"Die an sich apolitische Universität ist nur in diesem einen Punkte politisch: Die Freiheit von Lehre und Forschung hat zur Daseinsbedingung ein freies Staatswesen. Sie selber stellt den Geist der Freiheit des Staatswesens dar. Sie steigert ihn durch Erkenntnis der Wahrheit. Nur ein freies Staatswesen wird seinen Universitäten die volle, durch keine außerwissenschaftliche Beeinflussung eingeschränkte Lehr- und Forschungsfreiheit garantieren."
Mit diesen Sätzen fasste Karl Jaspers 1961 in einem Rundfunkgespräch "Zur Situation der Universität" noch einmal zusammen, worin er die Bedeutung der Universität in ihrem Verhältnis zu Staat und Gesellschaft sah. Während nahezu vier Jahrzehnten hatte der seit 1916 in Heidelberg, seit 1948 in Basel lehrende Psychologe und Philosoph in Schriften und Artikeln, Vorträgen und Reden seine Vorstellungen von Aufgabe und Gestalt der Universität dargelegt.
Wiedereröffnung der Heidelberger Universität: "Neubeginn nach dem Ruin"
Als am 15. August 1945 die Wiedereröffnung der Heidelberger Universität zunächst mit dem medizinischen Teil begann, gehörte Jaspers zu den Rednern dieses Tages. "Es ist für unsere Universität ein großer Tag. Es ist ein Neubeginn nach dem Ruin, in den die Universität seit zwölf Jahren hineingezwungen wurde." Es hatte eine besondere Bewandtnis mit diesem Redner, der als Repräsentant eines besseren Deutschland galt. 1933 hatte er zunächst in Thesen zur Hochschulerneuerung, die er Martin Heidegger schickte, vom Nationalsozialismus eine "Entfaltung deutschen Wissenwollens" und eine "neue Gestalt der deutschen geistigen Persönlichkeit" erhofft.
1937 wurde er, weil seine Frau jüdischer Herkunft war und er nicht bereit, sich von ihr zu trennen, in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Darauf folgte ein Publikationsverbot. Schließlich drohte die Deportation in ein Konzentrationslager. Die Besetzung Heidelbergs durch die US-Army am 30. März 1945 bedeutete Rettung im letzten Augenblick. Im Lichte dieser Vorgeschichte ist Jaspers Rolle zu sehen.
Kein Anknüpfen an den Zustand vor 1933
Er selber warf sich "schuldvolle Passivität" vor, wehrte jegliche Heroisierung seiner Person ab, trat aber nun umso entschiedener für einen Neubeginn der Universität ein und engagierte sich dabei auf vielfache Weise. In seiner Rede meinte er: Zitat "Der Neubeginn unserer Universität kann jedoch kein einfaches Anknüpfen an den Zustand vor 1933 sein. Zuviel ist geschehen, zu eingreifend ist die Katastrophe."
Anknüpfen sollte man nach Jaspers‘ Ansicht an die einst von Wilhelm von Humboldt vertretene Idee der Universität als Einheit von Forschung, Lehre und Bildung. Diese Idee sei in der Realität angesichts der zunehmenden Dominanz spezialisierter wissenschaftlicher Fachbildung zu einer bloßen Formel herabgesunken mit der Kapitulation der Universität vor dem nationalsozialistischen Machtanspruch als letzter Konsequenz.
Enttäuschung über hochschulpolitische Entwicklung im Nachkriegsdeutschland
"Die Erneuerung aus dem Ursprung müßte die Universität erweitern auf alle großen menschlichen Anliegen unseres Zeitalters und zugleich ihre Einheit wiedergewinnen. Sie würde nachholen, was durch bald ein Jahrhundert versäumt wurde." Dazu gehörten die Erweiterung der klassischen Fakultäten um eine technische und die stärkere Würdigung der zentralen Bedeutung der philosophischen Fakultät. Sie sollte hellsichtig machen für die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Entfaltung der Einheit der Wissenschaften Raum bieten in – so Jaspers – "lebendiger Kommunikation" und "geistigem Kampf".
Doch seine Hoffnung, eine "Hohe Schule des Geistes" könne zur Leitidee werden, sah er enttäuscht. 1948 folgte er dem Ruf nach Basel - ungeachtet der dort deutlich ungünstigeren Konditionen.