlkampf einmischt. Natürlich darf man eine Meinung haben, die habe ich auch. Aber es käme mir nicht in den Sinn, dafür Steuergelder einzusetzen. Das andere ist, dass St. Moritz meiner Meinung nach da selbstbewusster auftreten müsste. Auch St. Moritz hat mehr zu bieten als tiefe Steuern."