Wenige Stunden vor dem EU-Gipfel war in Brüssel vor allem eine Frage immer wieder zu hören: Gelingt der Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen, noch ehe die Staats- und Regierungschefs am Nachmittag zusammenkommen? Und häufig bekamen Journalisten eine solche Antwort: "The questions was whether i would comment on the Brexit negotiation and the answer was no."
Nein, auch EU-Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager ließ sich nicht darauf ein, zu beurteilen, wie es um die Gespräche gerade steht. Was allerdings im Laufe des Tages immer wieder durchsickerte, ebenso wie vergangene Nacht: Die Unterhändler machen offenbar Fortschritte. Am späten Abend hieß es, dass sich die Verhandelnden angeblich geeinigt haben, wie man eine Zollgrenze zwischen Nordirland und der Republik Irland vermeiden kann und wie die nordirische Volksvertretung in dieser Frage mitreden darf. Auch soll Großbritannien offenbar versprochen haben, Sozial- und Umweltstandards der EU nicht zu unterbieten. Medienberichten zufolge soll der britische Premier Boris Johnson bereits am frühen Morgen nach Brüssel kommen, um den Verhandlungen den letzten Schub zu geben.
Politische Erklärung zum Status Quo statt neuem Rechtstext
Die Staats- und Regierungschefs könnten dann bei dem zweitägigen Gipfel, wenn nicht über einen neuen Rechtstext abstimmen, dann voraussichtlich eine politische Erklärung zum Status Quo der Brexit-Verhandlungen formulieren, in der sie sich dafür aussprechen, die noch offenen Details zu klären, um damit doch noch einen geregelten Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU hinzubekommen.
Nach dem Gipfel dürfte der Ball auch schnell wieder nach London gespielt werden. Denn nach wie vor ist offen, ob ein neu modifiziertes Austrittsabkommen die Zustimmung des Parlaments in London bekommt. Ebenso eine Rolle wird auf dem Gipfel in Brüssel der Streit um die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien spielen. Frankreich hatte vor zwei Tagen beim Treffen der Europaminister sein Veto gegen beide Länder eingelegt und damit den Ärger einer Mehrheit von Staaten der Europäischen Union auf sich gezogen. Mit Blick auf den Gipfel in Brüssel versuchte EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn dem nordmazedonischen Premier Zoran Zaev gestern Nachmittag Hoffnungen zu machen.
Wenn unsere Partner liefern, sind wir als Europäer verpflichtet auch zu liefern, das sei die gemeinsame und gerechtfertigte Erwartung an den Gipfel, dass der schließlich doch grünes Licht gibt, sagte Johannes Hahn. Frankreichs Präsident Macron war gestern trotz der Plädoyers vieler EU-Staaten bei seinem Nein geblieben. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz in Toulose bekräftigte Kanzlerin Merkel ihr Ja zum Start der Beitrittsverhandlungen, betonte aber, dass die Entscheidung einstimmig fallen müsse.
Neuer EU-Haushalt für den Zeitraum 2021 bis 2027
Weiteres Thema auf dem Gipfel ist der neue EU-Haushalt für den Zeitraum 2021 bis 2027. Was die Diskussion darüber schwierig macht, mit Großbritannien fällt wohl bald ein wichtiger Beitragszahler weg. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hatte mit Blick auf den Brexit eine Steigerung auf 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung vorgeschlagen als Marke für die EU-Ausgaben und das Thema der Rabatte aufgeworfen:
"Der erste Rabatt war der Britenrabatt, deswegen war ist und bleibt unsere Position, wenn die Briten gehen, und damit die Mutter aller Rabatte entfällt, dann sollten auch die ergänzenden Rabatte nicht bleiben. Ich baue darauf, dass sich die Staats- und Regierungschefs dem Thema widmen und dass zweitens eine Kompromissbereitschaft der Mitgliedsstaaten besteht. Mit 1,0 Prozent kann man die neuen Aufgaben nicht finanzieren."
Wenig Gegenliebe für finnischen Vorschlag
Selbst ein Kompromissvorschlag der finnischen Ratspräsidentschaft soll auf wenig Gegenliebe gestoßen sein. Sie hatte vorgeschlagen, dass die EU in den sieben Jahren zwischen 1,03 und 1,08 der Wirtschaftsleistung Europas ausgeben darf. Das sollte die beiden Pole zusammenbringen, diejenigen, die den Status Quo beibehalten wollen, dass die EU mit höchstens einem Prozent zurechtkommen muss, so sehen etwa Deutschland und die Niederlande und diejenigen, die mehr wollen. Das EU-Parlament hält 1,3 Prozent für gerechtfertigt und es muss dem Finanzrahmen zustimmen muss. Einer Einigung werden die Staats- und Regierungschefs wohl nicht viel näher kommen, aber sie werden laut EU-Diplomaten ihre Positionen einander präsentieren.
Weiteres Thema des Gipfels ist die Militäroffensive der Türkei gegen die Kurden im Nordosten Syriens und die Agenda der künftigen EU-Kommission. Die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird an dem Treffen teilnehmen.