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Vor 50 Jahren: Olympia 1972
Heitere Spiele und dann tödlicher Terror in München

Die Olympischen Spiele 1972 in München sollten heitere Spiele werden - und so begannen sie auch. Am Ende aber überschattete die Gewalt alles: Elf Israelis und ein deutscher Polizist wurden von einem palästinensischen Terrorkommando ermordet.

Von Michael Kuhlmann |
Trauerfeier am 06.09.1972 im Münchner Olympiastadion für die Opfer des Terror-Anschlages bei den Olympischen Sommerspielen. Abordnungen der Mannschaften nehmen auf dem Rasen Aufstellung, und die Olympische Fahne steht auf Halbmast. Am Vortag waren arabische Terroristen in den Morgenstunden in das Olympische Dorf eingedrungen, überwältigten neun israelische Athleten und erschossen zwei. Ihr Ultimatum: Freilassung von 200 gefangenen Palästinensern und freier Abzug mit den Geiseln. Am Abend flogen die Terroristen mit den Geiseln in zwei Hubschraubern zum Militärflugplatz Fürstenfeldbruck. Stunden später miÃlang hier die Befreiungsaktion. Alle neun Geiseln, fünf Terroristen und ein Münchner Polizist wurden getötet, drei Terroristen verletzt und überwältigt. [dpabilderarchiv]
Trauerfeier am 06.09.1972 im Münchner Olympiastadion für die Opfer des Terror-Anschlags (picture-alliance / dpa / dpa)
An diesem dunstigen Spätsommermorgen scheint sich München plötzlich in einer anderen Welt zu befinden. Der ARD-Radioreporter Peter Langer steht um kurz nach sieben Uhr in einer Telefonzelle im Olympischen Dorf, und er berichtet von einem Geschehen, das noch niemand um ihn herum begreifen kann. "Der olympische Friede scheint tatsächlich gebrochen zu sein. Das Olympische Dorf bietet vor dem Hintergrund dieses Ereignisses gewissermaßen ein gespenstisches Bild – ich sehe aus dieser Telefonzelle hinaus und sehe Sportler, die an ihre Kampfstätten eilen und offenbar von nichts wissen."
Kampfrichter haben gerade im Olympischen Dorf nachfragen lassen, wo denn die Ringer aus Israel blieben. Sie sollten doch heute Morgen an den Start gehen. "Was scheint passiert zu sein? So muss ich formulieren. Ich wurde durch einen Anruf geweckt und kam ins Dorf, fand ein relativ friedliches Bild zunächst vor und kam dann, in Richtung auf das israelische Haus zugehend, vor, ich möchte mal sagen, nicht eine Wand, aber ein Cordon von Ordnungshütern, die mir sagten, dass ich nicht weitergehen könnte."

5. September 1972 - das Münchner Olympia-Attentat

Der Anfang eines Tages, des 5. September 1972, der Terror brachte in einer bis dahin kaum für möglich gehaltenen Dimension – ähnlich wie Jahrzehnte später die Anschläge des 11. September 2001. Am Ende hatten palästinensische Terrorristen elf Israelis ermordet, außerdem starb ein deutscher Polizist. Viele Male sind die nachlässigen Schutzmaßnahmen von München geschildert worden. Zur Geschichte gehört allerdings auch, dass Sportler sich noch Tage vor dem Anschlag beklagt hatten: über die aus ihrer Sicht unnötig strengen Sicherheitsvorkehrungen im Olympischen Dorf.
Am 5. September 1972 entführen während den Olympischen Spielen in München palästinensische Terroristen israelische Sportler. Bei der gescheiterten Rettungsaktion kamen 17 Menschen ums Leben. Ein Scharfschütze geht auf dem Dach im Olympischen Dorf in Stellung.
Attentat auf israelisches Team: Ein Scharfschütze geht auf dem Dach im Olympischen Dorf in Stellung. (picture alliance / dpa / Horst Ossinger)
Sommerspiele in dem Land, das wenige Jahrzehnte zuvor noch Menschen in ganz Europa terrorisiert hatte, mit der SS, seiner Gestapo und seiner paramilitärischen Polizei – dieses Olympia wollte ohne bewaffnet auftretende Polizisten auskommen. Der Historiker Professor Kay Schiller von der Durham University in Großbritannien: "Im Rückblick war das sicher inadäquat. Aber zur damaligen Zeit ist das nicht so leicht zu sagen. Dass man diese Sorte Anschlag nicht erwartete, ist nicht überraschend, weil, wenn man sich anschaut, was die PLO damals unternommen hat, dann waren das im wesentlichen Flugzeugentführungen. Unverzeihlich waren allerdings die vielen Pannen."
Nur der Polizeipsychologe Georg Sieber hatte solch ein Szenario im Vorfeld ins Kalkül gezogen – seine Vorgesetzten hatten das für unrealistisch gehalten. Erst einige Jahre später war die Bundesrepublik auf diese Art von Terror einigermaßen vorbereitet. 1972 blieben nur Bestürzung und Entsetzen. Bundespräsident Gustav Heinemann bekundete Israel auf der Trauerfeier die deutsche Solidarität. "Dieser Anschlag hat uns alle getroffen!"
Olympia 1972: Aufgebahrte Särge der Opfer des Terroranschlags
Die sterblichen Ãberreste der Opfer des arabischen Terroranschlags vom 05.09.1972 auf die israelische Olympia-Mannschaft wurden in der Münchner Synagoge aufgebahrt. (picture-alliance / dpa / dpa)

Visitenkarte der "heiteren Spiele von München"

Das palästinensische Terrorkommando zerstörte damit auch eine als Fest des Friedens gedachte Veranstaltung, mit der sich die Bundesrepublik Deutschland der Welt hatte präsentieren wollen. München selbst hatte ein Olympiagelände aus dem Boden gestampft, das weltweit seinesgleichen suchte. Riesige Sportstätten lagen halbversteckt in einer sanft geschwungenen Parklandschaft. Überwölbt von einem Zeltdach, das viel Licht ins Stadion ließ und das zu einer Architektur-Ikone des Jahrhunderts werden sollte. Anders als bei heute bekannten Großprojekten in Stuttgart oder Berlin wurden 1972 fast alle Bauten schneller fertig als geplant. Am Samstag, dem 26. August, um 15 Uhr konnte es beginnen.
Rasch breitete sich eine Atmosphäre aus, wie sie die Welt von den Deutschen nicht erwartet hatte. Begünstigt von strahlendem Sonnenschein. Die junge Münchnerin Renate Demel wirkte bei der Feier mit. "Es war halt eine ganz tolle Stimmung. Das kann man gar nicht erklären! Das muss man erlebt haben – und das sagt auch jeder, der teilgenommen hat! Der das erlebt hat, diese Eröffnungsfeier!"
Die Visitenkarte der "heiteren Spiele von München". Dabei waren es politisch hochbrisante Wettkämpfe. Denn erstmals bei Sommerspielen zog eine eigene Mannschaft der DDR ins Stadion ein. DDR-Radioreporter Wolfgang Hempel zog in diesem Augenblick Bilanz. "Hier und heute sind wir endlich am Ziel eines langen, eines 20 Jahre langen Weges! Es ist wohl auch für spätere Geschichtsschreiber mehr als nur eine Pikanterie, dass sich dies gerade in jenem Lande vollzieht, in dem in den gleichen 20 Jahren nichts, aber auch gar nichts unversucht gelassen wurde, um just diesen Augenblick niemals Wirklichkeit werden zu lassen."
Noch 1969 hatte es in Mainz bei einem Turnfest einen handfesten Skandal gegeben: Die eingeladenen DDR-Turnerinnen mussten mitansehen, wie ihre Staatsflagge von der Polizei entfernt wurde. 1972 nun war alles anders. Und doch hatte sich ein Graben aufgetan. ARD-Reporter Peter Langer sah die DDR-Aktiven ins Stadion kommen: "Das eine wissen wir alle, und das haben wir schon in den ersten Tagen hier im Olympischen Dorf zu spüren bekommen: Hier sind deutsche Jungen und Mädel aus dem anderen Teil drüben, aus Mitteldeutschland, die noch immer deutsch sprechen – und doch mitunter schon eine andere Sprache oder gar nicht mehr mit uns."

Beifall für die DDR-Mannschaft beim Einzug ins Stadion

Das Publikum empfing die DDR-Mannschaft mit lebhaftem Beifall. Aber das passte in einen Nachmittag, an dem Nationalismus keine Rolle spielen sollte. Dieser Eröffnungsfeier kam aus Kay Schillers Sicht hoher Symbolgehalt zu. Sie gab den Kurs vor für die gesamten Spiele. Geradezu bilderstürmerisch sei die Feier gewesen.
Die Mannschaft des deutschen Gold-Achter (Rudern) von Mexiko 1968 trägt die Olympische Fahne feierlich ins Stadion: (l-r): Egbert Hirschfelder, Rüdiger Henning, Steuermann Gunther Tiersch, Schlagmann Horst Meyer, Jörg Siebert, Roland Böse, Niko Ott und Dirk Schreyer. Blick in das Münchener Olympiastadion während der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele am 26. August 1972.
Die olympische Flagge wurde von den weißgekleideten Ruderern des Deutschland-Achters von Mexiko 1968 ins Stadion getragen (picture-alliance / dpa / Olympische Spiele)
"Insofern, als man versuchte, das Militärische, was sich eben auch mit dem IOC verband, und das Nationale, was eben auch immer eine wichtige Rolle spielte – dass man das versuchte so weit wie möglich herauszunehmen. Das Bunte und Farbenfrohe, das Kolorit und die Rhythmik der ganzen Geschichte war eine ganz wichtige Korrektur gegenüber vorherigen Eröffnungsfeiern."
Die olympische Hymne etwa, normalerweise pathetisch von einem Chor gesungen, klang hier wie eine Mixtur aus bayerischer Blasmusik und Hollywood-Musical. Für München hatte sie der Jazzkomponist Alfred Goodman bearbeitet, ein jüdischer Deutscher, der einst vor der NS-Diktatur in die USA hatte fliehen müssen. Dazu wurde wie immer die olympische Flagge aufgezogen. Aber nicht wie sonst von martialisch wirkenden Marinesoldaten, sondern von den weißgekleideten Ruderern des Deutschland-Achters von Mexiko 1968.
Alfred Goodman hatte auch die Idee gehabt zur prägenden Musik dieser Eröffnungsfeier: zum Einzug der Sportlerinnen und Sportler. Eine Melange aus Instrumental-Pop, Folklore, Jazz und dem, was später Weltmusik hieß. Man versuchte, sie ein wenig dem jeweiligen Land anzupassen, dessen Mannschaft gerade ins Stadion einzog. Wie im Falle Brasiliens. Ein solch multikulturelles Potpourri hatte man bei olympischen Eröffnungsfeiern nie zuvor gehört; und auch danach nie wieder. Arrangiert hatten es ein Niederländer und zwei Deutsche: Jerry van Rooyen, Dieter Reith und Peter Herbolzheimer. Gespielt wurde alles vom Orchester des WDR unter Kurt Edelhagen; der Amerikaner Jiggs Whigham an der Posaune.
"Beim Einmarsch: Es war ein Riesen-Privileg, da zu sein, in der Tat! Endlich mal. wir haben diesen Hass vergessen! Von der NS-Zeit. Das war weg!" Die NS-Zeit – das nämlich war die Epoche, deren Nachwirkungen 1972 immer noch sehr spürbar mitschwangen. Und damit die Erinnerung an die Spiele 1936 in Berlin.
Der Historiker Kay Schiller ist Mitautor eines Standardwerks über die Münchner Spiele. "Die Botschaft, die Berlin sendete – eine von Pathos, Bombast und Monumentalität –, die Ästhetik von Berlin, die man auch heute noch am Olympiastadion ganz gut sehen kann – das musste man hinter sich lassen, und etwas dagegensetzen. Otl Aicher, der Designer, der sprach eben von der Ungezwungenheit, der Leichtigkeit, der Offenheit, der Gelöstheit; und das ist natürlich das diametrale Gegenteil der NS-Ästhetik oder der konservativ-bürgerlichen Ästhetik, die hinter Berlin stand."
Dicht gedrängt verfolgen am 23.08.1972 die Athleten im Olympischen Dorf von München die temperamentvolle Darbietung traditionell gekleideter mexikanischer Tänzer, die zu Mariachi-Klängen die Erinnerung an die Spiele von 1968 in ihrer Heimat heraufbeschwören.
Heitere Start: München und ganz Deutschland fieberten den Olympischen Spielen 1972 entgegen. (picture-alliance / dpa)
So lobte die Jerusalem Post zunächst die "Freundlichkeit und Wärme", die vom Münchner Olympiastadion ausgegangen sei. Und das französische Journal du dimanche schrieb über die Feier: "Wir wurden in ein anderes Jahrhundert katapultiert". Eindruck hinterließ gerade der Programmpunkt, hinter dem die einfachste Idee stand: Tausende Münchner Schulkinder, zwischen zehn und 13 Jahre alt, hatten die rote Kunststoffbahn des Olympiastadions betreten. Dort tanzten sie zu einem englischen Sommer-Kanon aus dem Mittelalter, den Carl Orff bearbeitet hatte. Eines dieser Kinder war Renate Demel.
"Unsere Gruppe, unsere beiden Gruppen haben vor der Ehrentribüne getanzt. Und ich weiß noch: So die erste Drehung, die wir gemacht haben – da ging der Applaus los! Also das war – Wahnsinn!"

München 72 waren preiswerte Spiele

Ihre leuchtend blaue und gelbe Kleidung allerdings hatten ihre Eltern selbst bezahlen müssen: An die 40 Mark kostete das, nach heutiger Kaufkraft fast 70 Euro. Damit es nicht noch teurer für sie wurde, bastelten die Kinder ihre Blumenbögen und -sträuße selbst. Typisch für die Münchner Spiele, die erst durch viel ehrenamtliche Arbeit zustande kamen. Nur deshalb wurden sie für nicht einmal zwei Milliarden Mark Wirklichkeit – das entspricht heute 3,3 Milliarden Euro. Die Spiele von Tokio im letzten Jahr kosteten zwölf Milliarden.

US-Basketballer erstmals entthront

Die heiteren Spiele waren preiswerte Spiele – spektakulären Sport brachten sie so oder so. Der Amerikaner Mark Spitz stellte mit sieben Goldmedaillen eine Bestmarke auf, die bis ins 21. Jahrhundert hielt. Im Basketball wiederum wurde das sieggewohnte US-Team erstmals überhaupt entthront – ausgerechnet von den Sowjets: in einem umstrittenen Herzschlag-Finale, das in die Geschichte einging.

Herzschlagfinal zwischen den deutschen 4x100-Meter-Staffeln

Eine ähnlich knappe Entscheidung gab es auch zwischen zwei deutschen Leichtathletik-Staffeln, die der Damen über 4x100 Meter. Favorisiert war die DDR mit der Doppel-Olympiasiegerin Renate Stecher aus Jena; für die Bundesrepublik startete ein Quartett mit der Weitsprung-Goldmedaillengewinnerin Heide Rosendahl. Auf der Gegen-Geraden sah ARD-Reporter Joachim Böttcher beide Staffeln gleichauf. "Und jetzt der letzte Wechsel! Die Bundesrepublik liegt in Führung! Jetzt der Wechsel für Heide Rosendahl! Sie hat einen Meter Vorsprung! Jetzt kommt Renate Stecher. Heide Rosendahl kämpft! Kämpft! Richtig kämpft sie! Sie kann es schaffen! – Goldmedaille! Sie hat es gewonnen!"
Einer der wenigen bundesdeutschen Siege über die DDR. In einer Rivalität mitten im Ost-West-Konflikt. Noch Stunden vor Beginn der Spiele hatte der Bayerische Rundfunk die neuen, ganz praktischen Fragen auf den Punkt gebracht: "Wie sollen wir uns gegenüber der DDR-Mannschaft verhalten? Sollen wir die Athleten aus Leipzig, Dresden und Berlin-Ost behandeln wie unsere zweite Heimat-Mannschaft? Oder sollen wir sie bekämpfen als unseren schärfsten Gegner, also nur unsere Leute etwa anfeuern? Oder sollen wir den Gegnern aus der DDR begegnen wie den Vertretern anderer Länder? Genauso fair und genauso freundlich?"
Die DDR-Ausnahmeturnerin Karin Janz erlebte das Münchner Publikum zunächst beim Pferdsprung. "Als ich meinen ersten Sprung – Yamashita mit ganzer Drehung um die Körperlängsachse – ausführte, tobte das Publikum, und die westdeutsche Kampfrichterin damals gab sogar 10,0 Punkte für diesen Sprung." Anders war das am Stufenbarren. Das Publikum lärmte und pfiff, weil die Leistung der sowjetischen Turnerin Olga Korbut aus Sicht vieler zu schwach bewertet wurde. Karin Janz musste ihre Bewertung jedenfalls übertreffen, trotz der Publikumsreaktionen: "Zum Glück konnte ich mich so konzentrieren, dass die Übung gut durchlief und mir auch die verdiente Wertung brachte; und – das war ja schließlich das wichtigste – die Goldmedaille."

München 1972: Aufstieg der DDR zur Sport-Großmacht

Eine Goldene von zweien. Insgesamt war Karin Janz mit zweimal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze die erfolgreichste deutsche Athletin dieser Spiele. Im Ganzen hatte die DDR 1972 in München ihren Aufstieg zur Sport-Großmacht begonnen. Auf ihr Konto gingen fast doppelt so viele Medaillen wie auf das der viel größeren Bundesrepublik. Wie es die SED trotzig angekündigt hatte: Ihr bezahlt die Spiele, wir gewinnen die Medaillen. Inwieweit bei solchen Höchstleistungen Doping im Spiel war – im Osten, aber auch im Westen –, ist nicht endgültig geklärt. Vor allem weil man Anabolika noch nicht nachweisen konnte. Sieben Dopingfälle gab es insgesamt, vier Medaillen wurden aberkannt, darunter die Goldene des US-Schwimmers Rick DeMont.

Gerücht: Rätselhafte Flugobjekte nehmen Kurs auf Olympia-Arena

Im Blickpunkt aber stand 1972 ein ganz anderes Thema. Die ersehnten heiteren Spiele hatten nur zehn Tage lang Bestand. So wurde die einst fröhlich geplante Schlussfeier nun bewusst stillgehalten. Selbst das Wetter passte dazu: Es war ein kalter, windiger Abend im Herbst. Über weite Strecken war das Stadion in Halbdunkel getaucht. Plötzlich aber wurde es rund um die Kabine des Stadionsprechers Joachim Fuchsberger unruhig.
Joachim Fuchsberger als Stadionsprecher bei den Olympischen Spielen 1972
Als Stadionsprecher wählte Joachim Fuchsberger seine Worte mit Bedacht (picture alliance / dpa / dpa)
Und dann erfuhr Fuchsberger von dem Gerücht, dass zwei rätselhafte Flugobjekte Kurs auf die vollbesetzte Arena genommen hätten. Möglicherweise stehe ein Angriff mit Bomben bevor. Fuchsberger wusste, dass er jetzt mit ein paar falschen Worten über die Stadionlautsprecher eine Massenpanik von 80.000 Menschen auslösen konnte, mit unzähligen Toten. Und so sagte er den Zuschauern kein Wort.

Olympische Spiele 1972 - zwischen Freude und Entsetzen

"Es steht mir heute noch wie ein Alptraum, manchmal, vor meinem inneren Auge, und – ich... ich wird‘ das nie mehr los, glaube ich!" So erinnerte sich Fuchsberger 2005 im Hessischen Rundfunk. Das Gerücht entpuppte sich bald darauf als falsch.  Die Olympischen Spiele von München hatten einzigartige Freude und einzigartiges Entsetzen ausgelöst. ARD-Reporter Kurt Brumme brachte es bei der Schlussfeier auf den Punkt. "Olympia lächelte. Aber dann wich diese Freude jäh der Trauer."

Willi Daume - der Vater der Spiele - plädierte für einen Abbruch

Der Chef des Deutschen Olympischen Komitees Willi Daume galt als Vater der Münchner Spiele, er hatte nach dem Attentat für einen Abbruch der Wettbewerbe plädiert, konnte sich damit jedoch nicht durchsetzen. Die heiteren Spiele – deren Fanfare bei der Schlussfeier im Radio nur mehr verhallt zu hören war, wie die Erinnerung an einen vergangenen Traum – sie hätten Olympia durchaus über München hinaus Impulse geben können: Olympische Spiele ohne nationalistische Selbstüberhebung; Spiele, in deren kulturellem Rahmenprogramm offen kritische Fragen zum Gigantismus und zum Schneller-höher-weiter gestellt wurden. Wettbewerbe, bei denen das deutsche Publikum auch die Aktiven anderer Länder anfeuerte; ein Publikum, dem britische Journalisten während der Spiele den ‚Olympischen Rekord in Begeisterung‘ zuerkannten. Spiele, bei denen nicht nur Medaillen zählten und bei denen das Gastgeberland bescheiden auftrat.

Wahrheit kommt nur Stück für Stück ans Licht

Dass sich aber die zehn heiteren Tage von München so nie wiederholten, erklärt sich auch aus dem historischen Kontext. Denn gerade erst hatte der Club of Rome die Menschheit wachzurütteln begonnen: hinsichtlich der "Grenzen des Wachstums". 1973 dann bereitete die erste Ölkrise dem Optimismus ein Ende. Die dreißig oft euphorischen Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren vorüber. Und der islamistische Terror sollte die Welt bis in die Gegenwart bedrohen. Die Morde der palästinensischen Terroristen sind bis heute nicht abschließend aufgearbeitet. So erinnern die Hinterbliebenen der elf israelischen Opfer immer wieder an das Versagen der deutschen Sicherheitskräfte.

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Ringen um eine angemessene Entschädigung für die Opferfamilien

Sie sind unzufrieden mit den bisher geleisteten Entschädigungszahlungen in Höhe von 4,6 Millionen Euro. Die Verhandlungen über höhere Entschädigungen dauern offenbar an. Die Bundesregierung soll insgesamt zehn Millionen Euro angeboten haben. Nur Stück für Stück kam die Wahrheit ans Licht. Es dauerte viele Jahre, bis ein angemessenes Gedenken möglich wurde. Eine parlamentarische Untersuchung zu den Pannen des schrecklichen 5. September hat es nie gegeben.
Unabhängig davon hat die Seite der Täter, haben die Palästinenser, nie eine offizielle Bitte um Entschuldigung übers Herz gebracht. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat auch die Gelegenheit dazu jüngst bei einem Besuch in Berlin nicht genutzt. Keine Entschuldigung, nicht gegenüber Israel, dessen Menschen die Terroristen ermordeten – und, wenn auch weniger wichtig, auch nicht gegenüber Deutschland, dessen größtes internationales Fest sie vorsätzlich zerstört haben.
Von einer Tragödie spricht heute der amerikanische Musiker Jiggs Whigham: Die Spiele, die er als Orchesterposaunist an jenem strahlenden Nachmittag morgen vor 50 Jahren mit eröffnete, hat er nie vergessen. "Es ist so schade! Es war so eine wunderbare Atmosphäre! Der ganze Geist von Olympia! Das wird nie sein, was es hätte sein können."