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Vorhersage durch Rückblick

Klima.- Meteorologische Einzelereignisse wie den russischen Rekordsommer auf den Klimawandel zu beziehen, sei nur schwer bis gar nicht möglich, hieß es bisher oft. Stimmt nicht, sagen Klimaforscher inzwischen. Wissenschaftler haben eine Initiative gegründet, die den Einfluss der Erwärmung auf Extremwetter-Ereignisse bestimmen soll.

Von Volker Mrasek | 01.11.2011
    Aus der Medizin kennt man ACE-Hemmer. Das sind Herz-Medikamente, die ein Nierenhormon unterdrücken. Von ACE ist aber auch in der Klimaforschung immer häufiger die Rede. Hier steht das Kürzel für ein neues Projekt britischer und US-amerikanischer Wissenschaftler. Es nennt sich Attribution of Climate-related Events. Die Initiatoren wollen schon in Kürze so weit sein, um zu sagen, inwieweit die Klimaerwärmung Wetterextreme im Einzelfall verschärft.

    Einer der führenden Köpfe hinter dem ACE-Projekt ist Peter Stott vom Hadley-Zentrum für Klimaforschung beim Met Office, dem britischen Wetterdienst:

    "Was wir vorschlagen, ist ein zusätzlicher Service der Wetterdienste. Zum Beispiel beim Met Office, bei der Nationalen Behörde für Ozean und Atmosphäre in den USA oder in anderen Einrichtungen. Dieser Service sollte so objektiv sein wie die Wettervorhersage, die natürlich Unsicherheiten hat, aber auch einen Nutzen."

    Gestützt auf neueste Computermodelle und Forschungsergebnisse sollen die Wetterdienste zunächst keine Vor-, sondern Nachhersagen produzieren. Und ermitteln, wie wahrscheinlich es war, dass eine Hitzewelle oder sintflutartiger Regen erst durch die Klimaerwärmung so extrem ausgefallen ist. Laut Peter Stott hat die Forschung auf diesem Gebiet zuletzt große Fortschritte gemacht:

    "Wir werden niemals definitiv sagen können: Das war jetzt der Klimawandel, oder Das war er nicht! Wir können aber ziemlich zuverlässig sagen, wie er das Risiko für Wetterextreme verändert. Das haben wir zum Beispiel im Fall des Hitzesommers 2003 in Europa gemacht. Und herausgefunden, dass die Klimaerwärmung die Wahrscheinlichkeit für solch ein Ereignis mehr als verdoppelt hat. Diese Aussage ist sehr robust. Inzwischen haben wir gelernt, dass sie nicht nur für Europa gilt, sondern für die ganzen mittleren Breiten: Das Risiko für ungewöhnlich heiße Sommer nimmt rasch zu."

    Potsdamer Klimaforscher meldeten dieser Tage, auch die Moskauer Hitzewelle im vergangenen Jahr sei höchstwahrscheinlich durch den Klimawandel so stark ausgefallen. Andererseits gibt es Studien, die die Luftverschmutzung und die aufgetretenen Waldbrände in diesem Fall stärker gewichten.

    Knifflig wird die Analyse erst recht, wenn es nicht um Temperatur-, sondern um Niederschlagsextreme geht, wie Peter Stott einräumt:

    "Die Überschwemmungen, die es gerade in Thailand gibt: Bei solchen Ereignissen ist unser Wissen viel unsicherer. Wir sehen zwar, dass sich die Atmosphäre erwärmt und feuchter wird. Dadurch gibt es auf jeden Fall eine stärkere Tendenz zu Starkregen-Ereignissen. Regen fällt aber kleinräumig. Und Veränderungen der atmosphärischen Zirkulation durch den Klimawandel sind nicht leicht zu identifizieren. Da brauchen wir Computermodelle mit höherer Auflösung, die diese Prozesse und den Monsun simulieren können."

    Wie Peter Stott auf der Konferenz in Denver sagte, wird es wohl noch fünf Jahre dauern, bis die Wetterdienste den erhofften Klima- und Extremwetter-Service einrichten können. So viel Zeit sei nötig, um die Computermodelle zu verbessern und noch bestehende Wissenslücken zu schließen.

    Mit einem Pilotprojekt wollen Stott und andere Klimaforscher allerdings schon im nächsten Jahr loslegen:

    "Die Amerikanische Meteorologische Gesellschaft startet eine neue Veröffentlichungsreihe. Künftig wird sie jedes Jahr einen Bericht herausgeben, der auf das vorhergehende Jahr zurückblickt und beobachtete Wetterextreme im Kontext des Klimawandels einordnen wird."

    Im kommenden Juli soll der erste Report erscheinen und extreme Unwetter aus diesem Jahr analysieren. Er wird sicher auch auf Ereignisse eingehen wie die Megaflut in Thailand oder die verheerende Tornado-Serie in den USA im April.

    Man darf gespannt sein, ob sich Peter Stott und seine Co-Autoren dann schon zutrauen, das Ausmaß dieser Wetter-Katastrophen mit der Klimaerwärmung in Verbindung zu bringen.