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Vorfälle in der Silvesternacht
BDK-Vorsitzender Fiedler: Feuerwerk nur noch eingeschränkt zulassen

Weit über 600 Brände in der Silvesternacht in Berlin – das sei nicht mehr tolerabel, sagte Sebastian Fiedler, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, im Dlf. Er fordert: "Wir müssen darüber diskutieren, in Großstädten nur noch in bestimmten Bereichen Böller und Feuerwerk zuzulassen."

Sebastian Fiedler im Gespräch mit Sandra Schulz |
Eine Gruppe von Feiernden in der Silvesternacht steht im Schein von Böllern und Raketen auf der Straße.
Silvester bedeutet für Polizisten und Rettungskräfte Ausnahmezustand - zum Teil werden sie sogar angegriffen (picture alliance / Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa)
Sandra Schulz: Wenn es so ist, dass die Ermittler in Krefeld im Moment davon ausgehen, dass es unbedachter Umgang mit dem Feuer war, der so drastische Folgen hatte, dann wissen wir auch, dass zu Silvester Jahr für Jahr es auch immer wieder zu ganz bewussten Angriffen kommt.
Schauplatz dieses Jahr in Leipzig für einen dramatischen Fall war das Viertel Connewitz, das linksalternativ geprägt Stadtviertel Connewitz. Da wurde ein Polizist attackiert und musste notoperiert werden. Das sächsisches Landeskriminalamt ermittelt wegen des Verdachts auf versuchten Mord. In Hamburg zündeten Unbekannte einen Streifenwagen mit Böllern an, in Berlin wurden Polizisten in Kreuzberg mit Feuerwerkskörpern verletzt, und die Aufzählung ließe sich noch beliebig fortsetzen.
Eine Frau schaut sich am 01.01.2019 in Berlin das Silvesterfeuerwerk an (gestellte Szene). 
Streit über Silvesterböller - Feuerwerk zwischen Freiheit und Feinstaub
Knallfrösche, Chinakracher, Raketen: Böllern gehört für viele Deutsche zu Silvester einfach dazu - trotz der anhaltenden Debatten über die vermeidbare Feinstaubbelastung, Unfälle und Müllberge.
Wir wollen darüber in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist Sebastian Fiedler, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Schönen guten Morgen!
Sebastian Fiedler: Schönen guten Morgen!
Schulz: Wird es zu Silvester immer schlimmer?
Fiedler: Das kann ich Ihnen abschließend nicht beantworten, aber ich würde es mal anders formulieren: Ich glaube, dass die Dinge, die Sie nur wirklich ausschnittsweise gerade aufgezählt haben, Anlass genug sind, um über wirklich einschneidendere Maßnahmen zu diskutieren. Also so weit würde ich durchaus gehen.
Reine Empörungsbekundungen reichen nicht mehr
Schulz: Wir lesen jetzt speziell von Angriffen mit Feuerwerk, von Angriffen mit Böllern. Lässt sich das sagen, wird das mehr, oder ist das jetzt eine gefühlte Häufigkeit, weil das Thema ohnehin zum Jahreswechsel zur Diskussion stand?
Fiedler: Ich will mal so sagen, zum einen wird man das bezogen auf bestimmte Städte und Regionen gesondert auswerten müssen. Dazu kenne ich de facto keine Zahlen. Zum anderen liefern natürlich reine quantitative Messungen auch nur wirklich einen Ausschnitt der Problemlage. Man muss durchaus die qualitativen Dinge auch berücksichtigen. Wenn ich alleine über Berlin lese, dass wir es mit abgetrennten Gliedmaßen bis hin zu einer ganzen abgetrennten Hand zu tun haben, teilweise von Kindern. Wenn ich dann höre, dass Schreckschusswaffen immer mal wieder eine Rolle gespielt haben, dass es gezielte Angriffe auf Rettungsleute und auf Polizeibeamte gegeben hat, dann ist, glaube ich, das Ausmaß dessen überschritten, dass wir noch sagen können, es reicht jetzt hier, mit reinen Empörungsbekundungen wirklich einen Strich drunter zu machen und auf das nächste Jahr zu warten. Ich glaube, wir müssen tatsächlich jetzt drüber diskutieren, welche Maßnahmen wirklich dazu beitragen können, im nächsten Jahr andere Gespräche zu führen, aber jedenfalls solche, die zeigen, dass wir einen besseren Erfolg haben.
Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter.
Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (imago / Metodi Popow)
"Einsatzlagen sind nicht mehr tolerabel"
Schulz: Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?
Fiedler: Ich würde durchaus sagen, dass wir darüber diskutieren müssen, dass wir in solchen Großstädten wie Berlin, die nun zweifelsohne eine ist, darüber zu diskutieren haben, dass wir nur noch in bestimmten Bereichen auch wirklich Böller und Feuerwerk zulassen und in anderen Bereichen eben nicht, weil wir nun zur Kenntnis nehmen müssen, dass diese Böllerverbotszonen überhaupt keine hinreichende Wirkung entfalten. Ich glaube, dass solche Einsatzlagen, wie wir sie jetzt hier erlebt haben - und wir sprechen von weit über 600 Brände in Berlin in einer Nacht, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen -, dass die doch nicht tolerabel sind, und dass wir solche Einsatzszenarien offensichtlich nicht hinreichend in den Griff kriegen und offensichtlich zu viele Verrückte unterwegs sind, die zum einen mit dem Feuerwerkszeug nicht hinreichend umgehen können und auf der anderen Seite wir unsere Einsatzkräfte ja von einer Ecke in die andere in Berlin schicken mussten, um Schlimmeres zu verhindern.
Feuerwerksraketen explodieren in der Silvesternacht über München und hüllen die Innenstadt in dichten Rauch
Böllerverbot - "Das Thema wird einfach gehypt"
Das Böllern an Silvester zu verbieten, werde jedes Jahr wieder diskutiert, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, im Dlf. Die derzeitige Rechtslage sehe ein generelles Verbot aber nicht vor.
Ich glaube, man muss durchaus mal darüber diskutieren, ob es noch so sein kann, dass wir das … na ja, dass wir im nächsten Jahr wieder ein solches Gespräch führen. Ich will mal daran erinnern, dass Paris aus diesen genannten Gründen in der gesamten Stadt seit 2007 das komplette Feuerwerk verboten hat. Damit wir das vielleicht noch nicht diskutieren müssen, würde ich als Zwischenlösung tatsächlich diskutieren, nur noch in bestimmten Bereichen überhaupt das Abbrennen zu erlauben und in anderen Bereichen komplett zu verbieten.
Handfeste Straftaten
Schulz: Aber wenn Ihre Zwischenbilanz doch jetzt nach diesem Fest ist, dass Sie sagen, also die Verbotszonen als solche, die haben nicht gereicht, verstehe ich Sie dann richtig, dass Sie auch dagegen sind, dass dieses Feuerwerk überhaupt in private Hand kommt in bestimmten Ländern oder Kommunen?
Fiedler: Ich würde sagen, nein, in bestimmten Bereichen der Kommunen, das würde ich sagen. So weit würde ich gehen. Ich denke, die Kommunen sollten deutlicher darüber diskutieren, ob sie tatsächlich sagen, im gesamten Stadtbereich ist es zunächst einmal erlaubt und nur in bestimmten Bereichen verboten. Ich glaube, wir müssen weitergehen und müssen sagen, dass wir nur noch in bestimmten Bereichen das Abbrennen in privater Hand erlauben. Das würde auch bedeuten, dass wir andere Bereiche der Stadt freihalten von diesem Feuerwerk.
Ich will mal sagen, es ist ja nun nicht so, als wenn 100 Prozent der Bevölkerung auch tatsächlich hier nicht von tangiert wird. Ich denke mal an kleine Kinder, alte Leute, ich denke mal an Kranke, ich denke mal an private Haustierbesitzer, die in jener Nacht Probleme haben, ich denke an traumatisierte Leute, die unter uns sind. Also es gibt ein ganzes Bündel von Argumenten, was man ins Feld führen kann. Ich möchte mal wirklich unser Augenmerk in den nächsten Wochen darauf richten, wie viele Strafverfahren wir denn jetzt sehen werden, weil all die Dinge, die wir diskutiert haben, sind handfeste Straftaten, wenn es um den Einsatz von Schreckschusswaffen und aber auch gezielt Zwilleneinsatz im Kontext von Böllern und ähnliches mehr, das kriegt man besser in den Griff.
Schulz: Herr Fiedler, lassen Sie mich kurz einhaken. Die Diskussion, die haben wir jetzt zwischen den Jahren ja schon geführt. Da gibt es dann einen Aufschrei, der sagt, ach, da soll jetzt das nächste Verbot erlassen werden, das ist wieder ein Angriff auf die liberale Gesellschaft, wir wollen unser Feuerwerk, das ist Tradition hier in Deutschland. Aber in Sachen Verbot geht da der Bund Deutscher Kriminalbeamter dann auch in diese Richtung.
Fiedler: Ja, mal ganz ehrlich, finden Sie, dass es eine liberale Gesellschaft ist, wenn man nachts in Silvester nicht mehr durch Berlin gehen kann, weil es an 600 Stellen in der Stadt brennt und weil die Rettungskräfte einen Ausnahmezustand hervorrufen? Das kann doch wohl keine freiheitliche Gesellschaft sein. Also da, glaube ich, müssen wir tatsächlich einen Schritt weitergehen.
Problem mit der Akzeptanz staatlicher Institutionen
Schulz: Ich referiere jetzt die Argumente, die vorgetragen wurden, und unter anderem hat uns Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindeverband … Nein, Moment, jetzt bin ich da gerade bei der Funktion ein bisschen aus dem Tritt, aber Sie kennen Gerd Landsberg als Sprecher der Städte, der hat uns gesagt, das ist doch so alles überhaupt nicht zu kontrollieren. Das ist ja nun ein Argument, das auch direkt auf die Polizei zurückschlägt.
Fiedler: Genau, umgekehrt wird ein Schuh draus. In der jetzigen Situation ist es nicht zu kontrollieren. Wenn wir bestimmte Bereiche haben, in denen wir von vornherein wissen, dass nur hier das private Abbrennen von Feuerwerk erlaubt ist, dann können wir die Situation viel besser kontrollieren, weil wir unsere Kräfte gezielter einsetzen können. Umgekehrt wird ein Schuh draus.
Schulz: Und wenn wir insgesamt auf dieses Großthema schauen, von dem wir jetzt immer mehr hören, Angriffe auf Polizeikräfte, auf Feuerwehrkräfte, welche Ursache sehen Sie dafür?
Fiedler: Da sehe ich natürlich - das haben Sie schon vielfach gehört, und es liefert nur eine unbefriedigende Lösungsmöglichkeit -, wir haben natürlich insgesamt ein gesellschaftliches Problem in diesem Bereich. Und die Tatsache, dass wir viel zu oft schon darüber diskutiert haben, zeigt ja, dass die bisherigen Lösungsansätze nur eingeschränkt geholfen haben. Wir haben ein Problem in der Gesellschaft mit der Akzeptanz staatlicher Institutionen, und das bricht sich Bahn, wenn Alkohol und solche Feieraktivitäten dazukommen. Und deswegen reicht es eben nicht, das auf einer strafrechtlichen oder polizeilichen Ebene zu diskutieren, sondern es ist ein breiteres gesellschaftliches Thema, was ich für durchaus bedrückend halte. Offensichtlich haben die bisherigen Maßnahmen noch nicht ausgereicht.
Keine wirksamen Konzepte der Politik
Schulz: Und ein Thema, das die Kanzlerin - Fragezeichen - jetzt in ihrer Neujahrsansprache auf gute Art angesprochen hat? Sie hat sich ja ausdrücklich bedankt bei Polizei und Feuerwehr und den Menschen, die dort arbeiten, hat sie genannt das Rückgrat der Demokratie. Reicht Ihnen das?
Fiedler: Nein, das reicht mir deswegen nicht, weil wir noch keine Lösung haben. Weil ich feststelle, dass die Gesellschaft nach wie vor noch äußerst polarisiert ist und dass die politischen Angebote derzeit noch nicht solche wirksamen Politikkonzepte präsentiert haben, dass wir im Ergebnis - und das ist das Entscheidende - weniger solcher Straftaten sehen. Dieses Ergebnis kann ich noch nicht feststellen, und da kann die Kanzlerin sich nicht mit zufrieden zeigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.