Wie geht es nach den Sommerferien in den Schulen weiter? Die Delta-Variante des Coronavirus ist inzwischen die dominierende Variante in Deutschland. Für den Herbst wird ein Anstieg der Infektionszahlen erwartet. Der könnte besonders Kinder treffen, die keinen Impfschutz haben. Gleichzeitig hat die Pandemie-Erfahrung der zurückliegenden Monate gezeigt, dass Schul- und Kitaschließungen zu Lernrückständen und vielfältigen sozialen und psychischen Problemen für Kinder führen. Einer aktuellen Allensbach-Umfrage im Auftrag der Telekom-Stiftung zufolge attestiert sich mehr als ein Viertel der 10- bis 16-Jährigen selbst große Lernlücken. Wie also können Schulen offen gehalten und Kinder trotzdem geschützt werden?
Seit Februar gibt es bereits die von Expertinnen und Experten erarbeitete Leitlinie "Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen", die konkrete Handlungsempfehlungen für den sicheren und kontinuierlichen Schulbetrieb in Pandemiezeiten gibt. "Die Empfehlungen gelten weiterhin, auch mit den neuen Virusvarianten", betonte Eva Rehfuess, Leiterin des Lehrstuhls für Public Health und Versorgungsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München, im Deutschlandfunk.
Die Schulen seien damit aus wissenschaftlicher Sicht gut gewappnet. Wenn die empfohlenen Maßnahmen umgesetzt würden, ermögliche das einen sicheren Schulbetrieb im Herbst und im Winter. Hinzu kommen weitere Maßnahmen wie das Testen, die bisher in der Leitlinie noch nicht verankert sind. Inwieweit Impfungen von Kindern künftig eine Rolle spielen können, wird noch diskutiert.
Ausgangspunkt für die Prävention von Virusübertragungen an Schulen ist in der Leitlinie ein Standard-Maßnahmenpaket, das sich an den geltenden AHA+L-Regeln orientiert und konkret Abstand, Hygiene, das Tragen einer angemessenen Maske und Lüften vorsieht. Hinzu kommen je nach Infektionsgeschehen weitere empfohlene Maßnahmen:
- Reduzierung der Schülerzahlen im Präsenzunterricht und/oder Aufteilung in kleinere Gruppen
- Wechselunterricht bei hohem Infektionsgeschehen
- Tragen eines (medizinischen) Mund-Nasen-Schutzes
- Maßnahmen auf Schulwegen (Masken-Tragen im Schulbus, versetzter Unterrichtsbeginn)
- Musik- und Sportunterricht soll stattfinden, aber mit Schutzkonzepten
- Lüften: Es soll regelmäßig und ausreichend über Fenster gelüftet werden. Der Betrieb einer geeigneten Lüftungs- oder raumlufttechnischen Anlage ist als gleichwertig anzusehen. Räume, in denen beides nicht möglich ist, sollen nicht für Unterricht genutzt werden.
- Luftreinigungsgeräte: Der Einsatz mobiler Luftreiniger in Schulen kann als ergänzende Maßnahme zum Lüften zur Aerosolreduktion erwogen werden, wenn grundsätzlich eine ausreichende Lüftung gewährleistet werden kann.
Ob mobile Luftfiltergeräte in einzelnen Räumen empfohlen werden, hänge von den räumlichen Gegebenheiten und der infektiologischen Lage ab, erläuterte Julia Hurraß vom Gesundheitsam Köln in einer Pressekonferenz des Science Media Centers am 8. Juli 2021. Sie war federführend bei der Erstellung der Kapitel Lüften und Luftreinigung der Leitlinie. Die Aufstellung der Geräte müsse fachlich gut begleitet werden. "Wenn sie irgendwo stehen und nicht die ganze Klasse durch die Strömung erreicht wird, nutzen sie nichts", so Hurraß. Zudem gebe es klare Anforderungen an Leistungsfähigkeit und Schallemissionen. Sie verwies zudem auf eine Entwicklung von Aerosolforschern des Max-Planck-Instituts in Mainz, die ein einfaches Entlüfungssystem entworfen haben, das effektiver sein soll als Luftfilteranlagen und zudem noch weniger kostet. "Wo immer einfache Lösungen mit Ventilatoren möglich sind, würde ich die preferieren", so Hurraß.
Falls Schulen wieder zum Wechselunterricht zurückkehren müssen, sollten Lehrkräfte die Klassen am besten nicht einfach alphabetisch aufteilen, denn damit lasse sich das Infektionsgeschehen schlecht eindämmen. Das ist ein Ergebnis einer Studie, die das Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung gemeinsam mit Anna Kaiser von der Columbia University in New York durchgeführt hat. "Am besten funktioniert die Klassenaufteilung in unserem Modell tatsächlich, wenn man versucht, die Kontakte, die die Schüler in der Freizeit haben, zu berücksichtigen und die Klassen so einzuteilen, dass es möglichst wenige Brücken gibt von der einen zu der nächsten Klassenhälfte", sagte Kaiser im Deutschlandfunk.
Studie über Wechselunterricht:
Welche Methode Infektionen am besten eindämmt - dazu Interview mit Sozialforscherin Anna Kaiser (20.7.2021)
Umgang mit Verdachtsfällen
Es gibt zwei Arten von Verdachtsfällen: Kinder mit Symptomen ohne bekannten Kontakt zu einem Corona-Fall und Kontaktpersonen einer mit Corona infizierten Person. Für die entsprechenden Quarantäne-Maßnahmen verweist die Leitlinie auf die Empfehlungen des Robert Koch-Institus.
Hierzu gibt es derzeit noch kein Maßnahmenpaket in der Leitlinie, es soll erst im Herbst veröffentlicht werden.
Die Frage wird sein, ob und wann die in den vergangenen Monaten systematisch durchgeführten Corona-Massentests an Schulen beibehalten werden. Schülerinnen und Schüler wurden und werden bislang entweder einzeln über Antigen-Schnelltests oder gruppenweise über die sogenannte Pool-Testung mehrmals pro Woche auf eine Infektion mit dem Coronavirus getestet.
Der Chef der Ständigen Impfkommission (STIKO) Thomas Mertens hatte kürzlich die Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit solcher Massentests infrage gestellt. Man sollte darüber nachdenken, ob es wirklich wichtig sei, infizierte Kinder ohne Symptome durch eine solche Testung zu entdecken, sagte er in einem Zeitungsinterview. Möglicherweise würde es reichen, Kinder, die bereits Symptome hätten, frühzeitig zu identifizieren und zu isolieren.
Andere Wissenschaftler und auch SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sprechen sich für die systematische Testung aus. Sie helfe, das Infektionsgeschehen an Schulen zu überblicken und infizierte Kinder schnell zu identifizieren, bevor es zu flächendeckender Ansteckung komme, sagte Florian Klein, Direktor des Instituts für Virologie der Uniklinik Köln, auf einer Pressekonferenz des Science Media Center am 8. Juli 2021. Der Mediziner betonte, es müsse alles dafür getan werden, den Schul- und Kitabesuch zu ermöglichen. Deshalb sei eine Kombination verschiedener Maßnahmen wichtig.
Klein hat die Methode der Pool-Testung mit den sogenannten Lolli-Tests mitentwickelt. Sie wird seit April an allen Kindergärten und Schulen in Köln und seit Mai an allen Grund- und Förderschulen in ganz Nordrhein-Westfalen eingesetzt und wissenschaftlich begleitet.
Vorteile der Lolli-Tests gegenüber Antigen-Schnelltests
- enfache, wenig invasive Probenentnahme (geeignet insbesondere auch für kleinere Kinder)
- PCR-Test mit höherer Sensitivität und Spezifität als Antigentest
- Entlastung der Labore, weil für mehrere Kinder nur eine Probe eingeschickt wird
- keine Stigmatisierung eines positiv getesteten Kindes, weil die Einzeltestung im Falle einer positiven Pool-Testung zu Hause erfolgt
Nachteile der Lolli-Tests gegenüber Antigen-Schnelltests
- Laboranalyse notwendig
- Logistik für den Transport der Tests ins Labor notwendig
- kein unmittelbares Ergebnis, Identifizierung eines infizierten Kindes erfolgt mit Zeitverzug
Die Akzeptanz der Lolli-Tests sei aufgrund ihrer einfachen Handhabe von Anfang an sehr hoch gewesen, so Klein. Der flächendeckende Einsatz in Nordrhein-Westfalen habe gezeigt, dass die Testungen auch für sehr viele Menschen möglich seien. Es bestehe die Möglichkeit, die Tests auf ganz Deutschland auszuweiten. Auch Eva Rehfuess von der Universität München sagte im Deutschlandfunk, die Strategie für den Herbst sei tendenziell eher, auf die PCR-Pool-Testung zu setzen als auf die Schnelltests im Selbsttestverfahren.
Bislang ist nur der Corona-Impfstoff des Herstellers Biontech/Pfizer für die Impfung von Kindern zugelassen, und auch nur für über Zwölfjährige. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Impfung nicht generell, sondern nur für über Zwölfjährige mit Vorerkrankungen. Begründet wird das mit der noch mangelnden Datenlage und der Tatsache, dass schwere Coronaverläufe bei Kindern und Jugendlichen sehr selten seien.
Aktuell gebe es auch keinen Grund, an dieser Empfehlung etwas zu ändern, sagte der STIKO-Vorsitzende Thomas Mertens auf einer Pressekonferenz des Science Media Centers am 8. Juli 2021: "Es gibt keinen wirklich gesicherten Hinweis darauf, dass die Delta-Variante Kinder stärker krank macht als andere Varianten." Im Gegenteil, es gebe Hinweise darauf, dass dies sogar etwas weniger der Fall sei. Dadurch habe sich die Bedeutung des Virus für die Impfung von Kindern nicht geändert.
Mertens betonte, eine Impfung könne keine Voraussetzung für den offenen Schulbetrieb sein. Er kritisierte die Politik dafür, eine direkte Verbindung zwischen Impfung und Offenhalten der Schulen gezogen zu haben. Das sei nicht legitim, habe aber viele Eltern motiviert, ihre Kinder schnell impfen lassen zu wollen. Mertens verwies darauf, dass 7,5 Millionen Kinder in Kindergärten und Schulen unter zwölf Jahre alt seien und nicht geimpft werden könnten.
Der
Modellierer Michael Meyer-Hermann
dagegen empfiehlt, die Impfdiskussion für die 12- bis 18-Jährigen erneut zu führen - sie seien ungeimpft bei einer vierten Welle von "Long Covid" bedroht. "Es ist für mich nicht tolerabel, dass wir jetzt eine Altersgruppe haben, die wir nicht impfen, durch die die Infektion jetzt durchläuft und die dann mit langfristigen Schäden zu kämpfen hat", sagte der Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung am 9. Juli 2021 im Deutschlandfunk.
Wichtig ist es nach Ansicht vieler Medizinerinnen und Mediziner in diesem Zusammenhang auch, dass Erwachsene sich impfen lassen. "Wir haben eine Pflicht, die Kinder zu schützen", sagte Eva Rehfuess von der Universität München im Deutschlandfunk. "Die staatliche Schutzpflicht gilt weiterhin, insbesondere für die kleineren Kinder, für die es noch gar keine Impfung gibt. Hier sind wirklich die Erwachsenen gefragt, nicht nur sich selbst mit einer Impfung zu schützen, sondern solidarisch die Kinder mitzuschützen. Denn wenn wir insgesamt hohe Durchimpfungsraten in der Gesellschaft haben, schützen wir damit Schülerinnen und Schüler mit."
Der Virologe Florian Klein von der Uniklinik Köln betont: "Jeder Erwachsene, der sich nicht impfen lassen möchte, muss mitbedenken, dass jede Impfung eines Erwachsenen dazu beiträgt, dass Infektionsgeschehen zu kontrollieren. Wenn wir das schaffen, wird es bei den anderen Maßnahmen einfacher."
In diesem Zusammenhang wurde auch eine Impfpflicht für Lehrerinnen und Lehrer diskutiert. Der Humangenetiker Wolfram Henn, Mitglied im Deutschen Ethikrat, etwa sagte in einem Zeitungsinterview, wer sich aus freier Berufswahl in eine Gruppe vulnerabler Personen hineinbegebe, trage eben besondere berufsbezogene Verantwortung. Zwar hätten Kinder selbst ein geringes Risiko, schwer an Covid zu erkranken. Man müsse aber weiter damit rechnen, dass sie das Virus in ihre Familien trügen und dort Menschen aus Risikogruppen infizierten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich aber dezidiert gegen die Einführung einer Corona-Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen ausgesprochen, auch für Beschäftigte in der Pflege. Stattdessen werde die Bundesregierung weiter für das Impfen werben.
Zur Vorbereitung auf ein weiteres Schuljahr unter Pandemie-Bedingungen gehört es nach Meinung vieler Bildungsfachleute auch, die Digitalisierung und die technische Ausstattung an Schulen weiter voranzutreiben. Denn Quarantäne-Situationen und damit Distanzunterricht für einzelne Kinder oder ganze Klassen können weiterhin vorkommen, auch wenn die Schulen insgesamt offen bleiben.
Bei der Digitalisierung habe es einen Schub gegeben, aber blieben noch große Baustellen, sagte Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Lehrerverbands, im Dlf: "Fast die Hälfte der Schulen hat kein schnelles Internet." Es sei auch ein großes Manko, dass es bisher keine richtig funktionierenden Lernplattformen gebe, so Meidinger.
In der aktuellen Allensbach-Studie im Auftrag der Telekom-Stiftung zum Lernen in der Pandemie sagten Schülerinnen, Schüler und Eltern, es habe sich in den Schulen im Hinblick auf Digitalisierung wenig bewegt im vergangenen Jahr. "Ich kann nur hoffen, dass die technische Ausstattung jetzt bestellt ist und in den nächsten Wochen kommt",
sagte der Stiftungsvorsitzende Thomas de Maizière (CDU) im Dlf
. Er ärgere sich darüber, dass die 16 Datenschutzbeauftragten der Länder und des Bundes nicht imstande sein, nach einem Jahr eine gemeinsame Rechtsauffassung zu finden, welche Lernplattform und welches Videokonferenztool erlaubt seien und welche nicht. "Da kann Schule natürlich kaum Fortschritte machen."
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