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Vorratsdatenspeicherung
"Nicht das Ende des Rechtsstaats"

"Wir brauchen eine Vorratsdatenspeicherung seit Jahren und wir haben an dieser Stelle eine deutliche Lücke", erklärte Dieter Wiefelspütz (SPD) im Deutschlandfunk. Nur dann könne es gelingen, als gefährlich eingestufte Personen "dauerhaft im Auge zu behalten". Die Überwachung müsse sich aber auf schwerste Straftaten beschränken und klar geregelt sein.

Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Gerd Breker |
    Porträtfoto eines lächelnden Dieter Wiefelspütz
    Weefelspütz: "Es ist ein Instrument von vielen, das geeignet ist, in einer vernetzten Sicherheitsarchitektur Vernünftiges zu leisten." (imago/Hans-Günther Oed)
    Bettina Klein: Welche Konsequenzen müssen denn nun gezogen werden aus den Anschlägen in Paris und der Gefahr, die offenbar auch anderswo besteht? Darüber hat mein Kollege Gerd Breker gestern Abend mit dem langjährigen SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz gesprochen.
    Gerd Breker: So fürchterliche Anschläge wie die Morde von Paris entfachen geradezu reflexartig eine Diskussion über schärfere Sicherheitsgesetze bei uns. Brauchen wir die?
    Dieter Wiefelspütz: Gegen Reflexe bin ich immer. Man kann auch auf solche schrecklichen Ereignisse nicht aktionistisch reagieren. Aber es macht durchaus Sinn, sich immer wieder aufs Neue zu fragen: Wo stehen wir denn eigentlich mit unserer Sicherheitsarchitektur? Sind wir hinreichend geschützt? Ist alles Menschenmögliche getan? Und da macht es durchaus Sinn, mit Verstand zu schauen, gibt es Lücken und muss die eine oder andere Lücke geschlossen werden.
    Vorratsdatenspeicherung: "Wir haben an dieser Stelle eine deutliche Lücke"
    Breker: In den Fokus ist wieder einmal die anlasslose Vorratsdatenspeicherung gelangt. Ist das aus Ihrer Sicht gerechtfertigt? Brauchen wir eine Vorratsdatenspeicherung?
    Wiefelspütz: Wir brauchen eine Vorratsdatenspeicherung seit Jahren und wir haben an dieser Stelle eine deutliche Lücke. Ich betone allerdings, Befürworter von Vorratsdatenspeicherung, aber auch ihre Gegner übertreiben. Vorratsdatenspeicherung ist nicht das Ende des Rechtsstaats, wie manche behaupten, und nicht das Ende des Grundrechtsschutzes und des Schutzes unserer Freiheit.
    Es ist aber auch andererseits kein Schlüsselrezept, um schwerste Straftaten zu bekämpfen. Es ist ein Instrument von vielen, das geeignet ist, in einer vernetzten Sicherheitsarchitektur Vernünftiges zu leisten. Und wenn man das so realistisch sieht, dann ist Vorratsdatenspeicherung so sinnvoll wie andere Ermittlungsmethoden auch, die unverzichtbar sind. Ich sage Ihnen mal so einige Essentials. Wir brauchen eine europaweit abgestimmte Vorgehensweise, das heißt eine neue Richtlinie auf diesem Sektor.
    Wir brauchen eine Beschränkung auf schwere und schwerste Straftaten. Wir brauchen den Richtervorbehalt und wir brauchen einen besonderen Schutz der auf Vorrat gespeicherten Verbindungsdaten. Und wenn man das so konfiguriert, bekommt man eine zweifelsfrei rechtsstaatliche, sauber rechtsstaatliche Vorratsdatenspeicherung hin.
    "Wir schränken die Freiheit ein unter rechtsstaatlichen Voraussetzungen"
    Breker: Nun hört man ja immer wieder, Herr Wiefelspütz, dass die Vorratsdatenspeicherung keine Anschläge verhindere, sondern lediglich bei der Aufklärung von Verbrechen nützlich wäre. Rechtfertigt das die Einschränkung der Freiheit?
    Wiefelspütz: Es geht immer um Fragen von Verhältnismäßigkeit und wir schränken die Freiheit ein unter rechtsstaatlichen Voraussetzungen, beispielsweise bei dem Abhören von Telefonen, und bei der Vorratsdatenspeicherung geht es gar nicht mal um das Abhören von gesprochenen Worten, wie wir jetzt beispielsweise miteinander sprechen, sondern da geht es um Verbindungsdaten. Das ist eigentlich eher der geringere Eingriff letzten Endes.
    Ich will das aber nicht verharmlosen. Vorratsdatenspeicherung ist ein Grundrechtseingriff. Der ist nur vertretbar, wenn die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, und ich denke, das sollten wir in Deutschland abgestimmt mit unseren europäischen Nachbarn vereinbaren über eine neue Richtlinie, die aus Brüssel her muss, und dann kann man das durchaus sinnvoll machen, wie ich finde.
    "Die Probleme Frankreichs sind auch unsere Probleme"
    Breker: Warum brauchen wir eine neue Richtlinie der Europäischen Union? Alle SPD-Innenminister in den Bundesländern sind für eine Vorratsdatenspeicherung. Wenn es doch sinnvoll ist, wieso auf Brüssel warten?
    Wiefelspütz: Es geht nicht um Warten. Es geht hier um schwerste Kriminalität auf diesem Sektor, nicht nur um Terrorismus, auch um Organisierte Kriminalität beispielsweise, also keineswegs geringere Straftaten, und da macht es doch durchaus Sinn, dass wir das in Europa abgestimmt machen.
    Die Probleme Frankreichs sind auch unsere Probleme und unsere Probleme sind die Probleme Italiens oder Großbritanniens bei der schwersten Verbrechensbekämpfung. Da sollten wir keine Alleingänge machen.
    Es geht nicht darum, auf Zeit zu spielen, sondern eine gute, effektive europäische Lösung zu haben, die rechtsstaatliche sauber ist, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht und die ebenso den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs entspricht.
    Gefährder "dauerhaft im Auge behalten"
    Breker: Die Sicherheitslage, Herr Wiefelspütz, ist derzeit besonders gefährdet durch Islamisten, die in die Kampfgebiete Syriens oder des Irak reisen und gegebenenfalls zurückkehren. Das zeigt auch das Beispiel in Belgien. Da hätte man doch Anlass, um Daten zu sammeln, auch auf Vorrat.
    Wiefelspütz: Nicht nur in diesen Bereichen. Die Vorratsdatenspeicherung - da geht es ja um Telekommunikation -, die macht Sinn. Im Übrigen muss man bei diesen sehr gefährlichen Ausreisevorgängen natürlich auch andere Aspekte im Auge behalten.
    Man muss diese Menschen, die nach unserer deutschen Begrifflichkeit als gefährdet [sic! Anm. d. Red.: gemeint ist gefährlich] eingeschätzt werden, denen muss man im Grunde dauernd auf den Füßen stehen. Man muss sie dauernd im Auge behalten, so gut das geht, und nicht nur etwa ihre Telekommunikation im Auge behalten.
    Klein: ... , sagt der langjährige SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit meinem Kollegen Gerd Breker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.