Syke-Gessel, der 7. April 2011, die Trasse der Nordeuropäischen Erdgasleitung: Bevor die Bauarbeiter auch hier bei Diepholz die 36 Meter breite Schneise für die Rohre ausheben, untersuchen Archäologen den Untergrund nach Zeugnissen vergangener Zeiten.
Die oberste Bodenschicht wird mit einem Bagger abgetragen. Dann kommt der Metalldetektor zum Einsatz. Der beginnt mitten auf einem Acker plötzlich zu piepen.
Reste einer Granate? Vorsichtig kratzt der Grabungstechniker etwas Boden ab. Zwei Bronzespangen kommen zum Vorschein, und – leuchtendes Gold. Der Techniker widersteht der Versuchung weiterzugraben.
Ein Jahrhundertfund
"Er hat gesagt, wenn hier ein Goldstück ist und vielleicht noch ein zweites, zwei Goldstücke gaben sich zu erkennen, dann ist das was Größeres. Und dann hat er in der Zentrale die Bezirksarchäologie angerufen. Dann kam sozusagen die Kavallerie rausgeritten mit Restaurierungsleuten und allem Pipapo", erzählt Henning Haßmann, der Leiter der Abteilung Archäologie beim niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege.
So ein Fund kann nur im Labor sorgfältig analysiert und freigelegt werden. Also ging es zunächst ums Bergen. "Es wird dann ein großer Erdblock praktisch aus dem Untergrund ausgestanzt, wird mit Brettern, mit Holz verkleidet und dann auf einen Lastwagen geladen und in die archäologische Werkstatt gefahren. Dort wird aber auch noch nicht gleich freigelegt. Dort wird er erst mal durchleuchtet, geröntgt."
Stefan Winghart war zur Fundzeit Präsident des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege. Das Röntgengerät verriet, dass ein Jahrhundertfund gelungen war.
"In diesem Fall war nicht das Problem, dass diese Röntgentechnik nicht durch diesen Sedimentklotz geleuchtet hätte, sondern dass das Gold so stark gestrahlt hat, dass man einfach nur einen weißen Blitz mehr oder weniger sehen konnte und nur in den Rand-bereichen erkennen konnte, dass das kleinteilig ist."
Rund 1,7 Kilogramm Goldschmuck
Die Archäologen mussten ihre Ungeduld zügeln: Ein Röntgenbild verriet nicht, was da genau im Erdblock lag. Die nächste Station war deshalb der Computertomograph. Er lieferte die Daten für das dreidimensionale Modell, nach dem dann der Fund behutsam freigelegt wurde: der "Goldhort von Gessel".
"Der mittelbronzezeitliche Hort enthält eine Fibel, zwei Armringe und 114 Spiralen unterschiedlicher Größe. Es finden sich unter anderem acht Ketten mit je zehn girlandenartig verbundenen Spiralringen. Oberhalb des Goldensembles lag ein Bündel aus sechs Bronzenadeln mit hervorragend erhaltener Leinenumwicklung."
Gewicht: rund 1,7 Kilogramm. So steht es in einer ersten Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift. Die Reste des Leinenbeutels, in dem der Schatz vergraben worden ist, konnten inzwischen datiert werden: auf das Ende des 14. Jahrhunderts vor Christus, aus der Bronzezeit also.
"Dieser Goldfund besteht aus Schmuckstücken, und er besteht aus Spiralen. Die Spiralen sind offenkundig genormt und stellen eine Art Wertäquivalent dar" - also eine Art Währung, ein Zahlungsmittel in den Handelsbeziehungen jener Tage.
"Der Goldfund führt uns also sozusagen mitten in die Wirtschaftsgeschichte der Bronzezeit. Wenn wir also derartige Mengen von Gold hier in der norddeutschen Provinz finden, wo es weder Goldvorkommen noch Kupfervorkommen gibt, dann können wir daraus auf eine Globalisierung dieses bronzezeitlichen Wirtschaftssystems schließen."
Debatten über die Herkunft des Goldes
Woher das Gold stammt, war lange Gegenstand heftiger Debatten. Inzwischen sieht es so aus, als käme es aus dem Osten oder Südosten – vom Balkan oder noch weiter entfernten Regionen. Ein äußerst wertvoller Fund, sozusagen das bronzezeitliche Äquivalent der Bank von England. Die Pipelinetrasse – sie hat den Archäologen also Glück gebracht.
"So einen Schatz, den kann man nicht planen. Das ist der Sechser im Lotto. Das muss man einfach so sagen. Und was für ein Glück wir dabei hatten, können Sie ja vielleicht daran ermessen: Wäre dieser Goldhort 50 Meter nördlich oder südlich gelegen, dann wäre man mit der Trasse gar nicht drauf gekommen."
Wem er gehörte und warum er vergraben wurde, weiß niemand. War es der Vorrat eines Händlers oder Handwerkers? Wurde er zum Schutz vor Plünderern angelegt? Als Ausstattung für ein Leben nach dem Tode? Das eher nicht, glauben die Archäologen. Wahrscheinlich gehörte er nicht einer einzelnen Person, sondern einer Gruppe. Der Elite. Ein Stammesheiligtum, das ihrer Selbstvergewisserung diente – eine Art "Staatsschatz", der mitten im bronzezeitlichen Machtzentrum vergraben worden ist. Die Forschungsarbeiten dazu sind noch lange nicht abgeschlossen.