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Vor Obamas Geheimdienst-Rede
"Ein Spagat, der es allen recht machen will"

Die Deutschen werden über Obamas Reformvorschläge für den US-Geheimdienst nicht erfreut sein, prognostiziert Rüdiger Lentz, Leiter des Berliner Aspen-Instituts, im DLF-Interview. Ein No-Spy-Abkommen werde dabei nicht herauskommen.

Rüdiger Lentz im Gespräch mit Bettina Klein | 17.01.2014
    US-Präsident Barack Obama
    "In der Substanz wird es nur Retuschen geben", sagt Rüdiger Lentz im Vorfeld zu Obamas Geheimdienst-Rede. (dpa / picture-alliance / Shawn Thew)
    Bettina Klein: Um 17 Uhr deutscher Zeit heute Nachmittag wird Präsident Obama also einlösen, was er vor Monaten angekündigt hat, und seine Reformvorschläge für die Arbeit der Geheimdienste darlegen. Allzu weit werden die wohl nicht gehen, auch das ist keine Überraschung. Angeblich arbeitet der Präsident bis zum Schluss an seinen Überlegungen, und was sich da bereits abzeichnet, darüber wird in den Medien bereits heftig spekuliert.
    Just heute wartet die britische Zeitung "The Guardian" wiederum mit neuen Details zu den Überwachungspraktiken der NSA auf. SMS-Nachrichten werden demnach millionenfach gespeichert. Über das, was da vermutlich vom US-Präsidenten heute Nachmittag zu erwarten ist, sprechen wir jetzt mit Rüdiger Lentz, der Leiter des Aspen-Institutes in Berlin. Schönen guten Tag, Herr Lentz!
    Rüdiger Lentz: Guten Tag, Frau Klein.
    Klein: Nach dem, was wir bereits aus Washington hören - es wird keine großen Eingriffe in die Programme geben - können wir bereits jetzt davon ausgehen, dass sich ab heute Abend die Mehrheit der deutschen Politik und Öffentlichkeit wieder einmal schwer enttäuscht zeigen wird?
    Lentz: Das ist zumindest nicht auszuschließen. Ich glaube, man ist da von Anfang an auch auf deutscher Seite ein bisschen zu naiv an das Thema herangegangen.
    Klein: Inwiefern?
    Lentz: ...weil die Amerikaner sehr deutlich intern und vor allen Dingen auch in den sogenannten Sicherheitszirkeln des Militärs und der Geheimdienste klar gemacht haben, dass sie, wenn das Sicherheitsbedürfnis Amerikas betroffen ist – und das ist heute ja quasi im Anti-Terrorismus-Kampf weltweit betroffen -, dass sie in jedem Fall auf Gesetze und Dinge ihrer Verbündeten nicht unbedingt Rücksicht nehmen werden. Das hat übrigens ja auch das Hearing in dieser Woche im Senat sehr deutlich gemacht, und genau deshalb wird das eintreten, was Ihr Korrespondent schon gesagt hat: Es wird ein Spagat, der es allen recht machen will und es letztendlich nicht allen recht machen kann. Und ich denke schon, dass die Deutschen über das Ergebnis, sagen wir, vielleicht nicht enttäuscht, aber zumindest nicht erfreut sein werden, weil sie nicht das bekommen, was sie wollten, nämlich ein No-Spy-Abkommen.
    Klein: Wünschen Sie sich denn mehr Verständnis von deutscher Seite dafür?
    "Bei uns hat Datenschutz einen hohen bürgerlichen und zivilen Wert"
    Lentz: Ich wünsche mir ein bisschen mehr Realitätssinn. Die Amerikaner müssen lernen, dass das Misstrauen der Deutschen und die Betroffenheit durchaus einen realen Hintergrund hat. Wir sind, was diese Datensammlung, auch Auswertung anbetrifft, sehr sensibel. Bei uns hat Datenschutz einen hohen bürgerlichen und zivilen Wert. In Amerika geht man da sehr viel lässlicher um, weil die Privatsphäre nicht die Rolle spielt wie in Deutschland, und zum zweiten Mal dazu kommt, dass jeder Amerikaner, wenn ihm gesagt wird, dass die Sicherheit Amerikas möglicherweise bedroht ist, bereit ist, auch Eingriffe zu akzeptieren. Hier gibt es einfach zwei unterschiedliche, ich nenne es mal, Kulturansätze in der Betrachtungsweise dieses Themas. Snowden kommt ein Verdienst zu: Er hat das deutlich gemacht, und deshalb wird man auch darüber sehr deutlich sprechen müssen.
    Klein: Wie viel Handlungsspielraum, Herr Lentz, hat der US-Präsident denn innenpolitisch überhaupt, den Wünschen der deutschen Politik und der Öffentlichkeit hier zu folgen?
    Lentz: Genau das ist der Knackpunkt. Er hat sehr wenig Handlungsspielraum. Einerseits steht er einem nach wie vor konservativen, das heißt von den Republikanern beherrschten Kongress gegenüber. Er muss Rücksicht nehmen auf seine Militär- und Sicherheitsorgane, das hat bisher jeder amerikanische Präsident getan, die er nur bedingt, sagen wir einmal, in eine völlig neue Richtung zwingen könnte. Wir haben das im Guantanamo-Fall ja schon einmal erlebt. Wenn Sicherheitsbedürfnisse von dieser Seite geltend gemacht werden, dann ist im Zweifelsfall auch der Präsident derjenige, der nachgibt. Er hat gleichzeitig natürlich den Druck auch der Bürgerrechtler und der demokratischen Partei, und diesen Spagat oder diese Quadratur des Kreises kann er nicht hinbekommen. Insofern werden wir mit einer sehr fulminanten Ankündigungsrede, was alles falsch gelaufen ist, was man vielleicht besser machen könnte, rechnen dürfen, aber in der Substanz wird es nur Retuschen geben.
    Klein: Seit dem Sommer, Herr Lentz, hat in den USA auch bei den Besonneneren das Argument eine Rolle gespielt, lasst einen Anschlag passieren wie vergangenes Jahr beim Marathon in Boston, nachdem Obama in die Geheimdienstaktivitäten eingegriffen hat, er würde in einer Weise am Pranger stehen, die man sich hier kaum vorstellen kann. Was könnte passieren, wenn er risikofreudiger agieren würde?
    Lentz: Das ist genau das Problem. Kein Mensch kann solche Dinge vorhersehen. Aber die Sicherheits-Community behauptet zumindest – und dafür gibt es kaum Gegenbeweise -, dass durch dieses flächendeckende Überwachungssystem, durch diese Metadaten und die Vernetzung dann zwischen Zielpunkten und Leuten, die man damit verfolgen kann in ihren Aktivitäten, bisher auch einige Attentate vielleicht haben verhindert werden können. Nur den Gegenbeweis, dass, wenn nicht geforscht und nicht spioniert worden wäre, es trotzdem keine Attentate gegeben hätte, kann keiner antreten. Der amerikanische Präsident, wie er auch immer sich entscheidet, er trägt ein hohes Risiko, und Obama hat sich auch in anderen außen- und innenpolitischen Fragen hier immer auf die Seite der sicheren Entscheidung gestellt, indem er jetzt zum Beispiel, was gut klingt und demokratisch ist, den Kongress mit einbeziehen will. Aber damit hat er natürlich auch die Verantwortung wieder sozusagen von sich weggeschoben im Blick auf den Kongress.
    Klein: Es geht ja vor allen Dingen um die anlasslose Datenspeicherung in einem wirklich beispiellosen Umfang. Weshalb soll nicht möglich sein, daran etwas zu ändern?
    Lentz: Ich glaube, das ist technisch durchaus möglich, wenn man zum Beispiel die Zeit, in der die Daten aufgehoben werden, begrenzt, wenn man möglicherweise auch das Abschöpfen aller Daten zumindest nur bei Verdachtsmomenten zulässt. Aber genau die Diskussion wird der amerikanische Geheimdienst mit dem Weißen Haus führen müssen: Wo ist da die Grenze zu ziehen. Wenn Sie weltweit Sicherheitsinteressen haben, die betroffen sind, und Amerika ist überall auf der Welt entweder selbst tätig, oder Amerika kann dort Schaden zugefügt werden – ich denke nur an Aden und den Bombenanschlag auf den US-Destroyer, es gibt ja Dutzende von Fällen, wo amerikanische Einrichtungen bedroht oder dann auch attackiert worden sind. Insofern wird es da sehr schwer sein, eine Grenze zu ziehen. Aber ich glaube, der Genie ist sozusagen aus der Bottle, was das Internet und diese Datenmassen anbetrifft. Wie man das filtert und kontrolliert und in den Griff kriegt, ist auch eine Frage an die Fachleute und an Bürgerrechtler und Leute, die Datenschutzbeauftragte sind. Wir haben ja eben gehört, dass es möglicherweise einen Datenschutzbeauftragten in den USA geben wird.
    Klein: Aber ist nicht genau dies das Thema, Herr Lentz, um das es jetzt im Augenblick geht, nämlich um die Grenze? Die Geheimdienstleute sagen, wenn wir die Nadel im Heuhaufen finden sollen, dann brauchen wir erst mal einen Heuhaufen, und die Amerikaner neigen dazu, vieles ja sehr pragmatisch zu lösen, und möglicherweise wäre das eben auch anders zu lösen. Muss man da auch von deutscher Seite stärker insistieren?
    Lentz: Nur wie es anders gelöst werden kann, ist offen. Sie haben natürlich recht: Man muss möglichst viele Daten haben, um dort Bewegungs-Patterns oder Aktions-Patterns, Verhaltensweisen herausfiltern zu können. In Amerika hat sich eine beispiellose Entwicklung ergeben, die wir eigentlich nur mit Fassungslosigkeit kommentieren können, dass nämlich durch die Computer-Entwicklung die NSA mit Milliarden Aufrüstung es geschafft hat, weltweit das alles abzufischen. Ob man das wieder zurückschrauben kann und zurückdrehen kann, dazu bräuchte es eine politische Entscheidung, die aber vor dem Hintergrund auch des dann möglicherweise erhöhten Sicherheitsrisikos sehr schwer zu treffen ist.
    "Ich glaube, wir haben da einfach auch von diesem Präsidenten anderes erwartet"
    Klein: Wenn das jetzt so kommt, wovon wir im Augenblick ausgehen, nämlich dass Reformen kommen, die hier kaum jemanden zufriedenstellen werden: Wie schwer werden die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten beschädigt sein?
    Lentz: Sie sind zumindest atmosphärisch schwer beschädigt, weil in Deutschland die Betroffenheit und die Verärgerung groß ist. Ich glaube, wir haben da einfach auch von diesem Präsidenten anderes erwartet. Wir haben erwartet, dass er Bürgerrechte mehr in den Vordergrund rücken würde. Wir sind enttäuscht, die Deutschen sind enttäuscht. Die Amerikaner verstehen diese Enttäuschung nicht ganz, weil sie unter einem anderen Sicherheitstrauma und unter anderen Sicherheitsbedingungen leben. Und ich glaube, dieses wechselseitige Missverständnis und die Nichteinschätzung dieser unterschiedlichen Haltungsweisen, darüber muss man auch reden und dann sehen, wie man wieder einen gemeinsamen Boden und eine gemeinsame Zusammenarbeit auch auf dem Sektor der Geheimdienste und der Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terror findet.
    Klein: Ist das aber nicht auch ein trauriger Befund, Herr Lentz, für jemanden wie Sie, der einer Institution wie dem Aspen-Institut in Berlin vorsteht, dass man sagen muss, das Verständnis ist einfach auf beiden Seiten nicht in dem Maße gegeben, wie das vielleicht wünschenswert wäre?
    Lentz: Das ist richtig. Der Befund ist da. Wir müssen uns deshalb bemühen, dass alle Transatlantiker und diejenigen, die wissen, was es auch auf dem Sektor der Handelsbeziehungen, auf dem Sektor der gemeinsamen Werte zu verlieren oder zu erhalten gilt, auch weiter zusammenarbeiten. Aber ich darf daran erinnern, dass es in der Vergangenheit vom Vietnam-Krieg über SDI, über Nachrüstung natürlich auch schon andere außen- oder sicherheitspolitische Themen gegeben hat, wo wir uns wenig oder nicht verstanden haben und wo wir Kontroversen ausgetragen haben. Ich denke, das muss eine Bündnispartnerschaft und eine Freundschaft wie die zwischen dem amerikanischen und deutschen Volk auch aushalten können. Aber der Schaden ist zweifellos da.
    Klein: Und es gibt im Augenblick – vielleicht ist das sogar ein Unterschied – kaum noch einen Transatlantiker, der sich wirklich vollen Herzens vor die USA stellt. Zurecht?
    Lentz: Zurecht ja, weil wir, glaube ich, hier auch eine Entfernung und Entfremdung feststellen, die sich über die letzten zehn Jahre entwickelt hat, seitdem der Kalte Krieg weggefallen ist, Deutschland wiedervereinigt ist, Europa stark mit sich selbst beschäftigt ist. Das alles hat uns von Amerika und Amerika von uns entfremdet, die sich dem Pazifik, China zugewandt haben. Nur ich denke, es gibt immer noch sehr viele wichtige Gemeinsamkeiten, die es gilt zu erhalten, und dafür, denke ich, treten die Transatlantiker, die es auf beiden Seiten noch gibt, auch sehr engagiert ein.
    Klein: Rüdiger Lentz, der Leiter des Aspen-Institutes in Berlin, haben Sie Dank für das Gespräch heute Mittag hier im Deutschlandfunk.
    Lentz: Danke schön, Frau Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.