Es ist paradox: Kaum jemand glaubt wirklich, dass der Mensch stets vernünftig handelt und immer genau das tut, was in seinem eigenen Interesse liegt. Und dennoch halten gerade Wissenschaftler gern an dieser Annahme fest, wenn sie menschliches Verhalten analysieren, allen voran Ökonomen, aber auch Politologen oder Sozialpsychologen. Für Lorraine Daston vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte ist das keine Überraschung, gehört die Idee vom rationalen Streben nach Eigennutz doch zum Kernbestand der Aufklärung. Philosophen wie Condorcet, David Hume oder Adam Smith hätten propagiert, dass der Mensch sein Verhalten berechnen könne und solle.
"Berechnung hatte einen großen Vorteil, nämlich, damit kann man die Leidenschaften bekämpfen. Leidenschaften wie Zorn, Neid und Ehrgeiz, die sonst nicht nur für sich selbst, sondern für die ganze Gesellschaft eine zerstörerische Kraft ausüben könnten."
Der Mensch lässt sich nicht mehr von seinen Gefühlen beherrschen, sondern überlegt genau, welches Verhalten seinen Interessen dient. Diese Annahme wurde zum Selbst- wie zum Leitbild aufgeklärter Gesellschaften, nachdem Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie gezeigt hatte, dass in der Natur jene Arten überleben, die die besten Fähigkeiten entwickeln, ihre Bedürfnisse durchzusetzen. Da lag die Idee nahe, dass der Mensch konsequent nach Eigennutz streben solle, zum eigenen individuellen Vorteil und zu dem seiner Gattung.
Dumm nur, dass das im Alltag kaum einmal funktioniert, stellt der Politologe Stephen Holmes von der New York University School of Law fest.
"Das Bild vom menschlichen Verhalten, das rational am eigenen Interesse orientiert ist, trifft nicht zu. Wir wissen doch oft gar nicht, was wir wollen. Und wenn wir es wissen, än-dern sich unsere Wünsche häufig schnell. Manchmal wollen wir etwas und wollen es gleichzeitig nicht. Deshalb verhalten wir uns alle in vielen Fällen unvorhersehbar."
Diese Unvorhersehbarkeit wird umso mehr zum Problem, als der Mensch bei vielen Vor-haben auf Kooperation angewiesen ist. Mit wem aber kann er vertrauensvoll zusammen-arbeiten, wenn jeder nur an sich selbst denkt? Verlässliche Partner wird er nur finden, wenn er Gefühl und Verstand kombiniert, erklärt Robert H. Frank, der in New York Wirt-schaftsethik lehrt.
"Es ist schwer, ein im darwinschen Sinne rationales Argument zu finden, warum jemand seine eigenen Interessen zurückstellen sollte. Solche Leute sind vielleicht auch selten, aber es gibt sie. Und sie sind in Unternehmen sehr gefragt als Team Player."
In der Armee werden sogar gerade diejenigen, die bereit sind sich aufzuopfern, mit den höchsten Auszeichnungen dekoriert. Gleichzeitig hat sich aber besonders auf militäri-schem Gebiet kühles Eigennutzdenken bewährt. Im Kalten Krieg besaßen beide Seiten früh die Möglichkeit, den Gegner zu vernichten und haben dennoch ständig weiter aufgerüstet. Aber gerade weil sowohl die USA wie die Sowjetunion damit die Bedrohung immer weiter intensivierten, kam es nie zum Atomkrieg, weil jeder wusste, dem anderen werden immer noch ein paar Sprengköpfe für einen Gegenschlag bleiben. So konnte jede Supermacht der anderen glaubhaft klar machen, zwar jederzeit die Fähigkeit für einen Nuklearkrieg zu besitzen, ihn aber aus Eigeninteresse nicht führen zu wollen.
"Für die Amerikaner war es axiomatisch, dass die USA und die Sowjetunion wie zwei Schachspieler waren, beide höchst rational, beide in der Lage, die Züge von den anderen, nicht nur darauf zu reagieren, sondern auch zu interpretieren. Das war tatsächlich eine Erfolgsgeschichte von dieser Strategie, dass man nur einen nackten Eigennutz wahrge-nommen hat und das auch signalisiert hat, dass das vielleicht dazu beigetragen hat, dass wir bis jetzt keinen dritten Weltkrieg hatten."
Weil es in dieser existenziellen Frage funktioniert hat, wird das Eigennutz-Konzept vor allem in den USA gern auf die Wirtschaft übertragen, berichtet die Wissen-schaftshistorikerin Lorraine Daston. Wenn alle ihrem Egoismus folgen, geht es allen besser, lautet dann die Devise. Auch hierzulande verabschieden sich immer mehr Unternehmen von der sozialpartnerschaftlichen Idee, dass Vorgesetzte sich um das Wohl der Belegschaften kümmern sollten und dafür auf deren Loyalität bauen können. Stattdessen setzen sie auf ein Modell, dass der Betriebswirtschaftsprofessor Christian Scholz von der Universität des Saarlands als "Darwiportunismus" bezeichnet.
"Die eine Entwicklung ist der Darwinismus, im betriebswirtschaftlichen Sinne verstan-den als eine Zunahme der Selektionsmechanismen im weitesten Sinne. Opportunismus ist ein eher individuelles Konstrukt, was bedeutet, ich suche meine Chancen, gehe aber auch das Risiko ein, dass andere dadurch einen Schaden haben."
Wenn Arbeitnehmer sich dem darwinistischen Betriebsklima anpassen und die Ellen-bogen immer weiter ausfahren, können sie durchaus produktiv zusammenarbeiten, solange die Unternehmen dabei gute Gewinne machen und auch die Beschäftigten etwa durch Erfolgsprämien profitieren. Aber wenn sich immer mehr Arbeitnehmer überfordert fühlen, machen sie Fehler, werden krank und reichen die innere Kündigung ein. Dann steigen die Kosten und langfristig bekommen auch die Unternehmen Probleme.
"Die kommende Generation ist viel weniger bereit, mit diesen Dingen zu operieren, weil diese Generation vieles erlebt hat. Sie hat erlebt, wie Unternehmen mit Mitarbeitern umgehen, sie hat die Bankenkrise erlebt, sie hat die Finanzkrise erlebt, sie hat Massenentlassungen bei vielen Unternehmen erlebt. Bedeutet, so etwas wie Fairness, das scheint in dieser Generation wieder mehr vertreten zu sein. Da werden die Unternehmen knobeln müssen, wie sie damit umgehen, um diesen Darwinismusgrad etwas zu reduzieren."
Wenn also das konsequente Beharren auf den eigenen Interessen selbst in der Wirtschaft nur begrenzt funktioniert, warum halten dann viele Wissenschaftler so hartnäckig an die-sem Konzept fest, fragt der New Yorker Politologe Stephen Holmes.
"Dafür gibt es viele Gründe, aber der wichtigste ist, dieses Konzept bildet die Grundlage unserer Demokratie. Vor der Aufklärung galt, adelige Eliten bestimmen, was im Interesse der Gesellschaft liegt, weil Gott sie dazu ausersehen hat. Heute gilt, jeder Mensch hat eigene, gleichberechtigte Interessen, die er etwa bei Wahlen ausdrückt und die er auch im Alltagsleben verfolgt. Natürlich ist das eine sehr unzureichende Beschreibung unseres Verhaltens, weil wir nicht immer rational und interessengeleitet handeln, aber sie ist sehr tief in unserem Alltag verankert. Und deshalb hat diese unbefriedigende Theorie durchaus ihren Sinn."
Insofern könnte man die Frage "Why do we believe in self-interest?” ganz einfach beant-worten: Weil uns bisher nichts Besseres eingefallen ist.
"Berechnung hatte einen großen Vorteil, nämlich, damit kann man die Leidenschaften bekämpfen. Leidenschaften wie Zorn, Neid und Ehrgeiz, die sonst nicht nur für sich selbst, sondern für die ganze Gesellschaft eine zerstörerische Kraft ausüben könnten."
Der Mensch lässt sich nicht mehr von seinen Gefühlen beherrschen, sondern überlegt genau, welches Verhalten seinen Interessen dient. Diese Annahme wurde zum Selbst- wie zum Leitbild aufgeklärter Gesellschaften, nachdem Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie gezeigt hatte, dass in der Natur jene Arten überleben, die die besten Fähigkeiten entwickeln, ihre Bedürfnisse durchzusetzen. Da lag die Idee nahe, dass der Mensch konsequent nach Eigennutz streben solle, zum eigenen individuellen Vorteil und zu dem seiner Gattung.
Dumm nur, dass das im Alltag kaum einmal funktioniert, stellt der Politologe Stephen Holmes von der New York University School of Law fest.
"Das Bild vom menschlichen Verhalten, das rational am eigenen Interesse orientiert ist, trifft nicht zu. Wir wissen doch oft gar nicht, was wir wollen. Und wenn wir es wissen, än-dern sich unsere Wünsche häufig schnell. Manchmal wollen wir etwas und wollen es gleichzeitig nicht. Deshalb verhalten wir uns alle in vielen Fällen unvorhersehbar."
Diese Unvorhersehbarkeit wird umso mehr zum Problem, als der Mensch bei vielen Vor-haben auf Kooperation angewiesen ist. Mit wem aber kann er vertrauensvoll zusammen-arbeiten, wenn jeder nur an sich selbst denkt? Verlässliche Partner wird er nur finden, wenn er Gefühl und Verstand kombiniert, erklärt Robert H. Frank, der in New York Wirt-schaftsethik lehrt.
"Es ist schwer, ein im darwinschen Sinne rationales Argument zu finden, warum jemand seine eigenen Interessen zurückstellen sollte. Solche Leute sind vielleicht auch selten, aber es gibt sie. Und sie sind in Unternehmen sehr gefragt als Team Player."
In der Armee werden sogar gerade diejenigen, die bereit sind sich aufzuopfern, mit den höchsten Auszeichnungen dekoriert. Gleichzeitig hat sich aber besonders auf militäri-schem Gebiet kühles Eigennutzdenken bewährt. Im Kalten Krieg besaßen beide Seiten früh die Möglichkeit, den Gegner zu vernichten und haben dennoch ständig weiter aufgerüstet. Aber gerade weil sowohl die USA wie die Sowjetunion damit die Bedrohung immer weiter intensivierten, kam es nie zum Atomkrieg, weil jeder wusste, dem anderen werden immer noch ein paar Sprengköpfe für einen Gegenschlag bleiben. So konnte jede Supermacht der anderen glaubhaft klar machen, zwar jederzeit die Fähigkeit für einen Nuklearkrieg zu besitzen, ihn aber aus Eigeninteresse nicht führen zu wollen.
"Für die Amerikaner war es axiomatisch, dass die USA und die Sowjetunion wie zwei Schachspieler waren, beide höchst rational, beide in der Lage, die Züge von den anderen, nicht nur darauf zu reagieren, sondern auch zu interpretieren. Das war tatsächlich eine Erfolgsgeschichte von dieser Strategie, dass man nur einen nackten Eigennutz wahrge-nommen hat und das auch signalisiert hat, dass das vielleicht dazu beigetragen hat, dass wir bis jetzt keinen dritten Weltkrieg hatten."
Weil es in dieser existenziellen Frage funktioniert hat, wird das Eigennutz-Konzept vor allem in den USA gern auf die Wirtschaft übertragen, berichtet die Wissen-schaftshistorikerin Lorraine Daston. Wenn alle ihrem Egoismus folgen, geht es allen besser, lautet dann die Devise. Auch hierzulande verabschieden sich immer mehr Unternehmen von der sozialpartnerschaftlichen Idee, dass Vorgesetzte sich um das Wohl der Belegschaften kümmern sollten und dafür auf deren Loyalität bauen können. Stattdessen setzen sie auf ein Modell, dass der Betriebswirtschaftsprofessor Christian Scholz von der Universität des Saarlands als "Darwiportunismus" bezeichnet.
"Die eine Entwicklung ist der Darwinismus, im betriebswirtschaftlichen Sinne verstan-den als eine Zunahme der Selektionsmechanismen im weitesten Sinne. Opportunismus ist ein eher individuelles Konstrukt, was bedeutet, ich suche meine Chancen, gehe aber auch das Risiko ein, dass andere dadurch einen Schaden haben."
Wenn Arbeitnehmer sich dem darwinistischen Betriebsklima anpassen und die Ellen-bogen immer weiter ausfahren, können sie durchaus produktiv zusammenarbeiten, solange die Unternehmen dabei gute Gewinne machen und auch die Beschäftigten etwa durch Erfolgsprämien profitieren. Aber wenn sich immer mehr Arbeitnehmer überfordert fühlen, machen sie Fehler, werden krank und reichen die innere Kündigung ein. Dann steigen die Kosten und langfristig bekommen auch die Unternehmen Probleme.
"Die kommende Generation ist viel weniger bereit, mit diesen Dingen zu operieren, weil diese Generation vieles erlebt hat. Sie hat erlebt, wie Unternehmen mit Mitarbeitern umgehen, sie hat die Bankenkrise erlebt, sie hat die Finanzkrise erlebt, sie hat Massenentlassungen bei vielen Unternehmen erlebt. Bedeutet, so etwas wie Fairness, das scheint in dieser Generation wieder mehr vertreten zu sein. Da werden die Unternehmen knobeln müssen, wie sie damit umgehen, um diesen Darwinismusgrad etwas zu reduzieren."
Wenn also das konsequente Beharren auf den eigenen Interessen selbst in der Wirtschaft nur begrenzt funktioniert, warum halten dann viele Wissenschaftler so hartnäckig an die-sem Konzept fest, fragt der New Yorker Politologe Stephen Holmes.
"Dafür gibt es viele Gründe, aber der wichtigste ist, dieses Konzept bildet die Grundlage unserer Demokratie. Vor der Aufklärung galt, adelige Eliten bestimmen, was im Interesse der Gesellschaft liegt, weil Gott sie dazu ausersehen hat. Heute gilt, jeder Mensch hat eigene, gleichberechtigte Interessen, die er etwa bei Wahlen ausdrückt und die er auch im Alltagsleben verfolgt. Natürlich ist das eine sehr unzureichende Beschreibung unseres Verhaltens, weil wir nicht immer rational und interessengeleitet handeln, aber sie ist sehr tief in unserem Alltag verankert. Und deshalb hat diese unbefriedigende Theorie durchaus ihren Sinn."
Insofern könnte man die Frage "Why do we believe in self-interest?” ganz einfach beant-worten: Weil uns bisher nichts Besseres eingefallen ist.