"Welcome to One World Observatory.”
In nur 47 Sekunden rast der schnellste Aufzug des Westens in den 102. Stock. Von der Aussichtsplattform des One World Trade Centers hat man eine großartige 360-Grad-Aussicht aus 380 Metern Höhe. Der unverstellte Blick reicht über den Central Park im Norden, die Brooklyn Bridge im Osten, die Freiheitsstatue im Süden bis nach New Jersey im Westen.
Ground Zero: Synonym für ein kollektives Trauma. Fast 3.000 Menschen kamen bei den Terroranschlägen am 11. September 2001 ums Leben, die beiden Türme des World Trade Centers gingen nach schweren Explosionen in Flammen auf.
Auf der Grundfläche eines Quadrats, dessen Betonfundament fast 60 Meter in den Boden reicht, ragt jetzt einer der höchsten Wolkenkratzer der Welt in den Himmel. Lange nach 9/11 war der Ort nur eine klaffende Wunde im Süden Manhattans. Erst viereinhalb Jahre nach den Anschlägen, am 27. April 2006, wurde das entsetzliche Loch wieder geschlossen. Ein erbittert geführter Streit zwischen verschiedenen Interessengruppen hatte den Baubeginn an diesem symbolträchtigen Ort verhindert. Die Probleme begannen schon mit dem philosophisch hochambitionierten Entwurf des Stararchitekten Daniel Libeskind:
"My ambition was not to make it just business as usual, but create public spaces, to create a neighborhood, where people can work, can live. This is a special site.”
Intellektutelle Idee vs. Bürohaus
Libeskind, oft für seine chiffrenhaft-artifizielle Architektursprache kritisiert, wollte an diesem besonderen Ort auch Platz zum Leben und Arbeiten schaffen. Aber er konnte sich mit seiner intellektuell aufgeladenen Idee eines Freedom Towers, der einen Park der Helden und einen Park des Lichts beherbergen sollte, nicht durchsetzen. In so einem Mahnmal könne man weder arbeiten noch wohnen, warf man ihm vor. Der Investor, Larry Silverstein, ein alteingesessener New Yorker Immobilientycoon, der in erster Linie kommerzielle Interessen verfolgte, beauftragte Libeskinds Konkurrenten David Childs. Der Bürohaus-Spezialist klotzte ein zweckmäßiges Stahl-Glas-Ungetüm in den Sand der Fulton Street.
"Es wird die Skyline beherrschen. Es wird größer und besser und viel exquisiter als alles, was da war, bevor die Terroristen kamen, um es zu zerstören."
Das im November 2014 fertiggestellte One World Trade Center ist mit 104 Stockwerken das vierthöchste Gebäude der Welt. Von Libeskinds Vision blieb nur noch die Höhe: 541 Meter oder 1776 Fuß - was an das Gründungsjahr der USA erinnern soll.
Dass die ursprünglich auf eine Milliarde Dollar veranschlagten Baukosten nicht ausreichten und schließlich aufs Vierfache stiegen, liegt vor allem an den extrem hohen Investitionen in die Sicherheit. Larry Silverstein, dem die Kosten schnell über den Kopf wuchsen, gab die Investoren-Verantwortung an die New Yorker Hafengesellschaft ab.
"Wenn man Sicherheit haben will, muss man die bestmöglichen Bedingungen schaffen, damit die Menschen Vertrauen haben, wenn sie zur Arbeit kommen."
Panzerglas und hitzeresitenter Beton
In den Stockwerken oberhalb der Eingangshalle sind die Außenfassaden aus dickem Panzerglas. Jeder einzelne Stahlträger wird von Beton ummantelt. Der Stahl der Twin Towers war am 11. September in der Hitze des brennenden Kerosins geschmolzen. Beton ist hitzeresistent. Trotz dieser Investitionen ist es nicht leicht, Mieter für das One World Trade Center zu finden. Zwar hatte der berühmte Condé-Nast-Verlag bereits 2011 einen langfristigen Mietvertrag für 21 der insgesamt 70 Büroetagen abgeschlossen. Doch im Mai 2014 waren noch 50 Prozent der Büros unvermietet.
"Dieser außergewöhnliche Turm ist viel mehr als ein strahlend schönes Beispiel zeitgenössischer Architektur. Er ist das Symbol eines eingelösten Versprechens."
Jessica Lappin, Chefin des Verbandes der Geschäftsleute Manhattans, wird seitdem nicht müde, für das One World Trade Center zu werben. Doch nicht nur New Yorker, die mit der nüchternen Architektur des Zweckbaus wenig anfangen können, bleiben reserviert. Viele zögern, mit dem großartigen Blick, den das Gebäude bietet, gleichzeitig die Perspektive der Menschen einzunehmen, die angesichts der auf sie zurasenden Flugzeuge den sicheren Tod vor Augen hatten.