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Vorratsdatenspeicherung
"Keine guten Gründe dafür, aber sehr viele dagegen"

Der aktuell diskutierte Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung werde wohl vor dem Bundesverfassungsgericht landen, sagte der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar im Deutschlandfunk. Es gebe viele Gründe gegen das Gesetz, aber keine dafür. Dass die anlasslose Speicherung von Daten nicht bei der Terrorabwehr helfe, habe sich bereits in Frankreich gezeigt.

Peter Schaar im Gespräch mit Gerd Breker |
    Peter Schaar
    Ex-Bundesdatenschutzbeauftragter Peter Schaar (dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm)
    Gerd Breker: Vor dem SPD-Konvent zur intern umstrittenen Vorratsdatenspeicherung erhält die Parteiführung Unterstützung von den sozialdemokratischen Länderinnenministern. Der Antrag der Parteispitze für den kleinen SPD-Parteitag morgen in Berlin sei ein vorzügliches Papier, hieß es. Generalsekretärin Fahimi hatte vor wenigen Tagen gewarnt, die Kritiker aus den eigenen Reihen, sie sollten den Streit um die Vorratsdatenspeicherung nicht auf die Spitze treiben. Nur was ist eigentlich, wenn einer grundsätzlich dagegen ist?
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Peter Schaar. Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte ist heute Chairman der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz. Guten Tag, Herr Schaar.
    Peter Schaar: Guten Tag.
    Breker: Herr Schaar, gibt es aus Ihrer Sicht etwas, was grundsätzlich gegen eine Vorratsdatenspeicherung spricht?
    Schaar: Ja! Der Begriff macht ja deutlich, dass es sich nicht um eine Datenspeicherung handelt, die gezielt stattfindet, sondern Daten sollen auch dann gespeichert werden, wenn sie für den eigentlichen Zweck überhaupt nicht erforderlich sind. Das ist sozusagen ein Grundwiderspruch zum Gedanken des Datenschutzes, der besagt, Daten sollen nur gespeichert werden, wenn dafür ein Anlass und ein guter Grund vorhanden ist. Und wenn man das jetzt mal etwas konkreter macht, dann muss man doch feststellen, dass es heute sehr viel mehr Kommunikationsdaten gibt auch ohne Vorratsdatenspeicherung, als jemals zuvor, und die Ermittlungsbehörden können auf diese Daten zugreifen. Sie können das auch in Zukunft und ich sehe hier überhaupt gar keine Lücke, die dazu führen würde, dass bestimmte Straftaten nicht effektiv verfolgt werden können.
    Im Übrigen haben auch die Befürworter dieser neuen Regelung, dieser neuen Vorratsdatenspeicherung nicht überzeugend irgendwo darlegen können, dass man das Instrument überhaupt braucht. Es hätte ja jetzt genug Zeit gegeben, seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor fünf Jahren, diesen Nachweis zu führen. Darum hat man sich gar nicht bemüht und jetzt wird das Attentat von Paris zum Anlass genommen, da ein neues Gesetz zu machen, obwohl es in Frankreich ja eine Vorratsdatenspeicherung gibt, die den Anschlag nicht hat verhindern können. Also ich würde schon sagen, es gibt keine guten Gründe für die Vorratsdatenspeicherung, aber sehr viele, die dagegen sprechen.
    "Es ist eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung"
    Breker: Und da tröstet Sie auch nicht, dass Justizminister Maas, der ja dieses Gesetz ausgearbeitet hat, einst ein vehementer Gegner jedweder Vorratsdatenspeicherung war. Er musste das Gesetz ausarbeiten, dazu war er beauftragt. Man kann doch davon ausgehen, dass das eine Vorratsdatenspeicherung light ist. Das müsste Ihnen doch entgegenkommen?
    Schaar: Es ist richtig, dass dieses Gesetz in manchen Punkten hinter dem zurückbleibt, was das Bundesverfassungsgericht als absolut verfassungswidrig kassiert hat. Da müsste man sagen: Wer jetzt das alte Gesetz wieder vorlegen würde, wäre ja sicherlich auch nicht besonders weise. Insofern ist das jetzt nicht eine riesige Leistung. Aber es bleibt dabei: Es ist eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung und manches, was da gesagt wird, was da angeblich an Sicherungen drin ist, das erweist sich bei näherem Hinsehen dann doch als ziemlich lückenhaft.
    Denken Sie mal an den Richtervorbehalt. Da wird gesagt, das muss ein Richter entscheiden. Wenn man aber ins Gesetz schaut, in den Gesetzentwurf, der jetzt von der Bundesregierung beschlossen wurde, dann stellt man fest, dass das zwar für die Telefonnummern gilt, aber nicht für die IP-Adressen. Dann wird gesagt, das dürfen nur die Polizeibehörden und die Staatsanwaltschaften bekommen, und wenn man dann reinschaut, dann stellt man fest, aber bei den IP-Adressen sind das auch die Verfassungsschutzbehörden und der Bundesnachrichtendienst.
    Da ist ein Unterschied zwischen dem Nominalwert und dem realen Wert dieses Gesetzes, und da erwarte ich doch, dass da sehr genau hingeschaut wird. Und last but not least ist da noch eine ganz schlimme Vorschrift zum Thema Datenhehlerei, die letztlich sich gegen Whistleblower-Plattformen richtet und vermutlich gegen die echten Datenhehler nicht viel ausrichten kann.
    "Gesetzentwurf unverhältnismäßig"
    Breker: Können wir davon ausgehen, müssen wir davon ausgehen, dass diese Gesetzesvorlage in jedem Fall in Karlsruhe landen wird?
    Schaar: Davon gehe ich natürlich aus. Aber wir wissen selbstverständlich nicht, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird. Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass es inzwischen ja auch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, des höchsten europäischen Gerichts gibt, und der Europäische Gerichtshof ist ja sogar noch weiter gegangen als das Bundesverfassungsgericht. Der hat ja sogar gesagt, eine anlasslose Sammlung von Daten von Personen, die in keinerlei Verbindung mit irgendwelchen terroristischen oder sonstigen schweren Verbrechen stehen, ist unverhältnismäßig. Ich denke, dieses ist auch ein Kriterium, an dem man diesen Gesetzentwurf messen muss, und ein Kriterium, das er so nicht erfüllt.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. Er ist heute Chairman der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz. Herr Schaar, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Schaar: Ich bedanke mich auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.