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Vorstoß in die Arktis

Auf der Suche nach den Ressourcen der Zukunft stoßen norwegische und russische Expertenteams in tiefere Gewässer der Barentssee vor. Probebohrungen lassen auf Gasvorräte für die nächsten 30 Jahre hoffen. Der Wettlauf um den profitabelsten Zugriff stößt allerdings auch auf Kritik. Umweltschützer und Meeresbiologen sorgen sich um einen bis heute fast unberührten Lebensraum. Alexander Budde berichtet.

    Hammerfest, Region Finnmark, im nördlichsten Zipfel Norwegens:
    Arbeiter legen letzte Hand an auf der Insel Melköya, die direkt vor dem Hafen liegt. Wo einst Schafe grasten, soll in einigen Wochen die größte Erdgasverflüssigungsanlage Europas in Betrieb gehen. Knapp sieben Milliarden Euro hat das internationale Snövith-Konsortium unter Führung des norwegischen Statoil-Konzerns in das technisch anspruchsvolle Projekt investiert.

    Sven Fredrikssen sitzt im Schatten einer meterdicken Rohrleitung. Der breitschultrige Monteur plagt sich mit Schrauben und Bolzen.

    "Hier haben wir das Ventil für den Seewasserzufluss der Kühlanlage. Wir reinigen die Leitung, prüfen die Dichtungen und schauen nach, ob die Rohre dicht verschweißt sind. Jeder Handgriff muss sitzen. Sollten wir in dieser Phase eine Schwachstelle übersehen, kann das böse Folgen haben."

    Die mächtigen Erdgas-Verflüssiger standen bislang ausnahmslos in warmen Regionen. Eine solche Anlage 600 Kilometer nördlich des Polarkreises zu errichten, ist etwas ganz anderes, sagt Odd Mosbergvik. Der Statoil-Manager trägt die Verantwortung für das gewagte Industrieprojekt.

    "Die größte Herausforderung ist das extreme Klima der Arktis. Teile der Anlage wurden deshalb in Spanien vormontiert und die bis zu 40.000 Tonnen schweren Module auf dem Seeweg nach Hammerfest gebracht. Technisch war das schon lange möglich. Nur wirtschaftlich lohnte sich eine solche Materialschlacht nicht. Heute sieht das ganz anders aus. Und das liegt vor allem am Gaspreis, der sich seit Beginn der Planungsphase mehr als verfünffacht hat."

    Seit mehr als zwei Jahrzehnten sind die norwegischen Energieunternehmen auf der Suche nach neuen Öl- und Gasfeldern, die eines Tages die erschöpften Reservoire in der Nordsee ersetzen sollen. Allein das Snövith-Feld in rund 2000 Metern Tiefe unter dem Meeresboden könnte den gesamten globalen Bedarf für ein Jahr decken.

    Wenn die Förderung wie geplant im Juni beginnt, wird man an der Meeresoberfläche nichts davon mitbekommen. Die Produktion läuft über ferngesteuerte Förderanlagen in rund 300 Metern Wassertiefe. Die norwegischen Petrokonzerne Statoil und Hydro sind stolz auf ihre guten Erfahrungen mit komplizierten Offshore-Projekten, weshalb man sich auch gute Chancen ausrechnete, an der Ausbeutung des russischen Shtokman-Gasfeldes beteiligt zu werden. Das Reservoir liegt 550 Kilometer von der nächsten Küste entfernt in der nördlichen Barentssee.

    Umso größer war die Enttäuschung in Oslo als der staatskontrollierte Gasprom-Konzern im Oktober vergangenen Jahres ankündigte, die Russen würden das vermutlich weltgrößte Gasfeld zur See ohne Mithilfe westlicher Konzerne ausbeuten. Auch soll das Gas nicht mehr wie ursprünglich geplant in flüssiger Form auf Tankschiffen in die USA, sondern im Naturzustand und durch die Ostseepipeline nach Deutschland geliefert werden.

    Russen und Norweger arbeiten in der Arktis eng zusammen, etwa bei gemeinsamen Forschungsprojekten zur Meeresökologie und zum Klimawandel. Auch im Streit um die Fangquoten für die schwindenden Bestände von Hering und Kabeljau hat man sich geeinigt. Mit umso härteren Bandagen wird aber das Ringen um die Bodenschätze ausgetragen. Bei der Fusion der früheren Erzrivalen Hydro und Statoil zur weltgrößten Offshore-Gesellschaft im Dezember vorigen Jahres dürfte die Abfuhr aus Moskau eine entscheidende Rolle gespielt haben.

    Wer auch immer sich durchsetzen wird, beim großen Energiepoker: Die Bewohner der lange vernachlässigten Polarregion werden die Gewinner sein, prophezeit Alf Jacobsen. Der dynamische Mittfünfziger ist Bürgermeister in Hammerfest.
    Mit dem Petro-Boom, hofft er, wird neues Leben in die Städte und Dörfer an der Küste zurückkehren.

    "Natürlich gibt es große Erwartungen. Allein an Liegenschaftssteuern werden uns rund 15 Millionen Euro im Jahr zusätzlich zur Verfügung stehen. Das freut uns, denn Hammerfest ist eine geschundene Stadt. Die Bürger haben wenig Geld, aber bald können sie im Wohlstand leben. Es gibt auch eine rege Bautätigkeit. Wir eröffnen im nächsten Frühjahr ein großes Kulturzentrum. Am Fjord entsteht ein attraktives Wohnviertel. Die jungen Leute kommen zurück, und wir haben ja auch einiges zu bieten. Denken Sie nur an unsere malerische Landschaft hier."

    Nicht bei allen Bürgern löst die Baustelle vor der Stadt solche Visionen aus: Fischer fürchten um ihre Zukunft, Umweltschützer gehen auf die Barrikaden. Denn die arktischen Gewässer sind als fast noch unberührter Lebensraum für Kleinstlebewesen, Fische und Seevögel kaum erforscht.