Der politische Journalismus scheint unter Druck, von mehreren Seiten. Wenn Parteien eigene Newsrooms aufbauen und sich selbst fürs Netzpublikum interviewen, wie lange gibt es noch Interviewtermine für kritische Fragen? Wenn Youtuber in den politischen Diskurs eintreten und vor allem junge Menschen erreichen, gelten dann die gleichen Qualitätspflichten wie für Journalisten? Moderatorin Rahel Klein debattiert solche Fragen bei #formate19 mit Eric Gujer, Kristina Dunz und Wulf Schmiese.
Was geschieht mit dem kritischen Bewusstsein?
Das vieldiskutierte Rezo-Video hält Kristina Dunz, stellvertretende Leiterin der Berliner Parlamentsredaktion der Rheinischen Post, für einen "belebenden Aufschlag" und "hervorragende Unterhaltung" - aber auch für zu einseitig und "etwas populistisch". Wenn nicht mehr interessiert, was die Gegenseite zu sagen hat, stelle sich die Frage, was mit dem kritischen Bewusstsein geschehe. Für sie gelte eine Pflicht zu Neutralität. Sie kenne aber viele Redaktionen, die sich inzwischen das Ziel gesetzt haben, mit Inhalten für jüngere Menschen aufzuholen. Qualitätsprinzipien müssen dabei immer erhalten bleiben - sei es multimedial.
Ärgerlich, "wenn Politiker versuchen, ihren eigenen Journalismus zu machen"
Wenn der Unions-Fraktionschef die Kanzlerin interviewt, hat Wulf Schmiese, Redaktionsleiter des ZDF-heute-journals, kein Problem - wohl aber, wenn die Kanzlerin dann weniger Interviewanfragen der Medien wahrnimmt. Durch Selektion und Interpretation seien Medien immer Transformatoren zwischen Politik und Gesellschaft. Ein "Selfie-Journalismus" wie etwa bei sendefähigen Fertig-Statements des Verkehrsministers Scheuer wolle das umgehen. Schmiese ärgere, "wenn Politiker versuchen, ihren eigenen Journalismus zu machen, um eigentlich nur ihre eigene Peergroup zu erreichen." - "Für die ernsthafte Welt sind die Medien zuständig." Statt von Parteien angeliefertes Bewegtbild-Material zu übernehmen, bediene man sich daraus zunehmend nur mit Standbildern. Doch ihm sei nicht bang, dass auch die künftige Generation für qualitativen Journalismus interessieren werde.
Den Vorteil des klassischen Journalismus zeigen
Eric Gujer, Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, fühlt sich nicht im Stress - aber sieht, dass die Journalisten ihre Rolle als Gatekeeper verloren haben. Wichtig sei nun zu zeigen, was der Vorteil des klassischen Journalismus sei. Große Nachrichtenorganisationen können Nachrichten professionell sortieren, durchleuchten - und Orientierung schaffen. Die Kernwährung sei Vertrauen, und dazu gehöre die Interaktion mit den Lesern. Diese müsse mehr gepflegt werden als in der Vergangenheit, "wo man glaube, wir sind Sender, die sind Empfänger". Der Journalismus brauche mehr Gelassenheit, aber auch mehr Veränderungsbereitschaft.
Über das Thema diskutierten Wulf Schmiese, Redaktionsleiter "heute-journal", Kristina Dunz von der "Rheinischen Post" und Eric Gujer, Chefredakteur der "Neuen Zürcher Zeitung".
Wulf Schmiese
Wulf Schmiese leitet seit April 2017 die Redaktion des "heute-journal" im ZDF. Twitter: @WulfSchmiese
Kristina Dunz
Kristina Dunz ging nach dem Abitur für ein Jahr nach Frankreich und begann anschließend ein Studium der Kulturwissenschaften in Bremen. 1989 schlug sie mit einem Volontariat beim "Delmenhorster Kreisblatt" die journalistische Laufbahn ein. 1991 wechselte sie zur Deutschen Presse-Agentur (dpa). Ihre Stationen dort waren Magdeburg, Hamburg, Stuttgart, und von 2000 an Berlin. Zunächst berichtete sie für die dpa über die Themen Verteidigung und die Partei Die Linke. Von 2009 bis 2017 war sie Kanzlerkorrespondentin der dpa. Im Oktober 2017 wechselte sie als stellvertretende Leiterin des Parlamentsbüros zur "Rheinischen Post". Auch dort ist sie schwerpunktmäßig zuständig für die Berichterstattung über das Kanzleramt und die CDU. Twitter: @WaltrautDunz
Eric Gujer
Eric Gujer ist seit März 2015 Chefredakteur der "Neuen Zürcher Zeitung". Er wurde 1962 in Zürich geboren. Nach Matura und Volontariat bei einer deutschen Tageszeitung studierte er an den Universitäten Freiburg im Breisgau und Köln Geschichte, Politikwissenschaft und Slawistik. Eric Gujer ist seit mehr als drei Jahrzehnten für die "Neue Zürcher Zeitung" tätig. Er begann 1986 als Praktikant und freier Mitarbeiter, bevor er Korrespondent für die DDR mit Sitz in Berlin wurde. Es folgten Stationen als Korrespondent in Jerusalem, Moskau und erneut Berlin, wo er zehn Jahre als politischer Beobachter die "NZZ" vertrat. Von 2013 bis 2015 leitete er das Ressort International. Dort setzte sich Eric Gujer insbesondere mit der EU, Deutschland, internationalen Strategiefragen und Sicherheitspolitik auseinander. Twitter: @ericgujer
Rahel Klein
Rahel Klein geboren in Siegen, studierte nach dem Abitur Sozial- und Politikwissenschaften in Siegen und Bonn. Neben dem Studium absolvierte sie eine studienbegleitende Journalistenausbildung und arbeitet seit einigen Jahren nun hauptberuflich als freie Journalistin für Radio und Fernsehen – als Reporterin, Moderatorin und Social-Media-Redakteurin für Deutschlandfunk Nova, die Deutsche Welle oder Phoenix. Auch wenn sie manchmal im Radio erklärt, wie man sich richtig die Haare wäscht, oder wie man ein Vogelhäuschen baut, hat sich die 29-Jährige in den vergangenen Jahren vor allem auf die Themen Politik und Gesellschaft fokussiert. Twitter: @Rahel_Kle