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Vor Entscheidung über Fidesz-Ausschluss
"Ungarn ist eine entkernte Demokratie"

Stephan Ozsváth hat sich im Dlf für einen Ausschluss der rechtsnationalen Fidesz-Partei von Ungarns Präsident Viktor Orbán ausgesprochen. Dieser tanze der EVP schon lange "auf der Nase herum", sagte der Südosteuropa-Experte. Ungarische Diplomaten würden mittlerweile sogar Entscheidungen bei der EU blockieren.

Stephan Ozsváth im Gespräch mit Mario Dobovisek | 20.03.2019
Das Bild zeigt Viktor Orban aus der Ferne. Er winkt Anhängern zu, die die ungarische Flaggen schwenken.
Rede von Ungarns Ministerpräsident Orban am Nationalfeiertag (dpa-bildfunk / MTI / Zsolt Szigetvary)
Mario Dobovisek: Wir haben gerade über Viktor Orbán und seinen Fidesz gesprochen und die Abstimmung der EVP-Fraktion heute über einen möglichen Ausschluss. Aus Berlin zugeschaltet ist mir jetzt Stephan Ozsváth. Er ist Journalist, war Südosteuropa-Korrespondent der ARD und hat im Herbst ein Buch über Viktor Orbán vorgelegt. "Puszta-Populismus" lautet der Titel. Guten Morgen, Herr Ozsváth!
Stephan Ozsváth: Einen schönen guten Morgen.
Dobovisek: Sollte die EVP den Fidesz heute ausschließen?
Ozsváth: Ich finde, ja, denn die Fidesz-Partei und insbesondere Viktor Orbán tanzt der EVP schon lange auf der Nase herum. Und dass jetzt ein gutes Dutzend Mitgliedsparteien der EVP von dem Präsidenten Joseph Daul den Ausschluss gefordert haben, oder zumindest eine Suspendierung, das ist ja auch ein Misstrauensvotum gegenüber der Führung dieser Parteiengruppe im Europaparlament.
Es gibt dort sehr heftiges Rumoren. Man ist sehr nicht einverstanden mit dieser Impeachment-Politik, die die Führung der EVP seit Jahren betreibt. Das Mantra innerhalb der EVP war ja seit Jahren, wir regeln das intern, wir wirken auf ihn ein. Was das gebracht hat, das kann man sehen.
Dobovisek: Wie gefährlich ist Viktor Orbán für die Europäische Union?
Ozsváth: Nun, man merkt das ja. Er bestimmt seit Jahren die Schlagzeilen. Er streitet sich mit Brüssel. Mittlerweile ist es ja auch so, dass Ungarn auf dem europäischen Parkett auch Entscheidungen der Europäer blockiert.
Nehmen wir zum Beispiel eine etwaige Annäherung der Ukraine an Europa. Da blockieren die ungarischen Diplomaten ganz massiv. Nehmen wir den UN-Migrationspakt; auch da wirft die ungarische Diplomatie den EU-Kollegen doch Knüppel zwischen die Beine.
Ehemaliger Korrespondent in Wien, Stephan Ozsváth
Stephan Ozsváth, Ex-ARD-Korrespondent in Wien (ARD Wien / Alex Goldgraber)
"Orbán möchte einen illiberalen Staat innerhalb der EU errichten"
Dobovisek: Welches größere Ziel verfolgt Viktor Orbán dabei?
Ozsváth: Ich glaube, das Hauptziel ist, selbst an der Macht zu bleiben. Deshalb inszeniert er einen permanenten Wahlkampfmodus. Ungarn beziehungsweise die Regierungsbüros in Budapest sind so eine Art Feindbildfabrik geworden. Seit Jahren geht es entweder gegen Linke, gegen Liberale. Orbán selbst hat ja gesagt, er möchte einen illiberalen Staat innerhalb der EU errichten, nämlich in Ungarn.
Auf diesem Weg ist er schon sehr weit gekommen, würde ich sagen. Er hat die Verfassung mehrfach verändert. Die Justiz ist unter Druck. Pressefreiheit ist quasi zumindest sehr unter Druck. Es gibt zwar noch unabhängige Medien, aber vor einigen Wochen wurde eine große Stiftung gegründet und unter diesem Dach sind etwa 500 Pro-Regierungs-Medien versammelt. Das ist alles sehr zentralisiert und gleichgeschaltet.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist keiner mehr, sondern ein Staatsfunk. Dort hat Orbán regelmäßig Freitags seine Auftritte. Spötter nennen das das Freitagsgebet. Das ist die Wirklichkeit im Moment in Ungarn.
Dobovisek: Was wir gerade aus Bayern hören: Manfred Weber von der EVP, der ja Kommissionspräsident werden möchte, hat sich um eine Annäherung Orbáns bemüht, und jetzt hören wir, dass es auch positive Signale geben soll von Orbáns Seite aus. Können Sie diese Signale auch sehen?
Ozsváth: Ich sehe vor allem taktische Spielchen von Seiten Orbáns. Auf der einen Seite möchte man drin bleiben in der EVP, und ich habe eben mal ein bisschen herumgesurft auf den einschlägigen Seiten, die ein bisschen die Regierungsposition reflektieren. Zum Beispiel die Tageszeitung "Magyar Nemzet", wenn man so will die "Prawda" der ungarischen Regierung, die deren Position doch wiedergibt. Da ist die Rede von einem Vorzimmer des Rauswurfs. Es wird vermutet, dass es eine Suspendierung der Mitgliedschaft der Fidesz innerhalb der EVP geben wird.
Es wird aber auch das alte Mantra wiedergekäut, die EVP selbst habe sich von christlichen Werten verabschiedet. Auch Manfred Weber selbst wird angegriffen und auch das umstrittene Plakat, das ja Juncker zusammen mit dem jüdischen Multimilliardär Soros zeigt, das wird auch in einen Artikel eingebaut, so nach dem Motto, das ist das Plakat, über das man sich innerhalb der EVP so aufregt, und dann zeigt man das.
Das Bild vom 11. September 2015 zeigt EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, die sich die Hände schütteln.
Manfred Weber und Viktor Orban (picture-alliance / dpa / MTI / Szilard Koszticsak)
"Die Propaganda funktioniert auf allen Kanälen"
Dobovisek: Als Weber zu Besuch war in der Hauptstadt Ungarns, da waren, so berichtete er, keine Plakate mehr zu sehen. Gibt es denn die Kampagne generell noch?
Ozsváth: Ja, natürlich gibt es diese Kampagne noch. Ich war am Wochenende in Westungarn unterwegs und habe dort die Plakate gesehen. Es gibt auch die Variante "nur Text". Da steht dann drauf: "Auch Sie haben ein Recht zu erfahren, was Brüssel vorhat." Was es dann genau ist, das lassen diese Plakate im Dunkeln. Aber das Konterfei von Juncker, zusammen mit dem von Soros, ist auf diesen Plakaten nicht zu sehen.
Die Plakate mögen in Teilen verhängt worden sein in Budapest, anlässlich des Besuches von Manfred Weber, aber die Propaganda funktioniert ja auf allen Kanälen. Im Fernsehen und in den einschlägigen News-Portalen und Zeitungen, da lief diese Kampagne durchaus weiter. Auch die handelnden Personen innerhalb der EVP, namentlich die EVP-Spitze, der Präsident Joseph Daul oder auch Manfred Weber, wurden in den vergangenen Tagen sehr hart angegangen, auch persönlich.
Das Bild zeigt ein Plakat in Budapest. Es ist Teil aus einer Kampagne der ungarischen Regierung mit der Aufschrift "Auch Sie haben ein Recht darauf zu wissen, was Brüssel vor hat." 
"Auch Sie haben ein Recht darauf zu wissen, was Brüssel vor hat" - Kampagnen-Plakat der ungarischen Regierung (AP)
Dobovisek: Kann diesem Populismus, der Polarisierung, der Propaganda, wie Sie sagen, in Ungarn noch irgendjemand etwas entgegensetzen?
Ozsváth: Na ja. Das Problem ist, dass das mittlerweile eine Art Paralleluniversum geworden ist. Auch der heutige Leitartikel in der Zeitung "Magyar Nemzet" behauptet, dass die entscheidenden Akteure innerhalb der EVP mittlerweile auf der Payroll von George Soros stünden, dass sie dessen Ziele - und da wird unterstellt, dass er das Ziel hat, Millionen Migranten nach Europa zu holen -, dass sie dessen Ziele verfolgten und sich in dessen Dienst stellten. Namentlich war da die Rede von Manfred Weber als der zweiten Puppe von Soros, neben Judith Sargentini, der Grünen-Europaabgeordneten. Das ist die Propaganda.
Oppositionsparteien, die sind sehr zersplittert und sehr schwach in Ungarn. Fidesz ist diese eine Partei. Der Schriftsteller Dálos hat das mal eine Ein-Mann-Demokratie genannt, und ich glaube, das trifft es ganz gut.
"Mit EU-Geldern werden zum Teil diese Kampagnen finanziert"
Dobovisek: Wenn wir einen Strich unter all das ziehen, was Sie uns heute Morgen hier berichten, hier erzählen, ist Ungarn - und wohl gemerkt ein EU-Mitgliedsland - noch eine Demokratie?
Ozsváth: Ich würde sagen, es ist eine entkernte Demokratie. Ja, es ist noch eine Demokratie. Ja, es gibt auch noch Pressefreiheit. Es gibt Online-Portale von Investigativ-Journalisten, die eine sehr gute Arbeit machen. Das gibt es alles noch. Die Leute können sich frei bewegen. Niemand geht ins Gefängnis wegen seiner Ansichten.
Von daher ja. Aber es ist doch alles sehr eingeschränkt. Das Wahlrecht begünstigt die stärkste Partei, nämlich Fidesz. Und - auch das muss man sagen: Mit EU-Geldern werden zum Teil diese Kampagnen finanziert. Das ist der Perversion Gipfel, wenn zum Beispiel "Stopp Brüssel"-Kampagnen mit dem Geld europäischer Steuerzahler auch bezahlt wird.
Dobovisek: Der Journalist und Buchautor Stephan Ozsváth über Ungarn und Viktor Orbán. Die EVP im EU-Parlament entscheidet heute darüber, ob sie die ungarische Fidesz-Partei aus ihrer Fraktion ausschließen will. Ich danke Ihnen, Herr Ozsváth!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.