Stefan Heinlein: Über die Arbeit der Kohlekommission will ich jetzt reden mit Claudia Kemfert. Sie ist die Energieexpertin des DIW, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Guten Tag, Frau Kemfert!
Claudia Kemfert: Guten Tag, Herr Heinlein!
Heinlein: Dann nehmen wir den letzten Punkt dieses Berichtes auf: Rechnen Sie heute mit einem Ergebnis der Verhandlungen oder geht es in die Verlängerung?
Kemfert: Na, ich hoffe schon, dass sich die Beteiligten heute einigen können. Man war ja schon im Dezember relativ weit – das war ja sehr schade, dass dann noch mal die Politik sehr stark reingegrätscht ist und das Verfahren jetzt noch mal aufgehalten hat, verschoben hat. Aber auch schon damals war man ja in einigen strittigen Punkten zumindest sich schon mal nähergekommen. Und ich hoffe einfach, dass jetzt nicht die Zeit dazu geführt hat, dass man nur jetzt noch Überbietungswettbewerbe gestartet hat um die meisten Entschädigungsforderungen, sondern sich wirklich auch an der Sache besinnt, wo man eigentlich hin will, nämlich einen klugen Kohleausstieg zu vereinbaren, der dann auch einhergeht mit einem Strukturwandel.
Heinlein: Nun fragt man sich ja als neutraler Beobachter, warum es so knapp wird, jetzt auf den letzten Drücker noch verhandelt wird. Erleben wir da eine Art Poker in dieser Kohlekommission?
"Man wird vermutlich bei einem Minikompromiss enden"
Kemfert: Ja, so ein bisschen hat es schon den Anschein mit dem Poker, weil man ja gerade in den letzten Tagen beobachten konnte, dass es hier finanzielle Überbietungswettbewerbe gab, wer am meisten fordert oder fordern will. Das hatte man im Dezember jetzt so in dem Umfang eben noch nicht gesehen. Offensichtlich hat man hier sehr stark jetzt drauf gedrungen, noch mehr Geld zur Verfügung zu stellen – das werden auch sicherlich strittige Punkte sein, die man dort diskutieren wird. Ich würde mir wünschen, man würde jetzt hier nicht mit dem Gießkannenprinzip nur Gelder fordern, die dann in eine bestimmte Region gehen, sondern das wirklich koppeln mit innovativen Projekten, damit auch wirklich nachhaltig hier ein Strukturwandel vorangeht. Wenn man nur Geld gibt, ohne es zu verbinden mit konkreten Projekten, wird es schwierig.
Heinlein: Da sind Sie schon bei den Inhalten, Frau Kemfert, ich würde noch gern ein wenig über diese Kohlekommission reden. Halten Sie es denn für sinnvoll, dass man in dieser Kommission eine Zweidrittelmehrheit braucht, reicht nicht eine einfache Mehrheit, damit man endlich jetzt ein Datum findet für den Kohleausstieg?
Kemfert: Ich finde es schon richtig, dass man auch diese Zweidrittelmehrheit hat, weil man eben ja auch so unterschiedliche Perspektiven in dieser Kommission einbringt, weil man sehr strittige Punkte hat. Es ist ja praktisch eine Blaupause für die ganzen Diskussionen, die wir ja auch bundesweit schon seit Jahrzehnten mittlerweile führen. Insofern ist das so ein kleines Abbild dessen, was dort auch in der Kommission stattfindet. Und die Politik setzt eben darauf, dass diese Kommission sich dort an strittigen Punkten annähert, ohne das selber machen zu wollen. Und deswegen ist es auch wichtig, dass sich dann jetzt nicht einige benachteiligt fühlen. Man wird sicherlich bei einem Minikompromiss vermutlich enden.
Heinlein: Sie haben jetzt mehrfach die Politik angesprochen, Frau Kemfert. Warum müssen denn überhaupt die Experten in dieser Kommission diese heiklen Fragen beantworten? Wäre es nicht tatsächlich die Aufgabe der Politik – der Länder, der Bundesregierung, also der Politik insgesamt –, für Klarheit zu sorgen?
Kemfert: Ja, es wäre ihre Aufgabe schon vor Jahrzehnten gewesen. Also vor 15 Jahren hätte man beginnen müssen, diese Aufgabe anzugehen, auch die Diskussionen zu führen, die strittigen Punkte gemeinsam umsetzen und auch besprechen, wie man es machen will. Weil die Politik sich da gedrückt hat, diese Aufgabe auch nicht angenommen hat, muss man jetzt eben auf den letzten Drücker irgendwas erzielen, was in diese Richtung geht. Das ist natürlich schade, und die Kommission wird hier ja auch überfrachtet mit allen möglichen Anforderungen, was die Politik eigentlich selber regeln sollte. Aber diese Kommission ist jetzt da, sie wird Empfehlungen aussprechen. Was dann aber auf die Politik am Ende daraus macht, ist ja auch noch offen. Dann gehen die Diskussionen ja erst richtig los oder auch weiter. Das sind jetzt ja nur Empfehlungen, die ausgesprochen werden, es gibt hier ja kein politisches Mandat.
Heinlein: Nun fragen sich viele Verbraucher, der Atomausstieg, der ist ja bereits beschlossene Sache, ist terminiert auf das Jahr 2022, jetzt kommt früher oder später das Aus für die Kohle: Wie groß sind die Gefahren für die Industrienation Deutschland, für die Verbraucher? Irgendwoher muss der Strom ja kommen, er kommt ja nicht einfach aus der Steckdose.
"Mehr Flexibilität, mehr Dezentralität" durch Erneuerbare
Kemfert: Ja, die Chancen sind hier größer als die Risiken. Gerade die Chancen in der Energiewende liegen ja darin, dass wir die Energieversorgung umstellen auf erneuerbare Energien, auf mehr Flexibilität, auf mehr Dezentralität. Dort werden dann Investitionen getätigt, nicht nur im Bereich der erneuerbaren Energien, sondern auch in den Speichermedien, in intelligenter digitalisierter Form auch zur Steuerung von Angebot und Nachfrage und auch nachhaltige Mobilität. Das sind riesige Geschäftsfelder, die andere Länder in der Welt schon erfolgreich auch umsetzen. Deutschland ist ja ein bisschen ein Nachzügler geworden und kann das jetzt aber aufholen, wenn wir auch endlich beginnen, die Energiewende richtig umzusetzen, damit wir die Technologien auch nicht nur in Deutschland, sondern weltweit anbieten können. Insofern dominieren nicht nur ökologische Chancen, sondern auch gerade die ökonomischen, und darum geht es ja auch.
Heinlein: Aber es hakt doch an ganz, ganz vielen Stellen sehr gewaltig, etwa beim Netzausbau.
Kemfert: Es geht ja hier um die Versorgungssicherheit durch die erneuerbaren Energien, und gerade Windenergie oder Solarenergie, die weisen Schwankungen auf. Das tut die Biomassetechnologie oder die Wasserkraft eben nicht. Wenn man jetzt die erneuerbaren Energien klug miteinander kombiniert als Teamplayer, sie nicht gegeneinander ausspielt, sondern überall auch lastnah dezentral ausbaut, dann auch noch mittels Digitalisierungen intelligenter Steuerung eben diese Schwankungen ausgleicht – das ist technisch heute möglich, wird an vielen Stellen auch schon gemacht –, dann hat man kein Problem mit der Versorgungssicherheit. Im Gegenteil, man schafft viele Probleme weg, die eben durch Atom und Kohle entstanden sind, sondern schafft ein neues Energiesystem, was mehr Vorteile als Nachteile hat.
Heinlein: Also die Erneuerbaren, da sind Sie sich als Energieexpertin sicher, können Kohle und Atom ersetzen. Können wir uns als Verbraucher dann bereits darauf einstellen, der Strom wird auf Dauer noch teurer?
Kemfert: Der Strom wird auf Dauer nicht noch teurer, er wird immer billiger. Weil die erneuerbaren Energien, wenn sie denn mal installiert sind, zu sehr, sehr niedrigen Kosten Strom produzieren, und das bedeutet eben sehr, sehr niedrige Strompreise. In der Übergangszeit investieren wir jetzt ja in einen Umbau, das wird man sicherlich auch an den Strompreisen etwas ablesen können. Im Moment ist aber gerade der Kohlestrom teuer wegen hoher CO2-Preise. Die erneuerbaren Energien sind heute schon billiger, sie sind wettbewerbsfähiger, und da geht es auch in der Zukunft hin. Also da brauchen sich die Verbraucher jetzt keine riesigen Sorgen machen, wir werden eher in einer Zeit dann leben, wo wir sehr viel Strom haben und uns auch dann Gedanken machen müssen, wie wir damit umgehen und wie wir ihn auch entsprechend speichern und einsetzen können für die nachhaltige Mobilität.
Preissenkungen statt Preissteigerungen
Heinlein: Aber wenn man auf seine Stromrechnung blickt, da gibt es diese Ökostromabgabe, und die ist ja gedacht für die Erneuerbaren, für die erhöhten Kosten der erneuerbaren Energien.
Kemfert: Genau, das haben wir in der Vergangenheit bezahlt, um eben die erneuerbaren Energien in den Markt hineinzubringen, um das System umzustellen. Die waren zu Beginn sehr teuer, mittlerweile sind sie immer billiger. Und aus dem Grund fallen diese Umlagen in der Zukunft weg. Es geht ja jetzt auch noch darum, den Umstieg mitzufinanzieren, da werden ja neue Komponenten auch hinzukommen, aber an sich sind die erneuerbaren Energien schon heute billiger als Kohle und Atom sowieso. Aber das wird in der Zukunft noch genauso sein und auch eher zu preissenkenden Effekten führen und nicht zu Preissteigerungen. In der Übergangszeit werden wir noch einiges zu investieren haben, aber am Ende zahlt es sich eben aus.
Heinlein: Kurze Frage noch zum Schluss, bitte ganz kurz, Frau Kemfert: Was erwarten Sie denn für die betroffenen Regionen – das Ruhrgebiet, die Lausitz –, werden da blühende Landschaften entstehen?
Kemfert: Also wenn wir den Strukturwandel klug begleiten, auch Förderprojekte aufsetzen, die Innovationen fördern, die neue Technologien fördern in dem Bereich Speicher und auch Energietechnik, dann ist es sicherlich so, dass dort auch Unternehmen sich ansiedeln werden und damit eben auch Investitionen in Wertschöpfung und Arbeitsplätze entstehen können. Und das ist dann auch sehr gut für die Region. Also da gibt es jede Menge Chancen.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag die DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert. Frau Kemfert, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit!
Kemfert: Ich danke Ihnen!
Heinlein: Und ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!
Kemfert: Ihnen auch, danke!
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