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Vordenkerin des Feminismus

Simone de Beauvoir, geboren am 9. Januar 1908 in Paris, gilt als Wegbereiterin und Vordenkerin des Feminismus. Viele Schriftstellerinnen, Philosophinnen und Feministinnen haben sich auf sie berufen. Simone de Beauvoir schrieb Erzählungen, Romane und Essays, eine der wichtigsten und bekanntesten Veröffentlichungen ist: "Das andere Geschlecht". Zu ihrem runden Geburtstag sind gleich mehrere Bücher, die sich mit ihr und dem Werk beschäftigen, erschienen.

Von Ute-Christine Krupp |
    Simone de Beauvoir machte nicht nur mit literarischen und philosophischen Büchern auf sich aufmerksam. Ihr Privatleben ist bis ins Intimste dokumentiert. Die Liebe zu Jean-Paul Sartre, zu Geliebten, die sie nebenbei hatte, der erste Orgasmus - zu allem hat sie detailliert Auskunft gegeben. So ist es nicht verwunderlich, dass einige der Bücher, die anlässlich ihres Geburtstages erschienen sind, sich besonders mit diesem Privatleben beschäftigen. Ingeborg Gleichauf widmet sich in "Sein wie keine andere" der Jugend, den Studentenjahren und Liebesbeziehungen, sie versucht die Persönlichkeit der Beauvoir zu ergründen. Von Alice Schwarzer sind gleich zwei Bücher neu aufgelegt worden: "Ein Lesebuch in Bildern und Weggefährtinnen im Gespräch" - in letzterem hat Schwarzer Interviews mit Simone de Beauvoir veröffentlicht. Die erste Begegnung fand 1970 statt, sie war eher zufällig, denn Alice Schwarzer war damals eigentlich mit Sartre verabredet. Zwischen 1972 und 1982 entstanden dann aber etliche mit Simone de Beauvoir geplante und durchgeführte Gespräche, zu denen die Beauvoir immer sehr pünktlich erschienen sei, denn sie habe Unpünktlichkeit gehasst. Es geht in diesen Interviews um die philosophischen und feministischen Thesen, eines davon trägt den Titel: "Das Ewigweibliche ist eine Lüge" - "Die Natur spielt bei der Entwicklung des Menschen eine sehr geringe Rolle, wir sind soziale Wesen", - argumentiert Beauvoir darin. Dieser Satz ist eine der zentralen Thesen ihres Hauptwerks "Das andere Geschlecht".

    Der Münchener Professor für Politische Philosophie Hans-Martin Schönherr-Mann hat vor wenigen Wochen ein Buch veröffentlicht, das die Thesen dieses Hauptwerkes, in Anbetracht der geringen Geburtenrate und der alternden Gesellschaft in heutiger Zeit, neu diskutiert.

    " Sie wollte weg von den Naturbegriffen. Damit, denke ich, hat sie auch recht. Tendenziell ist das das liberale Denken, das eben sich dessen bewusst ist, dass wir über Natur letztlich nicht sicher Bescheid wissen, in keiner Weise, und dass man sich nicht auf Natur berufen kann, wenn man irgendwie dazu noch Gesellschaft begründen will oder zwischenmenschliche Beziehung. Deshalb habe ich das in dem Buch immer wieder deutlich gemacht. Wir haben heute die Wiederkehr dieses Naturbezugs aus allen möglichen Ecken. "

    1949 veröffentlichte Simone de Beauvoir "Das andere Geschlecht" in Frankreich. Die zentrale Frage darin lautet: Was ist eine Frau? Diese Frage hat Schönherr-Mann übernommen, er umkreist und beantwortet sie in zahlreichen Varianten aus historischer und heutiger Sicht.

    " Beauvoir erläutert in dem Buch die diversesten Spielarten des Patriarchats. Von der Behandlung der Frauen im Patriarchat, wie sie disqualifiziert werden als sekundäres Geschlecht, wie Begründungszusammenhänge entstehen, sie schildert auch Leidensgeschichten. "
    "Le deuxième sexe" - das zweite Geschlecht - so lautet der französische Titel. Gemeint war damit, dass es eine Hierarchie gibt, in der die Männer an erster, die Frauen an zweiter Stelle stehen, also zweitrangig sind. Simone de Beauvoir wollte diese Wertigkeit korrigieren. In Deutschland erschien das Buch 1951 und wurde übersetzt mit: "Das andere Geschlecht". Der deutsche Titel bezeichnet einen Kontrast, einen Gegensatz zwischen Männern und Frauen in der Wahrnehmung der Geschlechter.

    " Natürlich ist der französische Titel eindeutiger und signalisiert damit deutlich dieses Bewusstsein des Patriarchats, dass die Frauen sekundär sind. Der deutsche Titel scheint zunächst nicht so eindeutig, wenn man ihn aber in die Zeit setzt, das darf man nicht vergessen, dann ist der Titel so schlecht doch nicht. Heute ist es eben ein historischer Titel, das muss man einfach sehen. Man muss auch sehen, dass es ein historisches Dokument ist. "

    Hans-Martin Schönherr-Mann kontrastiert in seinem Buch die Thesen Beauvoirs mit denen zeitgenössischer Autoren und Theoretiker, die sich auf traditionelle Werte und Naturbegriffe berufen, wenn sie über Frauen und Familie reden, beispielsweise Norbert Bolz oder Eva Herman. Die Themen Frausein und Natur wurden in den vergangenen Monaten häufig diskutiert und wieder miteinander in Verbindung gebracht. Für Simone de Beauvoir war diese Kombination eine Konstruktion. Sie wollte eine Definition des Weiblichen, ohne auf Naturbegriffe zurückzugreifen.
    " Das hat die Eva Hermann schlicht falsch in ihr Buch reingeschrieben. Wenn sie Simone de Beauvoir beschimpft, dass sie für die Abtreibung eingetreten sei. Natürlich ist Simone de Beauvoir für die Abtreibung eingetreten. Es gehört zu den Wahlmöglichkeiten der Frauen, dass sie ungewollten Schwangerschaften nicht hilflos ausgeliefert sind. Was aber nicht bedeutet, dass sie grundsätzlich ausgeschlossen hätte, dass Frauen auch traditionelle Lebensformen wählen können. Das Entscheidende ist, dass sie eine Wahl haben. "

    Eva Hermann hat in ihrem Buch und in Interviews Simone de Beauvoir mehrfach angegriffen und dabei, was in deutschen Diskussionen häufig vorkommt, übersehen, dass der Feminismus von Simone de Beauvoir aus dem Existentialismus entstand und ohne diesen nicht zu denken ist. Nie war Beauvoir für Abtreibung und gegen Mutterschaft, sie war stets dafür, dass die Frauen selbst wählen dürfen, was sie tun möchten, dass man ihnen diese Freiheit lässt. Das arbeitet Hans-Martin Schönherr-Mann in seinem Buch sehr deutlich heraus.

    " Frauen müssen eine Wahl haben. Und es war eben 1949 im wesentlichen gültig, was Beauvoir schrieb. Was heute nicht mehr gilt. Frauen der französischen Bourgeoisie hatten drei Optionen: Hausfrau, alte Jungfer oder Kloster. Und das waren eben keine Optionen, keine Alternativen. Wer da raus wollte, der wurde schief angesehen. "

    "Das andere Geschlecht" ist in einer Zeit entstanden, in der die Lebensläufe von Frauen vorgezeichnet waren, in der sie nicht gefragt wurden, wie sie eigentlich leben möchten. Viele Frauen waren damals nicht berufstätig. Und wenn sie es waren, arbeiteten sie meistens als Krankenschwester oder Sekretärin.

    " Aber der entscheidende Punkt ist die Freiheit. Die grundsätzliche Freiheit. Der Mensch ist frei, der Mensch ist nicht gezwungen, durch Sitte oder Natur in vorgezeichneten Bahnen zu leben - und das hat man Frauen meistens aufgenötigt. "

    Mit ihrem Lebensgefährten Jean-Paul Sartre zusammen diskutierte und entwarf Simone de Beauvoir eine Philosophie, die darauf basierte, dass jeder Mensch sich individuell sein Leben gestalten kann. Aus dieser philosophischen Essenz entwickelte sie ihre feministischen Thesen, mit denen sie sich Ende der vierziger Jahre sehr unbeliebt machte. Der Vatikan setzte das Buch auf den Index. Und in Deutschland dauerte es fast zwei Jahrzehnte, bis man über diesen Text öffentlich redete.

    Man warf ihr oft vor, sie sei sehr privilegiert, hätte nur aus dieser Position heraus ein Werk schaffen können, den meisten anderen Frauen seien ihre Thesen zu abgehoben.

    " Beauvoir war so privilegiert nun auch wieder nicht. Ihr Vater war veramt, konnte ihr Gott sei Dank keine Mitgift bezahlen. Sonst wäre sie vielleicht auf Abwege geraten, wäre vielleicht nicht so dahinter her gewesen, eine gute Schülerin zu sein und zu lernen. Sie kam nicht aus einem reichen Hause. Das sah nur so aus. Sie musste arbeiten, musste sich einen Beruf suchen. "

    Sie arbeitete lange als Lehrerin. Damit schuf sie sich eine materielle Basis, die sie unabhängig machte. Um wirklich frei zu sein, brauche die Frau einen Beruf, argumentierte sie häufig. Eine Frau verwirkliche sich nicht anders als ein Mann. Sie müsse materiell unabhängig sein, und zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit müsse sie stets zwischen vielen Alternativen wählen können. Dieses Moment, dass frau sich selbst etwas ausdenken und realisieren kann, das war entscheidend. Simone de Beauvoir forderte Lebensentwürfe jenseits der Rollenzuschreibungen.

    Was ist eine Frau? Eine Frau ist ein Mensch, der frei entscheiden darf, für oder gegen die Ehe, für oder gegen eine Familie; keiner hat ein Recht, ihr diese Entscheidung abzunehmen oder sie in Frage zu stellen.
    Hans-Martin Schönherr-Mann diskutiert in seinem lesenswerten Buch nicht nur die Thesen des Hauptwerkes neu, sondern stellt sie in einen geschichtlichen und philosophischen Zusammenhang, der das gesamte Spektrum von Simone de Beauvoir, die sein wollte wie keine andere, hervorhebt.

    " Das Besondere an Simone de Beauvoir ist, dass sie Mitbegründerin des Existentialismus ist. Und in der Hinsicht eine wichtige Rolle gespielt hat in der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Und in diesem speziellen Sinne ist das Besondere, dass sie aus dieser existentialistischen Perspektive dann diejenige war, die den Feminismus auf eine bestimmte Weise beseelen konnte, so dass man heute fast sagen kann, das hat sich durchgesetzt. "

    Bibliographie

    "Sein wie keine andere. Simone de Beauvoir - Schriftstellerin und Philosophin", von Ingeborg Gleichauf, dtv-Verlag/Reihe Hanser, 284 Seiten, 8,95 Euro.

    "Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht" von Hans-Martin Schönherr-Mann, dtv-Verlag, 219 Seiten, 14,50 Euro

    "Simone de Beauvoir - Weggefährtinnen im Gespräch" von Alice Schwarzer, Kiepenheuer und Witsch Verlag, 125 Seiten, 7,95 Euro.

    "Simone de Beauvoir - Ein Lesebuch in Bildern" von Alice Schwarzer, Rowohlt-Verlag, 325 Seiten, 19,90 Euro.