Archiv

Vor Klausurtagung der Linken
"Wir können vor dem Rechtsruck nicht kapitulieren"

Die Partei Die Linke strebt einen grundlegenden Politik- und Regierungswechsel an. Das erklärte die Ko-Vorsitzende Katja Kipping vor Beginn der Klausurtagung im Dlf. Ihre Partei müsse an den alltäglichen Sorgen der Menschen anknüpfen und sich außerdem Zukunftsfragen wie der Klimagerechtigkeit stellen.

Katja Kipping im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, spricht auf dem Bundesparteitag und fordert offene Grenzen für Flüchtlinge (9.6. 2018).
    Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Partei Die Linke (dpa / Britta Pedersen)
    Stefan Heinlein: Brandenburg und Sachsen, gefolgt von Thüringen – in gleich drei ostdeutschen Bundesländern wird in diesem Jahr gewählt. 2019 gilt deshalb als Schicksalsjahr für den Osten. Die bisherigen Mehrheiten in den Landtagen sind laut aktueller Umfragen kaum mehr möglich. Die AfD hat in allen drei Ländern kräftig zugelegt. In Sachsen könnte die Partei sogar stärkste Kraft werden.
    Auch die Linkspartei, bislang traditionell populär im Osten, spürt den rechten Gegenwind. Vor den drei Wahlen im Herbst sollen deshalb abgewanderte Stammwähler zurückgewonnen, enttäuschte Protestwähler wieder überzeugt werden, ihr Kreuz bei der Linkspartei zu machen. Dafür geht man nun ab heute in Klausur. Zwei Tage lang trifft sich die Bundestagsfraktion in Berlin.
    Vor Beginn der Fraktionsklausur möchte ich jetzt reden mit der Bundesvorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping. Guten Morgen, Frau Kipping!
    Katja Kipping: Einen schönen guten Morgen.
    Heinlein: Konflikte bewältigen, indem man sich der konkreten Politik zuwendet. Wir haben es gerade gehört. Wie zuversichtlich sind Sie, Frau Kipping, dass dieser Plan Ihres Co-Vorsitzenden Bernd Riexinger funktioniert?
    Kipping: Ich bin da sehr zuversichtlich. Wir haben ja auch gemeinsam, Bernd Riexinger und ich, etwas vorgelegt, und zwar sagen wir: Was steht an in diesem Jahr. Wir können vor dem Rechtsruck nicht kapitulieren, sondern wir müssen jetzt wirklich den Kampf um andere Mehrheiten in der Gesellschaft aufnehmen, um fortschrittliche, und ich denke, wir müssen etwas vorbereiten, und zwar einen grundlegenden Politik- und Regierungswechsel. Das ist ein ganzes Stück Arbeit, was da vor uns liegt, und dazu brauchen wir eine geeinte Linke. Bei diesem Kampf um neue fortschrittliche Mehrheiten müssen wir zwei Dinge zusammenbringen. Zum einen müssen wir an den alltäglichen Sorgen anknüpfen, zum Beispiel, dass hierzulande viele Menschen Sorgen haben, über den Monat zu kommen. Wir müssen uns zugleich den großen Zukunftsfragen stellen wie der dringenden Klimagerechtigkeit.
    "Kein Geheimnis, dass es auch Meinungsverschiedenheiten gibt"
    Heinlein: Frau Kipping, über die Wahlen müssen wir gleich noch reden. Aber wir haben es gerade gehört im Bericht von Frank Aischmann: Es gibt ja Differenzen zwischen Partei und Fraktion und es gibt auch Differenzen vor allem mit Sahra Wagenknecht. Wie zuversichtlich sind Sie, dass das wechselseitige Bemühen von beiden Seiten, diesen Streit im Wahljahr 2019 nicht weiter eskalieren zu lassen, tatsächlich funktioniert?
    Kipping: Wenn Sie so direkt fragen: Es ist ja kein Geheimnis, dass es auch Meinungsverschiedenheiten gibt, und zwar ganz konkrete in der Sache, zum Beispiel beim Thema Arbeitsmigration. Aber ich bin sehr froh, dass es uns Ende des Jahres gelungen ist, dort einen gemeinsamen Korridor zu bestimmen, und dass wir uns jetzt 2019 auf das konzentrieren, was uns eint, nämlich das Wissen, wir haben eine Verantwortung, und zwar Mehrheiten links der Union zu schaffen in dieser Gesellschaft. Das ist nicht unsere Verantwortung alleine; da ist auch die Zivilgesellschaft gefragt und andere fortschrittliche Parteien. Aber wenn es nicht so weitergehen soll mit dem Rechtsruck und der sozialen Verunsicherung, dann müssen wir um andere Mehrheiten kämpfen.
    Heinlein: Was halten Sie denn davon, Frau Kipping, wenn Sahra Wagenknecht in gelber Warnweste vor dem Kanzleramt posiert und Proteste wie in Frankreich auch in Deutschland fordert? Ist das Populismus, den Sie mitmachen oder ablehnen?
    Kipping: Ich bin sehr für Linkspopulismus, wenn er heißt, dass wir ganz gezielt die vielen, die ihre Arbeitskraft haben, sie zum Markte zu tragen, zusammenbringen und zum Beispiel sagen, alle Mieterinnen und Mieter gemeinsam gegen Miethaie und diejenigen, die von Mietspekulationen profitieren. An so einer Art von Linkspopulismus beteiligen wir uns als Partei und haben das selber ja auch starkgemacht, indem wir vor einigen Jahren angefangen haben mitzuwirken, eine Mieterbewegung aufzubauen.
    Was die Gelbwesten in Frankreich anbelangt, müssen wir uns mal ein bisschen gründlicher das anschauen. Ich habe mich da auch mit Didier Eribon, einem französischen Schriftsteller darüber unterhalten. Die sind natürlich auch eine widersprüchliche Bewegung und wir wissen, dass der ehemalige Front National auch versucht hat, diese ganz spontanen, unorganisierten Proteste zu instrumentalisieren. Insofern war ich sehr froh, dass in Frankreich auch linke Kräfte mit reingegangen sind und das unterstützt haben und mit dazu beigetragen haben, dass dort eher soziale Fragen im Mittelpunkt stehen.
    Ich finde, die gelben Westen sind auch ein Zeichen, was passiert, wenn eine Regierung oder ein Regierender wie Macron voller Ignoranz gegenüber den alltäglichen Sorgen von Menschen ist.
    "Natürlich solidarisieren wir uns mit sozialen Protesten"
    Heinlein: Ich verstehe das jetzt nicht ganz, Frau Kipping. Gehen Sie jetzt konform mit Frau Wagenknecht, wenn sie fordert, Gelbwesten-Proteste auch in Deutschland ja oder nein? Da war die Haltung Ihrer Partei zuletzt nicht ganz eindeutig.
    Kipping: Doch, die Haltung unserer Partei war klar. Wir haben da sogar einen breit getragenen Parteivorstandsbeschluss gemacht, dass wir sagen, natürlich solidarisieren wir uns mit sozialen Protesten. Das heißt nicht, dass wir uns mit jeder Forderung gemein machen. Das heißt nicht, dass wir die Augen davor verschließen, dass es in Frankreich bei den Protesten an der einen oder anderen Blockade auch zu Aussagen kommt, die ganz schrecklich sind, die wir immer bekämpfen. Aber wir haben auch die linken Kräfte in Frankreich ermutigt, reinzugehen in diese Proteste, auch um sie nach links zu verschieben, und natürlich finden wir auch, dass es in Deutschland viel mehr sozialen Protest geben muss. Ich führe das deswegen ein bisschen länger aus, weil es ja in Deutschland Versuche jetzt von den rechten Kräften um AfD und Pegida gibt, das Symbol Gelbwesten zu missbrauchen für rassistischen Protest. Das meint Die Linke und das meint auch Sahra Wagenknecht ausdrücklich nicht.
    "Wir müssen deutlich machen, es gibt eine soziale Alternative zu dem Kurs der Großen Koalition"
    Heinlein: Damit sind wir beim Thema AfD. Sie haben es gerade selber angesprochen, Frau Kipping. Wie groß ist denn aus Ihrer Sicht die Schnittmenge der Wähler von AfD beziehungsweise der Linkspartei? Sind das vor allem die Enttäuschten und die Abgehängten im Osten, in den drei Ländern, in denen jetzt gewählt wird, die ihr Kreuz ganz links oder ganz rechts machen?
    Kipping: Wenn das so gesprochen wird, entsteht manchmal der Eindruck, der gesamte Wahlerfolg der AfD besteht aus ehemaligen Linken-Wählern. Das haut schon mathematisch nicht hin. Sondern man muss schon sagen, die größte Quelle sind ehemalige CDU-Wähler und ehemalige Nichtwähler. Aber in der Tat: Es gibt Menschen, die haben früher Die Linke gewählt und wählen jetzt die AfD. Das muss man, glaube ich, noch mal unterscheiden. Meine Unterscheidung ist jetzt nicht am Studiertisch entstanden, sondern die ist entstanden in einer Vielzahl von direkten Gesprächen, wenn ich früh morgens vorm Jobcenter stehe oder in Plattenbau-Gebieten unterwegs bin und das Gespräch mit Menschen suche. Es gibt einen Teil, die haben einfach darauf gewartet, dass es eine Partei gibt, die jetzt offen rassistisch ist, wo sie das auch ausleben können, und dann gibt es einen anderen Teil, und um den müssen wir wirklich kämpfen, die einfach so was sagen wie, ich habe sie drei-, vier-, fünfmal gewählt, weil ich ihre Kritik an Hartz IV richtig finde, aber wenn ich sie immer gewählt habe und ich sehe, wie sie im Bundestag kämpfen, und es gibt immer noch diese Hartz-IV-Sanktionen, die mich bedrohen, dann habe ich es jetzt mal mit was anderem probiert. An dieser Motivation, da müssen wir anknüpfen, und deswegen sage ich, alle fortschrittlichen Parteien haben eine Verantwortung. Wir müssen deutlich machen, es gibt eine soziale Alternative zu dem Kurs der Großen Koalition, und wir müssen diesen Menschen eine Aussicht darauf geben, dass sich wirklich was in ihrem Leben verbessert. Da gilt es, den Kampf aufzunehmen für eine Regierung und eine Politik, die sicherstellt, dass alle vor Armut geschützt sind und die Mitte deutlich bessergestellt ist.
    "Ich empfehle uns allen, dass wir nicht nur so wie das Kaninchen auf die Schlange, auf das Phänomen AfD schauen"
    Heinlein: Verstehe ich es richtig, Frau Kipping, einem Teil der zur AfD abgewanderten Wähler haben Sie aufgegeben? Die kann man nicht zurückholen, sondern nur einen Teil wollen Sie mit sozialpolitischen und arbeitsmarktpolitischen Konzepten Ihrer Linkspartei überzeugen?
    Kipping: Nein. Ich dachte, wir gehen mal ein bisschen in die Analyse und reden nicht nur so flach darüber. Natürlich kämpfen wir um alle, die uns schon mal gewählt haben, aber auch um alle, die sich vorstellen können, irgendwann Die Linke zu wählen. Ich empfehle uns allen, auch den Medien und Politikern, dass wir nicht nur so wie das Kaninchen auf die Schlange, auf das Phänomen AfD schauen, sondern dass wir auch immer wieder die vielen in den Blick nehmen, die sich ganz konkret engagieren für Solidarität.
    Heinlein: Kurz noch zum Schluss, Frau Kipping. 28 Prozent in Thüringen, 19 Prozent in Sachsen und fast ebenso viele in Brandenburg – das waren die Ergebnisse bei den letzten Landtagswahlen 2014. Mit welchen Prozentzahlen wären Sie denn diesmal zufrieden im Osten, in den drei Ländern?
    Kipping: Ich tue mich immer schwer damit, Prozentzahlen als Ziele zu definieren. Ich finde, Prognosen sind schwer zu treffen, vor allen Dingen, wenn sie die Zukunft betreffen. Was ich aber sagen kann: Wir werden uns als gesamte Partei in diese drei Landtagswahlkämpfe einbringen. Wir wollen in Brandenburg unsere Regierungsbeteiligung verteidigen. In Sachsen kämpfen wir alle zusammen darum, dass es in diesen Landtagswahlen wirklich ein Dreikampf wird, wo deutlich wird, es gibt die Staatspartei Partei CDU, dann gibt es die rechte Hetze und dann gibt es die Kraft, die die soziale Alternative anführt. Und in Thüringen wollen wir gemeinsam den Linken-Ministerpräsidenten verteidigen, denn Bodo Ramelow gilt zurecht weit über die Landesgrenzen von Thüringen hinaus auch als Stimme des Ostens.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die Bundesvorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Kipping: Gerne! – Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.