Jürgen Zurheide: Wie wir gerade gehört haben, demonstrieren Zehntausende junge Menschen auf der einen Seite, dann gibt es immer mehr Städte, die rufen so etwas wie den Klimanotstand aus. Jetzt gibt es Leute, die regt das auf und die finden das nicht nur gut – übrigens obwohl sie gerade für Klimaschutz sind. Einer von denen, die so denken und argumentieren, heißt Burkhard Drescher, früherer Oberbürgermeister von Oberhausen und jetzt Geschäftsführer von Innovation City Bottrop. Jetzt ist er bei uns am Telefon, guten Morgen, Herr Drescher!
Burkhard Drescher: Guten Morgen, Herr Zurheide!
"Zunächst mal für die Idee gewinnen"
Zurheide: Jetzt überlege ich, wie ich anfange. Ich fange mal ganz praktisch an: Sie sind in Bottrop seit fast zehn Jahren unterwegs und haben den CO2-Ausstoß um 50 Prozent reduziert. Was haben Sie da gemacht?
Drescher: Wir wollen den C02-Ausstoß bis 2020 um 50 Prozent reduzieren, also innerhalb von zehn Jahren, um es präzise zu sagen, und wir haben uns auf das Machen konzentriert. Die Städte sind in der Lage, sehr wohl den Klimaschutz umzusetzen, und das geht nur von unten. Das geht in den Städten von Haus zu Haus, ins Stadtquartier, dann auf die Stadtebene. Was wir gemacht haben, ist, die Bürgerinnen und Bürger, die Hausbesitzer, die Energieversorger, die Handwerker, alle Beteiligten in einer Stadt, in einem Stadtquartier zunächst mal für die Idee zu gewinnen und dann über ganz gezielte Energieberatungen jeweils in den einzelnen Häusern Vorschläge zu unterbreiten, wie die Leute einerseits was für den Klimaschutz tun können, aber andererseits als entscheidende Triebfeder eigentlich Geld zu sparen, indem man Energiekosten spart. Und das ist der eigentliche Hebel, um auch zum klimagerechten Stadtumbau zu kommen, indem man den Leuten erklärt an den Gebäuden, dass man sehr viel Energiekosten sparen kann, wenn man bestimmte Maßnahmen an Gebäuden macht.
Dabei muss man wissen, dass in der Bundesrepublik fast 40 Prozent der CO2-Emissionen aus den Gebäuden kommen, und der Bund tut eigentlich relativ wenig für die bestehenden Gebäude. Für den Neubau, das ist gesetzlich geregelt, aber der Neubau ist irrelevant. Deutschland ist gebaut, und da passiert jahrelang, oder Jahrzehnte muss man schon sagen, viel zu wenig. Und bei den 40 Prozent, von denen ich gesprochen habe, die man da einsparen kann, ist da der richtige Ansatzpunkt, und das kann nur in den Städten selber geschehen.
"Arbeit von Haus zu Haus"
Zurheide: Jetzt haben Sie gerade gesagt, dass sie die einzelnen Hausbesitzer und -besitzerinnen überzeugen müssen. Wie schaffen Sie das, die genau zu überzeugen, denn Sie haben eine deutlich höhere Quote in Bottrop und da, wo Sie aktiv sind mit Ihrem Konzept der Innovation City, eine deutlich höhere Quote als in den meisten anderen Städten in Deutschland, sogar europaweit. Wie schaffen Sie das?
Drescher: Ja, das ist wirklich die Arbeit von Haus zu Haus. Einerseits haben wir über die Medien, lokalen Medien, sehr viele Kampagnen gemacht. Wir machen Informationsabende, Themenabende, jeden Monat einmal das Thema Dach, das Thema Fenster, das Thema Schimmel, das Thema Heizung, das Thema Photovoltaik. Über diesen Weg halten wir das Thema klimagerechter Stadtumbau sozusagen auf dem Laufenden – mit der Stadt gemeinsam, aber auch in Allianzen mit der Wohnungswirtschaft, mit der Energieversorgung und mit dem Handwerk und mit vielen, vielen Playern. Und das ist das eigentliche Geheimnis unseres Erfolges: die Aktivierung aller Beteiligter, aller Akteure in einem Stadtquartier. Das ist der erste Punkt, und dann gehen wir gezielt im Grunde genommen wirklich mit einer eigenen Konzeption für die Energieberatung auf die Bürger zu, auf die Hausbesitzer, auf die Wohnungsgesellschaften und machen Vorschläge, was man machen kann.
CO2-Emissionen von unten heraus minimieren
Und da kann man sehen, wir haben ja auch in Bottrop einzelne Gebäude, die mehr Energie erzeugen, als die Nutzer verbrauchen, das ist heute ja technisch möglich. Man kann jedes bestehende Gebäude so umbauen, dass die Gebäude über Photovoltaik und über andere Maßnahmen mehr Energie erzeugen, als die Nutzer verbrauchen. Und das ist die große Chance, die wir eigentlich haben im Klimaschutz, dass man über den klimagerechten Stadtumbau so viel CO2 einsparen kann, so viel Energie erzeugen kann, dass man tatsächlich die CO2-Emissionen in den Städten von unten heraus so weit minimieren kann.
Zurheide: Auf der anderen Seite sagen Sie – und das habe ich so nachgelesen – dass das, was wir Deutsche gelegentlich wollen, nämlich 100-Prozent-Lösungen, dass das eben nicht immer das Richtige ist. Ich glaube, Sie haben ein Konzept, wo Sie sagen, 90 Prozent Einsparung mit 10 Prozent der Kosten, und das ist ja dann besonders überzeugend im Bestand. Was steckt dahinter?
Drescher: Ja, das kritisiere ich ja an den Förderprogrammen des Bundes, die über die KfW auch die energetische Modernisierung von bestehenden Gebäuden fördern, allerdings ein Anspruchsniveau dort definieren, welches so im Niveau des Neubaus liegt. Dann sind aber die Kosten so hoch, dass die Maßnahmen sich nicht mehr rechnen für die Hauseigentümer, und dann machen sie gar nichts.
"Förderinstrumente des Bundes sind fehlgeleitet"
Wir sagen, auch mit einem eigenen Förderinstrument, du musst jetzt nicht das ganze Dach erneuern für 30.000 Euro im Einfamilienhausbereich, es reicht, wenn du den Speicher dämmst, den du nicht brauchst. Dann hast du zwar nicht 100 Prozent CO2-Einsparung über diese Maßnahme, sondern nur 90 Prozent, aber dann machen die Leute das auch, weil sich das dann in fünf Jahren, sechs Jahren oder sieben Jahren rechnet statt in 20 Jahren. Und das ist der entscheidende Punkt, warum nichts im Bestand eigentlich passiert. Unter einem Prozent energetische Modernisierungsrate haben wir in Deutschland, wir in Bottrop seit insgesamt acht Jahren inzwischen über drei Prozent jedes Jahr. Daran kann man sehen, dass offensichtlich wir die besseren Instrumente haben. Und das ist der entscheidende Punkt: Die Förderinstrumente des Bundes sind fehlgeleitet.
Zurheide: Was ist mit den Wohnungsbaugesellschaften? Das ist ja genau die Debatte, die wir in Berlin und anderswo führen, wo dann bestimmte Sanierungen gemacht werden. Die sind so teuer, dass die Mieter im Zweifel rausgetrieben werden und dass es nicht funktioniert. Könnte das nicht die Lösung sein? Wie reagieren denn Wohnungsbaugesellschaften, mit denen Sie ja auch zusammenarbeiten bei solchen Konzepten? Oder sagen die, na ja, die Förderinstrumente sind nicht da, also machen wir es anders.
Drescher: Ja, die Wohnungsgesellschaften, für die wir auch gelegentlich Konzepte machen … eins haben wir im Essener Norden gemacht. Dort haben wir für eine große Wohnungsgesellschaft einen Vorschlag unterbreitet, wo wir energetische Modernisierungsmaßnahmen vorgeschlagen haben, die dazu führen, dass die Leute unter dem Strich nicht mehr Miete zahlen als vorher. Allerdings zahlen sie viel, viel weniger für Energie, und dafür können sie mehr für die Nettokaltmiete zahlen, die dann wiederum die Investitionen für die Wohnungsgesellschaft refinanzieren kann. Das bedeutet aber …
Zurheide: Ich geh da jetzt mal zwischen. Das heißt, solche Modelle rechnen sich.
Drescher: Natürlich.
"Weniger Energiekosten, mehr Nettokaltmiete, und das kann man investieren"
Zurheide: Das ist ja, was mich fast zur Weißglut treibt, wenn man das so hört.
Drescher: Ja, aber das ist ja genau der Punkt. Die rechnen sich, da muss man aber klug modernisieren. Also da zum Beispiel haben wir der Wohnungsgesellschaft empfohlen, verzichtet auf die Dämmung der Häuser von außen. Das bringt zwar auch einiges an CO2-Einsparung an den Energiekosten, aber das ist mit in der Regel die teuerste Maßnahme. Und manchmal versaut man sich dabei auch ein städtebauliches Bild, weil das Bepappen mit Dämmung im Grunde genommen stigmatisiert dann die Häuser und macht sie alle gleich, während der städtebauliche Charakter dabei verloren geht. Will also sagen: Die Konzepte gibt es, dass man mit niederschwelligen Maßnahmen vielleicht nicht 100 Prozent der Energiekosteneinsparung, die man erreichen könnte, prinzipiell umsetzen kann, aber man kann es dann so machen, dass man unter dem Strich für die Mieter die Miete nicht erhöhen muss, sondern man macht einen Wechsel: Weniger Energiekosten, mehr Nettokaltmiete, und das kann man investieren.
"Zu billig, in einer Stadt den Klimanotstand auszurufen"
Zurheide: Das war jetzt der Vorspruch, Herr Drescher, und jetzt sagen Sie, warum regen Sie sich auf über diejenigen, die in den Städten so etwas wie Klimanotstand ausrufen?
Drescher: Ich halte es für zu billig, in einer Stadt den Klimanotstand auszurufen, wenn man nicht gleichzeitig sozusagen den klimagerechten Stadtumbau nach vorne bringt – Städte wie Bottrop, wie aber auch in vielen anderen Städten. Wir arbeiten auch für Osnabrück, wir arbeiten in Berlin und in sehr vielen Städten, aber mit dem Schwerpunkt Ruhrgebiet. Wenn man im Grunde genommen den Klimanotstand erklärt, ohne gleichzeitig zu sagen, mit welchen Maßnahmen ich den Klimaschutz betreiben will, denn die Kommunen haben die Kompetenz, die haben die Power und die haben auch die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern, um real klimagerechten Stadtumbau zu betreiben und damit den Beitrag zu leisten.
Den Klimanotstand, den gibt es in Marokko, in Afrika, in Asien, da wo entweder Überflutungen sind oder wo die Oasen austrocknen. Dass wir auf den Klimanotstand in dieser Welt hinsteuern, ist keine Frage, aber in den Städten läuft mir das sozusagen zu sehr auf politische Selbstbefriedigung hinaus. Entscheidend sind eigentlich die Maßnahmen: Machen! Die Städte können machen und können unserem Beispiel folgen, und das wäre eigentlich das, wo man auch den Menschen sagen kann, Klimaschutz hat nichts mit Not zu tun, mit Entbehrung zu tun, Klimaschutz hat was mit Lebensqualität zu tun.
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