Gerd Breker: Optimistisch schaut die deutsche Wirtschaft auf das kommende Jahr. Allem Krisengerede zum Trotz rechnen die Firmen mit der Steigerung der Produktion und mit der Steigerung des Umsatzes und einer robusten Konjunktur. Das geht zumindest aus einer Umfrage hervor, die das wirtschaftsnahe Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft veröffentlicht hat. Heute nun hat in Berlin der Mittelstand seine Erwartungen für das kommende Jahr in Berlin verkündet und ist wohl ähnlich zuversichtlich.
Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger. Er ist Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Guten Tag, Herr Bofinger.
Peter Bofinger: Guten Tag, Herr Breker.
Breker: Es bleibt dabei: Es sind vor allem die Exportaussichten, die in der deutschen Wirtschaft für Zuversicht und Optimismus sorgen. Ist das eine gesunde Entwicklung, Herr Bofinger?
Bofinger: Zunächst mal muss man ja sehen, wo wir herkommen. Das Jahr 2013 war für die Exportwirtschaft alles andere als ein gutes Jahr. Wir haben eine rote Null dort erzielt. Und wenn es jetzt etwas aufwärtsgeht, ist das sicher erfreulich. Aber ich glaube, auch da sollte man vorsichtig sein. Wir haben einen ziemlichen Gegenwind von der Wechselkursentwicklung. Der Euro ist ja auf einem sehr hohen Niveau und die Situation im Euroraum und auch in den Schwellenländern ist alles andere als gefestigt.
Breker: Die Euro-Krise bleibt ein Thema?
Bofinger: Wir haben in den Problemländern des Euroraums nach wie vor die Situation, dass die Arbeitslosenraten sehr hoch sind und auch sehr hoch bleiben werden. Der Schuldenstand, bezogen auf die Wirtschaftsleistung, ist ebenfalls auf einem sehr hohen Niveau. Das wird sich auch da auf absehbare Zeit wenig ändern. Das heißt, diese Länder bleiben nach wie vor anfällig für spekulative Attacken der Finanzmärkte. Und wir haben auch noch das Problem, dass ja die Banken in den Problemländern mit erheblichen Altlasten zu kämpfen haben, dass auch noch zusätzliche Eigenkapitalforderungen an sie herankommen. Also insgesamt, glaube ich, können wir froh sein, wenn es dort jetzt allmählich nach oben geht und wenn diese Länder es einigermaßen schaffen, aus der Stagnation herauszukommen.
"Psychologie spielt eine große Rolle"
Breker: Dennoch, Herr Bofinger, spricht ja die deutsche Wirtschaft von einer robusten Konjunktur. Das ist doch ein Attribut, besser geht es nicht.
Bofinger: Na ja, wir sind vielleicht auch bescheiden geworden, denn ich meine, was hinter uns liegt: Das Jahr 2013 ist ja ein Jahr der Stagnation gewesen im Exportbereich, bei der Produktion und auch bei der Wirtschaftsleistung insgesamt. Und wenn wir da jetzt allmählich herauskommen, ist das sicher eine ganz erfreuliche Entwicklung, und Psychologie spielt auch eine große Rolle. Aber die harten Fakten, die wir derzeit haben, stützen noch nicht den Optimismus, der sich jetzt überall breitmacht.
Breker: Dennoch: Der Höhenflug des Euro - Sie haben es kurz erwähnt, Herr Bofinger - hört sich so an wie ein kleiner, nur ein kleiner Wermutstropfen.
Bofinger: Na ja, der Höhenflug des Euros kommt zu der, wie ich das schon sagte, doch nach wie vor problematischen Lage in den Peripherieländern des Euroraums. Wir haben auch in den Schwellenländern alles andere jetzt als ideale Zustände. In Brasilien, in Indien ist doch die wirtschaftliche Dynamik erheblich zurückgegangen und auch China ist ja nicht uneingeschränkt die Wachstums-Lokomotive, die es gewesen ist. Die Exportdynamik hat massiv nachgelassen, die jetzt aus China für den Rest der Welt kommt, und das Land steht vor einer ganz schwierigen Umstellungsaufgabe von einem investitions- und exportgetriebenen Wachstum auf ein mehr von der Binnennachfrage und vom Konsum getriebenen Wachstum. Das wird nicht einfach sein, zumal auch da erhebliche Probleme im Finanzsystem sind. Also die weltwirtschaftliche Landschaft ist jetzt alles andere als ideal und ich glaube, wir sind noch weit davon entfernt, dass wir sagen können, wir sind wieder aus dem Krisenmodus in einen normalen Modus zurückgekehrt.
Breker: Dennoch, Herr Bofinger, stellen wir fest: Unsere Wirtschaft ist zuversichtlich, ist optimistisch. Wenn sie denn recht hat, dann stimmt es doch auch auf dem Arbeitsmarkt, dann stimmen doch auch die Steuereinnahmen, dann füllen sich die Kassen der öffentlichen Hände.
Bofinger: Nein, es ist ja klar. Ludwig Erhard soll ja gesagt haben, Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie. Wenn die Stimmung gut ist, ist das eine wunderbare Sache, und wenn dann die Stimmung auch auf die harten Daten sich auswirkt, auf die Produktion, auf die Auftragseingänge, dann ist das sicher eine sehr wünschenswerte Konstellation.
Breker: Und dann sind die Kassen der öffentlichen Hände auch gut gefüllt.
Bofinger: Ich sehe da überhaupt keine Probleme jetzt für die öffentliche Hand. Das, was angelegt ist jetzt in den Planungen im Koalitionsvertrag, ist ja so gestaltet, dass da keine wesentlichen Belastungen auf die öffentliche Hand dazukommen, und von der Einnahmeseite her wird das auch gut laufen, sodass man sicher davon ausgehen kann, dass wir zumindest einen ausgeglichenen Gesamthaushalt im Jahre 2014 haben werden.
"Festlegungen im Rentenbereich belasten jüngere Menschen"
Breker: Es stellt sich ja, wenn die Kassen gefüllt sind, auch die Frage, ob das Geld sinnvoll ausgegeben wird. Kritiker sagen ja, dass das, was da im Koalitionsvertrag ausgehandelt wurde, nicht ausreicht, um den demografischen Wandel ausreichend zu berücksichtigen. Wie sehen Sie das?
Bofinger: Zunächst mal sind ja durchaus zukunftsorientierte Ausgaben jetzt im Koalitionsvertrag enthalten bei dem, was nun die Bildung angeht, was die Infrastruktur angeht. Von daher ist ja durchaus der Versuch im Koalitionsvertrag zu erkennen, auch zukunftsorientiert die Ausgabenpolitik zu gestalten. Eine andere Frage sind die Festlegungen im Rentenbereich, jetzt die Mütterrente und die Rente ab 63. Das sind sicher Belastungen für das Rentensystem, die sich auch nachteilig dann für die jüngeren Menschen auswirken.
Breker: Nun kommt, Herr Bofinger, der DGB-Chef Sommer mit der Forderung nach einem europaweiten Konjunkturprogramm. Liegt er da so verkehrt?
Bofinger: Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man zunächst mal jetzt nicht zur Tagesordnung übergeht, was die Peripherieländer des Euroraumes angeht. Wie ich das schon sagte: Die Perspektiven sind sehr ungünstig. Selbst wenn man jetzt davon ausgeht, dass die Wirtschaft etwas Fahrt aufnimmt, werden die Arbeitslosenraten in Spanien, in Griechenland auf einem enorm hohen Niveau für die nächsten Jahre verharren, und die Frage ist dann durchaus berechtigt, was kann man tun, um in diesen Ländern zusätzliche Impulse zu geben, damit sich dort nicht eine Dauerarbeitslosigkeit verfestigt.
Breker: Faktum ist ja: Wir hier in der Bundesrepublik, wir haben keine wirklichen Rohstoffe, wir haben nichts in der Erde, was uns weiterhelfen kann, wir haben nur die Menschen. Tun wir da genug für die Ausbildung und für die technische Entwicklung?
Bofinger: Zunächst mal haben wir das Problem, das hier auch gerade schon angesprochen worden ist, des Facharbeitermangels, und auch insgesamt ist zu fragen, ob man nicht einfach noch mehr Mittel in den Bildungsbereich investiert. Wir haben zwar eine Entlastung jetzt durch die Demografie, dass wir einfach weniger junge Menschen haben, aber nach wie vor sind auch im Universitätsbereich zusätzliche Investitionen sehr sinnvoll. Wenn man sieht, dass wir in Einführungsveranstaltungen 800 Studenten haben, dann ist das alles andere als jetzt eine optimale Ausbildung.
Breker: Und dieser Tage hat Arbeitgeberpräsident Kramer noch einmal die schlechte Ausbildung der Azubis, der künftigen Lehrlinge beklagt. Muss da mehr getan werden?
Bofinger: Ich denke, man kann im Schulbereich jederzeit zusätzlich noch Mittel investieren, die auch dort gut angelegt sind. Deutschland ist, was die Ausgaben im Bildungsbereich angeht, unter dem Durchschnitt des OECD-Raums, weit entfernt von den skandinavischen Ländern. Hier mehr Geld zu investieren, würde sich immer lohnen.
"Eine ganz andere Welt heute im Finanzsystem"
Breker: Herr Bofinger, Sie haben es schon angedeutet: Die Euro-Krise, die Verursacher dieser Krise, das waren ja die systemischen Banken. Wenn man genau hinschaut, verhalten die sich heute genauso wie vor der Krise.
Bofinger: Ich glaube, das kann man nicht so sehen, denn wenn man sich die Entwicklung des Euroraums betrachtet, dann war das Problem ja eine exzessive Kreditvergabe in Ländern wie Irland und Spanien in den Jahren 2003 bis Anfang 2007, Zuwachsraten um über 20 Prozent. Und was wir heute erleben, ist ja genau das Gegenteil. Wir sehen, dass die Banken in diesen Ländern massiv verunsichert sind, dass sie die Kredite zurückfahren. Das Problem geht quasi im Augenblick in die Gegenrichtung, dass Unternehmen, die gerne investieren würden, sich enorm schwertun, überhaupt Kredite zu bekommen. Da ist schon eine ganz andere Welt heute im Finanzsystem des Euroraums, als das in den Jahren 2003, 2004, 2005 der Fall gewesen ist.
Breker: Und bezahlen tun das all die, die eine Lebensversicherung haben und die niedrigen Zinsen sehen?
Bofinger: Wir haben in Deutschland in der Tat das Problem, dass wir extrem niedrige Zinsen haben, und das ist natürlich aus meiner Sicht nicht nur aus der Konstellation des Euroraums zu erklären, sondern auch aus der Situation, die wir in Deutschland haben. Wir haben in unserem Lande eine enorm hohe Geldersparnis, was sich ja in dem hohen Leistungsbilanz-Überschuss niederschlägt, und wir haben zumindest bisher eine extrem schwache Investitionsnachfrage. Und wenn nun sehr viele Menschen Geld anlegen möchten, aber relativ wenige Leute dieses Geld nutzen möchten, um zu investieren, dann ist die Folge ganz zwangsläufig, dass die Zinsen niedrig sind, und das sieht man in ähnlicher Weise natürlich auch in Ländern wie in der Schweiz oder in Japan.
Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger. Herr Bofinger, wir müssen zum Ende kommen, die Nachrichten stehen vor der Tür. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Bofinger: Ja gerne.
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