SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi stellte sich hinter ihren Parteichef Sigmar Gabriel, der sich am Wochenende im Deutschlandfunk deutlich für eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hatte. Die Speicherung von Telefon- und Internet-Verbindungsdaten dürfe aber nur erfolgen, wenn schwerste Straftaten drohten. Außerdem müsse es einen Richtervorbehalt geben.
Fahimi betonte, die geplante Vorlage von Justizminister Heiko Maas (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) müsse die Bedenken der SPD berücksichtigen. Das habe auch Gabriel deutlich gemacht. Sie rechne damit, dass ein Vorschlag vermutlich noch in erster Jahreshälfte vorliegen werde. Sie wiederholte zudem, dass die Polizeiarbeit ausgeweitet werden müsse. Denn die Vorratsdatenspeicherung sei kein Allheilmittel.
Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung trifft in Deutschland auf Vorbehalte. Zuletzt hatte die EU-Kommission erklärt, dass sie keinen neuen Anlauf für eine Richtlinie auf europäischer Ebene anstrebt. Deshalb hält es Fahimi für richtig, dass Deutschland eine eigene Regelung schafft. Der Europäische Gerichtshof hatte die bisherige Richtlinie der EU gekippt, das Bundesverfassungsgericht zudem das einschlägige deutsche Gesetz für unzulässig erklärt.
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Sie ist offenbar wieder da, die Vorratsdatenspeicherung. SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel hat gestern hier bei uns im Deutschlandfunk einen neuen Vorstoß gemacht und sich für diese äußerst umstrittene Form der Speicherung von Telefon-Verbindungsdaten ausgesprochen. Umstritten ist das Thema auch in seiner eigenen Partei. Es wird deshalb heute in den Gremien sicher einiges zu besprechen geben.
Die SPD-Generalsekretärin ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Yasmin Fahimi.
Yasmin Fahimi: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Frau Fahimi, Sigmar Gabriel will die Vorratsdatenspeicherung. Wollen Sie jetzt dann doch auch?
Fahimi: Wir haben zurecht in der SPD eine kritische Haltung zur Vorratsdatenspeicherung, weil die bisherige Regelung ausgesprochen problematisch gewesen ist und viele Fehler hatte. Deswegen gibt es eine große Aufmerksamkeit, wie Sie das ja gerade in Ihrem Bericht auch deutlich gemacht haben, die ich für absolut berechtigt halte. Es gibt aber wie gesagt auch einen Beschluss der SPD aus dem Dezember 2011, wo wir klare Eckpunkte festgelegt haben, unter welchen Voraussetzungen man denn über eine entsprechende Speicherung von Daten auch reden kann.
Armbrüster: Vor einer Woche haben Sie noch in einem Zeitungsinterview gesagt, Sie seien sehr skeptisch und könnten vor "gesetzgeberischen Schnellschüssen" nur warnen. Und dann noch ein Zitat: "Ich vertraue lieber auf gute Polizeiarbeit." Hat sich daran was geändert?
Fahimi: Nein, daran hat sich nichts geändert. Ich finde, dass einerseits bei so einem sensiblen Thema Heiko Maas und der Kollege de Maizière jetzt auch die Zeit haben müssen für eine entsprechend gute Vorlage, und vor allem: Wir müssen uns darüber bewusst sein, wie das ja Sigmar Gabriel gestern schon bei Ihnen gesagt hat, das wird kein Allheilmittel sein. Wir werden, gerade was die Bekämpfung von Terrorangriffen und Ähnliches angeht, auf gute Polizeiarbeit setzen müssen, und das heißt schlicht und ergreifend, um es ganz klar zu sagen, wir brauchen an dieser Stelle einen Ausbau der Polizeiarbeit.
"Der Staat darf nicht einfach so zugreifen"
Armbrüster: Da höre ich jetzt aber einen deutlichen Graben zwischen Ihnen, der Generalsekretärin, und dem, was Gabriel sagt. Gabriel ist offenbar ganz deutlich dafür, bei Ihnen überwiegt noch die Skepsis.
Fahimi: Nein, das ist jetzt Haarspalterei. Die Kritik, die Bedenken, die es berechtigterweise bei mir in der SPD gibt, auch ernst zu nehmen, und die müssen in einer solchen Vorlage berücksichtigt sein. Das sagt auch ganz klar mein Parteivorsitzender Sigmar Gabriel, dass er sich an diesen Beschluss gebunden fühlt und dass er davon ausgeht, dass ein entsprechender Vorschlag diese Aspekte berücksichtigt, zum Beispiel, dass ein nur begrenzter Zugriff des Staates auf diese Daten erfolgen darf, und dass auch nur im Falle von drohenden Schwerststraftaten und nicht, um zum Beispiel Bewegungsprofile herzustellen, dass wir einen besseren Schutz der Daten brauchen, dass es einen Richtervorbehalt geben muss, also der Staat nicht einfach so zugreifen darf. Das sind alles Voraussetzungen, die es bisher bei der Vorratsdatenspeicherung so nicht gegeben hat, und vor allem, die umfänglich bei der bisherigen EU-Richtlinie nicht gegeben waren, und deswegen gibt es hier große Vorbehalte. Aber wir haben einen Beschluss, der sehr viele Aspekte, glaube ich, berücksichtigt und von denen wir erwarten, dass sie in der Vorlage dann auch auftauchen.
"So ein Vorschlag muss solide sein"
Armbrüster: Wie genau soll das denn jetzt funktionieren? Heiko Maas, der sich bisher sehr deutlich von der Vorratsdatenspeicherung distanziert hat, soll jetzt auf einmal mit dem Befürworter dieser Speicherung, Thomas de Maizière, einen Gesetzesvorschlag ausarbeiten. Wie kann man sich das vorstellen? Wie sollen die beiden zusammenkommen?
Fahimi: Das kann man sich so vorstellen, dass beides Profis sind, die sich jetzt überlegen werden, wie eine Gesetzesvorlage aussehen kann, die das beinhaltet, was ich gerade eben beschrieben habe: Kürzere Speicherfristen als bisher, besserer Schutz der Daten, begrenzter Zugriff auf schwere Straftaten, kein Zugriff zu zivilrechtlichen Zwecken, ein klarer Richtervorbehalt, keine Erstellung von Bewegungsprofilen und die Herausnahme von Berufsgeheimnisträgern. Das sind die Voraussetzungen, von denen ich ausgehe, dass sie den Vorschlag beinhalten werden. Das ist unser Parteitagsbeschluss. Und dann werden wir sehen, ob wir auf dem Parteikonvent im Sommer darüber noch mal sehr konkret nach Vorlage des Vorschlages beraten können. Da bin ich aber zuversichtlich.
Mein Hinweis - und dabei bleibe ich selbstverständlich auch - ist, dass so ein Vorschlag solide sein muss und dass wir nicht alleine darauf setzen dürfen, sondern dass wir auch auf gute Polizeiarbeit setzen müssen. Da bin ich völlig konform mit Sigmar Gabriel.
Armbrüster: Ich glaube, wenn man sich jetzt vorstellt, wie diese beiden Herren, Heiko Maas und Thomas de Maizière, sich da zusammensetzen, um an diesem Gesetz zu arbeiten, da können sich wahrscheinlich viele denken, hier geht es nur um eins: Darum nämlich, Zeit zu gewinnen, wir schaffen eine Arbeitsgruppe und dann lassen wir die beiden mal reden, vielleicht für die nächsten ein, zwei Jahre, und dann schauen wir mal weiter.
Fahimi: Nein! Davon gehe ich nicht aus, sondern der Auftrag ist sehr klar, dass wir noch in diesem Jahr auch zu einem entsprechenden Beschluss kommen, natürlich immer unter der Voraussetzung, dass man auch zu einer Einigung findet. Aber ich gehe davon aus, dass ein solcher Vorschlag relativ zügig, vermutlich noch in der ersten Jahreshälfte diesen Jahres vorliegt.
"In Deutschland eine eigene solide Regelung finden"
Armbrüster: Und da können Sie sich auch vorstellen, dass Deutschland in Sachen Vorratsdatenspeicherung einen Alleingang macht, ohne eine entsprechende Richtlinie aus Brüssel?
Fahimi: Nein. Es geht ja nicht um einen gewollten Alleingang Deutschlands, sondern es geht darum, dass wir eine neue Geschäftsgrundlage haben. Es gab bisher eine Richtlinie, die hoch problematisch war in den Absätzen, die ich bereits beschrieben habe, und wir hatten die Erwartung, dass es eine neue Richtlinie geben würde. Unser bisheriger, wenn Sie so wollen, Alleingang in Deutschland, der ist vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden. Das heißt, wir haben eine völlig neue Geschäftsgrundlage und auf dieser Grundlage, dass es keine EU-Richtlinie geben wird, unser bisheriges Gesetz nicht für bundesverfassungskonform erklärt worden ist, heißt, wir müssen jetzt eine Vorlage machen, die in all diesen Aspekten solide ist, und da es aus Europa nichts geben wird, müssen wir uns entscheiden, inwieweit wir in Deutschland eine eigene solide Regelung finden.
Armbrüster: Was sagen Sie denn? Kann Deutschland da sozusagen alleine weitergehen, auch ohne entsprechende Richtlinie?
Fahimi: Ja sicher, wenn es keine EU-Richtlinie gibt. Der Europäische Gerichtshof beziehungsweise die Europäische Kommission hat ja vorgesehen, dass es nationale Regelungen geben darf. Sie haben ja nicht von einem Verbot der Vorratsdatenspeicherung gesprochen. Im Übrigen gibt es das ja in vielen EU-Ländern bereits. Wir haben halt nur sehr hohe Anforderungen daran und deswegen wird das bei uns mit Sicherheit anders aussehen als in vielen anderen europäischen Nachbarländern.
Armbrüster: Dann können wir aber an diesem Montagmorgen zumindest so viel festhalten: Sie als Generalsekretärin sagen, wir können uns auch einen Alleingang in Sachen Vorratsdatenspeicherung vorstellen?
Fahimi: Wir können uns vorstellen, dass es so wie in vielen anderen europäischen Nachbarstaaten auch zu einer Regelung der Vorratsdatenspeicherung kommen wird, mit hohen Auflagen, wie ich sie gerade eben beschrieben habe.
"Meine Partei ist immer kämpferisch genug"
Armbrüster: Frau Fahimi, dann würde ich Sie gerne noch zu einem ganz anderen Thema befragen. Wir haben am Wochenende darüber berichtet: Es gibt Spekulationen darüber, dass die SPD die Bundestagswahlen 2017 schon jetzt verloren gibt. Können wir sagen, da hat jemand in Ihrer Partei einfach eine unangenehme Wahrheit ganz offen ausgesprochen?
Fahimi: Nein. Wir können sagen, dass das kompletter Unfug ist. Meine Partei wird natürlich in jeden Wahlkampf gehen mit der Erwartung, dass wir ein gutes Ergebnis holen. Und wissen Sie, das sind jetzt noch zweieinhalb Jahre. Was bis dahin alles passiert? Wir haben so viel Erfahrung, was die Veränderungen angeht auch des Wählerinnen- und Wählerverhaltens. Eine Prognose ist zum jetzigen Zeitpunkt einfach völlig unangemessen und meine Partei ist immer kämpferisch genug, um in jeden Wahlkampf zu gehen mit der Erwartung zu gewinnen.
Armbrüster: Yasmin Fahimi war das, die SPD-Generalsekretärin, live hier heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Frau Fahimi, für das Gespräch.
Fahimi: Auf Wiederhören! Vielen Dank auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.