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Vorbildliche Integration
Wenn 60 Ehrenamtler 60 Flüchtlinge betreuen

Ob auf dem Adventsmarkt oder im Friseurladen: Die meisten der sechzig Flüchtlinge in Jugenheim bei Mainz sind mittlerweile vollkommen ins Dorfleben integriert, inklusive Eins-zu-eins-Betreuung der Ehrenamts-Initiative "Willkommen im Dorf". Hier spricht keiner von Obergrenzen - doch der alltägliche Kampf mit den Behörden droht Flüchtlinge wie Paten zu zermürben.

Von Anke Petermann |
    Der Teilnehmer eines Deutschkurses für Asylbewerber macht sich im Unterricht in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) am 11.11.2015 Notizen.
    Sechzig Neubürger leben mittlerweile in dem 1.600 Einwohner zählenden Dorf Jugenheim zwanzig Kilometer südwestlich von Mainz (Symbolbild). (pa/dpa/Schmidt)
    "Es ist ein Ros entsprungen", spielen die "Jugenheimer Musikfreunde" auf dem kleinen Adventsmarkt vorm Rathaus. Die syrische Familie Sulaiman mit ihren drei erwachsenen Kindern gehörte zu den ersten Flüchtlingen, die vor fast genau einem Jahr nach Jugenheim kamen. Sechzig Neubürger leben mittlerweile in dem 1.600 Einwohner zählenden Dorf zwanzig Kilometer südwestlich von Mainz, Landkreis Mainz-Bingen, Verbandsgemeinde Nieder-Olm.
    Für die Suleimans ist es der zweite Adventsmarkt in Deutschland, aber der erste, an dem sich die muslimische Familie aktiv beteiligt:
    "Einen Holunderpunsch. Nit so viel." - "Ja, einen Moment." - "Braucht ihr Nachschub?"
    Gemeinsam mit anderen Flüchtlingen und Ehrenamtlichen schenkt Sulaiman Senior am Stand der Initiative "Willkommen im Dorf" Chai, arabischen Tee, und alkoholfreien Holunderpunsch aus. Gegen die Kälte hat der 61-Jährige die Wollmütze tief ins Gesicht gezogen. Reingard Löckel, eine der ehrenamtlichen Patinnen der Willkommensinitiative, deutet auf den Punsch-Topf und spricht Sulaimans Sohn Alaa Eddin an:
    "Wenn du jemandem auf Arabisch sagst‚ mach bitte den Deckel auf'?" - "Iftah al-ghata." - "Iftah al-ghata." - "Iftah al-ghata, ja du kannst das gut!" - "Wir haben noch gelacht, ich hab gesagt 'machma-uff, iftah al-ghata'".
    Vor dem Stand freut sich Lars Weber, ebenfalls als Pate aktiv, über seinen coolen Haarschnitt, den hat ihm jüngst der neue syrische Praktikant im Friseurladen verpasst. Weber nimmt einen Schluck Punsch und wendet sich seinem Freund Alaa Eddin zu. Der Zwanzigjährige lernt Deutsch auf fortgeschrittenem Niveau und legt die Deutsch-Prüfung Mitte Dezember ab. Parallel arbeitet der Syrer als Mini-Jobber in einer Jugenheimer Computerfirma. Das Unternehmen will ihm eine Ausbildung anbieten. Danach zu studieren, wäre eine Option, unabhängig vom Schulabschluss, weiß der neun Jahre ältere Weber aus eigener Erfahrung:
    "Die Ausbildung und dann noch drei Jahre arbeiten in dem Job, dann kannst du studieren gehen. Das qualifiziert dich für ein Studium quasi."- "Ja, das ist gut!"
    Eins-zu-eins-Betreuung: 60 Ehrenamtler bemühen sich um 60 Flüchtlinge
    Am Tag darauf organisiert die Ehrenamts-Initiative "Willkommen im Dorf" für die Flüchtlinge eine Veranstaltung unter dem Motto "Fit für den Arbeitsmarkt". Alaa Eddin Sulaiman, der junge syrische Computer-Experte in spe, hofft, dann weitere Details zu erfahren. Die sechzig Personen starke Initiative bemüht sich intensiv um etwa eben so viele Neubürger in Jugenheim.
    Was in dem rheinhessischen Wein-Dorf in puncto Integration funktioniert – beschäftigt morgen auch die Regierungschefs der sechzehn Bundesländer. Bei ihrem turnusgemäßen Treffen in Berlin geht es auch um Flüchtlingspolitik. Bis vergangenen Sonntag registrierten die Länder 953.000 Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen. Wichtigste Voraussetzung für Integration ist die deutsche Sprache.
    "Und wo ist hier die Kirche?"
    Verena Mathes sitzt bei Adil Yousif und dessen Ehefrau Intesar am Wohnzimmertisch. Die irakische Familie wohnt unweit vom Jugenheimer Rathaus. Die drei beugen sie sich über das Deutschbuch.
    "Kirche – das ist die Kirche." – "Und neben der Kirche ist wieder diese Holzbank." – "Nicht die Bank of Germany!"
    Ehrenamtliche Deutschkurse für Flüchtlinge
    Nein, nicht die "Deutsche Bank", bekräftigt Verena Mathes als ehrenamtliche Lehrerin und Patin der Familie. Auch ihr Engagement ist Teil der Initiative "Willkommen im Dorf", die aus der evangelischen Gemeinde hervor ging. Dazu gehören neben den Paten auch Sport- und Gesangvereine sowie Experten für Recht und Medizin, bei denen Paten sich Rat holen können. Adil Yousif, irakischer Christ, hatte zuletzt in Syrien gelebt und ist im Rentenalter:
    "Er hat halt keinen Anspruch mehr auf den Deutschkurs und deshalb wäre er ganz draußen. Er ist ja nicht vermittelbar für die Arbeitswelt, deshalb wird der Kurs nicht bezahlt, und dann könnte er kein Deutsch lernen. Und das ist natürlich ganz schade. Er ist total motiviert."
    Yousifs Frau bekommt einen Kurs, würde ihn aber ohne ehrenamtliche Nachhilfe nicht schaffen. Die Yousifs wollen zur Dorfgemeinschaft gehören, die sie mit ihren vier erwachsenen Kindern aufgenommen hat. Und zwar mitten ins Dorf, in das Gemeindehaus, das der zuständige Landkreis Mainz-Bingen der evangelischen Kirche abgekauft hat.
    In der Wohnung über der christlichen Familie Yousif wohnt die muslimische Familie Sulaiman. Die beiden Wohnungen und mehrere Einzel-Apartments richtete der Kreisbautrupp in dem denkmalgeschützten Gebäude ein. Dazu mietet die Verbandsgemeinde Nieder-Olm, zu der Jugenheim gehört, weitere Wohnungen für Flüchtlinge in der Ortsmitte an. Bürgermeister Herbert Petri erkennt darin eine Voraussetzung dafür, dass die Stimmung stabil bleibt, auch wenn weitere Flüchtlinge dazu kommen:
    "Also, in Jugenheim habe ich nicht das Gefühl, dass das kippt, weil wir zwar eine große Unterkunft haben, aber nicht im Sinne einer Turnhalle und Menschen eng zusammengepackt, das haben wir ja in Jugenheim nicht."
    "Ständig auf der Suche nach Wohnungen"
    Ralph Spiegler, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nieder-Olm, stattet dem Stand der Jugenheimer Willkommensinitiative auf dem Adventsmarkt einen Besuch ab. Anderswo in der Region müsse man wegen des hohen Zuzugs schon abgehen von der Unterbringung mitten im Dorf, erzählt er:
    "Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit werden uns viele Menschen zugewiesen. Wir sind ständig auf der Suche nach Wohnungen. Wir gehen jetzt auch erstmals ins Gewerbegebiet in größere Einheiten, weil wir im innerörtlichen Bereich keine Wohnungen mehr finden. Und dann wird es unsere Ausgabe sein, Wege zu finden, wie wir die Menschen, wenn sie im Gewerbegebiet sind, integrieren."
    Mietkosten und Sozialleistungen erstatte der Landkreis Mainz-Bingen:
    "Sogar einen Teil der Mehr-Personalkosten kriegen wir vom Kreis freiwillig erstattet. Worunter wir leiden, ist wirklich die Belastung der MitarbeiterInnen im Rathaus, das ist schon eine gewaltige Belastung, die da im Moment bei uns Platz greift. Aber auch das kriegen wir hin."
    Die Verbandsgemeinde stelle derzeit weiteres Personal ein. Der Landkreis Mainz-Bingen, der das freiwillig bezuschusst, liegt im Rhein-Main-Speckgürtel und gehört zu den wirtschaftsstarken Regionen. Das erleichtert es, großzügig zu sein. Doch der Wohnraum wird allmählich knapp:
    "Immer teurer auch im verdichteten Umland um Mainz, um Rhein-Main herum. Das ist schwierig. Also, wir sind wirklich auch Konkurrenz für Familien mit geringem Einkommen das macht mir schon auch Sorge."
    Bürgermeister: "Obergrenze ist ziemlicher Blödsinn"
    Sechzig Flüchtlinge auf 1.600 Einheimische – in einem Jahr ist der Ausländeranteil in Jugenheim von fast Null auf vier Prozent gewachsen. Ist eine Obergrenze für Flüchtlinge, wie sie CDU und CSU auf Bundesebene diskutiert, Thema auf dem Adventsmarkt im alten Weindorf?
    "Es gibt noch genug Häuser, die leer stehen oder wo man schon noch was machen kann." - "Wir können das schon packen, aber dann muss halt auch noch ein bisschen mehr von – mehr laufen, denke ich", meinen zwei Jugenheimerinnen, und der Bürgermeister der Verbandsgemeinde konstatiert:
    "Eine Obergrenze zu definieren, ist doch ein ziemlicher Blödsinn, finde ich. Was machen Sie mit dem ersten, der über der Grenze ist, der mit seinem Kind aus Syrien aus dem Krieg kommt, dann an der Grenze steht – wollen Sie den zurückschicken? Wir müssen sehen, dass wir die Kapazitäten ausschöpfen, wir brauchen sicher auch Lösungen auf europäischer Ebene – keine Frage. Aber wir kriegen das vor Ort immer noch hin."
    Alaa Eddin Sülaiman strahlt:
    "Ja, die Leute schaffen das. Die Leute hier sind sehr nett."
    Uli Röhm ist Mitgründer und Koordinator der Jugenheimer Willkommensinitiative:
    "Ich halte die Diskussion für völlig praxisfremd und illusorisch, das über Zahlen regeln zu wollen. Es gibt Situationen, da sind weniger in einem Dorf verträglich und in einem anderen sind noch genügend Potenziale, um so was zu machen, das hängt auch davon ab, wie viele Leute sind in einer solchen Dorfgemeinschaft bereit, sich um diese Menschen zu kümmern."
    In Jugenheim sind es etwa so viele Ehrenamtliche wie Flüchtlinge Wenn ein Jugenheimer sagt, "ich bin mit meiner Familie da", meint er damit nicht unbedingt Frau und Kind, sondern die syrische oder afghanische Familie, die er als Pate betreut. Richard Baron zum Beispiel sagt es, wenn er mit den Yousifs unterwegs ist.
    Ehemaliger Aussiedler hilft Flüchtlingen bei der Integration
    Friseurausbildung und Chemiestudium – das ist die Bandbreite der Zukunftsvisionen bei den Yousif-Junioren. Baron will sie dafür "aufs richtige Gleis setzen", wie er sagt. Drei von ihnen lernen auf fortgeschrittenem Niveau Deutsch. Sara wird, wenn sie die Vorprüfung besteht, an der Uni Mainz studieren. Rafi ist taubstumm und – wegen seines strahlenden Lächelns – als Sunny-Boy dorfbekannt.
    Stundenweise arbeitet der junge Iraker an drei Tagen pro Woche in einem Friseursalon, vielleicht wird langfristig mehr daraus. Richard Baron, der Pate, arbeitet in Altersteilzeit. 1978 kam der Schlesier als Aussiedler nach Deutschland:
    "Die Gesellschaftsform war damals anders, weil ich in Polen aufgewachsen bin. Aber wir hatten von Anfang an Kontakte mit verschiedenen Einheimischen, und die Leute waren auch sehr offen, und ich betrachte heute Rheinhessen als meine zweite Heimat. Also, ich fühle mich hier wirklich zuhause."
    Jetzt hilft Baron anderen, sich einzuleben. Der ehemalige Aussiedler tut genau das, was Politiker in diesen Tagen von Migranten, vor allem muslimischen, fordern. Mitzuhelfen nämlich, die Neuankömmlinge mit unserer Gesellschaft vertraut zu machen. In Jugenheim und anderswo wachsen auch Flüchtlinge in die Lotsen-Rolle hinein, beobachtet Angelika Fingerhut, ehrenamtliche Patin bei "Willkommen im Dorf":
    "Letzens saß einer neben mir bei der Anmeldung im Bürgerbüro Nieder-Olm, der war jetzt schon Dolmetscher für die neuen, die gekommen sind, und sagte dann so, 'ach vor zehn Monaten saß ich hier und hab' gedacht, das werde ich nie verstehen und nie lernen', und jetzt war er schon Dolmetscher für die nächsten und fängt auch an zu arbeiten als Mini-Job parallel zur Schule. Aber eben jetzt - nach zehn Monaten. Also, die Zeit muss man denen geben. Das ist ganz wichtig, es geht nicht schnell. Und sie müssen viel von unserer Organisationsstruktur lernen. Sie haben ein ganz anderes Zeitverständnis, und das muss man einfach immer wieder erklären, und dann geht das auch."
    Mentalitätsunterschiede verursachen Spannungen
    Fehlende Pünktlichkeit deutet man hierzulande als Respektlosigkeit, diese Gleichung ist im arabischen Raum unbekannt. Die Mentalitätsunterschiede verursachen Spannungen zwischen Paten und Flüchtlingen. Der ehrenamtliche Deutschkurs für Frauen in Jugenheim scheiterte. Ob es an methodischen Problemen, Desinteresse oder Überforderung lag, blieb unklar.
    Die Patinnen Angelika Fingerhut und Susanne Haas haben beide schon den Punkt erlebt, an dem sie hinschmeißen wollten. Nicht eingehaltene Uhrzeiten und Verabredungen spielten dabei allerdings keine Rolle:
    "Hinschmeißen – ja, da habe ich schon mal drüber nachgedacht, aber nicht weil die Belastungsgrenze erreicht war, sondern weil ich manchmal das Gefühl habe, man kommt da nicht mehr weiter bei den Behörden."
    "Ja, ja, ich mach's dann aber nicht, weil's natürlich Menschen sind, die dann genauso wie ich Menschen sind, die genauso wenig wie ich weiterkomme. Dann haben sie noch weniger Unterstützung, das tut mir dann auch leid, das kann ich dann auch nicht verantworten."
    Lange Wartezeiten, abgelehnte Anträge
    Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF, das kommunale Sozialamt und das Jobcenter – für Flüchtlinge ein Bermuda-Dreieck, in dem sie ohne Paten untergehen würden.
    "Das kann man so sagen ja."
    Lange Wartezeiten, Anträge werden prinzipiell erst mal abgelehnt, um Etats zu schonen, mutmaßt Klaus Zimmermann, der in Jugenheim zwei syrische Männer betreut. Als das BAMF einem der beiden den Deutschkompaktkurs verwehrt, pocht Zimmermann auf das neue Asylpaket mit den erweiterten Integrationsmöglichkeiten für Geduldete.
    Doch Muhamad Aloo, den Zimmermann betreut, ist als Flüchtling erst registriert. Der Syrer mit guter Bleibeperspektive habe deshalb nicht die richtige Duldung, um von der Öffnung der Deutschkurse zu profitieren, erfährt Zimmermann auf Anfrage. Und nimmt sich vor, den Deutschkurs sofort erneut zu beantragen, wenn Aloo seinen Asylantrag Mitte Dezember offiziell eingereicht hat. Dann nämlich bekommt er die dafür erforderliche Art der Duldung.
    Wer jetzt neu ankommt, bleibt allerdings noch länger im Stadium der Registrierung: Erst für den Oktober 2016 bekommen die neuen Flüchtlinge derzeit Termine, um den Asylantrag einzureichen. Zimmermann stellt fest:
    "Die Wirklichkeit hat die Regelungen wieder überholt. Man wollte, dass die Leute früher in den Prozess reinkommen, dass sie integriert werden können. Aber nach der Reglung, die jetzt besteht, würden die doch ein Jahr warten, bis sie starten können."
    Mühsamer Prozess: Integrationsleistungen vom Staat erhalten
    Der ehrenamtliche Flüchtlingshelfer hofft auf Nachbesserungen. Morgen, beim Treffen mit der Bundeskanzlerin in Berlin werden die 16 Ministerpräsidenten wieder einmal die versprochene Personalaufstockung beim Bundesamt und schnellere Verfahren anmahnen. Vereinfachen könne man zumindest das Prozedere bei Flüchtlingen mit sicherer Bleibeperspektiver, meinen manche Regierungschefs, aber da ist die Union nicht einverstanden, sie ist für gründliches Prüfen.
    In Jugenheim kommt beim Hin und Her zwischen den Ämtern bei Flüchtlingen und ihren Paten zuweilen der Eindruck auf, man müsse dem Staat Integrationsleistungen mühsam abringen. Wenn die CDU auf ihrem Bundesparteitag in Karlsruhe Mitte Dezember ein Gesetz auf den Weg bringen will, das Flüchtlinge ihrerseits zur Integration verpflichtet, ihnen Bekenntnisse zum Grundgesetz und gegen die Scharia abverlangt, stößt das bei den Ehrenamtlichen erst mal auf Zurückhaltung. Christian Schlüter:
    "Schwer zu sagen, man müsste sich angucken, wie man das ausformulieren will, ob das immer so an die Lebensrealität angepasst ist, weiß ich auch nicht."
    Bei Verstößen gegen die Selbstverpflichtung auf demokratische Gesinnung und Integration sollen Flüchtlinge nach christdemokratischen Plänen mit gekürzten Sozialleistungen bestraft werden. Nur - wie wäre das zu überwachen? Solch ein Gesetz bräuchte sein Dorf vielleicht nicht, meint der sozialdemokratische Ortsbürgermeister auf dem Adventsmarkt vorm Rathaus. Doch der Idee von Pflichten kann er etwas abgewinnen:
    "Also, es ist in Jugenheim sicher ein Geben und Nehmen, was wächst. Wenn man es aber bundesweit betrachtet, sieht man schon die Sorgen der Bürger. Wie man die so'n bisschen entkräften kann, darüber wird sich die Politik Gedanken machen müssen. Was dem Bürger wichtig ist, ist, dass Flüchtlinge zu uns kommen, dass wir denen auch gern helfen, dass wir die integrieren, dass wir aber auch bewusst machen, auch wir haben ein Wertesystem, und auch ein Flüchtling muss erfahren, was heißt bei uns zum Beispiel Arbeit."
    Flüchtlinge fit machen für den Arbeitsmarkt
    Fünfzig Flüchtlinge aus der gesamten Verbandsgemeinde Nieder-Olm erfahren das an einem Sonntagnachmittag bei der ehrenamtlich organisierten Info-Veranstaltung "Fit für den Arbeitsmarkt" im Jugenheimer Gemeindesaal. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Eigeninitiative – worauf Arbeitgeber Wert legen, erklären auf Einladung des Ehrenamtlers Andreas Gieß Personaler und Experten für berufliche Bildung. Adnan Sulaiman lebt schon länger in Deutschland und übersetzt auf Arabisch:
    "Das Allerwichtigste sind gute Deutsch-Kenntnisse. Dabei sollte man sich nicht auf einem Kurs ausruhen. Da kann ich nur empfehlen: Nehmt jeden Deutschkurs mit, der irgendwo angeboten wird."
    Zwei Jahre habe er fürs Deutschlernen gebraucht, erzählt der mittlerweile eingedeutschte Koch und ehrenamtliche Dolmetscher. Ungläubige Blicke im Publikum. Stöhnen. Meike Gieß, ehrenamtliche Referentin und hauptberufliche Coaching-Expertin, versucht ihn und die vielen anderen jungen Erwachsenen davon zu überzeugen, jetzt erst mal Deutsch zu lernen. Den unter 35-Jährigen rät sie dringen zu einer Ausbildung, selbst wenn die nicht so hoch vergütet werde wie ein Job.
    "Wenn sie erst in der Ausbildung anfangen würden, Deutsch zu lernen, reicht es einfach nicht. Sie kämen ja nicht mit, die Schule wäre zu anstrengend, der Inhalt ist zu anstrengend. Deswegen: Sie müssen das vorher machen. Ob sie das jetzt realisiert haben? Die sind jetzt jung, die wollen jetzt Geld verdienen, die wollen aus den Sozialleistungen raus und wollen und wollen, und haben aber weniger Geld, wenn sie ... im Moment ist das Geld einfach so wichtig für sie, dass sie deswegen auf Bildung glaube ich verzichten würden. Schade aber ..."
    Die Expertin zieht die Schultern hoch, skeptisch. Verloren ist noch nichts, meint Ortrud Stein, selbst Patin. Das Gehörte müsse bei den Flüchtlingen jetzt erstmal sacken, die Paten klärten weiter auf und leisteten Überzeugungsarbeit. Der Link www.anerkennung-in-deutschland.de steht in großen Lettern an der Tafel, da wollen viele in den kommenden Tagen checken, wie sie ihre Schul-, Berufs- und Studienabschlüsse bestätigen lassen können.
    Muhamad Aloo ist einer derjenigen, der die Examenspapiere vom Französischstudium und einer Tourismus-Fortbildung dabei hat. Keine Selbstverständlichkeit für einen, der aus dem kurdischen Kriegsgebiet in Nord-Syrien kommt:
    "Ich habe Tourismus in Syrien gemacht, so ich suche eine Firma, um eine Ausbildung zu machen."- "Sie sind schon auf meiner Liste", sagt Elisabeth Peters, scheidende Ausbildungschefin bei Eckes-Granini und künftige ehrenamtliche Ausbildungsberaterin in der Verbandsgemeinde Nieder-Olm. Demnächst bringt sie Flüchtlinge und Kammervertreter zusammen. Peters wendet sich an Aloo:
    "Ich habe gehört, dass Sie gut Deutsch sprechen, und das seh' ich jetzt. Jetzt im Januar werden Sie auf jeden Fall von mir eingeladen, und ich habe gute Möglichkeiten. Ich weiß das schon."
    "Ich kann gut Französisch sprechen."
    "Ist doch super, Deutsch und Französisch, ist doch klasse."
    Fließend Arabisch, zusätzlich zur kurdischen Muttersprache außerdem. Der 31-Jährige strahlt. Zuhause – mitten im Dorf Jugenheim – hat er die Wände seiner Männer-WG mit deutschen Vokabeln tapeziert. Die Zukunft hat begonnen.