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Vorsorge mit Risiken?

Medizin. - Seit 1971 wird Frauen ab dem 20. Lebensjahr das kostenlose Screening auf Gebärmutterhalskrebs empfohlen. Eine Hamburger Expertin prüfte in- wie ausländische Studien zum Thema und stellt jetzt das bisherige Vorgehen zu der Krebsvorsorge infrage.

Von Eva Schindele, Gerd Pasch | 18.03.2008
    "Das ist für mich höchst erstaunlich, dass über Jahrzehnte ein Screening durchgeführt wird, ohne dass man eine systematische Dokumentation hat, was da passiert mit den Frauen, nicht nur dass man nicht weiß, was der tatsächliche Nutzen ist, sondern, dass man keinerlei Anhalt hat darüber, was an Schaden auch durch das Screening angerichtet wird, wie viele falsche Befunde es gibt, wie viele unnötige Eingriffe es gibt, wie die Langzeitfolgen auf die psychische Situation, auf ihr Sexualleben und Lebensqualität sind."

    Die Medizinerin Ingrid Mühlhauser, Professorin an der Universität Hamburg, setzt sich seit Jahren für fundierte Patienteninformationen ein. Das war auch ihr Motiv für ihre Literaturanalyse zum Thema Gebärmutterhalsscreening. Schließlich müssen sich seit diesem Jahr alle junge Frauen ab Jahrgang 1987 darüber beraten lassen, wenn sie keine finanziellen Einbußen im Krankheitsfall riskieren wollen. Kern der Früherkennung ist der so genannte PAP-Abstrich: Mit Hilfe eines Wattestäbchens entnehmen Frauenärztin oder Frauenarzt Zellen am Muttermund und untersuchen sie auf Veränderungen oder Entzündungen, die ein möglicher Hinweis auf einen Krebs sein könnten.

    "Das Problem ist, dass der PAP-Test Zellveränderungen findet, aber nicht feststellen kann, ob sie harmlos sind oder ob sie sich später einmal zu Krebs entwickeln. Das führt dazu, dass sie aber trotzdem behandelt werden, das heißt, viele Zellveränderungen werden behandelt, obwohl sie harmlos sind, weil sie sich niemals weiterentwickeln würden in eine Erkrankung."

    Bei einem Befund wird eine operative Entfernung des Gewebes am Gebärmutterhals empfohlen, meist eine so genannte Konisation und zwar vielfach ohne, dass vorher die Ergebnisse des Zellabstrichs noch einmal durch eine Gewebeuntersuchung überprüft werden. Schließlich gilt die Konisation als harmlos. Doch der Eingriff ist keineswegs risikolos. Er führt bei fünf von 100 Frauen zu Komplikationen wie heftigen Nachblutungen, Infektionen oder Verletzungen von Blase oder Mastdarm. Die Verkürzung des Gebärmutterhalses hat außerdem noch andere Folgen - vor allem für Frauen mit Kinderwunsch.

    "Man weiß heute, dass Frauen, die vor der Schwangerschaft eine Konisation erhalten, mehr Schwangerschaftskomplikationen haben, das heißt, es gibt eher Frühgeburten, niedriges Geburtsgewicht, vorzeitigen Blasensprung – sogar bis zu einem erhöhten Risiko für das Neugeborene. Die Kinder kommen eher auf Intensivstationen und es gibt Hinweise, dass es mehr Todesfälle bei den Neugeborenen gibt."

    Schätzungen zu Folge wird bei mindestens 140.000 Frauen jährlich eine solche Operation am Gebärmutterhals durchgeführt. Dabei ist der Gebärmutterhalskrebs eine eher seltene Erkrankung. Außerdem bilden sich Zellveränderungen, so genannte Dysplasien, häufig auch von selbst wieder zurück.

    "Die Konisation wird in Deutschland sehr viel häufiger durchgeführt als es tatsächlich Frauen mit Zervixkarzinom geben würde. Nach Hochrechnungen erhalten 330 von 100.000 Frauen pro Jahr eine Konisation. Im Vergleich dazu gibt es nur 15 Frauen von 100.000 pro Jahr, die ein Zervixkarzinom diagnostiziert bekommen."

    Dank Früherkennung sterben heute nur noch etwa 1600 Frauen im Jahr an dieser Krebsart. Davor waren es dreimal so viele, so die Schätzungen. Dieser Nutzen zeigt sich aber auch in europäischen Nachbarstaaten, wie in England oder Skandinavien, obwohl Frauen dort nur alle drei bis fünf Jahre gescreent werden – dafür aber nach zertifizierten Richtlinien. Auch die Zahl der Eingriffe ist dort viel niedriger als in Deutschland. Die Hamburger Ärztin Ingrid Mühlhauser fordert, Frauen zukünftig fundierter über Nutzen und Schaden der Früherkennung zu informieren. Außerdem sollte die gynäkologische Krebsvorsorge seltener durchgeführt werden.

    "Durch das häufige Screenen ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass man abklärungsbedürftige Befunde bekommt, die auf harmlose Zellveränderungen zurückzuführen sind. Es gibt gute Gründe dafür, dass man Screeningintervalle erhöhen sollte – auf drei bis fünf Jahre."

    Das fordert Ingrid Mühlhauser nicht alleine. In ihre Richtung weisen auch die Vorstellungen des Epidemiologen Professor Nikolaus Becker vom Heidelberger Krebsforschungszentrum.

    Gerd Pasch: Herr Professor Becker, können Sie die Erkenntnisse aus der aktuellen Untersuchung bestätigen?

    Nikolaus Becker: Das ist richtig. Das Problem tritt dann auf, wenn sehr häufig Früherkennungsuntersuchungen durchgeführt werden, wie das in Deutschland der Fall ist, zum Beispiel jährlich. Diese Tests sind nicht perfekt, das heißt, es treten so genannte falsch positive Befunde auf. Also Befunde, wo man fälschlicherweise Krebsvorstufen wahrnimmt, obwohl eben nicht unbedingt welche vorhanden sind. Und dann ist eben das Risiko gegeben, dass man vorschnell auch eine Therapie eingeleitet, die ansonsten nicht unbedingt erforderlich gewesen wäre.

    Pasch: Das scheint ein Systemfehler zu sein, das Screening ist ohne Qualitätssicherung geschehen. Wie kann man dem begegnen?

    Becker: Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Zunächst einmal kann man sich bei den gesamten Programmen anschauen, welche Programme sind effektiv. Und da gibt es viele Erfahrungen hier in Europa. Und da kann man sehen, dass qualitativ hochwertige Programme bereits mit einem Intervall von drei Jahren auskommen. Das bedeutet, dass das Risiko solcher so genannter falsch positiver Befunde natürlich wesentlich geringer ist als wenn man jährlich screent. Wenn man ein hochwertiges Programm hat, dann kann man immanent in dem Programm Qualitätssicherungsmaßnahmen einführen, dass also geschulte Ärzte die Abstrichentnahmen vornehmen, dass geschulte Zyto-Labors die zytologische Untersuchung durchführen, dass eine sehr sorgfältige Dokumentation betrieben wird, dass man Qualitätsparameter auswerten kann, die zum Beispiel in europäischen Leitlinien vorgeschlagen sind und an die man sich halten kann und einfach sehen kann, ob das Programm die Leistung bringt, die in anderen Ländern auch beobachtet werden kann.

    Pasch: Warum gibt es das jetzt noch nicht in Deutschland?

    Becker: Nun, da muss man auch ganz eindeutig etwas zu Gunsten des Programms sagen. Deutschland war eines der ersten Länder, die überhaupt solche Früherkennungsprogramme eingeführt haben, 1971. Vorher war Gebärmutterhalskrebs die zweithäufigste Krebskrankheit hier in Deutschland. Jetzt ist es eine seltene Krebskrankheit. Die Neuerkrankungsraten und die Sterberaten sind seither um ungefähr 75 Prozent zurückgegangen. Das heißt, das ist ein durchaus wirksames Programm. Was wie hier in Deutschland versäumt haben, ist, dass wir das Programm weiter entwickelt haben entsprechend der wissenschaftlichen Erkenntnis, die zwischenzeitlich aufgelaufen ist. Da haben wir Handlungsbedarf. Dass sich jetzt sich andeutet, dass in Deutschland das anders gehandhabt wird, ist bei dem Mammographiescreening, da wird ein organisiertes Programm durchgeführt mit Qualitätssicherung. Daran kann man sich orientieren und dann ist man wieder auf der Höhe der Zeit.

    Pasch: Welche Forderungen leiten sie daraus ab?

    Becker: Die Forderungen sind, dass wir uns an den europäischen Leitlinien orientieren sollten, die eben vorgeschlagen, dass man organisiertes Screening betreibt. Das bedeutet, dass man die Frauen eben alle drei Jahre schriftlich einlädt, dass also die Termine nicht vergessen werden, dass wirklich auch alle Frauen erreicht werden und nicht sozial schwache Gruppen zum Beispiel, wie man das häufig beobachtet, aus diesem medizinischen Prozess herausfallen, dass die Qualitätssicherung einbezogen wird und dass unabhängige Institutionen aufgebaut werden, die diese Daten wissenschaftlich auswerten und feststellen, ob wir die Qualität erreichen, die sonst üblich ist.

    Pasch: Wann rechnen Sie damit, dass in Deutschland das umgesetzt sein wird?

    Becker: Das ist schwer zu sagen. An sich könnte man recht zügig mit der Umsetzung solcher Maßnahmen beginnen und dann hätte man innerhalb von wenigen Jahren ein Programm, das diesen Kriterien genügt.