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Vorgeburtliche Prägung
Der lange Schatten von Stress im Mutterleib

Hunger, Angst, Stress. Was eine schwangere Frau erlebt, hinterlässt nicht nur bei ihr selber Spuren, sondern auch bei ihrem ungeborenen Kind. Denn schon im Mutterleib beginnt der Fetus zu reagieren und stellt sich auf die Welt ein. Eine Tagung in Berlin hat sich mit vorgeburtlicher Prägung beschäftigt.

Von Volkart Wildermuth |
    Eine schwangere Frau hält ihren Bauch.
    Das ungeborene Kind wird von den Lebensumständen der Mutter beeinflusst. (dpa/Fredrik von Erichsen)
    Im Winter 44/45 riegelte die deutsche Wehrmacht Holland ab. Es war bitter kalt, bald gab es nichts mehr zu Essen. Die Kinder, die nach diesem Hungerwinter geboren wurden sind heute 70 Jahre alt, aber noch immer sind die Folgen der Mangelernährung im Mutterleib zu spüren.
    "Menschen, die damals gezeugt wurden haben heute häufiger Herzkrankheiten, Diabetes, sie leiden öfter unter Depressionen und mehr Frauen haben Brustkrebs. Das betrifft ein ganzes Spektrum von Krankheiten."
    So Tessa Roseboom, die die Holländische Hungerwinter-Studie in Amsterdam leitet. Schon im Mutterleib werden wichtige Weichen gestellt, erklärt der Organisator der Tagung Matthias Schwab von der Universität Jena.
    "Stress während der Schwangerschaft und insbesondere auch Mangelernährung führen zum Beispiel dazu, dass wir auf gute Futterverwerter getrimmt werden und dass wir stressempfindlicher werden im Leben. Unsere Stress Empfindlichkeit ist nicht in unseren Genen, sondern hängt eigentlich nur vom Auslesen der Gene ab und das Auslesen der Gene wird während der Schwangerschaft programmiert."
    Die Umwelt wird durch Hormone der Mutter wahrgenommen
    Die Umwelt der Mutter nimmt der Fetus dabei über deren Hormone wahr, das Wachstumshormon oder auch Stresshormone. Was genau der vorgeburtliche Stress bewirkt, versucht, das kanadische Projekt Eissturm zu klären. Im Januar 1998 riss tagelanger Eisregen die Oberleitungen nieder, es kam zu langen Stromausfällen. Suzanne King von kanadischen McGill Universität hat danach schwangere Frauen und deren Kinder begleitet.
    "Wo immer wir nachgesehen haben, fanden wir Effekte, und zwar sowohl der objektiven Belastung wie auch der emotionalen Beeinträchtigung der Frauen durch den Eissturm."
    Die Dauer des Stromausfalls war mit der Sprachentwicklung der Kinder verknüpft, mit ihrem IQ aber auch ihrem Körpergewicht. Dagegen führte die emotionale Belastung der Mütter bei den Kindern zu verstärkter Ängstlichkeit und zum Teil auch Aggressivität. Mit modernen Methoden kann Moshe Szyf, ebenfalls von der McGill Universität, nachweisen, dass die Aktivität tausender Gene bei diesen Kindern verändert ist.
    "Das ist alles hochorganisiert, überhaupt nicht zufällig. Ich glaube, das Genom ist sehr sensibel, es kann sich auf verschiedene Situationen einstellen."
    Und solche Effekte können in Rattenversuchen über mehrere Generationen weitergeben werden, wie Gerlinde Metz von der Universität im kanadischen Lethbridge gezeigt hat.
    "Also die Kinder, die Enkel, die Großenkel und die Urgroßenkel hatten immer noch ähnliche Effekte zum Teil sogar noch stärker. Das hat uns sehr verwundert. Und wir nehmen an, dass da dann auch ein Vorteil liegt, dass sich die Generationen besser an Stress anpassen und vielleicht eine höhere Überlebenschance haben, aber auf der anderen Seite wenn die Tiere älter werden, dann zahlen sie den Preis und sie werden vielleicht eher krank."
    Wer schnell auf Stress reagiert, hat einen höheren Blutdruck, ein guter Futterverwerter lagert Fett ein, beides Risikofaktoren für viele Volkskrankheiten. Auch in der Hungerwinterstudie gibt es Effekte, die bis auf die Enkelgeneration durchschlagen. Aber die pränatale Prägung ist kein Schicksal. Ratten können schon durch viele Sozialkontakte und einen Käfig mit vielen Spielmöglichkeiten auf einen günstigen Entwicklungspfad gelenkt werden. Und beim Menschen setzt Tessa Roseboom auf Unterstützung für die werdenden Mütter.
    "Wir als Gesellschaft sollten begreifen, wie wichtig ein guter Start ins Leben ist. Hier sollten wir in die Gesundheit investieren nicht erst am Ende des Lebens."