"Ulbricht ist der Skrupelloseste unter den Skrupellosen, der Eisige unter den Kalten, der Robespierre der SED, der deutsche Lenin in Haltung, Geste und Bart."
So charakterisierte ein Rundfunkkommentar der gerade gegründeten ARD im Oktober 1950 den mächtigsten Mann der DDR: Walter Ulbricht, der drei Monate zuvor zum Generalsekretär der SED avanciert war, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.
Im Westen offen, in der DDR hinter vorgehaltener Hand als "Zonenvogt" und "Spitzbart" tituliert, errang sich der 1893 in Leipzig geborene Berufsrevolutionär im Kalten Krieg den zweifelhaften Ruf als meistgehasster Kommunist Deutschlands, verspottet ob seines sächsischen Idioms und seiner - durch eine Kehlkopferkrankung bedingten - Fistelstimme, mit der er 1961 auch jene historische Lüge aussprach, die bis heute im Gedächtnis der Deutschen verankert ist:
"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."
Am 30. April 1945 - es ist der Tag an dem Hitler im Führerbunker Selbstmord begeht - betritt Walter Ulbricht nach zwölf Jahren Exil wieder deutschen Boden. In dem aus Moskau kommenden Flugzeug sitzen neben ihm neun weitere KPD-Genossen.
"Wir hatten einen kurzen Zwischenaufenthalt bei Minsk und landeten dann auf einem ehemaligen deutschen Feldflugplatz mitten im Wald bei Kalau, jetzt polnisch Kaława, etwa 70 Kilometer östlich von Frankfurt/Oder. Dort erwartete uns eine sowjetische Empfangsgruppe, die mit unserem Walter Ulbricht sofort zu den sowjetischen Kommandostellen nach Berlin fuhr, so dass er als erster von uns am Abend des 30. April 1945 in Berlin eintraf."
Richard Gyptner, Mitglied der Gruppe Ulbricht und späterer Botschafter der DDR in Peking, Kairo und Warschau, 1965 im DDR-Rundfunk.
"Wir müssen alles in der Hand haben!"
Er und die restlichen Mitglieder der Gruppe beziehen zunächst bis zum 8. Mai Quartier in Bruchmühle. Dort, rund 15 Kilometer östlich von Berlin, befindet sich der Politische Stab von Marschall Schukow, dem Oberkommandierenden der Ersten weißrussischen Front. Am 2. Mai, dem Tag der Kapitulation Berlins, bricht die gesamte Gruppe in die zerstörte Hauptstadt auf - mit klaren Direktiven ausgestattet:
"Als Aufgaben für den ersten Tag wurden festgelegt: Gründlich über die Lage informieren, Kommunisten, Sozialdemokraten, demokratische Politiker und Fachleute aus früheren bürgerlichen Parteien auffinden, die Rathäuser aufsuchen und prüfen, was für Leute dort tätig sind. Und am Abend sollten wir alle nach Bruchmühle zurückkehren, um die gesammelten Erfahrungen auszuwerten."
"Ulbricht sagte: 'Unsere erste Aufgabe wird sein, in allen 20 Berliner Bezirken antifaschistisch-demokratische Bezirksverwaltungen aufzubauen.' Und dann kam der berühmte Satz: 'Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben!'."
Wolfgang Leonhard 1995 im Deutschlandfunk. Der 2014 verstorbene Historiker und Publizist war mit 24 Jahren das jüngste Mitglied der "Gruppe Ulbricht". Sein Sachbuch-Bestseller "Die Revolution entlässt ihre Kinder", 1955 erstveröffentlicht, schildert seine Erlebnisse als Jungkommunist im sowjetischen Exil der Stalinzeit ebenso wie seine Rückkehr nach Deutschland, die Tätigkeit an der SED-Parteihochschule und schließlich seine Flucht in den Westen. Wie auch die anderen Mitglieder der "Gruppe Ulbricht" war Leonhard in der Sowjetunion seit 1944 auf unzähligen Schulungsabenden auf die Rückkehr nach Deutschland vorbereitet worden:
"Die Grundlinien waren: Deutschland wird auf sehr lange Zeit von den Truppen der Anti-Hitler-Koalition besetzt werden. Eine deutsche politische Tätigkeit wird nur in begrenztem Maße möglich sein. Es wird die Aufgabe der antifaschistisch-demokratischen Kräfte sein, die Maßnahmen der Besatzungsmächte zu unterstützen und zwar in erster Linie: Entmilitarisierung und Entnazifizierung."
Die Rolle der "KPD-Intiativgruppen"
"Für die Rote Armee stellt sich ja wie für die Westalliierten die Frage: Sie kommen nach Deutschland, irgendwie müssen sie ja dort das Leben organisieren und mit wem machen sie das?"
Der Historiker Bernd Florath, von 1990 bis 1993 Bundessprecher des "Neuen Forum", heute wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Havemann-Gesellschaft, ist Experte für Opposition und Widerstand und die Parteiengeschichte der DDR:
"Sie kommen also in das Land rein und brauchen einen Führer, der ihnen erklärt, mit wem kann man kooperieren und mit wem nicht - oder der am besten eine solche Organisation schon vornimmt. Und diese Funktion übernehmen diese 'KPD-Initiativgruppen', wie sie ja genannt wurden, also die 'Gruppe Ulbricht' in Berlin - das ist im Rahmen der ersten belorussischen Front - im Rahmen der zweiten ist es die Gruppe Sobottka, die geht in Richtung Schwerin, und die dritte Gruppe mit der ersten ukrainischen Front geht unter Ackermann in Richtung Sachsen. Die sind alle gewissermaßen Hilfskräfte der entsprechenden Politischen Verwaltungen dieser Einheiten der Roten Armee."
Beim Ausschwärmen in die Berliner Stadtbezirke stellen die Mitglieder der "Gruppe Ulbricht" schnell fest, dass sich vielerorts schon autonome Vorformen einer Verwaltung gebildet haben, in der engagierte Bürger die lokalen Geschicke in die Hand nehmen: Ihre Aktivitäten reichen von Reparaturen an der zerstörten Infrastruktur und Organisation der Lebensmittelverteilung bis hin zum Aufspüren untergetauchter Nazi-Funktionäre. Die Emissäre der Gruppe zeigen sich beim abendlichen Rapport gegenüber Ulbricht durchaus angetan von dieser Art Selbstverwaltung der so genannten "Antifa-Komitees". Doch Walter Ulbricht verfügt ihre sofortige Auflösung, erinnerte sich 1995 das ehemalige Gruppenmitglied Wolfgang Leonard:
"Die offizielle Begründung war: Das sind kriminelle Elemente, das sind Nazis, die sich zu tarnen versuchen - und ich wusste, dass es keine kriminellen Elemente und schon gar keine Nazis waren. Erst später verstand ich, dass es zum stalinistischen Apparat gehört, alles von oben zu dirigieren, leiten, kontrollieren. Aber aktive Menschen, die von sich aus etwas von unten machen, das missfiel Walter Ulbricht und das missfiel eben dem stalinistischen System überhaupt."
Daheimgebliebene fremdeln mit den "Moskauern"
Der sächsische Berufsrevolutionär kennt sich aus in der Hauptstadt: Von 1929 bis zum Ende der Weimarer Republik war er Chef des KPD-Landesverbandes in Berlin und Brandenburg gewesen. Mit aller Rigidität bringt Ulbricht nun jene KPDler auf Kurs, die in Deutschland verblieben waren und die - nach zwölf Jahren Trennung - mit den stalinistisch gedrillten Genossen aus dem Osten in vielerlei Hinsicht fremdeln.
"Weil natürlich die ganzen Diskussionen, die schon geführt wurden in der Sowjetunion über die Nachkriegsordnung, denen nicht vertraut waren. Die sind 1945 wieder an die Öffentlichkeit gekommen und haben dort fortgesetzt, wo sie 1933 aufgehört haben: Also sie kamen mit Hammer und Sichel und mit 'Rotfront' und erhobener Faust in die neue Epoche des Klassenkampfes - und Ulbricht wollte ja genau das n i c h t. Er wollte ja gewissermaßen eine demokratische Ordnung, in der die Rolle der KPD nicht so sichtbar war."
Dafür macht sich Ulbricht auch Mitglieder des "Nationalkomitees Freies Deutschland" zu Nutze, einer 1943 in der UdSSR gegründeten Gruppierung aus teils prominenten deutschen Kriegsgefangenen wie Feldmarschall Friedrich Paulus, im Zweiten Weltkrieg Oberbefehlshaber der 6. Armee während der Schlacht von Stalingrad, aber auch aus exilierten Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen.
Als Gründungsmitglied des NKFD hatte Ulbricht Wehrmachtsangehörige an der Ostfront während des Krieges über Lautsprecherwagen zum Überlaufen agitiert - mit Sätzen wie diesen: "Soldaten! Unser Volk braucht nicht Euren sinnlosen Tod. Es braucht Euer Leben für die Arbeit im künftigen Deutschland!"
Ulbricht baute auch auf Personen mit NS-Vorgeschichte
Besonders die bürgerlich-konservativ oder nationalistisch eingestellten Militärs aus dem "Nationalkomitee Freies Deutschland" helfen Ulbricht dabei, die Fassade einer nicht kommunistisch dominierten antifaschistischen "Volksfront" zu wahren, aber auch NKFDler wie der Schriftsteller Johannes R. Becher, der später zum ersten Kulturminister der DDR und Texter der "Auferstanden-aus-Ruinen"-Hymne werden wird:
"Alle Deutschen, die guten Willens sind, beschwören wir: Es werde Licht! Lasst endlich, endlich ein freiheitliches, wahrhaft demokratisches Deutschland auferstehen!" (Beifall)
Auch Prominente, die zum Hitler-Regime ein bestenfalls ambivalentes Verhältnis vorzuweisen haben, werden als sogenannte "Gutwillige" anerkannt und eingebunden: Der berühmte Charité-Chirurg Ferdinand Sauerbruch beispielsweise avanciert zum Berliner Stadtrat für das Gesundheitsweisen, und UFA-Star Heinz Rühmann engagiert sich als Mitglied in einem Ausschuss für den Wiederaufbau der Filmindustrie.
Hinter den Kulissen aber baut Walter Ulbricht zugleich die kommunistische Vormachtstellung in allen Bereichen weiter aus - getreu der Stalin'schen Maxime "Die Kader entscheiden alles".
"Wichtig, sagte er, ist, dass zwei Sachen in unserer Hand bleiben. Das ist die Personalverwaltung, also der Stellvertreter des Bürgermeisters für Personalangelegenheiten, zweitens die Volksbildung und der Aufbau einer neuen Polizei, der sollte natürlich auch in kommunistischer Hand bleiben. Wobei auch hier man im Auge haben muss: Der erste Ostberliner bzw. Berliner Polizeichef, Markgraf, war ja ein Wehrmachtsoffizier."
Ein parteiloser Strohmann als Bürgermeister
Bevor die Westalliierten im Juli 1945 ihre Berliner Sektoren besetzen, hat die Gruppe Ulbricht mit tatkräftiger Hilfe der Sowjetischen Militäradministration längst Tatsachen geschaffen: Als Oberbürgermeister von Groß-Berlin amtiert seit Mitte Mai der parteilose, bürgerliche 68-jährige Bauingenieur Dr. Arthur Werner. In einem Gespräch mit dem Historiker Gerhard Keiderling hat der greise, schon entmachtete Walter Ulbricht 1972 die Strategie, die hinter dessen Einsetzung stand, mit frappierender Offenheit geschildert:
"Der hatte den besten Zylinder von Berlin und war immer gut gekleidet. […] Werner hatte von politischen Problemen und Entscheidungen keine Ahnung. Daher konnte er auch den westlichen Offizieren gegenübertreten; er wusste nichts und erschien ihnen als typischer Bürgerlicher von seinen Manieren und von seinem Aussehen her."
Ungeachtet solcher Ränkespiele sind die Erfolge, die die "Gruppe Ulbricht" bei der Reanimierung des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in Berlin erzielt, beachtlich. Werners erster Stellvertreter Karl Maron, selbst Mitglied der Gruppe, bilanziert sie später in einem Sammelband zu Ulbrichts 70. Geburtstag so:
"Hier und da begann bereits wieder das Wasser aus den Hähnen zu fließen, gab es das erste elektrische Licht. Am 13. Mai fuhren bereits die ersten Omnibusse durch einige freigemachte Straßen, am nächsten Tag die ersten U-Bahnzüge zwischen einzelnen Stationen, am 20. Mai die ersten Straßenbahnen. […] Im Juni lernten bereits wieder 128.000 Schulkinder in notdürftig hergerichteten 3.004 Klassen."
Mitunter werden die Männer der "Gruppe Ulbricht" auch zu Sonderaufträgen abgeordnet, so etwa in das Charlottenburger Haus des Rundfunks, der einstigen Zentrale des "Großdeutschen Rundfunks". Ab Mitte Mai 1945 sendet von hier der sowjetisch kontrollierte "Berliner Rundfunk", aufgebaut vom Gruppenmitglied Hans Mahle.
"Ein besonders dramatischer Sonderauftrag war der, den wir in der zweiten Maiwoche erhielten, als uns von sowjetischer Seite nahegelegt wurde, alles stehen und liegen zu lassen, sofort nach Charlottenburg zu fahren, weil sich dort im Archiv des Hauses des Rundfunks die Aufzeichnungen der Besprechungen Molotows mit der Hitler-Regierung aus dem Jahr 1940 befanden. Uns wurde erklärt, das sofort herauszunehmen, da auf keinen Fall diese wichtigen Dokumente in die Hände der westlichen Alliierten fallen dürften, die in Berlin einrückten."
Im KPD-Gründungsaufruf war von Demokratie die Rede
Anfang Juni reisen die Leiter der drei in der Sowjetischen Besatzungszone und Berlin aktiven Gruppen - Walter Ulbricht, Anton Ackermann und Gustav Sobottka - zu Gesprächen mit dem noch in der UdSSR befindlichen Chef der Exil-KPD, Wilhelm Pieck und dem sowjetischen Politbüro nach Moskau. Sie kehren zurück mit der Direktive, schnellstmöglich die Neugründung der KPD vorzubereiten. Die Genossen in Deutschland werden nicht nur von diesem Kurswechsel überrascht, sondern auch vom Inhalt des noch in Moskau von Ackermann getexteten Gründungsaufrufs. Wolfgang Leonhard:
"Ich las diesen Gründungsaufruf und war erstaunt und positiv überrascht. Und zwar vor allem über zwei Sätze: 'Die Kommunisten lehnen es ab, das Sowjetsystem auf Deutschland zu übertragen.' Einen solchen Satz habe ich noch nie vorher gelesen. Und noch mehr: 'Die Kommunisten treten ein' - wörtlich - 'für eine parlamentarisch-demokratische Republik mit allen Rechten und Freiheiten für das Volk...'"
... das am 10. Juni 1945 vom "Befehl Nr. 2" der Sowjetischen Militäradministration überrascht wird. Er erlaubt die Bildung antifaschistischer, demokratischer Parteien und Gewerkschaften in der SBZ. Noch im gleichen Monat gründen sich KPD und SPD neu, außerdem am 26. Juni die Ost-CDU und im Juli die Liberaldemokratische Partei Deutschlands.
Mit der Neugründung der KPD am 11. Juni endet formal die Tätigkeit der "Gruppe Ulbricht". Nun geht es um die Konsolidierung der gewonnenen Macht, auch und besonders gegenüber der SPD, deren Berliner Zentralausschuss auf eine schnellstmögliche Vereinigung beider Arbeiterparteien drängt. Doch was kaum ein Jahr später in der SBZ mit der Gründung der SED Realität werden sollte, wird im Sommer 1945 von Ulbricht noch bitter bekämpft:
"Weil er fest davon überzeugt war, dass in wenigen Wochen und Monaten die Kommunisten die stärkste Partei werden würden. Als stärkste Partei würde er dann eine Einheitspartei machen und die Sozialdemokraten unterbuttern und unter kommunistische Führung stellen. Die Begründung war: 'Wir brauchen erst ideologische Klärung.'"
SPD droht die "Russenpartei" KPD zu überflügeln
Bald aber überflügeln in der SBZ und Berlin die Mitgliederzahlen der Sozialdemokraten die der KPD, welche sich in weiten Bevölkerungsteilen rasch einen schlechten Ruf als sogenannte "Russenpartei" erwirbt. Denn weder setzt die Partei den umfangreichen sowjetischen Demontagen, bei der wichtige Industrieanlagen bis zur letzten Schraube als Reparationen in die UdSSR verfrachtet werden, ernsthaften Widerstand entgegen, noch ist sie bereit, die zahllosen Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Rotarmisten in den ersten Wochen der Besatzung auch nur zu thematisieren - Ulbricht unterbindet selbst die interne Diskussion darüber.
Auch die desaströsen Ergebnisse der österreichischen Kommunisten bei den dortigen Nationalratswahlen im Herbst 1945 sind für die KPD ein Zeichen, dass sie bei freien Wahlen keine Mehrheit zu erwarten hätte. In Moskau wiederum geht die sowjetische Führung immer mehr von einer dauerhaften Teilung Deutschlands mitsamt einer ebenso geteilten Parteienlandschaft aus. Damit gilt es, die inzwischen 800.000 SPD-Mitglieder im sowjetischen Einflussbereich rasch unter politische Kontrolle zu bringen. Und sei es in Form einer tödlichen Umarmung. Wolfgang Leonhard:
"Und da kam die Direktive aus Moskau: so schnell wie möglich Vereinigung der Sozialdemokraten und der Kommunisten zu einer neuen Partei, einer sozialistischen Einheitspartei."
Nun plötzlich betont Ulbricht - wie hier im Oktober 1945 vor KPD-Genossen in Leipzig - in auffälliger Weise die - angeblichen - Gemeinsamkeiten beider Parteien:
"Beide Parteien wollen ein neues Verhältnis zur Sowjetunion, mit dem Lande, in dem die fortgeschrittenste demokratische Ordnung besteht."
SPD stimmt Verschmelzung zu SED zu
Vielleicht hätten die Sozialdemokraten besser hinhören und ihre Schlüsse daraus ziehen sollen, wenn Ulbricht wie hier das Terrorregime Stalins als vorbildliche Demokratie verherrlichte. Doch im Dezember 1945 beschließt die sogenannte 60er-Konferenz, paritätisch aus KPD und SPD-Funktionären zusammengesetzt, die Verschmelzung ihrer Parteien.
Die Mahner aus den Reihen der West-SPD, allen voran Kurt Schumacher, der die Fusion erbittert bekämpft, werden Recht behalten: schon bald nach der Gründung der Sozialistischen Einheitspartei im April 1946 setzt die systematische Zurückdrängung der Sozialdemokraten innerhalb der SED ein. Binnen eines knappen Jahres, das seit seiner Rückkehr nach Deutschland vergangen war, hatte der gewiefte Taktiker Walter Ulbricht die Weichen gestellt - für den Weg in die zweite deutsche Diktatur des 20. Jahrhunderts.
"Es dauerte nicht lange, bis ich erkannte, dass meine Hoffnungen vom Gründungsparteitag der SED eine totale Illusion waren. Und mein damaliges Eintreten für die Vereinigung der beiden Parteien sehe ich heute als einen der entscheidendsten Fehler in meinem Leben an."
Wolfgang Leonhard setzte sich, politisch desillusioniert, 1949 über Jugoslawien in den Westen ab. Auch wegen solcher in Ungnade gefallenen Mitglieder hat die "Gruppe Ulbricht" in der DDR-Historiographie nie eine prominente Rolle gespielt. Bis 1955 wurde sie nicht einmal erwähnt. Der Historiker Bernd Florath von der Robert-Havemann-Gesellschaft:
"Leonhard existierte schlicht und ergreifend in den Darstellungen nicht mehr, selbst wenn man über die Gruppe Ulbricht sprach. Es gibt ja auch andere Kleinigkeiten, also die Gruppe Ackermann wurde zeitweise als die Gruppe Matern bezeichnet - das war der zweite Mann in der Gruppe - weil Ackermann nicht mehr gut gelitten war."
Genau wie ab 1971 auch der Namensgeber der "Gruppe Ulbricht" selbst zur Unperson wurde. Denn nach dem Sturz des greisen SED-Chefs, der mit Hilfe Moskaus zum Rücktritt gezwungen worden war, tat sein einstiger Zögling und politischer Kronprinz Erich Honecker alles, um den Namen Walter Ulbricht schnellst möglich in Vergessenheit geraten zu lassen.
Zurück blieb ein "weißer Fleck" in der daran nicht armen Geschichtsschreibung der DDR.