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Vorschläge der Kohlekommission
"Das Klima ist noch nicht gerettet"

Die Einigung der Kohlekommission auf einen Weg zum Ausstieg aus der Kohle sei erst ein Anfang, sagte der Umweltökonom Patrick Graichen im Dlf. Denn auch im Verkehr und im Industriesenktor gelte es, Emissionen zu senken - diese Baustellen müsse die Regierung nun angehen.

Patrick Graichen im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Hochspannungsleitungen auf der Halde Scholven, direkt neben dem Eon Steinkohle Kraftwerk Scholven.
    Plan für die nächsten fünf Jahre: Reduktion der Kohlekraftwerke in Deutschland um etwa ein Drittel (picture alliance / Jochen Tack)
    Jasper Barenberg: Wenn es nach den Politikern, den Unternehmern, Gewerkschaftern und Umweltschützern der sogenannten Kohlekommission geht, soll das letzte Kohlekraftwerk in Deutschland spätestens 2038 vom Netz gehen. Der Vorschlag der Experten sieht außerdem Milliardenhilfen für die betroffenen Regionen vor. Die Bundesregierung will den Ausstiegsplan jetzt prüfen und dann im Bundestag in ein Gesetz gießen. Aus Berlin berichtet für uns Frank Capellan.
    Am Telefon ist Patrick Graichen von der Organisation Agora Energiewende, die sich für realistische und politisch machbare Konzepte zum Gelingen der Energiewende einsetzt. Schönen guten Tag, Herr Graichen!
    Patrick Graichen: Guten Tag!
    Barenberg: Nach dem Kompromiss haben Sie ja von einer "Sternstunde für unser politisches System" gesprochen. Wie kommen Sie zu diesem dicken Lob?
    Graichen: Mir geht es jetzt vor allen Dingen darum, dass eine Kommission, die sehr breit zusammengesetzt war, von Umweltschützern bis hin zum BDI, sich ein halbes Jahr lang sehr konzentriert hingesetzt hat, gerungen hat und dann zu einem Ergebnis gekommen ist, das jetzt der zuständige Minister annimmt und sagt, das werden wir jetzt umsetzen. Gerade wenn man anguckt, was gerade in Großbritannien los ist, was in den USA los ist, auch, wie polarisiert die Diskussion in Frankreich stattfindet, dann muss man schon sagen, das ist eine Sternstunde für das deutsche politische System, dass sie solche Konflikte lösen kann.
    "Der Kohleteil hat den ersten Schritt getan"
    Barenberg: Und heißt das jetzt auch, das Klima ist gerettet, die sichere Versorgung mit Strom garantiert und bezahlbare Energie für alle verfügbar?
    Graichen: Das Klima ist noch nicht gerettet. Das ist jetzt nur ein Anfang. Und der Kohleteil hat jetzt sozusagen den ersten Schritt getan. Wir wissen aber auch, dass ja parallel eine Verkehrskommission tagt, die gerade der Verkehrsminister einmal kurz vor die Tür gesetzt hat und eine Sitzung abgesetzt hat. Und wir wissen, dass eine Gebäudekommission erst noch in der Mache ist. Und von der Senkung der Emissionen im Industriesektor spricht noch gar keiner. Also insofern, dass da noch viele Baustellen sind, die diese Bundesregierung angehen muss, das steht völlig außer Frage.
    Barenberg: Jetzt haben ja alle immer gesagt oder angenommen jedenfalls, die Kohle ist im Moment mit Blick auf Klimapolitik unser größtes Problem. Wie viel Fortschritt erzielen wir mit dem Enddatum, das jetzt gesetzt ist, spätestens 2038 das letzte Kohlekraftwerk vom Netz?
    Graichen: Ich glaube auch, dass das früher gehen kann. Ich gehe auch fast davon aus, dass es früher geschehen wird. Das wird man sich dann Anfang der 2030er- oder sogar Ende der 2020er-Jahre noch mal anschauen. Bis dahin werden dann auch die CO2-Preise sicherlich noch mal steigen, sodass es im Zweifel einen eher ökonomisch getriebenen, früheren Ausstieg aus der Kohle geben wird. Was jetzt erst mal wichtig ist, ist, was passiert in den nächsten fünf Jahren. Und, das haben Sie ja in dem Beitrag erwähnt, das ist dann erst mal die Reduktion der Kohlekraftwerke in Deutschland um etwa ein Drittel. Und das macht unseren Strom dann deutlich sauberer.
    Kohle zu Gas, erneuerbare Energien: "Da ist viel Arbeit"
    Barenberg: Und da muss die Bundesregierung jetzt auch Tempo machen, damit dieses Ziel auch tatsächlich in dem Zeitraum umgesetzt wird.
    Graichen: Ja, das entsprechende Gesetz, das jetzt notwendig ist, zum einen Kohleausstiegsgesetz, zum anderen die Novelle des Kraftwärmekoppelungsgesetzes, um den Switch von Kohle zu Gas bei der KWK (Anm. d. Red.: Kraft-Wärme-Kopplung) zu machen. Und zum Dritten eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, damit natürlich auch mehr erneuerbare kommen. All das ist jetzt auf der Agenda des Wirtschaftsministeriums, dass das bis Ende des Jahres beschlossen ist. Da ist jetzt viel Arbeit.
    Barenberg: Nun hören wir ja gleichzeitig, dass Milliarden an Steuergeldern zugesagt sind für die betroffenen Regionen, dass noch nicht ganz klar ist, wie sich all das auf die Strompreise auswirkt. Möglicherweise werden sie steigen aufgrund von Erleichterungen für die Konzerne. Und viele fragen sich, warum muss der Staat das eigentlich regeln – und diese Kritik gibt es ja –, warum schafft der Markt das eigentlich nicht allein?
    Strukturhilfen für die Regionen "richtig"
    Graichen: Der Markt würde es allein schaffen, wenn wir einen sehr harten EU-Emissionshandel hätten. Wenn wir den Emissionshandel beim Thema CO2, den es ja gibt, anschärfen würden, dann würden die Kraftwerke von allein herausgehen. Man würde dann – prophezeie ich – aber trotzdem das Thema Strukturwandel haben, so wie beim Ende der Steinkohle ja auch die Betroffenen nicht im Regen stehen gelassen wurden, hätten wir auch dann eine Diskussion über Strukturhilfen für die Lausitz oder das rheinische Revier. Insofern ist es meines Erachtens nicht ganz ehrlich, zu sagen, diese 40 Milliarden liegen allein jetzt an dem ordnungsrechtlichen Kohleausstieg, sondern das sind halt zu großen Teilen Strukturhilfen für eine Region, die jetzt noch stark von der Kohle abhängig ist und die das bald nicht mehr sein wird.
    Barenberg: Also 40 Milliarden Euro, aus Ihrer Sicht gut investiertes Geld?
    Graichen: Sehen Sie, die ganzen auch populistischen Parteien, die da jetzt kommen und dem politischen System insgesamt vorwerfen, dass es jetzt den ländlichen Raum vernachlässigen würde – ich interpretiere das alles als eine Antwort auf genau dieses Thema. Nämlich zu sagen, nein, auch in Zeiten der Globalisierung, auch in Zeiten von globalen Entwicklungen wie bei der Klimapolitik, wir lassen euch nicht allein. Und da ist vielleicht auch eine Reaktion jetzt auf die Gelbwesten in Frankreich, dass man hier jetzt da, bei der Lausitz und beim rheinischen Revier großzügig war. Aber ich finde das richtig.
    Barenberg: Sie hatten angesprochen, dass die Klimaziele jedenfalls mit diesem Ausstieg aus der Kohle für sich genommen noch nicht erreicht werden können. Sie hatten zwei Bereiche genannt, wo noch viel zu tun ist, Verkehr und Gebäude. Sind das die beiden großen Brocken, die die Regierung jetzt dringend in Angriff nehmen muss?
    Graichen: Es gibt ja das Minus-40-Prozent-Klimaschutzziel der Bundesregierung. Das sollte eigentlich bis 2020 erreicht werden, dass die Emissionen so weit gesenkt werden. Und so, wie es im Moment aussieht, würde das erst 2025 erreicht. Und die Frage, ob man doch noch näher an 2020 herankommt, die entscheidet sich im Verkehrssektor, denn da sind die Emissionen ja zuletzt gestiegen und nicht gesunken. Sie entscheidet sich aber auch bei Industrie und Gebäuden. Das sind die drei zentralen Bereiche. Und da kann man bisher jetzt noch keine Diskussion in einer Ernsthaftigkeit erkennen, die dem Problem angemessen ist.
    Barenberg: Sagt Patrick Graichen von der Organisation Agora Energiewende hier live im Deutschlandfunk. Danke für die Zeit und das Gespräch!
    Graichen: Vielen Dank auch von meiner Seite!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.