Jasper Barenberg: Dass Christian Lindner einen Saal voller Menschen zu beeindrucken weiß mit geschliffenen Sätzen und einem charmanten Lächeln, das steht außer Frage. Dass er Wahlen gewinnen kann, auch das hat er in Nordrhein-Westfalen bewiesen. Aber kann er auch einer Partei wieder auf die beine verhelfen, die die Wähler im September aus dem Bundestag gejagt haben? Die Rückkehr ins Berliner Reichstagsgebäude, das ist die Herausforderung. Hängt das Schicksal der Partei also von Christian Lindner ab? Das habe ich vor dieser Sendung Holger Zastrow gefragt, den Vorsitzenden der Liberalen in Sachsen.
Holger Zastrow: Nein. Auf keinen Fall. Die FDP ist sowieso keine Partei, die sich durch eine besondere Führeraffinität auszeichnet. Wir sind eine Partei von vielen Individualisten. In unseren Ländern und in unseren Kommunen machen wir eine Politik, die sich voneinander doch sehr unterscheidet. Deswegen, wichtig ist, dass in Berlin sich jetzt ein ordentliches Team findet, dass Christian Lindner mit Menschen zusammen die Partei neu entwickeln kann, die sich gegenseitig vertrauen, die füreinander Respekt haben und versuchen, die Partei wieder auf Vordermann zu bringen.
Barenberg: Christian Lindner hat in den vergangenen Wochen und Monaten versucht, hat sich darum gekümmert, ein Team, eine Mannschaft zusammenzustellen. Ist das das richtige Team mit ihm an der Spitze, um die Zukunft zu gestalten?
Zastrow: Wir müssen erst mal sehen, was heute die Wahlen bringen. Dass er an der Spitze steht, ist gut, er will, die Partei will ihn und dafür hat er auch meine volle Unterstützung. Insgesamt muss man halt mal schauen, wie der Parteitag insgesamt verlaufen wird. Es gibt sehr viele Kandidaturen und sicherlich müssen einige derer, die auch heute kandidieren, dann schon die Frage stellen, inwieweit denn sie persönlich auch Verantwortung dafür tragen, dass es in der FDP in den letzten vier Jahren so viele politische Fehlstellungen gegeben hat, dass wir unsere eigenen Leute, unsere Wähler so irritiert haben und dass wir so durchsetzungsschwach innerhalb der Koalition in Berlin gewesen sind. Und da erwarte ich schon noch Aussagen.
Barenberg: Es ist ja kein Geheimnis, Herr Zastrow, dass Ihre Vorstellungen in so manchen Punkten von denen von Christian Lindner abweichen. was an seinen Plänen, an seinen inhaltlichen Vorstellungen, soweit wir das bisher wissen, behagt Ihnen denn nicht?
"Wir wissen ja alle, dass wir hier für einen doch eher marktwirtschaftlichen Kurs stehen"
Zastrow: Christian Lindner muss jetzt erst mal Zeit bekommen, auch wirklich seine Pläne zu entwickeln. Wenn er Vorsitzender in so einer schwierigen Zeit wird, dann gehört es sich auch, dass man ihm die Zeit lässt und dass er die Chance bekommt, nach seinen eigenen Vorstellungen die FDP zu gestalten. Ich habe aus sächsischer Sicht nur eine grundsätzliche Kritik an dem, wie unsere Diskussionen laufen, an dem, was die FDP in den letzten Jahren gemacht hat. Und ich zweifle oft daran, dass wir die richtigen Lehren aus der Wahlniederlage ziehen. Wir wissen ja alle, dass wir hier für einen doch eher marktwirtschaftlichen Kurs stehen und dass wir wollen, dass die FDP wieder zu einem geradlinigen Liberalismus zurückkehrt und eine konsequente Haltung einnimmt. Das hat sie in den letzten Jahren nicht gehabt und ich hoffe, dass das korrigiert wird.
Barenberg: Sie sprechen von geradlinigem Liberalismus, im Zusammenhang mit Christian Lindner ist ja oft das Stichwort gefallen vom mitfühlenden Liberalismus. Ist das sozusagen aus Ihrer Sicht der falsche Weg?
Zastrow: Ja, das sind immer diese Begrifflichkeiten, mit denen ich nichts anfangen kann. Wissen Sie, ich bin jetzt 14 Jahre Landesvorsitzender, damit auch der Dienstälteste innerhalb der FDP. Und wir haben die Partei damals versucht, neu zu gestalten, vor 14 Jahren, als wir bei 1,1 Prozent standen, und ich glaube, dass für die FDP viel mehr eine Haltung steht und auch Bodenhaftung ein Kriterium sein muss. Wir sind hier eine Truppe, die aus Leuten besteht, die niemals sich hätten vorstellen können, in eine Partei zu gehen und darin Karriere zu machen. Deswegen sind wir hier auch keine Berufspolitiker, sind trotzdem, dass wir Abgeordnete sind, immer noch mit einem Bein im normalen Leben. Und ich glaube, das rüberzubringen, dass wir keine abgehobene Truppe sind, sondern dass wir im Leben stehen, das sorgt für Empathie und da zeigt man eigentlich, was man will. Das ist mir wichtiger, es vorzuleben, wie man liberale Politik macht, als einfach nur Sprüche zu klopfen.
Barenberg: Und weil Sie von Bodenhaftung gesprochen haben und wie wichtig die ist, fehlt die denn Christian Lindner?
Zastrow: Christian Lindner fehlt die Bodenhaftung nicht, ich kenne ihn aber auch viel zu wenig, um jetzt das alles einschätzen zu können. Was ich zur Kenntnis nehme, dass er die Partei in Nordrhein-Westfalen sehr erfolgreich entwickelt hat. Er hat es so gemacht, so ähnlich wie wir es auch hier in Sachsen versuchen oder wie es Wolfgang Kubicki in Schleswig-Holstein gemacht hat, er hat es geschafft, dass die nordrhein-westfälische FDP offensichtlich ganz gut zu Land und Leuten passt. Und das ist der Anspruch, den ich an meinen eigenen Landesverband habe und auch an die FDP insgesamt. Wir müssen den Wiederaufstieg der Partei aus den Ländern heraus schaffen. Das kann man damit machen, indem man den Liberalismus in seine eigene, in Anführungszeichen, Landessprache übersetzt und wirklich zeigt, dass man in seinem Land verankert ist. Wir im Osten sind das, Sie wissen, wenn es um die kommunale Verankerung der FDP geht, dann muss die FDP in den Osten gucken, hier ist das viel stärker als in Westdeutschland ausgeprägt. Wir haben über 45 kommunale Mandate einfach nur hier in Sachsen, mehr Bürgermeister als SPD, Grüne und Linke zusammen. Das ist eine ganz andere kommunale Basis. Und so ist das halt, die Unterschiede ergänzen sich zu einem guten Ergebnis für die Gesamtpartei.
Barenberg: Wo Sie Wolfgang Kubicki ansprechen, den Fraktionschef in Kiel, der ja auch eine wichtige Rolle wohl spielen wird in der Bundespartei in Zukunft: Er hat ja selber mit Blick auf seine eigene Vorgehensweise und seine eigene Partei in Schleswig-Holstein davon gesprochen, dass er als Kühlschrank wahrgenommen wurde, und auch andere sagen jetzt, die Außenwirkung war fatal, weil die FDP als unsympathisch und als eiskalt bei den Menschen angekommen ist. Ist nicht insofern etwas dran an dem Versuch von Christian Lindner, in der Sache bei den FDP-Politikbereichen zu bleiben und bei den wichtigen Themen, im Auftreten aber freundlicher und wärmer zu werden? Ist das die richtige Marschrichtung?
Zastrow: Also, jeder Einzelne in der FDP muss in seiner Funktion einfach mal den Praxistest bestehen. Und das kann doch jeder auch jetzt schon machen. Ich halte die FDP nicht für eine kalte Partei, ganz im Gegenteil. Ich halte sie nicht für eine Partei, die nicht herzlich ist. Wissen Sie, ich bin Fraktionsvorsitzender ja auch der FDP hier in Dresden, im Dresdener Stadtrat. Wir hatten zur Kommunalwahl das beste Großstadtwahlergebnis für die FDP bundesweit eingefahren. Das schafft man nicht, wenn man Politik nur abstrakt macht, wenn man nur über die Medien arbeitet. Man muss fassbar sein. Und das sieht man eben bei uns hier, dass wir beispielsweise die Partei in Dresden gewesen sind, die damals diesen Bürgerentscheid zum Bau der ja weltberühmten Waldschlösschenbrücke vorangetrieben hat, wir waren die Ersten. Und das ist Bodenhaftung, auf die Straße gehen, bei den Leuten dran sein. Und so machen wir es jetzt auch in der sächsischen Landespolitik, wir kämpfen ja massiv gegen die Verspargelung durch immer neue Windräder hier in sachsen, alle Bürgerinitiativen sind da bei uns auch eng mit dran. In der Praxis sieht das ganz anders aus. Diese Kälte, die man der FDP nachsagt, die kann man ihr nur nachsagen, wenn man sie nicht kennt und wenn man die Politik vom Schreibtisch aus macht und nicht von der Straße aus.
Barenberg: Und weil Sie das so erfolgreich machen aus sachsen heraus und in Sachsen, Holger Zastrow, ist natürlich die Frage, warum Sie bei der Bundespartei keine wichtige Rolle mehr spielen wollen. Sie werden nicht mehr als stellvertretender Vorsitzender kandidieren und Sie werden auch nicht mehr in der Bundesspitze vertreten sein, wollen das nicht mehr nach immerhin 13 Jahren!
"Zeigen, dass Schwarz-Gelb ein Zukunftsmodell ist".
Zastrow: Die wichtigste Rolle, die man spielen kann, ist doch, dass man Wahlen gewinnt. Und ich glaube, in dieser Funktion habe ich eine herausragende rolle auch im nächsten Jahr zusammen mit meinen Freunden hier in Sachsen, denn die nächste Landtagswahl, die nächste Prüfung für die FDP wird in Sachsen sein, noch vor Brandenburg und Thüringen. Wir haben ja drei Landtagswahlen in Ostdeutschland nächstes Jahr und dazu auch die Kommunalwahlen hier. Und was kann es Stärkeres geben, wenn man dort ein herausragendes Ergebnis schafft und zweitens auch zeigt, dass Schwarz-Gelb – wir haben ja hier das letzte schwarz-gelbe Regierungsbündnis – eben doch noch ein Zukunftsmodell ist. Und das ist eben manchmal so, es gibt die Momente, wo man sich auf seine Wurzeln besinnen muss und auch überlegen muss, was eigentlich wesentlich ist. Wir müssen diesen Erfolg mit der denkbar schwersten Ausgangsposition heraus schaffen durch die Niederlage in Berlin, aber wir können das schaffen, aber das erfordert eben auch, dass man sich darauf dann zu hundert Prozent konzentriert. Deswegen jetzt zuerst Sachsen, und alles andere, da kann man später noch mal nachdenken!
Barenberg: Und da macht es nichts, dass die wichtigste Stimme im Osten dann für diese Aufbauarbeit, die Sie ja selber angesprochen haben, die aus den Ländern erfolgen soll, wie Sie sagen, dass die wichtigste Stimme aus dem Osten dann fehlen wird?
Zastrow: Sie fehlt ja nicht. Ich glaube, man darf auch den Bundesvorstand in seiner Wirkung – das ist leider so in den nächsten Jahren – nicht überschätzen. Man wird sehr stark gucken, ob uns das hier in Sachsen zum Beispiel gelingt, Schwarz-Gelb zu verteidigen, und ob es uns gelingt, wieder Wahlen zu gewinnen. Und ich glaube, da kann man auch von der Landesebene sehr gut sich in die Aufstellung der künftigen FDP mit einmischen und das werde ich auch tun. Dafür braucht es keinen Platz im Präsidium. Das Einzige, was mir so ein Platz im Präsidium vielleicht einbringen könnte, ist, ja, ich könnte meiner Eitelkeit damit ein bisschen frönen und ich könnte Zeit für den Wahlkampf hier verlieren und … Ernsthaft, auch gerade wenn man kein Berufspolitiker ist wie ich und dann auch noch Kommunalpolitik macht, man muss aufpassen, dass man sich nicht verzettelt. Und jetzt im nächsten Dreivierteljahr gehört mein Herz Sachsen und dann schauen wir mal, was dabei rumkommt.
Barenberg: Holger Zastrow, der FDP-Vorsitzende in Sachsen, der sich aus der Bundesspitze zurückziehen will.
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