Petra Ensminger: In der Sehitlik-Moschee in Berlin soll bei einem Besuch einer Schulklasse in der Moschee eine Mitarbeiterin der Organisation Violence Prevention Network bedrängt worden sein. Die Moschee ist mit ihren hohen Minaretten und der Lage am Tempelhofer Feld recht bekannt, vielleicht Berlins bekannteste Moschee, sie untersteht Ditib. Was ist genau vorgefallen?
Daniela Siebert: Interessanterweise erfahren wir erst heute vom Rundfunk Berlin-Brandenburg, dass es überhaupt einen Bruch gab, die Beteiligten haben das die Öffentlichkeit bislang nicht wissen lassen. Und zwar ist das Ganze schon passiert am 27. September. Da war eine Mitarbeiterin von Violence Prevention Network - selbst Muslima übrigens - mit einer Schulklasse zu Besuch in der Moschee. Nach wenigen Minuten wurde sie dann aber von mehreren Männern aus der Moscheegemeinde beschimpft, bedrängt und aus dem Gebäude verwiesen. Darunter sollen auch der Imam der Moschee gewesen sein und der türkische Kulturattache.
Sie warfen der Frau vor, sie habe eine unerlaubte Moscheeführung gemacht und ein falsches Bild vom Islam vermittelt. Unsere Nachfragen bei Violence Prevention Network haben heute ergeben, dass es sich bei dieser Zusammenarbeit mit der Ditib und der Sehitlik-Moschee um keine Zusammenarbeit im engeren Sinne gehandelt hat, sondern man lediglich Gast war. Für Veranstaltungen wie den Workshop am 27. September habe man in der Moschee Räume angemietet, für 200 Euro im Monat.
Wirklich erwünscht habe man sich da aber schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gefühlt. Was man auch erzählen muss, weil es vermutlich bei der Geschichte eine Rolle spielt: die Bahira-Mitarbeiterin, die das Erlebnis hatte, ist nicht irgendwer. Das ist Pinar Cetin, die Ehefrau, des früheren Moscheevorsitzenden Ender Cetin, der im Dezember 2016 überraschend aus diesem Amt entfernt wurde. Auch sie selbst war in der Moschee und bei Ditib schon in wichtigen Ämtern bekleidet. Welche Rolle das bei dem Vorkommnis gespielt hat konnte oder wollte Thomas Mücke, der Chef von Violence Prevention Network heute nicht bewerten. Die Verantwortlichen der Sehitlik-Gemeinde wollten uns ihre Sicht der Dinge bis Redaktionsschluß leider auch nicht mitteilen.
Ensminger: Das Ganze hat also eine wahrscheinlich doch längere Geschichte, was hat genau hat das Bahira-Projekt in der Sehitlik-Moschee gemacht, was war die Aufgabe da?
Siebert: Das Projekt läuft seit 2015, es wird finanziert vom Bund und vom Land Berlin. Träger ist die Organisation "Violence Prevention Network", die auch andere ähnliche Projekte durchführt in Berlin und einer der wichtigsten Deradikalisierungsakteure ist, die sich darum bemühen, junge Leute vom Abrutschen in einen gewalttätigen Islamismus bewahren möchte, damit sie eben nicht zu Kampfhandlungen ins Ausland zu reisen oder womöglich sogar hier terroristisch aktiv werden. In der Sehitlik-Moschee hat Bahira - so heißt das Projekt - einen Workshop für Schüler aus Hessen durchgeführt, in dem es um die Darstellung der eigenen Arbeit ging, wo gerade in Moscheegemeinden für das Thema sensibilisiert werden soll. Und im Idealfall auch in Gemeinde selber schon Vorbeugung angeleiert wird.
Rückschritt für Deradikalisierungsbemühungen
Ensminger: Sie haben uns geschildert was geschehen sein soll, wie ist der Vorfall denn aus Ihrer Sicht einzuordnen?
Siebert: Es ist kein gutes Zeichen. Zum einen, weil es für die deutschen Organisationen, gerade auch wenn sie sich um Deradikalisierung bemühen, ohnehin schwierig ist, an ihre potentiellen Klienten zu kommen. Da ist zwar die Sehitlik-Moschee kein "Hot spot", für Radikalisierung sind in Berlin eher andere Moscheen berüchtigt. Aber es war immerhin eine Art offener Türspalt in die Szene. Zum andern zeigt es, dass die Akteure in Deutschland, die an der Leine des türkischen Staates sind, dazu gehört Ditib, dass die immer weniger an Brücken in die hiesige Gesellschaft interessiert sind. Die Sehitlik-Moschee war jahrelang die offenste, auch offenherzigste Institution, die immer wieder Nichtmuslime zum Besuch eingeladen hat, die das interreligiöse Gespräch gesucht hat und auch in deutscher Sprache zu fast allen anfallenden Gesprächsthemen Stellung bezogen hat. Das ist jetzt anders. Man schottet sich mehr ab.
Man bleibt lieber unter sich, die Offenheit ist vorbei, das sagte auch Thomas Mücke von Violence Prevention Network heute. Und das ist schlecht. Denn auch andere islamische Gemeinden stehen jetzt nicht Schlange, um mit dem Staat und solchen Organisationen zu kooperieren. Das Ganze reißt hier wirklich eine Lücke.