Mit parodistisch-bösem Gift und bitterer Galle beschwor er die Geister eines in Zivilisationsschutt und Seelenasche liegenden Amerika der nahen Zukunft. Zugleich ließ er keinen Zweifel daran, dass es darum ging, unter den Trümmern der Gegenwart noch halbwegs lebendig hervorzukriechen. "Infinite Jest" war, wenn kein optimistischer, so doch ein leidenschaftlich positiver, vitaler Roman – gerade in seiner Destruktivität.
In welcher Verfassung der "Unendliche Spaß", der in Ulrich Blumenbachs Übersetzung auf fast 1600 Seiten angewachsen ist, heute seine deutschen Leser erreicht, die bereits mit einem Bein in der von ihm beschriebenen Zukunft stehen, ist noch nicht ausgemacht. Wie er für den ausging, der ihn angezettelt hat, steht allerdings unwiderruflich fest. Am 12. September 2008, mit 46 Jahren, erhängte sich David Foster Wallace im kalifornischen Claremont. Von Jugend an hatte er, wie erst nach seinem Tod bekannt wurde, im Schatten einer Depression gelebt, die klinische Züge annahm, sich mal mehr, mal weniger beherrschen ließ, am Ende aber jeder Therapie widersetzte. Der Selbstmord war für ihn eine Befreiung.
Die Versuchung, ihn als Märtyrer heiligzusprechen, muss man erst einmal abwehren. Foster Wallace, der sich schon zu Lebzeiten mit Erzählungsbänden einen Ruf als Spezialist für deformierte, wahnhafte Existenzen erwarb, hat eine solche Art von verklärender Aufmerksamkeit aber gar nicht verdient. Sein sprachschöpferisches Werk, das nicht zuletzt von virtuoser Sprachverhunzung lebt, kann sich nämlich auch ohne sie behaupten. Trotzdem lässt sich nicht leugnen, dass der Tod von Foster Wallace den Blick auf sein Opus Magnum, das in Deutschland nun als Vermächtnis erscheint, noch einmal verändert: "Unendlicher Spaß" handelt von nichts anderem als Selbsterschaffung und Selbstzerstörung. Wie sollte man nicht erschaudern, wenn etwa die Radiomoderatorin Madame Psychosis sich mit einer Überdosis Crack beseitigen will.
Zu den bösartigen Mythen zählt die Ansicht, die Menschen würden stets euphorisch, großzügig und extrovertiert, unmittelbar bevor sie sich auf Dauer die Karte umdekorieren. In Wahrheit sind die Stunden vor einem Suizid im Großen und Ganzen eine Zeitspanne enormer Selbstbezogenheit. (...) Nie so im Einklang mit sich wie bei der Selbstannullierung wird sie sich in Molly Notkins Schlaf- oder Badezimmer einschließen und dermaßen eine vom Blech rauchen, dass sie hinfällt, das Atmen einstellt, blau anläuft, sich krampfhaft ans Herz fasst und stirbt. (...) Ihr Saftglas steht halb leer auf dem Spülkasten. Auf dem Spülkasten schimmert eine Kondenswasserschicht unbekannten Ursprungs. Das sind Tatsachen. Dieser Raum in dieser Wohnung ist die Summe vieler spezifischer Tatsachen und Vorstellungen. ( ... ) Die zielstrebige Vorbereitung ihrer Herzexplosion hat den Status einer solchen Tatsache angenommen. Es war eine Vorstellung, wird jetzt aber gleich zur Tatsache werden. Je näher die Konkretisierung rückt, desto abstrakter wirkt sie. Die Dinge werden sehr abstrakt. Der konkrete Raum war die Summe abstrakter Tatsachen. Sind Tatsachen abstrakt, oder sind sie nur abstrakte Repräsentationen konkreter Dinge?
Das Ganze geht dann gerade noch einmal gut – oder eben schief. Die Perspektive macht keinen Unterschied. Ja, es gehört zum schillernden Charakter dieses Erzählens, dass es den Leser zwischen banger Anteilnahme und kopfschüttelndem Spott nicht wählen lässt. Man zieht jedenfalls keinerlei biografische Kurzschlüsse, wenn man die Tatsache, dass "Unendlicher Spaß" zu wesentlichen Teilen von Tennis und Drogentherapie handelt, mit der Tatsache verknüpft, dass Foster Wallace selbst ein begabter Tennisspieler, langjähriger Freund von Cannabis und Alkohol sowie schließlich ein erfolgreicher Selbstmörder war. Denn das eine ist der Stoff, das andere seine literarische Verwandlung. Und Foster Wallace treibt alles auf eine absurde Spitze, die den existenziellen Ernst durch hemmungslose Verzerrung noch einmal fühlbar machen will, statt an einem Pathos zu scheitern, von dem niemand mehr etwas wissen will. Vom Kitsch weichgespült, ist es nicht weniger verbraucht als eine fröhlich süffisante, von Werbung und Fernsehen zur zweiten Natur erhobenen Ironie, die den Blick auf die unbarmherzige erste Natur gar nicht mehr zulässt.
In seinen grausamsten Momenten übt sich David Foster Wallace in literarischem Splatter ohne Lacherlaubnis. Die Details haben, wenn er beispielsweise eine verhutzelte Totgeburt beschreibt, ultrarealistisches Format, das sofort ins Surreale umschlägt. Er erzählt, wie der vom Kokain zerfressene Randy Lenz seine Allmachtsfantasien auslebt, in dem er Hunden die Kehle aufschlitzt und Katzen lebend in reißfeste Mülltüten packt, um sie dann wild zappelnd an Verkehrsschildern oder Telegrafenmasten zu erschlagen. Er zeigt aber auch, dass Menschen wie Lenz nur etwas ausleben, das ihnen selbst auf die eine oder andere Weise widerfahren ist. Matty Pemulis etwa ist jahrelang von seinem Vater missbraucht worden.
Ein großer Mann, der nach Tabak und noch etwas roch, sein Atem war immer zu hören, wenn er betrunken war. Setzte sich auf den Bettrand. Rüttelte Matty so lange 'wach', bis der so tun musste, als wache er auf. Fragte, ob er geschlafen hätte, geschlafen, ja, hätte er. Zärtlichkeiten, Liebkosungen, die irgendwie zu weit gingen, weiter als die Zuneigungen eines wahren, irischen Vaters, die emotionale Freigebigkeit eines Menschen ohne Green Card, der sich Tag für Tag krumm und lahm schuftete, damit seine Familie zu essen hatte. Liebkosungen, die auf diffuse Weise zu weit gingen, das und die emotionale Freigebigkeit von etwas anderem, betrunken, wenn alle Stimmungsregeln außer Kraft gesetzt waren und man nie wusste, ob man im nächsten Augenblick geküsst oder geschlagen würde – unmöglich zu sagen oder gar zu wissen, warum das zu weit ging. Aber sie gingen zu weit, die Liebkosungen, Zärtlichkeiten, Liebkosungen, leiser, weicher, süßlicher, heißer Mundgeruch, leise Entschuldigungen für irgendwelche Wutausbrüche oder Bestrafungen des Tages. Dieses Streicheln von kissenwarmer Wange und Kiefer mit der hohlen Hand, der riesige kleine Finger in der Höhlung zwischen Kehle und Kiefer. (...) Matty schreckte noch zurück, als er längst wusste, dass die zurückschreckende Angst Teil dessen war, das Da anmachte, was Da wütend machte: vor wem haben wir denn da Angst?
Foster Wallace versucht sich bei alledem nicht so sehr an der Kunst der Einfühlung als an der Inszenierung von Situationen. Man braucht sich gar nicht erst einbilden, dass man seinen Figuren in einem identifikatorischen Sinn nahe kommt, auch wenn man mit manchen von ihnen mehrere Hundert Seiten verbringt. Er macht mit jeder Zeile klar, dass Literatur ein bewusst arrangiertes Spiel ist, das allerdings einen Einsatz außerhalb seiner selbst erfordert. Im bescheidensten Fall dient es der therapeutischen Selbsterkenntnis des Autors, im besseren, den dieser "Unendliche Spaß" für sich beanspruchen darf, bekommt der Leser damit auch ein Erkenntnisinstrument an die Hand.
Das macht die Sache, die Foster Wallace hier verfolgt, noch lange nicht zugänglicher. Kulinarische Lesbarkeit wäre ohnehin das Letzte, was man von diesem wider jede stilistische und dramaturgische Ökonomie geschriebenen Roman erwarten dürfte. Er entwirft in seinen sprachlichen Katarakten, Kaskaden und Strudeln vielmehr eine Art Gegensystem zu der überdrehten Megamaschine, die er hier, kurz bevor sie sich selbst verschlingt, am kapitalistischen Werk sieht. Sie will Erfolg und Leistung züchten – und stellt nichts als Verfall, Betäubung und Debilität her. Sogar die Zeitrechnung ist gekauft. Die Menschen leben im "Jahr des Whoppers", dem "Jahr des Tucks-Hämorrhoidensalbentuchs", dem "Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche" und dem "Jahr des Glad-Müllsacks". "Unendlicher Spaß" zeigt Amerika als gigantische Freak Show – und seine Bewohner als ein Volk von Freigängern, das komplett eingeliefert werden müsste. Ein Teil von denen, die man kennenlernt, lebt gewissermaßen schon in der Anstalt – wobei deren bürgerlich gezähmte und deren pathologisch entgrenzte Variante erstaunliche Ähnlichkeiten aufweisen.
Aber der Reihe nach, soweit dies bei einem Roman möglich ist, dessen chronologisches Ende am Anfang steht. Es beginnt mit einer Art Verhör des 18-jährigen Hal Incandenza durch die Leitung der Enfield Tennis Academy. Hal, der zu den größten Hoffnungen dieser von seiner eigenen Familie betriebenen Institution mit angeschlossenem Internat zählt, soll sich für seine nachlassenden Leistungen verantworten. Von da aus entwirft das Buch die Genese des gesamten Incandenza-Clans und seiner neurotischen Fährnisse – und dies nicht in braver Linearität, sondern querfeldein. Ein zweiter Erzählstrang widmet sich Don Gately, der nach einer kriminellen Drogenkarriere der gute Geist von Ennet House ist, einer Therapieeinrichtung für Säufer und Süchtige unweit der Enfield Tennis Academy – beide angesiedelt in einem imaginären Stadtteil von Boston. So wie das Internat der Academy ein literarisch ergiebiger Hort schräger Vögel mitten in der Pubertät ist, beherbergt Ennet House eine Schicksalsgemeinschaft von Gestörten. Auch in ihrem heimlichen Drogenkonsum sind die Bewohner einander verwandt.
Tennis wird dabei von Foster Wallace als eine Art Zen behandelt: als ein Sport, dessen konkretes Regelwerk sich auflöst, je tiefer man in seine Beschreibung eindringt.
Die unendlichen Wurzeln der Schönheit des Tennis sind autokompetitiver Natur. Man bekämpft die eigenen Grenzen, um das Ich in Vorstellung und Ausführung zu transzendieren. Im Spiel verschwinden: Grenzen durchbrechen: transzendieren: weiterkommen: siegen. Deshalb ist Tennis im Prinzip ein tragisches Unterfangen, weiterzukommen und als seriöser ehrgeiziger Juniorspieler zu wachsen. Man will das begrenzte Ich, dessen Grenzen das Spiel überhaupt erst ermöglicht haben, bezwingen und transzendieren. Es ist tragisch, traurig, chaotisch und herrlich. So ist das ganze Leben für Bürger der Condition humaine: Die treibenden Grenzen liegen im Inneren und müssen wieder und wieder getötet und betrauert werden.
Ein dritter Strang beschäftigt sich schließlich mit einer Gruppe von Québecer Separatisten, die sich gegen die imperialistische Herrschaft der Organisation nordamerikanischer Nationen, kurz: O.N.A.N., auflehnen. Bei ihrem Kampf gegen die Kanada und Mexiko einschließende Großmacht suchen sie nach der ultimativen Waffe: einem von Hals Vater James Orin Incandenza gedrehten Film namens "Infinite Jest" – jenem "Unendlichen Spaß", der dem Roman seinen Titel gegeben hat. Der Film, dessen Regisseur sich mit 54 Jahren umbrachte, indem er seinen Kopf in eine Mikrowelle steckte, soll so unterhaltsam sein, dass seine Zuschauer sich gar nicht mehr losreißen können, apathisch werden – und sterben. Bis man dem aber auf die Spur gekommen ist, folgt man in der Wüste von Tucson, Arizona, vielen grotesken Unterhaltungen zwischen Hugh Steeply, einem Rock, Perücke und prothetischen Busen tragenden "feminisierten Amerikaner" mit Zweitnamen Helen, und Remy Marathe, einem Mehrfachagenten, dessen Beinamputation ihn für das terroristische Sondereinsatzkommando der A.F.R. qualifiziert: der "Assassins en fauteuils roulants", der Attentäter in fahrenden Rollstühlen.
Schon die Skizze zeigt, dass David Foster Wallace so ziemlich das Groteskeste war, was der amerikanischen Literatur in den letzten Jahren widerfahren konnte. Und dann hat man noch keinen Schimmer vom Reichtum der Unter- und Nebenplots, von der Vielfalt der medizinischen, mathematischen, popkulturellen und filmästhetischen Diskussionen – oder den Wechselbädern von brutaler Farce und poetischer Raffinesse, Slapstick und Sprachberserkertum, komischer Beobachtungsgabe und Umschlag in psychotische Bewusstseinsströme. Foster Wallaces Fantasie galoppiert ständig in zehn Richtungen gleichzeitig davon, und was er im Haupttext nicht untergebracht hat, das findet sich in den 200-seitigen Anmerkungen – wenn mit diesem Markenzeichen seines Erzählens eine klare Hierarchie verbunden wäre. Ein in jedem Sinn tolles Buch ist das, maßlos, durch seine schiere Dimension Ehrfurcht gebietend. Nur: Was ist dieser Aufwand wert?
Unter literaturgeschichtlichen Aspekten könnte man behaupten, dass Foster Wallace mit dem "Unendlichen Spaß" nicht nur François Rabelais überbietet, der Anfang des 16. Jahrhunderts mit seinem Zyklus über die Riesen Gargantua und Pantagruel Wortmassen aufhäufte, deren Gelehrsamkeit und böser Spott bis heute als Modell eines intelligent aus dem Ruder laufenden Erzählens gelten. Womöglich war ihm aber auch danach, einige seiner Zeitgenossen auf die Plätze zu verweisen. Denn natürlich steht "Infinite Jest" in der amerikanischen Literatur der letzten 50 Jahre nicht einzigartig da. Mit der "Fälschung der Welt" schrieb William Gaddis 1955 ein vergleichbares Monstrum, und Thomas Pynchon schuf 1973 mit den "Enden der Parabel" ein Epos, das ähnlich heterogene Welten durchpflügt – Drogennebel und sexuelle Perversion eingeschlossen. Foster Wallace steht am Ende einer – so sehr er den Begriff verabscheute – postmodernen Bewegung, der er den abstrakten Kunstwillen austreiben wollte, wie er ihn in Schriftstellern wie John Barth oder Robert Coover verkörpert sah. "Seit den 60er-Jahren", erklärte er einmal, "hat die wahre Schlacht um die Literatur zwischen Autoren und Theoretikern stattgefunden, die Literatur als einen wesentlich selbstbezüglichen Mechanismus betrachten. Die andere Seite sagt, dass Literatur nicht auf sich selbst verweist - sie bezieht sich auf eine Wirklichkeit. Ich versuche, eine Literatur zu schreiben, die auf beide Arten funktioniert."
Mit "Unendlicher Spaß" ist ihm dies zweifellos gelungen. Allerdings um den Preis, dass diese Wirklichkeit, wo sie nicht das rohe, ungeschützte Menschsein betrifft, von zeitgebundenen Verweisen und Anspielungen auf Filme und Fernsehserien durchzogen ist, die schon in 20 Jahren noch einmal einen eigenen Anmerkungsapparat erfordern dürften. Auch als Science-Fiction-Roman ist er in seiner Netz- und Vernetzungsmetaphorik schon wieder halb aus der Zeit gefallen. Die grundsätzliche Zumutung an den Leser, die dieses Buch darstellt, wird davon nicht berührt. Es ist eine Wissenschaft für sich, den Brocken auf seine Bestandteile hin zu untersuchen, und es spricht für das Nerdhafte des Unternehmens, dass sich ein ganzes Heer von Exegeten seiner angenommen hat. Seitenlang Textblöcke ohne einen einzigen Absatz. Endlose Beschreibungen von Tennismatches. Eine spätstudentisch irrlichternde, intellektuelle Albernheit, die immer noch dem akademischen Verderben zu entkommen sucht. Eine Fixierung aufs Anale. Und alles in allem: eine monumentale Formlosigkeit.
Nicht nur sie lässt sich aus dem Stoff heraus rechtfertigen. Aber auf jede genialische Passage kommt eine, in der Foster Wallace seine Texterzeugungsmaschine klappernd anwirft. Er erzeugt Fülle durch pure Rhetorik, wiederholt, Absatz um Absatz aufeinanderschichtend, Wörter und Satzteile, ergeht sich in blinder Aufzählungswut – und lässt zugleich die Grammatik der Wahrnehmung brav intakt. Allein wie er sich numerisch durch die Courts der Enfield Tennis Academy dekliniert, erweckt höchstens im ersten Augenblick den Eindruck von etwas erzählerisch Ungebändigtem. Das Unmäßige von Foster Wallace zeigt sich vor allem im Übermaß. Und da hilft es nichts, dass Hal Incandenza - nicht anders als sein Schöpfer – ein Verehrer des Oxford English Dictionary ist und sich an Entdeckungen , Verfremdwortisierungen und Verfachsprachlichungen so gut berauschen kann wie an gutem Dope. Für den Leser bleibt manchmal nur Zeichen- und Silbenmüll.
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Die öden, satirisch nur mühsam erlösten Weiten solcher Passagen stehen neben klar konturierten Glanzstücken, wie sich sie auch in den separat veröffentlichten Stories "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" oder "Vergessenheit" finden. "Unendlicher Spaß" fügt sie alle aneinander, Flicken für Flicken, erprobt die Technik des um seine Fragen bereinigten Interviews, wie er es in den "Kurzen Interviews mit fiesen Männern" perfektionierte, und legt insgesamt Zeugnis davon ab, dass Foster Wallaces Talent von Anfang an im Kurzstreckenbereich lag. In überschaubarer Länge, mit je eigener Tonlage und eigenem Tempo entwirft er dann Texte wie die Ansprache von James Incandenzas Vater an seinen 10-Jährigen, dem Tennis geweihten Sohn, der auch das Öffnen von Garagentüren im richtigen Sportsgeist erlernen soll.
Jim, doch nicht so, Jim. So behandelt man doch keine Garagentür, dass man sich steif in der Hüfte vorbeugt und am Griff reißt, sodass die Tür sprunghaft plötzlich aufspringt und dir gegen das Schienbein und mir gegen die kaputten Knie knallt, mein Sohn. Zeig mal, wie du dabei in die gesunden Knie gehst. Zeig mal, wie du eine leichte Hand weich um den Griff legst, seine feine Körnung spürst und gerade so sanft an ihm ziehst, dass er dir entgegenkommt. Experimentiere, Jim. Probiere aus, wie viel Kraft du gerade aufbringen musst, um ihn mühelos in Bewegung zu setzen, lass ihn auf ihren verborgenen gut geölten Rollen und Zügen unterhalb des Gefüges spinnenbewebter Deckenbalken hoch- und aufrollen.
Als Faustregel für die rasch wechselnden Grade von Dichte und unkonzentriertem Rauschen könnte man sagen: Foster Wallace ist immer dann gut, wenn er innere Zustände schildert. Das Sichverzehren nach der nächsten Dröhnung, den cold turkey des Entzugs – oder eine schizophrene Erfahrung, die er als Heimsuchung durch einen Geist erzählt. Da kann einem dieser Roman schmerzhaft in die Glieder fahren, wohingegen er um so weniger berührt, je fantastischer er sich die amerikanische Zukunft ausmalt. Hinreißend ist allerdings wieder Foster Wallaces satirisches Talent, wenn er Sitzungen der Anonymen Alkoholiker besucht – und sich dabei einmal auch in eine Männergruppe verirrt. Wenn dann neben seinem Sinn für das Hässliche auch noch die Gelegenheit dazukommt, sich sprachlich auszutoben, ist er in seinem Element. Madame Psychosis zum Beispiel liest in ihrer mitternächtlichen Radioshow gerne aus den PR-Rundschreiben von L.A.R.V.E., der Liga der Absolut Rüde Verunstalteten und Entstellten, einer "agnostischen 12-Schritte-Selbsthilfegruppe für die, wie es heißt, 'ästhetisch Geforderten'".
Leute mit Sattelnasen. Leute mit atrophischen Gliedern. Und, genau, Chemiker und reine Mathematiker im Hauptfach auch mit Halsatrophien. Leute mit Scleroedema adultorum. Leute mit Serodermatose, die nässen. Nicht einer nur, kommt alle, heißt es hier im Rundschreiben. Die Hydrozephalen. Die Schwindsüchtigen, Kachektiker und Anorektiker. Leute mit Morbus Brag mit ihren schweren roten Hauterosionen. Fälle von Naevus flammeus, Karbunkelbildung oder Steatokryptose oder allen dreien, was Gott verhüten möge. Marin-Amat-Syndrom, sagt Ihr? Her mit Euch. Psoriatiker. Ekzematös Gemiedene. Und Skrofuldermatöse. Ihr glockenförmigen Steatopykniker in euren spezialangefertigten Beinkleidern. Ihr mit Pityriaisis rosea. Hier steht: ,Kommt her zu mir, die ihr abstoßend und verwahrlost seid. Selig sind, die da körperlich arm sind, denn ihrer'.
Um so etwas zu übersetzen, genügt kein Wörterbuch. Man benötigt außerdem mindestens einen Pschyrembel – dazu Entschlossenheit, langen Atem und willige Standby-Experten. Ulrich Blumenbach hat das alles fünf Jahre lang gehabt – und ein Händchen, nein, die richtige Pranke für das titanische Projekt ohnehin. Soweit man den "Unendlichen Spaß", tief in der amerikanischen Kultur und ihrer Sprache eingenistet, wie er ist, ins Deutsche bringen kann, hat er es bin in die schiefsten, mundartlich verbogenen Sätze geschafft.
Ein nicht ganz unbekannter deutscher Dichter hat sich einmal gewünscht, dass auf seinem Grabstein stehen möge, er habe mit seinem Werk Vorschläge gemacht. Bei David Foster Wallace wäre das falsche Zurückhaltung: "Unendlicher Spaß" ist ein Vorschlaghammer.
David Foster Wallace: Unendlicher Spaß. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 1547 Seiten, 39,90 Euro.
Als Ergänzungslektüre ist der Materialienband "Unendlicher Spaß" zu empfehlen. Mit Texten von Ulrich Blumenbach, David Eggers, David Lipsky und Jonathan Franzen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 89 Seiten, 5 Euro.
In welcher Verfassung der "Unendliche Spaß", der in Ulrich Blumenbachs Übersetzung auf fast 1600 Seiten angewachsen ist, heute seine deutschen Leser erreicht, die bereits mit einem Bein in der von ihm beschriebenen Zukunft stehen, ist noch nicht ausgemacht. Wie er für den ausging, der ihn angezettelt hat, steht allerdings unwiderruflich fest. Am 12. September 2008, mit 46 Jahren, erhängte sich David Foster Wallace im kalifornischen Claremont. Von Jugend an hatte er, wie erst nach seinem Tod bekannt wurde, im Schatten einer Depression gelebt, die klinische Züge annahm, sich mal mehr, mal weniger beherrschen ließ, am Ende aber jeder Therapie widersetzte. Der Selbstmord war für ihn eine Befreiung.
Die Versuchung, ihn als Märtyrer heiligzusprechen, muss man erst einmal abwehren. Foster Wallace, der sich schon zu Lebzeiten mit Erzählungsbänden einen Ruf als Spezialist für deformierte, wahnhafte Existenzen erwarb, hat eine solche Art von verklärender Aufmerksamkeit aber gar nicht verdient. Sein sprachschöpferisches Werk, das nicht zuletzt von virtuoser Sprachverhunzung lebt, kann sich nämlich auch ohne sie behaupten. Trotzdem lässt sich nicht leugnen, dass der Tod von Foster Wallace den Blick auf sein Opus Magnum, das in Deutschland nun als Vermächtnis erscheint, noch einmal verändert: "Unendlicher Spaß" handelt von nichts anderem als Selbsterschaffung und Selbstzerstörung. Wie sollte man nicht erschaudern, wenn etwa die Radiomoderatorin Madame Psychosis sich mit einer Überdosis Crack beseitigen will.
Zu den bösartigen Mythen zählt die Ansicht, die Menschen würden stets euphorisch, großzügig und extrovertiert, unmittelbar bevor sie sich auf Dauer die Karte umdekorieren. In Wahrheit sind die Stunden vor einem Suizid im Großen und Ganzen eine Zeitspanne enormer Selbstbezogenheit. (...) Nie so im Einklang mit sich wie bei der Selbstannullierung wird sie sich in Molly Notkins Schlaf- oder Badezimmer einschließen und dermaßen eine vom Blech rauchen, dass sie hinfällt, das Atmen einstellt, blau anläuft, sich krampfhaft ans Herz fasst und stirbt. (...) Ihr Saftglas steht halb leer auf dem Spülkasten. Auf dem Spülkasten schimmert eine Kondenswasserschicht unbekannten Ursprungs. Das sind Tatsachen. Dieser Raum in dieser Wohnung ist die Summe vieler spezifischer Tatsachen und Vorstellungen. ( ... ) Die zielstrebige Vorbereitung ihrer Herzexplosion hat den Status einer solchen Tatsache angenommen. Es war eine Vorstellung, wird jetzt aber gleich zur Tatsache werden. Je näher die Konkretisierung rückt, desto abstrakter wirkt sie. Die Dinge werden sehr abstrakt. Der konkrete Raum war die Summe abstrakter Tatsachen. Sind Tatsachen abstrakt, oder sind sie nur abstrakte Repräsentationen konkreter Dinge?
Das Ganze geht dann gerade noch einmal gut – oder eben schief. Die Perspektive macht keinen Unterschied. Ja, es gehört zum schillernden Charakter dieses Erzählens, dass es den Leser zwischen banger Anteilnahme und kopfschüttelndem Spott nicht wählen lässt. Man zieht jedenfalls keinerlei biografische Kurzschlüsse, wenn man die Tatsache, dass "Unendlicher Spaß" zu wesentlichen Teilen von Tennis und Drogentherapie handelt, mit der Tatsache verknüpft, dass Foster Wallace selbst ein begabter Tennisspieler, langjähriger Freund von Cannabis und Alkohol sowie schließlich ein erfolgreicher Selbstmörder war. Denn das eine ist der Stoff, das andere seine literarische Verwandlung. Und Foster Wallace treibt alles auf eine absurde Spitze, die den existenziellen Ernst durch hemmungslose Verzerrung noch einmal fühlbar machen will, statt an einem Pathos zu scheitern, von dem niemand mehr etwas wissen will. Vom Kitsch weichgespült, ist es nicht weniger verbraucht als eine fröhlich süffisante, von Werbung und Fernsehen zur zweiten Natur erhobenen Ironie, die den Blick auf die unbarmherzige erste Natur gar nicht mehr zulässt.
In seinen grausamsten Momenten übt sich David Foster Wallace in literarischem Splatter ohne Lacherlaubnis. Die Details haben, wenn er beispielsweise eine verhutzelte Totgeburt beschreibt, ultrarealistisches Format, das sofort ins Surreale umschlägt. Er erzählt, wie der vom Kokain zerfressene Randy Lenz seine Allmachtsfantasien auslebt, in dem er Hunden die Kehle aufschlitzt und Katzen lebend in reißfeste Mülltüten packt, um sie dann wild zappelnd an Verkehrsschildern oder Telegrafenmasten zu erschlagen. Er zeigt aber auch, dass Menschen wie Lenz nur etwas ausleben, das ihnen selbst auf die eine oder andere Weise widerfahren ist. Matty Pemulis etwa ist jahrelang von seinem Vater missbraucht worden.
Ein großer Mann, der nach Tabak und noch etwas roch, sein Atem war immer zu hören, wenn er betrunken war. Setzte sich auf den Bettrand. Rüttelte Matty so lange 'wach', bis der so tun musste, als wache er auf. Fragte, ob er geschlafen hätte, geschlafen, ja, hätte er. Zärtlichkeiten, Liebkosungen, die irgendwie zu weit gingen, weiter als die Zuneigungen eines wahren, irischen Vaters, die emotionale Freigebigkeit eines Menschen ohne Green Card, der sich Tag für Tag krumm und lahm schuftete, damit seine Familie zu essen hatte. Liebkosungen, die auf diffuse Weise zu weit gingen, das und die emotionale Freigebigkeit von etwas anderem, betrunken, wenn alle Stimmungsregeln außer Kraft gesetzt waren und man nie wusste, ob man im nächsten Augenblick geküsst oder geschlagen würde – unmöglich zu sagen oder gar zu wissen, warum das zu weit ging. Aber sie gingen zu weit, die Liebkosungen, Zärtlichkeiten, Liebkosungen, leiser, weicher, süßlicher, heißer Mundgeruch, leise Entschuldigungen für irgendwelche Wutausbrüche oder Bestrafungen des Tages. Dieses Streicheln von kissenwarmer Wange und Kiefer mit der hohlen Hand, der riesige kleine Finger in der Höhlung zwischen Kehle und Kiefer. (...) Matty schreckte noch zurück, als er längst wusste, dass die zurückschreckende Angst Teil dessen war, das Da anmachte, was Da wütend machte: vor wem haben wir denn da Angst?
Foster Wallace versucht sich bei alledem nicht so sehr an der Kunst der Einfühlung als an der Inszenierung von Situationen. Man braucht sich gar nicht erst einbilden, dass man seinen Figuren in einem identifikatorischen Sinn nahe kommt, auch wenn man mit manchen von ihnen mehrere Hundert Seiten verbringt. Er macht mit jeder Zeile klar, dass Literatur ein bewusst arrangiertes Spiel ist, das allerdings einen Einsatz außerhalb seiner selbst erfordert. Im bescheidensten Fall dient es der therapeutischen Selbsterkenntnis des Autors, im besseren, den dieser "Unendliche Spaß" für sich beanspruchen darf, bekommt der Leser damit auch ein Erkenntnisinstrument an die Hand.
Das macht die Sache, die Foster Wallace hier verfolgt, noch lange nicht zugänglicher. Kulinarische Lesbarkeit wäre ohnehin das Letzte, was man von diesem wider jede stilistische und dramaturgische Ökonomie geschriebenen Roman erwarten dürfte. Er entwirft in seinen sprachlichen Katarakten, Kaskaden und Strudeln vielmehr eine Art Gegensystem zu der überdrehten Megamaschine, die er hier, kurz bevor sie sich selbst verschlingt, am kapitalistischen Werk sieht. Sie will Erfolg und Leistung züchten – und stellt nichts als Verfall, Betäubung und Debilität her. Sogar die Zeitrechnung ist gekauft. Die Menschen leben im "Jahr des Whoppers", dem "Jahr des Tucks-Hämorrhoidensalbentuchs", dem "Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche" und dem "Jahr des Glad-Müllsacks". "Unendlicher Spaß" zeigt Amerika als gigantische Freak Show – und seine Bewohner als ein Volk von Freigängern, das komplett eingeliefert werden müsste. Ein Teil von denen, die man kennenlernt, lebt gewissermaßen schon in der Anstalt – wobei deren bürgerlich gezähmte und deren pathologisch entgrenzte Variante erstaunliche Ähnlichkeiten aufweisen.
Aber der Reihe nach, soweit dies bei einem Roman möglich ist, dessen chronologisches Ende am Anfang steht. Es beginnt mit einer Art Verhör des 18-jährigen Hal Incandenza durch die Leitung der Enfield Tennis Academy. Hal, der zu den größten Hoffnungen dieser von seiner eigenen Familie betriebenen Institution mit angeschlossenem Internat zählt, soll sich für seine nachlassenden Leistungen verantworten. Von da aus entwirft das Buch die Genese des gesamten Incandenza-Clans und seiner neurotischen Fährnisse – und dies nicht in braver Linearität, sondern querfeldein. Ein zweiter Erzählstrang widmet sich Don Gately, der nach einer kriminellen Drogenkarriere der gute Geist von Ennet House ist, einer Therapieeinrichtung für Säufer und Süchtige unweit der Enfield Tennis Academy – beide angesiedelt in einem imaginären Stadtteil von Boston. So wie das Internat der Academy ein literarisch ergiebiger Hort schräger Vögel mitten in der Pubertät ist, beherbergt Ennet House eine Schicksalsgemeinschaft von Gestörten. Auch in ihrem heimlichen Drogenkonsum sind die Bewohner einander verwandt.
Tennis wird dabei von Foster Wallace als eine Art Zen behandelt: als ein Sport, dessen konkretes Regelwerk sich auflöst, je tiefer man in seine Beschreibung eindringt.
Die unendlichen Wurzeln der Schönheit des Tennis sind autokompetitiver Natur. Man bekämpft die eigenen Grenzen, um das Ich in Vorstellung und Ausführung zu transzendieren. Im Spiel verschwinden: Grenzen durchbrechen: transzendieren: weiterkommen: siegen. Deshalb ist Tennis im Prinzip ein tragisches Unterfangen, weiterzukommen und als seriöser ehrgeiziger Juniorspieler zu wachsen. Man will das begrenzte Ich, dessen Grenzen das Spiel überhaupt erst ermöglicht haben, bezwingen und transzendieren. Es ist tragisch, traurig, chaotisch und herrlich. So ist das ganze Leben für Bürger der Condition humaine: Die treibenden Grenzen liegen im Inneren und müssen wieder und wieder getötet und betrauert werden.
Ein dritter Strang beschäftigt sich schließlich mit einer Gruppe von Québecer Separatisten, die sich gegen die imperialistische Herrschaft der Organisation nordamerikanischer Nationen, kurz: O.N.A.N., auflehnen. Bei ihrem Kampf gegen die Kanada und Mexiko einschließende Großmacht suchen sie nach der ultimativen Waffe: einem von Hals Vater James Orin Incandenza gedrehten Film namens "Infinite Jest" – jenem "Unendlichen Spaß", der dem Roman seinen Titel gegeben hat. Der Film, dessen Regisseur sich mit 54 Jahren umbrachte, indem er seinen Kopf in eine Mikrowelle steckte, soll so unterhaltsam sein, dass seine Zuschauer sich gar nicht mehr losreißen können, apathisch werden – und sterben. Bis man dem aber auf die Spur gekommen ist, folgt man in der Wüste von Tucson, Arizona, vielen grotesken Unterhaltungen zwischen Hugh Steeply, einem Rock, Perücke und prothetischen Busen tragenden "feminisierten Amerikaner" mit Zweitnamen Helen, und Remy Marathe, einem Mehrfachagenten, dessen Beinamputation ihn für das terroristische Sondereinsatzkommando der A.F.R. qualifiziert: der "Assassins en fauteuils roulants", der Attentäter in fahrenden Rollstühlen.
Schon die Skizze zeigt, dass David Foster Wallace so ziemlich das Groteskeste war, was der amerikanischen Literatur in den letzten Jahren widerfahren konnte. Und dann hat man noch keinen Schimmer vom Reichtum der Unter- und Nebenplots, von der Vielfalt der medizinischen, mathematischen, popkulturellen und filmästhetischen Diskussionen – oder den Wechselbädern von brutaler Farce und poetischer Raffinesse, Slapstick und Sprachberserkertum, komischer Beobachtungsgabe und Umschlag in psychotische Bewusstseinsströme. Foster Wallaces Fantasie galoppiert ständig in zehn Richtungen gleichzeitig davon, und was er im Haupttext nicht untergebracht hat, das findet sich in den 200-seitigen Anmerkungen – wenn mit diesem Markenzeichen seines Erzählens eine klare Hierarchie verbunden wäre. Ein in jedem Sinn tolles Buch ist das, maßlos, durch seine schiere Dimension Ehrfurcht gebietend. Nur: Was ist dieser Aufwand wert?
Unter literaturgeschichtlichen Aspekten könnte man behaupten, dass Foster Wallace mit dem "Unendlichen Spaß" nicht nur François Rabelais überbietet, der Anfang des 16. Jahrhunderts mit seinem Zyklus über die Riesen Gargantua und Pantagruel Wortmassen aufhäufte, deren Gelehrsamkeit und böser Spott bis heute als Modell eines intelligent aus dem Ruder laufenden Erzählens gelten. Womöglich war ihm aber auch danach, einige seiner Zeitgenossen auf die Plätze zu verweisen. Denn natürlich steht "Infinite Jest" in der amerikanischen Literatur der letzten 50 Jahre nicht einzigartig da. Mit der "Fälschung der Welt" schrieb William Gaddis 1955 ein vergleichbares Monstrum, und Thomas Pynchon schuf 1973 mit den "Enden der Parabel" ein Epos, das ähnlich heterogene Welten durchpflügt – Drogennebel und sexuelle Perversion eingeschlossen. Foster Wallace steht am Ende einer – so sehr er den Begriff verabscheute – postmodernen Bewegung, der er den abstrakten Kunstwillen austreiben wollte, wie er ihn in Schriftstellern wie John Barth oder Robert Coover verkörpert sah. "Seit den 60er-Jahren", erklärte er einmal, "hat die wahre Schlacht um die Literatur zwischen Autoren und Theoretikern stattgefunden, die Literatur als einen wesentlich selbstbezüglichen Mechanismus betrachten. Die andere Seite sagt, dass Literatur nicht auf sich selbst verweist - sie bezieht sich auf eine Wirklichkeit. Ich versuche, eine Literatur zu schreiben, die auf beide Arten funktioniert."
Mit "Unendlicher Spaß" ist ihm dies zweifellos gelungen. Allerdings um den Preis, dass diese Wirklichkeit, wo sie nicht das rohe, ungeschützte Menschsein betrifft, von zeitgebundenen Verweisen und Anspielungen auf Filme und Fernsehserien durchzogen ist, die schon in 20 Jahren noch einmal einen eigenen Anmerkungsapparat erfordern dürften. Auch als Science-Fiction-Roman ist er in seiner Netz- und Vernetzungsmetaphorik schon wieder halb aus der Zeit gefallen. Die grundsätzliche Zumutung an den Leser, die dieses Buch darstellt, wird davon nicht berührt. Es ist eine Wissenschaft für sich, den Brocken auf seine Bestandteile hin zu untersuchen, und es spricht für das Nerdhafte des Unternehmens, dass sich ein ganzes Heer von Exegeten seiner angenommen hat. Seitenlang Textblöcke ohne einen einzigen Absatz. Endlose Beschreibungen von Tennismatches. Eine spätstudentisch irrlichternde, intellektuelle Albernheit, die immer noch dem akademischen Verderben zu entkommen sucht. Eine Fixierung aufs Anale. Und alles in allem: eine monumentale Formlosigkeit.
Nicht nur sie lässt sich aus dem Stoff heraus rechtfertigen. Aber auf jede genialische Passage kommt eine, in der Foster Wallace seine Texterzeugungsmaschine klappernd anwirft. Er erzeugt Fülle durch pure Rhetorik, wiederholt, Absatz um Absatz aufeinanderschichtend, Wörter und Satzteile, ergeht sich in blinder Aufzählungswut – und lässt zugleich die Grammatik der Wahrnehmung brav intakt. Allein wie er sich numerisch durch die Courts der Enfield Tennis Academy dekliniert, erweckt höchstens im ersten Augenblick den Eindruck von etwas erzählerisch Ungebändigtem. Das Unmäßige von Foster Wallace zeigt sich vor allem im Übermaß. Und da hilft es nichts, dass Hal Incandenza - nicht anders als sein Schöpfer – ein Verehrer des Oxford English Dictionary ist und sich an Entdeckungen , Verfremdwortisierungen und Verfachsprachlichungen so gut berauschen kann wie an gutem Dope. Für den Leser bleibt manchmal nur Zeichen- und Silbenmüll.
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Die öden, satirisch nur mühsam erlösten Weiten solcher Passagen stehen neben klar konturierten Glanzstücken, wie sich sie auch in den separat veröffentlichten Stories "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" oder "Vergessenheit" finden. "Unendlicher Spaß" fügt sie alle aneinander, Flicken für Flicken, erprobt die Technik des um seine Fragen bereinigten Interviews, wie er es in den "Kurzen Interviews mit fiesen Männern" perfektionierte, und legt insgesamt Zeugnis davon ab, dass Foster Wallaces Talent von Anfang an im Kurzstreckenbereich lag. In überschaubarer Länge, mit je eigener Tonlage und eigenem Tempo entwirft er dann Texte wie die Ansprache von James Incandenzas Vater an seinen 10-Jährigen, dem Tennis geweihten Sohn, der auch das Öffnen von Garagentüren im richtigen Sportsgeist erlernen soll.
Jim, doch nicht so, Jim. So behandelt man doch keine Garagentür, dass man sich steif in der Hüfte vorbeugt und am Griff reißt, sodass die Tür sprunghaft plötzlich aufspringt und dir gegen das Schienbein und mir gegen die kaputten Knie knallt, mein Sohn. Zeig mal, wie du dabei in die gesunden Knie gehst. Zeig mal, wie du eine leichte Hand weich um den Griff legst, seine feine Körnung spürst und gerade so sanft an ihm ziehst, dass er dir entgegenkommt. Experimentiere, Jim. Probiere aus, wie viel Kraft du gerade aufbringen musst, um ihn mühelos in Bewegung zu setzen, lass ihn auf ihren verborgenen gut geölten Rollen und Zügen unterhalb des Gefüges spinnenbewebter Deckenbalken hoch- und aufrollen.
Als Faustregel für die rasch wechselnden Grade von Dichte und unkonzentriertem Rauschen könnte man sagen: Foster Wallace ist immer dann gut, wenn er innere Zustände schildert. Das Sichverzehren nach der nächsten Dröhnung, den cold turkey des Entzugs – oder eine schizophrene Erfahrung, die er als Heimsuchung durch einen Geist erzählt. Da kann einem dieser Roman schmerzhaft in die Glieder fahren, wohingegen er um so weniger berührt, je fantastischer er sich die amerikanische Zukunft ausmalt. Hinreißend ist allerdings wieder Foster Wallaces satirisches Talent, wenn er Sitzungen der Anonymen Alkoholiker besucht – und sich dabei einmal auch in eine Männergruppe verirrt. Wenn dann neben seinem Sinn für das Hässliche auch noch die Gelegenheit dazukommt, sich sprachlich auszutoben, ist er in seinem Element. Madame Psychosis zum Beispiel liest in ihrer mitternächtlichen Radioshow gerne aus den PR-Rundschreiben von L.A.R.V.E., der Liga der Absolut Rüde Verunstalteten und Entstellten, einer "agnostischen 12-Schritte-Selbsthilfegruppe für die, wie es heißt, 'ästhetisch Geforderten'".
Leute mit Sattelnasen. Leute mit atrophischen Gliedern. Und, genau, Chemiker und reine Mathematiker im Hauptfach auch mit Halsatrophien. Leute mit Scleroedema adultorum. Leute mit Serodermatose, die nässen. Nicht einer nur, kommt alle, heißt es hier im Rundschreiben. Die Hydrozephalen. Die Schwindsüchtigen, Kachektiker und Anorektiker. Leute mit Morbus Brag mit ihren schweren roten Hauterosionen. Fälle von Naevus flammeus, Karbunkelbildung oder Steatokryptose oder allen dreien, was Gott verhüten möge. Marin-Amat-Syndrom, sagt Ihr? Her mit Euch. Psoriatiker. Ekzematös Gemiedene. Und Skrofuldermatöse. Ihr glockenförmigen Steatopykniker in euren spezialangefertigten Beinkleidern. Ihr mit Pityriaisis rosea. Hier steht: ,Kommt her zu mir, die ihr abstoßend und verwahrlost seid. Selig sind, die da körperlich arm sind, denn ihrer'.
Um so etwas zu übersetzen, genügt kein Wörterbuch. Man benötigt außerdem mindestens einen Pschyrembel – dazu Entschlossenheit, langen Atem und willige Standby-Experten. Ulrich Blumenbach hat das alles fünf Jahre lang gehabt – und ein Händchen, nein, die richtige Pranke für das titanische Projekt ohnehin. Soweit man den "Unendlichen Spaß", tief in der amerikanischen Kultur und ihrer Sprache eingenistet, wie er ist, ins Deutsche bringen kann, hat er es bin in die schiefsten, mundartlich verbogenen Sätze geschafft.
Ein nicht ganz unbekannter deutscher Dichter hat sich einmal gewünscht, dass auf seinem Grabstein stehen möge, er habe mit seinem Werk Vorschläge gemacht. Bei David Foster Wallace wäre das falsche Zurückhaltung: "Unendlicher Spaß" ist ein Vorschlaghammer.
David Foster Wallace: Unendlicher Spaß. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 1547 Seiten, 39,90 Euro.
Als Ergänzungslektüre ist der Materialienband "Unendlicher Spaß" zu empfehlen. Mit Texten von Ulrich Blumenbach, David Eggers, David Lipsky und Jonathan Franzen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 89 Seiten, 5 Euro.