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Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe der EVP
"Abenteuerliche Winkelzüge gegen den Spitzenkandidaten"

Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, wirft Sozialisten und Liberalen vor, den Spitzenkandidaten der EVP aus machttaktischen Gründen zu demontieren. Vor allem der französische Präsident Macron blockiere mit Arroganz und Brachialgewalt die EU, sagte er im Dlf.

Daniel Caspary im Gespräch mit Bettina Klein |
Der CDU-Politiker Daniel Caspary auf einem Landesparteitag der CDU in Baden-Württemberg.
Der CDU-Politiker Daniel Caspary spricht sich weiterhin dafür aus, dass der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber Kommissionspräsident wird (dpa/Patrick Seeger)
Bettina Klein: Wir sprechen am Morgen eines Sonntages, eines weiteren EU-Sondergipfels, auf dem die Staats- und Regierungschefs sich auf Personalvorschläge für die Nachbesetzung der EU-Spitzenposten einigen wollen. Wir beginnen unser Gespräch hier um 09:30 Uhr und können über das sprechen, was wir bisher an Informationen/Berichten kennen.
Gestern morgen um diese Zeit lautete die Schlagzeile, Manfred Weber, der Spitzenkandidat der EVP und Vorsitzender Ihrer Fraktion, sei aus dem Rennen für den Posten des Kommissionspräsidenten. Die EVP will erst heute Nachmittag in ihren Gremien offiziell darüber entscheiden. Gehen Sie, Herr Caspary, davon aus, dass das die Entscheidung sein wird?
Daniel Caspary: Nein. Als Allererstes, wir haben als Europäische Volkspartei europaweit eine Europawahl am 26. Mai gewonnen. Und die großen Partei-Familien - Sozialisten, Grüne, Linke, wir, leider die Liberalen nicht -, wir sind angetreten mit jeweils Spitzenkandidaten. Und normalerweise ist es doch üblich, dass der Spitzenkandidat dann auch Chef der Regierung, also in dem Fall Chef der Europäischen Kommission wird. Und ich finde es schon teilweise ein bisschen abenteuerlich, welche Winkelzüge hier von Einigen veranstaltet werden. Die Europäische Volkspartei ist die stärkste Kraft und deswegen ist mal das Allererste: Ich wünsche mir nach wie vor, dass unser Spitzenkandidat, Manfred Weber, auch Präsident der Europäischen Kommission wird. Denn alles andere würden doch die vielen, vielen Wählerinnen und Wähler gar nicht verstehen.
"Viele Wählerinnen und Wähler hätten kein Verständnis"
Klein: Die Gerüchte - nenne ich sie mal - kommen ja aus dem Umfeld der Kanzlerin, die beim G20-Gipfel in Osaka mit den anderen Staats- und Regierungschefs gesprochen hat. Donald Tusk, der Ratspräsident hat dort auch Gespräche geführt. Kollegen dort haben es offenbar so verstanden, nach diesem Plan würde Frans Timmermans eventuell Kommissionspräsident werden und Manfred Weber Parlamentspräsident. Könnten Sie damit gut leben als Vorsitzender CDU/CSU-Gruppe?
Caspary: Ich kann damit eindeutig nicht leben. Denn wir haben am 26. Mai eine Wahl gehabt, bei der erstmals in der europäischen Geschichte europaweit mehr als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler teilgenommen hat. Das gab es noch nie. Wir haben eine Verdopplung der Wahlbeteiligung gehabt, in Ländern wie Polen und Tschechien, auch wegen des Spitzenkandidatenprozesses. Der Spitzenkandidatenprozess hat in Deutschland eine Rolle gespielt, in den Niederlanden, aber auch in vielen anderen Ländern in der Europäischen Union. Zum Beispiel im griechischen Parlament gab es einen heftigen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition, auch über den Spitzenkandidaten, über seine Rolle. Das heißt, es gab eine europaweite Wahrnehmung – es gibt noch mehrere Beispiele.
Und ich finde es schon abenteuerlich. Stellen Sie sich mal vor: In Deutschland, viele der Hörerinnen und Hörer erinnern sich vielleicht noch an den Wahlabend 2005 – damals die erste Große Koalition, dann mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin –, der denkwürdige Wahlabend, als Gerhard Schröder zu Angela Merkel sinngemäß gesagt hat, sie wird nie Bundeskanzlerin, aber die Union lag 6.000 Stimmen vorne. Und es ist doch vollkommen klar, dass jede Parteienfamilie für sich ihr Personal entscheidet. Und wie hier vorgegangen wird, seitens der Sozialisten, seitens der Liberalen auch seitens des französischen Präsidenten Macron, wie hier ein Spitzenkandidat einfach versucht wird zu demontieren, wie hier ganz gezielt versucht wird, uns als europäische Volkspartei teilweise das Personal vorzuschreiben, ist einfach nicht in Ordnung.
Manfred Weber will Kommissionspräsident werden - trotz Spitzenkandidaten-Modus wird es nun möglicherweise nicht.
CDU-Politiker Manfred Weber ist als Spitzenkandidat der EVP in die Europawahl gegangen (dpa / picture alliance / Sven Hoppe)
Und deswegen: Eine Lösung, die Sie gerade angesprochen haben, wäre eine Lösung, die von daher schwierig wäre, weil wir einen Spitzenkandidatenprozess haben. Und ich glaube auch, viele Wählerinnen und Wähler hätten da überhaupt kein Verständnis dafür, egal ob sie Manfred Weber oder die EVP gewählt haben oder nicht. Aber dass nicht der Spitzenkandidat der stärksten Kraft am Ende Präsident der Europäischen Kommission wird, da tragen dann schon Sozialdemokraten, Liberale, Macron und andere die Verantwortung, dass wir hier in Europa einen Schritt zurückgeschlagen würden.
Mehrheit ohne die EVP nicht möglich
Klein: Herr Caspary, das Prozedere ist ja aber auch nicht wirklich ungewöhnlich, auch nicht in der bundesdeutschen Innenpolitik. Stärkste Fraktion heißt doch auch in Deutschland noch nicht, dass man eine Mehrheit im Parlament zustande bekommt. Es tun sich auch manchmal die zweit- und die drittgrößte Fraktion zusammen und das wird dann auch nicht als undemokratisch angesehen. Und Manfred Weber hat ja bisher offensichtlich auch im Parlament keine Mehrheit. Also, ist das jetzt nicht eigentlich nur der logische Schluss aus dem, was wir in den vergangenen Wochen erlebt haben?
Caspary: Ich sehe die Situation grundsätzlich wie Sie, es ist kein Automatismus, dass derjenige der stärksten Fraktion dann auch am Ende Regierungschef wird. Nur, im Europäischen Parlament sagt jeder: Eine Mehrheit ohne die Europäische Volkspartei oder gar gegen die Europäische Volkspartei ist nicht möglich. Und da sind wir eben bei einer ganz anderen Situation. Wenn man eben - wie Sie sagen gegen den Größten eine Mehrheit hinbekommt, dann ist es legitim, dass andere versuchen, am Größten vorbei eine Mehrheit aufzubauen. Das akzeptiere ich selbstverständlich. Aber wenn in Brüssel breiter Konsens ist, dass es ohne und gegen uns nicht geht, dann werbe ich schon dafür, dass wir dann auch die erste Position bekommen – alles andere macht doch keinen Sinn.
Klein: In der Tat, Frans Timmermans hätte im Augenblick wohl auch allerhöchstens eine sehr knappe Mehrheit; andere Rechnungen sagen, direkt unter der Mehrheit. Das heißt, vollkommen gegen die EVP wird es nicht gehen. Kann man aus Ihren Worten schließen, dass die Europäische Volkspartei nicht ihr Einverständnis heute Nachmittag geben wird, Franz Timmermans im Parlament mitzutragen als neuen Kommissionspräsidenten?
Caspary: Als Allererstes schauen Sie sich mal diese theoretische Mehrheit an, die Frans Timmermans da hinter sich vereinen könnte. Wir reden da davon, dass das Parlament von den ganz Linksextremen, Altkommunisten, Linkspartei et cetera über die Grünen, die Sozialisten und die komplette liberale Fraktion gemeinsam mit den Macron-Leuten eine Mehrheit macht. Jetzt sagt Herr Macron, mit Mélenchon, also den Kommunisten in Frankreich, wird er nie zusammenarbeiten. In Deutschland sagt die FDP, mit der Linkspartei möchten sie nie zusammenarbeiten. Also, eine Mehrheit, die gerade beschrieben wird, dass Timmermans von ganz links bis zu den Liberalen eine ganz knappe theoretische Mehrheit hätte, ist einfach nicht gegeben in der Praxis.
Und das Zweite: Wir stehen vor der Herausforderung, dass wir wirklich aus Überzeugung als Europäische Volkspartei Europa ein Stück demokratischer machen wollen. Wir haben ja den Spitzenkandidaten nicht im Hinterzimmer ausgemauschelt, sondern da gab es vor Helsinki, vor unserem Nominierungsparteitag, einen breiten Prozess in der ganzen Europäischen Partei. In Helsinki waren mehrere Hundert Delegierte aus allen Mitgliedstaaten anwesend, alle Staats- und Regierungschefs der EVP waren anwesend und haben Manfred Weber zum Spitzenkandidaten gekürt, gemeinsam, einmütig, mit 90 Prozent Mehrheit in dieser Versammlung, bei einem weiteren Bewerber.
Und deswegen nochmal: Ich finde es als Allererstes einen Skandal, dass Sozialisten und Liberale im Schwerpunkt aus machttaktischen Gründen hier unseren Spitzenkandidaten demontieren seit der Europawahl. Das ist nicht in Ordnung. Ich habe da übrigens großen Respekt vor den Grünen, die als Einzige wirklich überzeugend am Spitzenkandidatenprozess neben uns festhalten. Aber ich sage auch: Wir stehen vor der Situation, wir sollten Europa nicht blockieren. Deswegen, wenn tatsächlich diese Blockadehaltung der anderen aufrechterhalten wird, dann werden wir eine Lösung brauchen. Ob das dann unbedingt gleich heute sein muss oder ob wir nicht im Zweifel noch ein bisschen Zeit haben, darüber kann man sprechen.
Aber grundsätzlich: Ich hätte als Allererstes gerne mal wirklich eine klare Antwort auf die Frage, warum denn nicht mit Manfred Weber, der Spitzenkandidaten der stärksten europäischen Partei? Und die ganzen Argumente, die ich da höre von der anderen Seite, die sind alles andere als überzeugend.
Deutsch-französische Abstimmung "leider außer Kraft gesetzt"
Klein: Ich habe nach der EVP gefragt, Herr Caspary. Sie haben jetzt sozusagen die Koalition mal ausgebreitet, auf die Frans Timmermans da hofft oder setzt. Nochmal meine Frage: Gehen Sie davon aus, dass die Europäische Volkspartei heute entscheiden wird, dass sie weiter an Manfred Weber als dem einzig möglichen Spitzenkandidaten für den Posten des Kommissionspräsidenten festhält? Oder sehen Sie da möglicherweise Bewegung, dass man sich im Laufe des Prozesses doch darauf zubewegt, sozusagen ihm einen anderen Posten dann zu geben?
Caspary: Gut, Sie wissen, wie Europa funktioniert. Am Ende brauchen wir in Europa einen Konsens. Und ich habe leider auch da den Eindruck, dass viele, viele Regeln, nämlich dass zum Beispiel Deutschland und Frankreich versuchen sich konstruktiv abzustimmen und eine gemeinsame Lösung zu präsentieren, leider außer Kraft gesetzt sind. Ich habe im Moment den Eindruck, die einzige Regel, die noch zu gelten scheint, ist, dass Angela Merkel nichts macht, bei dem Präsident Macron sein Veto einlegt und Präsident Macron nichts macht, bei dem Angela Merkel ihr Veto einlegt. Ich finde das für den Zustand der europäischen Demokratie äußerst besorgniserregend.
Aber die Frage ist dann am Ende noch: Wie sieht denn im Zweifel ein alternatives Konzept aus? Da fehlen mir im Moment die überzeugenden Vorschläge. Also, ich sage ganz offen: Allein ein Paket, wie Sie das angedeutet haben, Frans Timmermans für die Sozialisten, wird eben nicht als Wahlsieger Präsident der Europäischen Kommission und Manfred Weber wird Parlamentspräsident, das wäre bestimmt ein Paket, das überhaupt nicht ausreichend ist, das aus meiner Sicht vollkommen umkehren würde, dass wir als Europäische Volkspartei stärkste Kraft sind.
"Wir haben doch einen klaren Wählerauftrag"
Klein: Gut. Und dann vielleicht noch einen weiteren Posten dazu - Entschuldigung -, das ist ja auch in der Diskussion, dass die EVP dann noch zusätzlich einen weiteren Posten, zum Beispiel, bekommt.
Caspary: Ja gut, aber das Eine sind doch Posten, das Andere geht aber tatsächlich um Macht und Einfluss. Weil wir haben doch einen klaren Wählerauftrag. Und mit den führenden Positionen ist ja dann auch die Frage verbunden: Wie viel Einfluss haben wir? Und ich sagen Ihnen ganz offen, jedes Szenario, bei dem Manfred Weber nicht Präsident der Europäischen Kommission wird, das würde bestimmt extrem teuer werden für die andere Seite. Denn wir haben den Anspruch als stärkste Kraft, auch die Richtlinien in europäischer Politik vorzugeben und da ist der Parlamentspräsident die zentrale Funktion.
Klein: Teuer heißt was, Herr Caspary?
Caspary: Ja gut, auf der einen Seite inhaltlich. Wir haben inhaltlich klare Vorstellungen als Europäische Volkspartei, wie wir Europa weiterentwickeln wollen, wie wir Europa stärken wollen im Bereich Außen-, Sicherheits-, Verteidigungspolitik, in der Frage der Klimapolitik, in der Frage unserer Nachbarschaftspolitik mit Afrika, die Frage, wie gehen wir um in Außenhandelsfragen mit der veränderten Situation Trump, et cetera. Also, wir haben auch ganz klare inhaltliche Vorstellungen. Unsere Inhalte sind ja auch mit der Person Manfred Weber verknüpft.
Und deswegen nochmal: Ich wünsche mir von Herzen, dass unsere Staats- und Regierungschefs nicht die Segel einrollen. Und ich sage auch ganz klar, es wird schon für den Fall, den Sie skizzieren, extrem gute Argumente auch der EVP-Staats- und Regierungschefs brauchen, wenn Manfred Weber am Ende nicht Präsident der Europäischen Kommission würde. Also, ich würde das auch heute morgen um 09:30 Uhr nicht einfach auf die Seite wischen, sondern der Anspruch ist: Wir sind stärkste Kraft in Europa und ich wünsche mir, dass Manfred Weber Präsident der Kommission wird.
"Arroganz von Macron ist nicht akzeptabel"
Klein: Sie haben von Skandal gesprochen, als Sie die Entwicklungen der vergangenen 48 Stunden charakterisiert haben. Ist das auch ein Vorwurf, den Sie der Bundeskanzlerin machen, die ja vor allen Dingen an den Gesprächen offensichtlich beteiligt war. Wäre das skandalös, wenn sie an Ihrer Unterstützung für Manfred Weber nicht mehr festhalten würde?
Caspary: Nein - ausdrücklich -, Angela Merkel ist nicht von mir kritisiert. Sie macht wirklich die letzten Wochen einen super Job und versucht aufrichtig - ist mein Eindruck -, Manfred Weber auch durchzusetzen. Nur, wir sehen, mit welcher Brachialgewalt der französische Präsident Macron versucht, das zu verhindern. Da geht es zum Einen darum, er mag offensichtlich Manfred Weber nicht. Er scheint - wenn ich die Lage und die Berichterstattung Ihrer Kolleginnen und Kollegen in Brüssel verfolge - auch Probleme damit zu haben, dass es dann quasi ein deutscher Kommissionspräsident wird, der eigenständig unterwegs wäre. Und zum Dritten möchte er auch die europäischen Parteienfamilien schwächen, wie man das in Frankreich gesehen hat.
Macron steht vor einer französischen und einer EU-Flagge.
Lehnt das Spitzenkandidaten-Prinzip für den Posten des Kommissionspräsidenten ab: der französische Präsident Emmanuel Macron (imago/JBAutissier/Panoramic)
Und nehmen Sie mal, was Präsident Macron vor einigen Tagen gesagt hat, sinngemäß: Der Beste müsste Präsident der Europäischen Kommission werden, und das sei eben nicht Manfred Weber. Ich sage Ihnen ganz offen: Diese Arroganz ist für mich nicht akzeptabel. Ich habe vorhin beschrieben unseren Prozess auf dem Weg hin zum Spitzenkandidaten, dass auf einem Parteitag in Helsinki - da sind nationale Minister dabei, da waren alle EVP-Staats- und Regierungschefs dabei -, da wurde Manfred Weber mit 90 Prozent Unterstützung zum Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei gewählt. Und sich dann einfach hinzustellen: "Wir brauchen den Besten, und das ist nicht Manfred Weber", das ist einfach nicht in Ordnung. Das ist eine Frage von Stil und Form. So geht man auch mit politischen Wettbewerbern nicht um. Und deswegen ausdrücklich keine Kritik an Angela Merkel.
Vorgehen des französischen Präsidenten "nicht in Ordnung"
Klein: Nochmal, Herr Caspary, um hier nochmal einzuhaken: Wir sehen aber auch, es gibt im Augenblick - das haben wir mehrfach auch gesagt und berichtet in den vergangenen Wochen –, es gibt für keinen der Spitzenkandidaten im Augenblick eine Mehrheit im Parlament und für keinen im Rat und für keinen ... Das heißt eben auch: Nicht für Manfred Weber. Sie haben scharfe Kritik an Emmanuel Macron geübt, schon Anfang der Woche. Ich zitiere mal: "Ich sehe keine deutsch-französische Achse, sondern ich sehe einen revisionistischen Herrn Macron, der alles tut, die europäische Demokratie zu zerstören". Was meinen Sie damit?
Caspary: Gut, als Allererstes, wir haben die Situation, dass in Europa alle Parteienfamilien - außer dieser neuen liberalen Formation, der Präsident Macron angehört - sich geeinigt haben auf den Spitzenkandidatenprozess. Und nochmal, in jeder Demokratie ist üblich, der Spitzenkandidat der stärksten Kraft wird dann am Ende auch Chef. Es sei denn, die kleineren haben eine Mehrheit gegen ihn. Aber das ist ja nicht der Fall, darüber haben wir gerade eben gesprochen. Und wie er hier vorgeht, wie er versucht, die Partei zu spalten, dass da zum Beispiel alle möglichen neuen Vorschläge kommen nach dem Motto: "Ja, die EVP darf das ja machen, aber ich schlage dann vor eine Vertreterin aus Bulgarien." In der Hoffnung, dass dann vielleicht der bulgarische Parteichef ausschert und sieht: "Aha, er könnte vielleicht für Bulgarien was Tolles tun."
Oder dass dann Vorschläge kommen, wie jetzt die Tage, mit Peter Altmaier und Ursula von der Leyen nach dem Motto: Wir versuchen dann in Deutschland in die Union den Keil rein zu spalten. Steht ihr den wirklich hinter Manfred Weber oder habt ihr vielleicht nur Interesse an der Funktion, egal für wen? Das ist alles eine Vorgehensweise, die ist nicht in Ordnung. Und was ich mir gewünscht hätte, wäre doch wirklich ein gemeinsames Vorgehen gewesen. Das ist einfach nicht in Ordnung.
Und ich glaube, das ist genau der Punkt, vor dem auch Angela Merkel und unsere EVP-Staats- und Regierungschefs jetzt in diesen Stunden in Brüssel stehen. Nämlich in wieweit sind sie im Zweifel bereit, auf Präsident Macron einen Schritt zuzugehen, um Blockade in Europa zu verhindern, um die Europäische Union handlungsfähig zu halten und auch gegen diesen herben Schlag gegen den Spitzenkandidatenprozess vorzugehen oder eben nicht. Und das ist - ja - genau die Antwort, die wir doch heute vielleicht sehen.
Klein: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Herr Caspary, nochmal kurz einzuhaken bei Widerstand, der vor allen Dingen von Emmanuel Macron kommt: Man weiß aber auch, er ist nicht der Einzige im Europäischen Rat, der nicht für Manfred Weber stimmen würde, anderenfalls hätte er da keinen Erfolg. Er wird ja unterstützt auch von liberalen Parteichefs und Staats- und Regierungschefs und eben auch von den Sozialisten.
Nur, ein Argument von Macron war immer gegen das Spitzenkandidatenprinzip: "Das hat keinen Sinn, so lange es nicht die transnationalen Listen gibt." Weil das nämlich bedeutet, dass der Spitzenkandidat nur in seinem Heimatland gewählt werden kann, nämlich von einer Minderheit der Europäerinnen und Europäer. Muss nicht die logische Konsequenz dann auch sein: Wenn es solche Probleme beim Spitzenkandidatenprozess gibt, brauchen wir beim nächsten Mal transnationale Listen? Denn dagegen hatte sich zunächst ja auch mal Ihre Partei und auch die Bundeskanzlerin gewandt.
Transnationale Listen wären "das Gegenteil von Bürgernähe"
Caspary: Ja, das ist erstmal ein Argument, das auf den ersten Blick toll klingt, dass Präsident Macron sagt: "Wir brauchen für einen glaubwürdigen Spitzenkandidatenprozess diese transnationalen Listen." Das Andere ist, wir hören halt ganz oft den Vorwurf: "Europa ist so weit weg." Und die Sorge, die bei uns in der Parteienfamilie vorherrscht ist, dass eine solche transnationale Liste eben eher dazu führt, dass da nur noch "Super-Abgeordnete" sind, die dann überhaupt keinen Bezug zu ihrer Heimatregion haben. Sondern die sich orientieren nach Brüssel, zu der Parteiführung, zu den Parteizentralen, damit sie wieder aufgestellt werden beim nächsten Mal. Und das wäre genau das Gegenteil von Bürgernähe.
Und wie wichtig uns - gerade in der Union - das Thema Bürgernähe ist, erkennen Sie daran: Wir sind ja die einzige Partei, als Union in Deutschland, die nicht eine Liste für ganz Deutschland aufstellt, wie SPD, Grüne, Liberale und all die anderen, sondern die Listen aufstellen einzeln in jedem der 16 Bundesländer, um ganz klar uns Abgeordnete zu verankern, zu vernetzen, zu verwurzeln in unserer Heimatregion, möglichst nah an den Bürgern. Und das sind einfach zwei komplett unterschiedliche Konzepte.
Und auch in Deutschland gilt: Angela Merkel, als Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl, oder Martin Schulz von der SPD, war ja nicht in ganz Deutschland wählbar, sondern Angela Merkel können Sie wählen in Mecklenburg-Vorpommern, Martin Schulz in Nordrhein-Westfalen und trotzdem hat noch nie irgendjemand das Konzept in Deutschland in Frage gestellt. Und auch da: Angela Merkel und auch Annegret Kramp-Karrenbauer haben ja Kompromissbereitschaft signalisiert. Sie haben ja signalisiert in Paris und in den Gesprächen: Lasst und bitte Manfred Weber zum Präsidenten der Europäischen Kommission machen und wir sind dann sehr gesprächsbereit über die Einführung dieser transnationalen Listen bei der nächsten Europawahl.
Klein: Okay.
Caspary: Sehen Sie. Aber dazu gehört eben auch, dass Manfred Weber jetzt Präsident der Europäischen Kommission wird. Also, wer wirklich aufrichtig den Spitzenkandidatenprozess möchte, der kann auch jetzt Manfred Weber unterstützen. Und mein Eindruck ist eher - ich kann das auch verstehen, aber da müssen wir auch eine Lösung finden: In Frankreich ist es halt üblich, dass der Präsident den Premierminister ernennt. Und von daher ist natürlich diese Verschiebung, die hier stattfindet, nämlich dass Parteienfamilien Vorschläge machen und Bürger entscheiden, ein Riesenwiderspruch zum System in Frankreich. Deswegen - klar -, wir müssen da gemeinsame Lösungen finden. Aber jetzt einfach den Spitzenkandidatenprozess aufzugeben, was sich eben Herr Macron vorstelle, wäre bestimmt die falsche Lösung.
Klein: Dennoch nochmal: Im Augenblick gibt es keine Mehrheit im Parlament für Manfred Weber und auch im Rat nicht, und es muss ja irgendwann eine Lösung gefunden werden. Sie haben vorhin angedeutet, vielleicht müsste man auch dem Parlament noch etwas mehr Zeit geben. Gehen Sie davon aus, dass es heute Abend oder spätestens morgen eine Lösung eben wird?
Caspary: Gut, also Allererstens: Wenn sich Herr Macron und auch die Sozialisten und Liberale wirklich so sicher wären, dass es im Europäischen Parlament keine Mehrheit für Manfred Weber gibt, warum stoppen Sie dann nicht ihren Widerstand, schlagen einfach Manfred Weber vor und wenn wir dann tatsächlich im Parlament keine Mehrheit für Manfred Weber fänden, dann wären ja wir im Parlament die Totengräber des Spitzenkandidatenprozesses, also nicht der Rat. Deswegen. Ich bin mir nicht ganz so sicher, ob wir eben nicht doch für Manfred Weber im Parlament eine Mehrheit hätten, wenn er denn vorgeschlagen werden würde. Mir ist das ganz wichtig.
Und als Zweites: Wir brauchen nicht auf Teufel komm raus eine Lösung, sondern das Einzige, was zwangsweise ansteht, ist nächsten Mittwoch die Wahl eines Präsidenten des Europäischen Parlamentes. Der war übrigens mit Ausnahme von vor fünf Jahren nie Teil des Gesamtpersonalpakets, sondern das Personalpaket war eigentlich immer Präsident der Europäischen Kommission, Präsident des Europäischen Rates und hohe Außenbeauftragte.
Wir haben vor fünf Jahren nur einmalig den Parlamentspräsidenten in das Paket mit aufgenommen, nachdem Martin Schulz ja direkt am Wahlabend seine Niederlage gegenüber Jean-Claude Juncker eingeräumt hat und gesagt hat: Er wird alles dafür tun, dass die sozialistische Fraktion auch Jean-Claude Juncker zum Präsidenten der Europäischen Kommission wählt. So etwas vermisse ich übrigens von Frans Timmermans bis heute. Wenn die andere Seite hier mal stark aufgestellt wäre, dann wären wir nicht in dem Dilemma, in dem wir uns heute befinden.
"EVP wird nicht um jeden Preis eine Lösung akzeptieren"
Klein: Herr Caspary, um da noch kurz einzuhaken: Wenn es so kommen sollte, die Staats- und Regierungschefs einigen sich nicht heute Abend, sie einigen sich nicht morgen, am Montag, dann wird das Prozedere voranschreiten und dann wird das Parlament natürlich frei sein, zum Beispiel am Mittwoch einen Parlamentspräsidenten zu wählen. Wäre das möglicherweise ein Fortschritt, wenn man sagt, man belässt diese Hoheit beim Parlament, man hat schon einmal einen Spitzenposten quasi dann besetzt und das andere kann sich da drum herum gruppieren? Das ist ja auch etwas, was Donald Tusk anfangs auch mal vorgeschlagen hatte und gesagt hat: "Wenn kein Personalpaket, dann besetzen wir nacheinander die Spitzenposten."
Caspary: Genau. Und deswegen haben wir auch gar keinen Stress. Wir haben uns im Europäischen Parlament ja auch etwas mehr Zeit genommen. Normalerweise wäre die Wahl des Parlamentspräsidenten am Dienstag, wir haben die bewusst auf Mittwoch verschoben. Da wurde uns dann von Einigen unterstellt, das sei ein Zeichen der Schwäche. Nein, das ist kein Zeichen der Schwäche, sondern wir haben uns einen Tag mehr Zeit genommen, um zu signalisieren, in aller Ruhe, sollte es kein Gesamtpakt geben, werden wir uns dann Gedanken machen: Wählen wir einen Präsidenten des Europäischen Parlaments dann eben komplett außerhalb des Personalpakets? Und dafür brauchen wir dann einfach etwas mehr Zeit.
Und ich sage auch ganz offen, für die Europäische Union wäre das aus meiner Sicht kein größerer Schaden, wenn wir den Kommissionspräsidenten nicht schon, wie geplant, im Juli wählen, sondern vielleicht erst im September. Die jetzige Kommission ist sowieso planmäßig noch bis Ende Oktober im Amt. Das heißt, selbst bei einer Wahl im September hätten wir nicht zwangsweise eine Verzögerung. Und wir hatten auch in der Vergangenheit schon mehrfach die Situation, dass der Kommissionspräsident nicht gleich im Juli gewählte wurde, sondern erst im Herbst. Und deswegen – nochmal: Es gibt keinen Zwang, dieses Wochenende, heute, eine Lösung zu finden.
Wenn es eine Lösung gibt, wäre das bestimmt gut für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Aber ich sage Ihnen auch, wir werden als EVP nicht um jeden Preis eine Lösung akzeptieren, sondern wir haben klare Vorstellungen und wir sind mit einem klaren Kandidaten und einem inhaltlichen Konzept ins Rennen eingestiegen, und nur, damit Ruhe und Friede ist, werden wir nicht alles aufgeben.
"Wir sind die stärkste Kraft"
Klein: Wann immer es passiert, es wird irgendwann passieren müssen - ob im Juli, im August oder im September oder im Oktober -, es wird einen Kommissionspräsidenten geben. Ich würde gerne noch mal von Ihnen klar hören: Was ist der EVP und was ist Ihrer Fraktion wichtiger? Ist es wichtiger, jemanden aus Ihrer Parteienfamilie als Kommissionspräsidenten zu bekommen? Oder halten Sie das Spitzenkandidatenprinzip hoch und dann würde das quasi auch eine Unterstützung für einen der anderen Kandidaten bedeuten? Also, wäre die EVP bereit, parteipolitische Interessen zurückzustellen zugunsten der institutionellen Interessen, dass man nämlich am Spitzenkandidatenprinzip festhält?
Caspary: Ja, aber Frau Klein, auch da merken Sie doch den ganz spannenden Spin, der hinter Ihrer Frage steckt und der eben auch hinter der Diskussion steckt, die in Brüssel stattfindet nach dem Motto: Um das Spitzenkandidatenkonzept am Leben zu halten, müssten wir in dem Fall, in dem es Manfred Weber nicht würde, dann einen anderen Spitzenkandidaten, sprich Frans Timmermans, zum Präsidenten der Europäischen Kommission machen.
Klein: Das entspricht der Logik doch.
Caspary: Aber ganz komisch. Also, stellen Sie sich vor nochmal die Situation nach einer Bundestagswahl in Deutschland: Die SPD hätte sich hingestellt und gesagt, sie macht die Große Koalition, aber Angela Merkel darf es nicht werden. Das fände ich schon abenteuerlich. Und so eine Argumentation haben sie ja nach der Bundestagswahl nur ganz kurz mal von Christian Lindner gehört, der auch sofort gemerkt hat, das funktioniert nicht. Und dann haben wir die Situation, also selbst wenn es dann gelungen wäre, nach der letzten Bundestagswahl Angela Merkel zu stoppen - was zum Glück nicht gelungen ist -, dann wäre also dann die logische Konsequenz gewesen: Es muss aber ein Spitzenkandidat werden. Also: "Nicht ihr als Union dürft einen alternativen Vorschlag machen, sondern dann muss Martin Schulz Bundeskanzler in Deutschland werden."
Der niederländische Europa-Politiker Frans Timmermanns
Spitzenkandidat der sozialistischen Parteien bei der Europawahl: der niederländische Politiker Frans Timmermanns (dpa / Soeren Stache)
Und Frau Klein, also dieses Narrativ, das da gerade aufgebaut wird, nach dem Motto: "Wir machen Manfred Weber kaputt, in der Hoffnung, dass es dann Frans Timmermans wird. Damit es ein Spitzenkandidat wird, damit der Spitzenkandidatenprozess überlebt", also, das möchte ich so nicht stehen lassen. Sondern für mich gilt ganz klar: Wir sind die stärkste Kraft, deswegen ist unser Personalvorschlag Manfred Weber. Und sollten wir am Ende nicht Manfred Weber bekommen, dann kann man jetzt dann darüber diskutieren, war das jetzt im Sinne des Spitzenkandidatenkonzepts, wenn wir eine Alternative präsentieren, ...
Klein: Als EVP.
Caspary: Genau. Oder war es im Sinne des Spitzenkandidatenkonzepts, wenn wir dann eine Alternative Timmermans akzeptieren. Also, das ist doch genau das Spiel, das die Sozialisten fahren, die ganz genau sagen: "Wir sind für den Spitzenkandidatenprozess, weil wir sind ja ganz demokratisch und wollen Europa demokratisch weiterentwickeln. Aber der Manfred Weber darf es auf gar keinen Fall werden" – in der Hoffnung, dass es dann Franz Timmermans wird. Also, das ist doch eine Vorgehensweise, die ist einfach nicht in Ordnung.
Wählerinnen und Wähler nicht enttäuschen
Klein: Herr Caspary, wir sind am Ende dieses Interviews. Ich entnehme Ihren Worten, es ist noch Einiges offen im Augenblick. Sagen Sie uns noch einmal in einem kurzen Satz, was ist, Ihrer Meinung nach, der wahrscheinlichste Ausgang für heute und morgen?
Caspary: Der wahrscheinlichste Ausgang für heute und morgen ist, dass wir im Rat erstmal heftig diskutieren werden über die Frage, dass wir unseren EVP-Spitzenkandidaten haben wollen. Und dann, sage ich ganz offen, bin ich gespannt, was endlich mal Angebote von der anderen Seite sind. Ich stelle nur fest, hier wird gemauert. Und einfach nur zum EVP-Vorschlag "Nein" zu sagen, ist nicht in Ordnung. Und wir in der EVP, wir sind kampfeswillig.
Es kann sein, dass es heute eine gute Lösung gibt, aber nochmal, eine Lösung nicht um jeden Preis, weil wir sind mit einem klaren personellen, aber auch mit einem klaren inhaltlichen Konzept in diese Europawahl gegangen. Und ich habe kein Interesse dafür, die 40 Millionen Wählerinnen und Wähler, die Europaweit Europäische Volkspartei gewählt haben, zu enttäuschen.
Klein: Herr Caspary, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Caspary: Ich danke Ihnen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.